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Themenabend der Kulturkritik München:
_Die Globalisierung und das Ende der bürgerlichen Gesellschaft_

Diskussionsgrundlage:

"Die Globalisierung und das Ende der bürgerlichen Gesellschaft" (Text als RTF laden: ladenup4a1a)
(http://www.kulturkritik.net/oekonomie/globalgesellschaft/index.html)

"Thesen zum Widerstand gegen die Globalisierung des Kapitals" (Text als RTF laden: ladenup4a1a1)
(http://www.kulturkritik.net/oekonomie/globalgesellschaft/index_thesen.html)

 

Kurzfassung:

Die Globalisierung ist nicht nur die Bosheit eines verschärften Kapitalismus, sondern vor allem der Prozess des Untergangs seiner Grundlagen: Die bürgerliche Gesellschaft. Um hierbei Orientierung zu finden und die Möglichkeiten einer emanzipatorischen Bewegung zu erkennen, soll zunächst im Überblick über die derzeitigen Tendenzen die Globalisierung auf ihre Gründe hinterfragt und auf ihren Kern hin analysiert werden. Der Themenabend kann Fragen eröffnen und "Gedankenblitze" zusammenführen.

Begründung:

Über Globalisierung spricht man heute inzwischen oft so, als ob darunter einfach nur ein weltweiter Zusammenhang des Handels und Verkehrs zu verstehen sei oder eine Fortsetzung des Imperialismus auf erweiterter Stufenleiter oder ein vom Aktienmarkt her überzogener Handel mit fiktivem Kapital (Aktien, Schuldverschreibungen und ungedeckte Devisenwerte), das sich unter Ausnutzung der letzten Ressourcen (billige Arbeitskräfte, Infrastrukturen und Bodenschätze) zu decken versucht oder einer Markterweiterung, welche der Automatisierung der Produktion und ihrem gesteigerten Absatzbedarf entspricht oder die globale Anwendung einer ungeheueren Wertmasse, welche die ganze Welt in eine Fabrik verwandelt. Doch dies alles gibt es schon seit über 160 Jahren, spätestens seit dem Bau der Eisenbahnen in Europa und anderswo - wenn auch in anderen Größendimensionen. Und dennoch sind all diese Phänomene auch Momente der Globalisation.

Aber insgesamt bewirkt die einiges, was es bisher noch nicht gab: Disqualifizierung der Nationalökonomie als Wirtschaftssteuerung des Binnenmarktes durch Unterwerfung der politischen Nationalwirtschaft unter die Interessen und Notwendigkeiten des Weltmarkts, nationalwirtschaftlich nicht mehr umkehrbare Staatsverschuldung, Abbau der Sozialwirtschaft im Maßstab der globalen Anforderungen der weltweiten Konkurrenz, Zerstörung der Produktionsbedingungen ganzer Regionen (Landschaft, Bodenschätze, Natur, Arbeitskräfte, politische Autonomie) und Rückkehr der Politik zur kriegerischen Machtpolitik gegen die Eigner der Rohstoffquellen. Um herauszuarbeiten, was nun das eigentlich Neue der Globalisation ausmacht, muss man sich damit etwas ausführlicher befassen. Denn immerhin hängt davon ab, wie die Probleme unserer Zeit zu begreifen sind, welche Gefahren und Hoffnungen sie enthalten.

Mit Globalisierung war ursprünglich die Globalisierung der unbeschränkten Kapitalanwendung (und ihre Ideologie: Der Neoliberalismus) gemeint, also die "Entfesselung des Kapitals", die Deregulation, die Aufhebung der Gegensteuerung des bürgerlichen Staats gegen seine sozialen Auswirkungen, die Entgrenzung kapitalistischer Wirkungskreisläufe, die Überwindung der Ländergrenzen, der Zölle und Steuerabgaben und der direkte Zugriff des internationalen Finanzmarktes auf die Entwicklung lokaler Industrie und Dienstleistung. Inzwischen stellt sich heraus, dass dies nicht nur eine quantitative Auswirkung des Kapitalismus auf dem Weltmarkt ist, sondern dass damit ganz wesentliche soziale, kulturelle und wirtschaftliche Prozesse grundlegend verändert werden, besonders die Funktion des Sozialstaats, die demokratische Souveränität und die Wirkung der politischen Parteien - dies alles vor allem durch die Ablösung des Sozialprodukts vom nationalen Reproduktionsprozess, die Produktionsbestimmung durch den Außenhandel und den Weltmarkt, durch den selbst die Preisbestimmungen des einfachen Tauschhandels, durch wachsende Miet-, Pacht- und Lizenzbewertungen beherrscht sind. Die natürlichen und kulturellen Lebensbedingungen selbst werden für ein weltweites Wertwachstum vernutzt und es scheint, dass der Kapitalismus bereit und imstande ist, seine eigenen Grundlagen und damit sich selbst zu vernichten. Wie das, wo er sich doch als wirtschaftliches System, also auch als Bewirtschaftungssystem begreift?

