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Themenabend der Kulturkritik München:
_Die Militarisierung der "deutsche Normalität"_

Diskussionsgrundlage:
"Die Militarisierung der deutschen Selbstverständigung" (Text als RTF laden: ladenup4a1a)
(http://kulturkritik.net/philosophie/militarisierung/index.html)

"Thesen zur Militarisierung der deutschen Selbstverständigung" (Text als RTF laden: ladenup4a1a1)
(http://kulturkritik.net/philosophie/militarisierung/index_thesen.html)

Kurzfassung:

Die neue Rolle Deutschlands im Weltgeschehen hat die öffentliche Wahrnehmung und das hierin vermittelte Bewusstsein bereits stark - wenn auch oft unmerklich - verändert. Die einzelnen spürbar gewordenen Veränderungen sollten einmal in einem Sinnzusammenhang kenntlich gemacht werden, der ein Gesamtbild der "deutschen Geisteslage" entwirft. Das könnte auch die politischen Schaubilder der Bundespolitik erhellen - und eine Hinterfragung der parlamentarischen Möglichkeiten und die mehr oder weniger zögerliche Beteiligung der politischen Klasse an den "Weltordnungskriegen" erbringen.

Begründung:

Eines der ersten Phänomene der Globalisierung war die Auflösung des Ost-Westgegensatzes, das Ende des Streits der Systeme durch den Bankrott des Sowjetsystems. Dieser war nicht Ursache der politischen Globalisierung des US-Kapitals und kam nicht von ungefähr, sondern war Folge der kursierenden Devisenwerte nach der schlagartigen Goldentwertung, die nach der Aufhebung der völlig überbewerteten Golddeckung des Dollars (Bretton-Woods) grassierte. Der wirtschaftliche Rückhalt der UdSSR war binnen Jahresfrist hinfällig und sie geriet in die Turbulenzen einer Marktentwicklung, der sie nicht mehr gewachsen sein konnte, da sie auf dem spekulativen Kapitalmarkt schlecht bestückt war. Damit war für die USA das "Reich des Bösen" (Reagan) endgültig besiegt und der Westen konnte sich an die Durchsetzung der weltweiten Anwendung von spekulativem Kapital machen. Mit Kapitalinvestitionen bisher ungeahnter Ausmaße wurden die Weltmärkte erobert und das Kapital konnte die Behebung seiner Krisen ins Auge fassen. Hierfür war ein Wertausgleich für die fallende Profitrate nötig, der nur mit gewaltsamer Durchsetzung von politischem Einfluß auf die Förderländer von Rohöl, Gold und anderen Bodenschätzen möglich ist.

Die damit verbundene Aggressivität gegen den "Rest der Welt" musste versteckt werden und da war schon immer eine geballte Ladung Mystizismus das probate Mittel, besonders, wenn dadurch der Angegriffene zum Angreifer wird. Der US-Regierungsberater Samunel Huntington entdeckte prompt in den Objekten der kapitalistischen Begierden gefährliche Kulturen, die einen Kollaps der Zivilisation auslösen könnten und betrieb in seinem Buch "Der Kampf der Kulturen" oberflächliche Recherche in den Religionen der Welt, vor allem ihren Ausbreitungsgebieten. Deren angeblich gefährlichste, der Islam, verbreitet sich zufällig über dem Gebiet, worunter 95 % der noch ungeborgenen Ölreserven der Welt lagern. Die USA hatten inzwischen ihre Angriffe darauf mit den zwei Golfkriegen gestartet. Die einst für die USA engagierten und militarisch ausgerüsteten Gruppen wurden zu "Terroristen". Krieg geriet zu einem Schauplatz auf der Weltbühne, der sich bald in jedem Wohnzimmer dargeboten hat. Folterungen, Kriegsgemetzel und Verstümmelungen wurden zur gewohnen Wahrnehmung in den Medien. Die selbstgemachten "Weltkonflikte" beschäftigen als weit vermittelte Kriegserfahrung und Kriegserklärung inzwischen fast jeden Menschen und erwecken Friedenssehnsucht und Versöhnungsbereitschaft - zumindest in den Privathaushalten.

In Deutschland brachte die Entwicklung der Globalisierung zunächst den "Fall der Mauer", der die Nation völlig unerwartet und ohne eigenes Zutun wiedervereinigte. Die wichtigste noch wirksame Folge des Hitler-Faschismus schien damit behoben. Deutschland sollte nun wieder "normal" werden. Die Historiker stritten über das Wie (Historikerstreit), die Philosophen darüber, was denn normal sei (Sloterdijk). Und es musste dies jetzt auch, weil es sich auf dem weltweit erneuerten Kapitalmarkt mit seinem Spitzenvermögen gegen die durch Spekulation hochgeputschte Konkurrenz der Kapitalanwender behaupten musste und wollte. So sollte es sich auch mit seiner Vergangenheit "endlich abfinden" und sich wieder "aktiv am Weltgeschehen beteiligen", sprich: Gleichberechtigter Waffenträger werden. Nur unter dieser Bedingung konnten auch seine politischen Bündnisse weiterhin tragfähig bleiben und seine "wirtschaftliche Absicherungen" gewährt und die entsprechenden militärischen Abhängigkeiten und Verträge (NATO) dauerhaft garantiert werden.

