Kulturkritik-Sendung vom 10. 03. 2006 auf Radio Lora


Der sogenannte Kampf der Kulturen - eine ungeheuerliche Inszenierung

Zeitdauer: 58 Minuten - Datenumfang ca. 50 MB

Der Inhalt der Sendung ist oft eine Kürzung des entsprechenden Artikels (siehe unten).
Dort sind zudem auch die verwendeten Begriffe nachzuschlagen.


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Moderationstext:

Hallo, hier ist wieder, wie jeden 2. Freitag im Monat, die Kulturkritik München. Am Mikrofon ist Wolfram Pfreundschuh. Wir nehmen uns heute eine ungeheuere Inszenierung vor, die in aller Munde ist, aber inzwischen bereits ohne weiteres als das genommen wird, als was sie erscheinen soll: Der sogenannte „Kampf der Kulturen“. Trotzdem schon viel darüber geredet wurde, fehlt nach meiner Auffassung immer noch die Beantwortung der Frage, was das überhaupt sein soll. Der vermeintliche „Kampf der Kulturen“ wäre ein Kampf der Religionen, heißt es, und er bestünde daraus, dass die Sitten und Werte des Islam sich nicht mit denen der Juden- und Christenwelt vertragen würden.

Während man die eigenen Werte ohne Frage für friedfertig hält, wirft man den fremden Gewalttätigkeit vor. Angeblich soll es um Fanatismus gehen, wenn wütende Moslems dänische Fahnen verbrennen und europäische Botschaften angreifen. Doch in der Vernichtung nationaler Symbolik geht es doch vor allem um die Abweisung fremder Einmischung, um eine Empörung gegen fremde Anmaßung. Natürlich gibt es Unterschiede der Mentalitäten. Offene Wut und Aggressionen sind im Westen geächtet. Hier zeigt man sich gerne intellektueller und macht es sublimer und selbstgerechter: Man greift in die Kiste perfider Pauschalisierungen, zeichnet den Propheten als kriegslüsternen Verbrecher und verletzt damit die Selbstachtung von 1,7 Milliarden Moslems, - zugleich mit der hämischen Behauptung, dass solche Art der Verachtung doch normal, dass das eben „Pressefreiheit“ sei, und also der davon Betroffene unnormal ist, wenn er sich darüber empört. Die Selbstüberhebung ist perfekt, die Verachtung total.

Das macht wohl die „Reife“ unserer Kultur aus, die Samuel Huntington bereits 1993 festgestellt hatte und die deshalb gegen unreifere Kulturen gut geschützt und behütet werden müsse. In seinem 1996 erschienen Buch „Kampf der Kulturen“ schrieb er dann:

"Der Westen ist, mit einem Wort, eine ,reife' Gesellschaft an der Schwelle dessen geworden, was künftige Generationen einmal als ein ,goldenes Zeitalter' betrachten werden, eine Periode des Friedens, die, laut Quigley resultiert aus ,dem Fehlen rivalisierender Einheiten im Inneren der betreffenden Zivilisation und aus der Entferntheit oder dem Fehlen von Kämpfen mit anderen Gesellschaften außerhalb ihrer'." (S. 497).

Damit war geklärt, dass der ewige Frieden „im Westen“ schon begonnen hat und dass der Agressor, der ihn stören könnte, nur in der Dritten Welt auszumachen ist. Und dies nicht, weil sie bedrängt und ausgelaugt sein könnte von den Eingriffen der kapitalmächtigen Global Players, sondern weil sie schon von ihrer Kultur her, und das ist für ihn Religion, Unfrieden stiften wollen könnten.

Inzwischen weiß man, dass Huntingtons Theorie vom „Kampf der Kulturen“ ein Unsinn und wissenschaftlich nicht zu halten ist. Harald Müller, deutscher Politikwissenschaftler und Professor für internationale Beziehungen an der Universität Frankfurt und geschäftsführendes Mitglied der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung hat dies detailgenau untersucht und schon die Gleichsetzung von Religion und Kulturkreis als wissenschaftlch unhaltbar nachgewiesen. Ebenso die sogenannten Kulturinteressen, welche nach Auffassung Huntingtons Kriege auslösen würden. Völlig im Widerspruch zu seiner Theorie standen die Bündnisse im Balkankrieg, die eindeutig quer zu den religiösen Kulturkreisen verliefen. Um Kultur ging es dabei überhaupt nicht. Und ebenso auch nicht bei den Golfkriegen. Wenn man es so sehen will, dann war es hauptsächlich das Christentum, also die angeblich reifste Kultur, das diese Kriege angezettelt hatte.