Insgesamt gründet die Globalisierung nicht auf der unmittelbaren oder mittelbaren Verwertung des Mehrprodukts sondern auf der Verwertung der Produktionsbedingungen selbst und bedeutet daher in ihrem finalen Sinn die faktische Auflösung der organischen Wirtschaftskreisläufe zwischen Arbeit und Konsum, also die Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft, ohne dass darin eine gesellschaftliche Entwicklung geboten ist, ohne dass sich an der Form der Arbeit und des Konsums etwas ändert. Alle Notwendigkeiten darin ergeben sich aus Zufällen im permanenten Auftreten von Mangelerscheinungen, die zu permanenter Notlösung verpflichten. Das ist die moderne Armut: Die Verarmung der menschlichen Gesellschaft durch Zersetzung jeglicher Geschichte, vor allem der eigenen. Aller Reichtum, der bisher durch Entfaltung der Produktivität entwickelt wurde, verkehrt sich zu einer Macht der Automation gegen ihre Anwender, einer Vernutzung des Lebens für eine Maschinerie des Todes - nicht, weil es die Automaten gibt, sondern weil das Kapital seine wirtschaftliche Selbstauflösung durch Politik ersetzt und dies als allgemeine Notwendigkeit ausgibt. Und dies kann es , weil es die Bestimmung über diese Maschinerie inne hat, sie und ihre Entwicklungspotenziale besitzt. Die Konzeption der sogenannten "Weltordungskriege", die Plünderung und Verschuldung der Nationalstaaten durch Kapital- und Steuerflucht und die Ideologie, welche hinter den "Sozialreformen" steht, zeigen deutlich, dass sich die Politiker und Strategen der Weltgeschichte auf eine Zeit vorbereiten und dies bereits auch schon umsetzen, in welcher jeder einzelne Mensch wie auch die Menschheit überhaupt sich den Zwangsläufigkeiten einer unersättlichen Kapitalvermarktung zu beugen haben, die fast kein wirkliches Äquivalent mehr auf dem Markt hat und daher letztlich nur politisch und mit Gewalt durchzusetzen ist. Das ist nicht mehr Wirtschaft sondern eine bodenlose Verwertungsmacht, die sich aus ihrer selbstzerstörerischen Wirkung begründen will: Ein Unding schlechthin, ein politischer Wille, der die Welt beherrscht und ihr vermittelt, dass dies für sie nötig sei. Und wer es glaubt, der tritt ohne Bewusstsein in einen Kreislauf der Sinnentleerung ein, der nur noch mit den Prozessen vergleichbar ist, die im Suchtverhalten ablaufen. Der Markt wird überschwemmt mit Suchtmitteln, mit Stimulationen der Selbsterregung und Prothesen gegen die Selbstverlorenheit der Identitäslosigkeit, die durch ihren Konsum aufkommt.

Es ist daher von großer Bedeutung, sich über die Grundlagen und Tendenzen des global angewandten Kapitals klar zu werden und durch Analyse der bestehenden Entwicklungen auf Möglichkeiten zu kommen, wie dem begegnet und wie eine gesellschaftliche Wirksamkeit und Wirklichkeit der Menschen hiergegen geschaffen werden kann. Die Frage, was hiergegen zu machen ist, lässt sich auch nur beantworten, wenn begriffen ist, was die modernen Bewegungsformen des Kapitals sind. Es gibt dazu sicher einiges zu diskutieren - nicht nur an diesem Abend. Aber er kann vielleicht in die Diskussion einführen.