Entsprechend wurde an einer ideologisch konformen "Normalisierung Deutschlands" gebastelt. Diese durfte nicht so sehr mit Vergangenheit belastet sein, weil sie vorwiegend eine Zielbestimmung haben musste: Die "Verteidigung der Freiheit und Gerechtigkeit" der Supermächte. Die deutsche Geschichte störte da ein wenig, hatte sie doch deutlich gemacht, wohin es der bürgerliche Staat als Reaktion auf wirtschaftliche Krisen bringen kann. Was allzu nahe liegt, muss deutlich abgedrängt werden, darüber waren sich die Agenten der politischen Klasse der reichen Nationen schnell einig: Solche Vergangenheit sollte Phantom werden. Darin war plötzlich kein wirklicher Anlass mehr zu suchen. Sie wurde zu einer Parade von Gespenstern, die längst gebändigt sind, Kinderkrankheiten, die man nicht mehr als eine logische Konsequenz und als Gefahr der kapitalistischen Wirtschaftskrise ansehen durfte, sondern als Grundlage der Reife, als psychologisches Entwicklungsphänomen personifizierter Geschichtsabläufe. Die geschichtliche Tragödie eines zur Staatsmacht entwickelten Kapitals sollte also jetzt zum Problem der individuellen Antriebe geschichtlicher Persönlichkeiten werden - und die waren ja schließlich jetzt auch fast alle tot. Das eigentliche Problem der erneuerten Weltkonstellation sollte wieder mal nicht mehr die Krise des Kapitals der Reichen, sondern "die andere Krise", die der Armut sein, die in den Gassen und Gemütern ausheckt, was die Welt bedrohen könnte. Und das ist dann immer dasselbe: Aufruhr, Hordung und Terror.

Zur deutschen Reife sollte es daher auch gehören, dabei zu sein, Anteil am Heroismus einer zur Weltpolizei stilisierten Mititärmacht zu erwerben. Seine Vergangenheit, welche die Auswirkung militärischer Heilkraft allzu deutlich gezeigt hatte, sollte jetzt als eine unrichtige Interpretation erscheinen, als eine unpasssende Verächtlichmachung der Deutschen, die sich eigentlich gar nicht mehr "schämen" müssen, weil die Idiotie durchgeknallter Machtgier jedem mal passieren kann und es geradezu beneidenswert ist, diese so gut bewältigt zu haben. Martin Walser gab sich dafür her, bei seiner Rede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gegen das bisherige Geschichtsbewusstsein aufzutreten und sich damit aufzubauen, dass ihn das "ständige Gerede" über die "deutsche Schande" aufrege. Geschickt floss in die ganze Rede eine Abkehr von Gedächtnis und Erinnerung ein und übermittelte dem deutschen Selbstverständnis hierfür wieder eine ganz gehörige Portion Antisemitismus - wenn auch in einer besseren Verkleidung. Der Streit zwischen Ignaz Bubis und Martin Walser sprach für sich, Augstein sollte sich auch noch für die linken Liberalen im Sinne Walsers einmischen und im Umfeld wurde über die Abfindung der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen und der Beteiligung der deutschen Wehrmacht am Nazisystem vor allem in dem Trend geurteilt, dass jetzt damit Schluss sein müsse.

Nun hört aber Geschichte nicht einfach auf. Sie ist lebendig in jedem Moment von Gegenwart und Zukunftsperspektiven - und dies umso mehr, als ihre Ursachen, die Krisen der Weltwirtschaft, noch fortbestehen oder erneut aktuell werden, unausgesprochene Angst wiedererwecken. Denkmäler und Urteile, die ein Ende setzen wollen, produzieren pure Gedankenlosigkeit und verblenden die Menschen bis zur Geschichtsunfäghigkeit, Geschichtslosigkeit. Die Vorbereitung eines Holocaust-Denkmals in Berlin wurde zu einem Fiasko: Es geriet zu einem "Fühl-Mal" und reduzierte das deutsche Gedenken auf eine Wahrnehmungsanalogie von kalten Steinen und ebensolchen beengenden Strukturen im wogenden Raum, der nicht nur groß, sondern auch großartig leer sein musste. In diesen Ausmaßen kann sich zumindest die Selbstgerechtigkeit kultivierter BürgerInnen ausbreiten, deren Empfindsamkeit in der Empfindung von Verlorenheit und Enge in einer Betonwelt vielsagender Nichtigkeit sich beweisen darf. Kunst ist damit im Gebrauch der Psychologie, dienstbar für's "Gefühle machen", wo keine sind. Die Vergangenheit gilt so vor allem als psychologisches Problem der Gegenwart: "Warum bemerken wir davon nichts mehr?" Die Suche nach dem Sinn der Vergangenheit kann nur einen Grund haben: Weil er nicht begriffen ist und weil die Gegenwart die ganze Vergangenheit in einem Umfang enthält fortträgt und endlos erneuert, dass es schmerzt, daran erinnert zu werden, dass nichts davon wirklich aufgehoben, zu Ende ist. Es bleibt die Furcht vor Armut, Krieg, Untergang und Terror; da hat sich nichts geändert, weil deren Gruindlage nicht anders geworden ist: Die kapitalistische Krise.

