Aus dem T�rspalt Nr. 10 (1984)
Uli Nie�eler
Vernichtungszentrum Kaufbeuren-Irsee
zum Buch von Ernst Mader: "Das erzwungene Sterben von Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee zwischen 1940 und 1945 nach Dokumenten und Berichten von Augenzeugen."
Ernst Mader schildert das Grauen und die Brutalit�t des psychiatrischen Alltags und deckt insbesondere die Wirklichkeit der psychiatrischen Behandlung w�hrend des Nationalsozialismus auf. Die planm��ige Vernichtung "unwerten Lebens" - genannt Aktion Gnadentod - begann im Sommer 1939. Alle Heil- und Pflegeanstalten Deutschlands mu�ten �ber jeden einzelnen Insassen einen Bericht verfassen. Diese "Meldeb�gen" wurden an die Hauptzentrale in Berlin geschickt, wo �rzte �ber Leben und Tod der registrierten Menschen entschieden. Den Anstalten wurden Listen mit Todeskandidaten zur�ckgeschickt, die ausgesondert und in spezielle Vergasungsanstalten verlegt wurden (hier entlarvt Mader die Angaben vieler Anstalten, bei ihnen sei niemand umgebracht worden). Den Transport besorgte die eigens daf�r gegr�ndete "Gemeinn�tzige Krankentransportgesellschaft", und f�r die finanzielle Abwicklung war die "Gemeinn�tzige Stiftung zur Anstaltspflege" verantwortlich.
Durchgangsanstalt Kaufbeuren-Irsee
W�hrend der "Aktion Gnadentod" wuchs die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren mit ihrer Nebenanstalt im Kloster Irsee zu einer Drehscheibe der Vernichtung heran. Aus allen Teilen Deutschlands wurden Patienten hierher verlegt und weitertransportiert nach Hartheim oder Grafeneck, wo sie vollkommen geschw�cht in den Gaskammern verrecken mu�ten. Am 24. August 1941 stoppte Hitler diese Aktion wegen der entstandenen Unruhe der Bev�lkerung, die den Wehrwillen der Deutschen h�tte schw�chen k�nnen. Bis dahin waren allein aus Kaufbeuren-Irsee 695 Menschen zwischen 1940 und 1941 abtransportiert worden.
Versuchsanstalt Kaufbeuren-Irsee
Das Morden aber ging weiter, und zwar in der Anstalt selbst. Man bediente sich auf Betreiben des damaligen Chefs der Kaufbeurer Anstalt einer Methode, die weniger Aufsehen erregte und billiger war: der Aushungerung. Auf einer Konferenz bayerischer Anstaltsdirektoren pries er diese Methode an. Er gehe jetzt in seiner Anstalt so vor, da� er den Kranken, die sonst unter die Euthanasie gefallen w�ren, eine v�llig fettlose Kost (kleine Portionen von Gem�se in Wasser gekocht, sonst nichts) verabreichen lie�e. Innerhalb dreier Monate gingen die Kranken daraufhin an Hunger�dem ein. Er empfehle dieses Vorgehen in allen Anstalten als "Gebot der Stunde". Wenig sp�ter erging eine Weisung an s�mtliche Anstalten, die sogenannte E-Kost (f�r Entzugskost) f�r all diejenigen einzuf�hren, die f�r die Volksgemeinschaft nichts mehr leisten k�nnen."
Auch sonst war der damalige Direktor von K�ufbeuren ein eifriger Verfechter der Rassenlehre. Als Mitglied des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP hielt er in der �ffentlichkeit sog. Aufkl�rungsvortr�ge �ber Erblehre, Erbpfiege und Bev�lkerungspolitik. 1940 ist er zur Elite der Naziwissenschaftier vorgesto�en. Er geh�rte dem "Reichsausschu� zur wissenschaftlichen Erforschung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden" an. Dieser Reichsausschu� war 1939 gegr�ndet worden und hatte zur Aufgabe, mi�gestaltete oder vermutlich idiotische Neugeborene (sp�ter Kinder unter 3 Jahren und schlie�lich auch Jugendliche) beh�rdlich zu erfassen und in daf�r eingerichteten Kinderabtellungen zu "behandeln". In der Kinderfachabteitung Kaufbeurens starben zwischen 1941 und 1945 209 Kinder.
Vernichtungszentrum Kaufbeuren-Irsee
Der Hungertod dauerte jedoch zu lange und war zudem immer noch zu auff�llig. Deshalb praktizierte man sp�ter die "Beseitigung der Kranken durch Verabreichung von Medikamenten". Zu diesem Zweck wurden besondere Pfleger und Pflegerinnen ausgesucht. Die zu beseitigenden Menschen wurden auf v ' ollkommen geschlossen Abteilungen verlegt, wo sie meist innerhalb von 1-3 Tagen starben. Eine Ordensschwester, die damals in Irsee arbeitete, berichtet �ber das Totspritzen: Ende Mai 1942 spritzte der Oberarzt wieder zwei Knaben. Einer schlief darauf 6-8 Stunden und war dann wieder frisch und munter, der andere verf�rbte sich im Gesicht blaurot, und am Abend verstarb er. Oder ein andermal: Das Kind verf�rbte sich genauso im Gesicht wie zwei Tage zuvor das andere, nur noch etwas st�rker. Es st�hnte. 3 Tage hindurch so stark, da� man es nicht mit anh�ren konnte und verstarb dann am 3. Tag. Die, verabreichten Medikamente waren Veronal, Luminal und Morphium-Skopolamin. Aus ganz Deutschland kamen Patienten nach Kaufbeuren lrsee, um dort totgespritzt zu werden. Eine Ordensschwester beweist es: Man wollte die umbringen und wu�te, in Kaufbeuren geht's, und man hat sie auch umgebracht.