Um das Thema erst mal auf den Punkt zu bringen, ist es vielleicht besser, die Diskussion auf die Resultate der Diskussiongrundlage einzugrenzen (es wäre hierfür gut, wenn das oben genannte Papier von allen Teilnehmern gelesen wäre):

"1. Die Globalisierung resultiert nicht aus einer Ideologie, dem Neoliberalismus, sondern aus der Logik der Kapitalkonzentration, welche Dimensionen in der politischen Anwendung ihrer Wertmasse erreicht hat, die über die Bewegungs- und Entscheidungsfähigkeit der einzelnen Nationalstaaten weit hinausgeht. Damit wurde das Kapitalinteresse selbständig gegen das Nationalinteresse und löste das Zeitalter imperialistischer Nationen ab. Der Neoliberalismus ist lediglich der ideelle Ausdruck dieser veränderten Lage, die Legitimation und Anweisung von entsprechendem politischen Handeln.

2. Die Ablösung des Imperialismus durch die Globalisierung bestand vor allem aus der Auflösung des bürgerlichen Staates als Ausgleichsagentur der bürgerlichen Selbsterhaltungsinteressen und dessen Wandlung zu einer Agentur für die Aufwandsminimalisierung der nationalen und inetrnationalen Wirtschaft für den Weltmarkt.

3. War der imperialistische Staat noch im Interesse der Bereicherung des nationalen Kapitals und damit indirekt auch der Bewahrung eines Lebensstandards seiner Bevölkerung als Sozialstaat nützlich, so dient im Gegensatz hierzu jetzt der Staat als Dienstleister des globalisierten Kapitals sowohl in der Organisation und Förderung einer Dienstleistungsgesellschaft, wie auch in der Bereitstellung seiner Infrastruktur zur Kapitalverwertung (Privatisierung) und der Disziplinierung und Ausrichtung seiner Bevölkerung zur Negativverwertung (Hartz IV).

4. Die mit der Auflösung des bürgerlichen Staates betriebene Auflösung der Selbsterhaltungsinteressen der bürgerlichen Gesellschaft geht einher mit einer relativen Sättigung der Entwicklung des Warenmarktes. Die Fortentwicklung von Gebrauchsgütern und Produktionsmitteln kann den Verwertungszwängen des Kapitals nicht mehr Rechnung tragen. Von daher unterwirft es sich unmittelbar die Ressourcen der Verwertung (Menschen, Natur, Kultur) als Bedürfnispotenzial eines zur Wertrealisation notwendigen Absatzmarktes. Dieser erzeugt verselbständigte Bedürfnisse in der Kultur (z.B. Selbstdarstellung, Design, Körperkult), die nicht auf einer Fortbildung der menschlichen Selbsterzeugung und Selbsterneuerung gründen, sondern aus einem gesellschaftlichen Vakuum, das durch zwischenmenschliche Beziehungen kompensiert werden muss. Sie haben hierdurch einen Suchtcharakter, welcher der Verwertungssucht des Kapitals entspricht.

5. Der nicht verwertbare Teil der Bevölkerung, also die für das Kapital überflüssigen Menschen, nimmt in dem Maße zu, wie Eliten des Arbeitsprozesses für die Entwicklung der durch Automation beschleunigten Kapitalkonzentration geschaffen werden. Hierdurch ist der Klassenkampf zwischen Arbeit und Kapital entwirklicht zu einem Kulturgegensatz von Lebensinteressen und Verwertungsmacht. Der Streit um die Länge des Arbeitstags und der Anteile am Mehrprodukt verlagert sich in die unmittelbare Ausgrenzung von immer größer werdenden Anteilen der Bevölkerung, die auf das Niveau unterster Selbsterhaltung gezwungen werden - auch um über Existenzangst als Kampfmittel in der Auseinandersetzung um Lohn und Arbeitszeiten zu verfügen.

6. Die Klassenkämpfe zwischen Kapital, Arbeit und Grundbesitz vollziehen sich weltweit als Kulturkämpfe der gegensätzlichen Besitzstände, soweit sie sich als nationale Interessensbündisse von solchen Klassen darstellen. Deren Wirklichkeitsform sind zwar weiterhin die Beziehungen auf dem Kapital- und Devisenmarkt, worin sich die Ausbeutung der armen Länder durch die reichen in der Übereignung von Wert vollzieht. Zugleich fungiert das Kapital aber als Weltmacht, die im Krisenfall durch politische und militärische Einflußnahme preisbestimmend wird. Daraus folgen Enteignungsprozesse von Gemeinwesen (staatlicher Autonomie), Landschaft (Naturausbeutung) und Kultur (Verwertung von überkommenen Lebensweisen und -verhältnissen), die Kriege und Terrorismus zur Folge haben.