Und schließlich war da ja auch noch die Wehrmachtsausstellung, die angetreten war, die Beteiligung der deutschen Wehrmacht am Nazismus zu beweisen. In der Auseinandersetzung hierum reduzierte sie sich auf die psychopolitische Fragestellung, wann Menschen wozu in der Lage sind. Faschismus wird seines Grundes aus gesellschaftlichen Zerstörungsprozessen enthoben und zu einer quasi privaten Tatsache einer Gewaltproblematik. Auch so wird Geschichte auf Psychopathologie der massenhaft einzelnen Gewaltantriebe unreifer Menschen oder ausgereifter Unmenschen verkürzt, auf das sogenannte "Böse", das inzwischen auch im deutschen Film, auf der Bühne, im Fernsehen und in Selbsterfahrungsübungen von Massentherapeuten überdeutlich ausgebreitet ist, jetzt vor allem als menschliche Eigenschaft, die mit Techniken der Unterwerfung durch Versöhnungszwang (Hellinger) bewältigt werden können sollten. Ganze Weltkonflikte könnten so behoben werden, meinen diverse Psycho-Gurus.

Der deutsche Kapitalismus zum Beginn des 20. Jahrhunderts und seine Krisen inmitten einer Weltwirtschaftskrise des internationalen Kapitalismus, die ökonomische, soziale uind politische Systematik der Zerstörung eines Landes durch die Rationalität einer kalten Verwertungslogik, die aus ihrer Verwirklichungskrise heraus Menschen zu Marionetten des Sachzwangs und ihn zu einem fatal naiven Idealismus der Übermenschlichkeit verkehrte, blieb außen vor. Dies aber wären die tragenden Fragestellungen und Argumentationen, die bedeutsam für die Erkenntnisse unserer Zeit sind und die vielleicht auch deshalb heute noch die Hintergründe für das Interesse hieran ausmachen. So aber werden sie in sich selbst erstickt, mit eindrucksstarker Emotionalität überwältigt, durch "Betroffenheitsgefühle" gutmeinender Menschen für die Wirklichkeit bedeutungslos gemacht - und das deutsche Selbstverständnis schleichend den Erfolgszwängen eines globalisierten Kapitals überantwortet, die deutschen Politiker an die Kriegsführung von Weltkriegsstrategen.

 

Quellen:

Johannes Klutz / Gerd Wiegel: "Geistige Brandstiftung - Die neue Sprache der Berliner Republik" (ATV)

Der Historikerstreit: http://historikerstreit.adlexikon.de/Historikerstreit.shtml

Historikerstreit und Ernst Nolte:
http://kulturkritik.net/quellen/historikerstreit.html

zu Martin Walsers Rede:
http://kulturkritik.net/quellen/walserrede.html

zu Entwirklichung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lex.php?lex=entwirklichung)

zu Zerstörung:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lex.php?lex=zerstoerung)

zu Heidegger:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lex.php?lex=heidegger)

zu Sloterdijk:
Kulturkritisches Lexikon (http://kulturkritik.net/lex.php?lex=sloterdijk)

zu Hellinger:
Wolfram Pfreundschuh (2004):Ein Heiland der herrschenden Ordnung -
Der Kultur-Chauvinismus des Bert Hellinger
http://www.kulturkritik.net/psychologie/leben_tod/index.html
Dasselbe im Buch: http://www.antipsychiatrieverlag.de/versand/titel/sprecherrat.htm

Kulturkritisches Lexikon (http://www.kulturkritik.net//lexex.php?lex=hellinger)

zur Philosophiedebatte um Sloterdijks Menschenpark: http://home.t-online.de/home/HelmutWalther/sloterd2.htm

zum Kampf der Kulturen:
Harald Müller: Der Kampf der Kulturen findet nicht statt
http://kulturkritik.net/kultur/keinkulturkampf/index.html

Wolfram Pfreundschuh (2004): Gegen die Politisierung der Kulturen im Kampf um die "Weltordnung"
http://www.kulturkritik.net/kultur/weltordnung/

Wolfram Pfreundschuh (2002) Gibt es einen "Kampf der Kulturen"?
http://kulturkritik.net/kultur/kulturkampf/index.html

Zur Postmodernen und zum Konstruktivismus:
Werner Seppmann: "Das Ende der Gesellschaftskritik? Die Postmoderne als Ideologie und Realität" (PapyRossa-Verlag 2000)