Zwischen 1939 und 1945 starben offiziell 3 028 Menschen in Kaufbeuren-Irsee. Der Friedhof der Gemeinde reichte bald nicht mehr aus, und ein neuer mu�te"in Betrieb� genommen werden. Im Jahresbericht der Anstalt 1944 schreibt der Direktor, da� zu bef�rchten sei, auch dieser werde bald voll sein, und es m��te dann wieder' ein neuer Friedhof geschaffen werden, und wertvoller, f�r die Ern�hrung wichtiger schw�bischer Boden m��te daf�r zur Verf�gung gestellt werden. Er forderte deshalb - und um das Bekanntwerden der hohen Sterblichkeitsziffer in der �ffentlichkeit zu vermeiden eine Feuerbestattungsanlage. Das Krematorium wurde 1944 auf dem Anstaltsgel�nde von Kaufbeuren errichtet und auch f�r die Leichen aus Irsee benutzt.
Die Stellung der Kirche: erst keine Antwort, sp�ter "vergessen"
Der Pfarrer von Kaufbeuren, der an das Augsburger Ordinariat schrieb, was er denn nur angesichts des Krematoriums tun sollte, erhielt nie Antwort. Die wollten scheinbar auch ihren Frieden haben, meinte er. Und das gilt bis heute. In der Festschrift zur 800-Jahr-Feier des Klosters Irsee, in dessen Mauern die Heil- und Pflegeanstalt von 1849 bis 1972 war, kommt die Ausrottung unwerten Lebens nicht vor.
Keine Proteste aus der Bev�lkerung
Viele wu�ten Bescheid �ber das Massenmorden in Kaufbeuren-Irsee. Die einen fanden sich damit ab, die anderen fanden es richtig. Nennenswerten Protest oder gar Widerstand gab es keinen. Die Gleichg�ltigkeit der Angeh�rigen erleichterte den Nazis ihr Tun. Als in der Kinderfachabteilung Kaufbeuren wieder einmal 68 Kinder get�tet werden sollten und dem Direktor zu Ohren kam, in der Bev�lkerung wisse man davon, lie� er allen 68 Elternpaaren schreiben, sie sollten ihre Kinder doch abholen, wenn sie Angst um sie h�tten. Einen einzigen Buben nahmen seine Eltern mit nach Hause, alle anderen schickten Briefe, in denen sie sich nach der Todesmeldung f�r die Sorge um die Kinder bedankten.
Die Vernichtung lebensunwerten Lebens ist Naturgesetz
Schon lange vor 1933 br�ten insbesondere �rzte und Psychiater �ber der Frage, was mit den Verr�ckten zu tun sei. Vor dem 1. Weltkrieg war vor allem der deutsche Monistenbund unter Ernst Haeckel f�r eine gewaltsame Lebensverk�rzung eingetreten. Dann 1913 ver�ffentlichen der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hocke ein Buch mit dem Titel "Die Freigabe der Vemichtung lebensunwerten Lebens". Sie bezeichnen Verr�ckte als "furchtbares Gegenbild echter Menschen", leere Menschenh�llen" und "geistig Tote". Ein Dr. Fritz Barth schreibt 1926: "Die Vernichtung lebensunwerten Lebens ist Naturgesetz und daher Gottes Wille." Diese Beispiele weisen auf die Anf�nge der faschistischen Ideologie hin. Aber erst nach der Machtergreifung konnte die systematische Massenvernichtung einsetzen, die in jenen "Ideen" als "Aktion Gnadentod" bereits gefordert war.
Nach dem Krieg wollte es keiner gewesen sein, ja nicht einmal davon gewu�t haben. Und die wenigen, die vor Gericht gestellt wurden, kamen glimpflich davon:
- 3 Jahre Gefängnis für den Direktor von Kaufbeuren wegen Beihilfe zum Totschlag;
- zwischen 12 Monaten und 4 Jahren für Pfleger und Pflegerinnen der Tötungsstationen wegen Beihilfe zum Totschlag;
- dem Verwaltungsinspektor von Kaufbeuren konnte irgendein Verschulden nicht nachgewiesen werden.
Der Massenmord galt nur noch als Totschlag, und die Schreibtischt�ter kamen sowieso frei.
Dies beleuchtet den ziemlich bruchlosen �bergang der Psychiatrie im Faschismus zur Nachkriegspsychiatrie. Es ist bekannt, das heute noch Nazi-Psychiater oder erkl�rte Sch�ler der Nazi-Psychiatrie, viele in leitenden Positionen, am Werk sind.
Netzwerk Psychiatrie Augsburg