Der „Kampf der Kulturen“ wurde mit viel Aufwand von interessierter Seite herbeigeredet. Huntington war nicht nur Berater des US-Außenministeriums sondern wurde auch von den großen Think-Tanks des konservativen Regierungslagers für seine Studien finanziert. Das bestätigt er selbst unumwunden auf Seite 14 seines Buches, wo er schreibt: „Die Arbeit an diesem Buch wurde mir durch finanzielle Unterstützung der John M. Olin Foundation und der Smith Richardsen Foundation ermöglicht.“

Man muss hierfür wissen, dass die John M. Olin Foundation 1953 von John Merrill Olin mit Geldern der Chemie- und Waffenindustrie in den USA gegründet worden war. Sie hat über 380 Millionen Dollars an konservative „Think tanks“ verteilt, die für die Medien und Regierungsprogramme an einflussreichen Universitäten arbeiten. Die Olin Foundation entwickelte die Grundlagen der konservativen Bewegung von „Law and Economics“, welche heute die Politik der Neocons darstellt. Aus ihr bildete sich 1989 das „John M. Olin Institute for Strategic Studies“, das infolge eines nationalen „Sicherheitsprogramms für internationale Angelegenheiten“ der US-Regierung als selbständige wissenschaftliche Rahmenorganisation des „Weatherhead Centers for International Affairs“ gegründet worden war. Der Direktor wird vom Dekan der Harvard-Universität in Absprache mit dem Direktor des „Weatherhead Centers“ der US-Regierung bestimmt. Seine zentralen Aufgaben sind die Durchführung politisch relevanter Forschung zu entscheidenden Fragen der Sicherheit und Strategie der „USA und ihrer Verbündeten“ und der Entwicklung, Vermittlung und Ausbildung von Sicherheitsstrategien in Schulen, Universitäten, Forschungsanstalten und Regierung.

Man kann also sagen, dass hinter Huntingtons Theorie vom „Kampf der Kulturen“ der einflussreiche militärisch-industrielle Komplex steht, vor welchem dereinst schon Präsident Eisenhower die amerikanische Bevölkerung gewarnt hatte. Da geht es um Zukunftsplanung der Ressoursenerschließung, ökonomische Machtpolitik und Krisenbewältung durch Militärwirtschaft, durch Werterneuerung mittels Waffenproduktion. Am wenigsten geht es dabei um Kultur.

Doch was genau will man mit einer solchen Kulturtheorie erreichen? Es kann nicht nur um Erdöl gehen, das wäre auf die Zeit hin berechnet, in der es überhaupt noch verfügbar ist, weit billiger zu haben, als durch die derzeitigen Kriege, die mit zwei Billiarden Doller im US-Haushalt veranschlagt sind. Der Aufwand für Krieg ist immens und das Risiko gigantisch. Nein, es geht da um eine große Perspektive, die sich die USA nicht so schnell aus der Hand nehmen lassen werden.