7. Der Kapitalismus ist nicht wesentlich ein Verteilungsproblem, eine Ungerechtigkeit der quantitativen Teilhabe am Mehrprodukt, die durch Forderungen aufgehoben werden könnten, die quantitative Angleichung in Geldform verlangen. In der quantitativen Entgegensetzung von Anteilen am gesellschaftlichen Reichtum stellt sich Kapital qualitativ als Enteignungsmacht dar, die lebende gesellschaftliche Zusammenhänge in tote Existenzformen isoliert und von sich zunehmend abhängig macht. Die Vereinzelung der Arbeit ist ein qualitativ gesellschaftliches Ereignis, welches die ökonomische Existenz ebenso wie die Kultur ausmacht und auch die quantitativ entgegengesetzte Teilhabe am Mehrprodukt aus der Enteignung eines Teils des Arbeitstages erklärt. Der Kampf um den eigenen Arbeitstag in der weiten Bedeutung von Eigentum an Zeit ist weiterhin die Grundlage aller Positionen gegen das Kapital. Diese Auseinandersetzung muss aber von den Beteiligten auf die Ebene der Kultur gehoben und in der Entwicklung von Lebensstandard und gesellschaftlichem Leben umgesetzt werden.

8. Das praktisch notwendige Verhalten der Menschen gegen das globalisierte Kapital kann nicht in der Befolgung seiner Expansionsinteressen oder deren Nachvollzug in der Bildung einer "Weltgesellschaft" liegen, sondern in der Transformation vorhandener Arbeits- und Kulturzusammenhänge zu entsprechenden menschlichen Lebenszusammenhängen, zu Gemeinwesen, die sich dem Kapitalinteresse entgegenstellen, indem sie sich auf der Basis eigener Wirtschaftskreisläufe zu föderationalen Beziehungen weltweit verbinden.

9. Solche Gemeinwesen müssen auf den Selbsterhaltungsinteressen der Menschen jenseits des Geldhandels gründen und den Wirtschaftskreislauf menschlicher Selbsterhaltung zum Grundprinzip haben, auf dem alle anderen Wirtschaftinteressen aufbauen. Hierfür muss zunächst die Selbsterhaltungswirtschaft gesetzlich garantiert und vom Geldhandel befreit werden. Die Erzeugung eines Mehrprodukts kann nur die Fortentwicklung der Selbsterhaltungswirtschaft als Erweiterung des Lebensstandards, also als Kulturentwicklung sein."

 

Quellen:

zu Globalisierung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=globalisierung)

zu Bretton-Woods:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=brettonwoods)

zu Neoliberalismus:
Kulturkritisches Lexikon (
http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=neoliberalismus)

zu Wirtschaft:
Kulturkritisches Lexikon (
http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=wirtschaft)

zur Bürgerlichen Gesellschaft:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=buergerlichegesellschaft)

zum Staatsbankrott:
Kulturkritisches Lexikon (
http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=staatsbankrott)

zum Wertmasse:
Kulturkritisches Lexikon (
http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=Wertmasse)

zum Fiktivem Kapital:
Kulturkritisches Lexikon (
http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=fiktiveskapital)

zur Geldpolitik nach Bretton Woods http://kulturkritik.net/quellen/brettonwoods.html

zur Gelddeckung durch Gold http://kulturkritik.net/quellen/Gelddeckung.html

zur Kultur:
Kulturkritisches Lexikon (
http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=kultur)

zu Zwischenmenschlichkeit:
Kulturkritisches Lexikon (
http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=zwischenmenschlichkeit)

ISW: Report Nr. 58 und Report Nr. 60

Streifzüge Nr. 32 November 2004 Lorenz Glatz "Warum nichts mehr geht ..."

Viviane Forresters "Die Diktatur des Profits" (dtv)

Hans-Peter Martin & Harald Schuhmann: "Die Globalisierungsfalle" (Rowohlt 1996)

zum Ende der bürgerlichen Kultur:
http://www.brandeins.net/home/inhalt_detail.asp?id=140&MenuID=130&MagID=3&sid=su80130118782568123