Es geht der US-Politik tatsächlich um ihre sogenannte „neue Weltordnung“, um eine Auslöschung von Widerstand gegen die US-Weltmacht, welche die Probleme der Welt und momentan besonders die im Nahen und Mittleren Osten als Bedrohung der ihr nötigen Markt- und Kapitalexpansion versteht und sie für ihre Politik und Wirtschaftsinteressen zurichten will. Der sogenannte „Kampf der Kulturen“ ist ein geschickt eingefädelter Slogan, der schon im Vorhinein entwickelt war, um die Gewalt zu begründen, welche die US-Streitkräfte einzusetzen gedachten, um in dieser Region gründlich aufzuräumen. Sie wollten ihre realen Machtinteressen durchsetzen, indem sie als Friedensstifter für unreife Kulturen erscheinen, um dort Staatsformationen nach ihren Vorstellungen und Entwicklungsmöglichkeiten zu implantierten, die sich niemals mehr aus dem Eigeninteresse der geschundenen und entwerteten Bevölkerung ergeben konnten. Um eine eigenständige Staatsform zu errichten, die frei von Korruption und religiöser Gewalt ist, braucht es vor allem eine glaubwürde und wirksame Repräsentation der Bevölkerung in ihrem Staatswesen, das für die Entwicklung ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Interessen förderlich ist. Dafür hätte es Zeit und Überzeugung gebraucht. Aber es ist den USA mit ihrer Weltordnungspolitik gelungen, durch ihren kriegerischen Terror nun auch wirklichen Terror auszulösen. Der ist gewollt, um eine von den USA eingesetzte Staatsmacht als Notwendigkeit der Terrorbewältigung erscheinen zu lassen. Doch die USA kann ihren Terror nicht mehr so gut verheimlichen und ihre Marionetten machen eine klägliche Figur. Sie hat hierdurch vor allem den Ruch einer weltfaschistischen Attitüde erworben.

Wie ist nun aber die wirkliche Lage für die Betroffenen dort? Wir haben hierüber diskutiert und mit einem israelischen Palästinenser gesprochen, Afif Semaan, der sich mit der Geschichte der Interventionen im Nahen und Mittleren Osten schon länger befasst hat.

 

Diskussion im EWH

 

Schluss:

Der Krieg wurde plan- und zielgenau gestartet, die Bomben gezündet. Zerstörung evoziert Zerstörung. Der Terrorismus der Macht erzeugt den Terrorismus der Ohnmacht. Schlagartig wird brutale Gewaltanwendung zum Alltag und ihr Grund unkenntlich. So erscheint die eigene Kultur als deren einzig verbleibendes Ziel, als überlebenswichtiger Wert, der aus dem Hinterhalt fremder Mächte bedroht ist. Kulturelle Wertunterschiede sollen die Gründe für das hergeben, was in seiner Wirklichkeit unfassbar wird. Sitte, Moral, Ethik und religiöse Lebenswerte verlieren ihren gesellschaftlichen und kulturellen Bezug und werden zum Mittel einer symbolischen Selbstbehauptung - Menschenrecht und Religion geraten zur Gestik unendlicher Überlebensmächtigkeit, zum letzten Rückhalt kultureller Selbstvergegenwärtigung. So wird Kultur, die sich bisher noch als gesellschaftlich wertvoll und nötig bewährt hatte, zum Instrument der Macht und Gewalt, zum vermeintlichen Gegenmittel gegen Zerstörung. Diese Umkehrung der Werte ist das Werkzeug und Zerrbild vernichtender Interessen auf allen Seiten und wird zur Angst- und Machtsymbolik schlechthin.

Von daher ist es dann relativ gleichgültig, um was es wirklich geht. Es ist ein Kampf der Symbolik. Und wie dann dieser symbolische Machtkampf ausgelöst wird, ob von der US-Presse oder der dänischen und ob in Palästina oder im Iran Fahnen verbrannt werden, ist in dieser Hinsicht im Grunde gleichgültig. Es herrscht die Reaktion und die Reaktionäre schaukeln sich in besinnungsloser Selbstbehauptung bis zur Selbstvernichtung hoch. Es ist ein Kampf um etwas, das nicht mehr auseinandergesetzt, sondern nurmehr verteidigt werden kann.

Eigentlich war es für die Betroffenen nie ein „Kampf der Kulturen“. Für alle ging es zuvor um Mittel des Lebens, Erdöl, Wasser und andere Bodenschätze und Märkte. Einen Kampf um Kultur kann es gar nicht geben, weil er unsinnig ist. Was sollen kultivierte Menschen an anderer Kultur bekämpfen wollen? Was sollte in einer Kultur die andere bedrohen? Deren Gott oder deren Glaube oder deren Sitten oder deren Kleidung und Gewohnheiten oder deren Küche oder was eigentlich? Kulturen bestehen doch gerade aus ihrer Lebensweise in ihrem Lebensraum. Ihre Götter mögen ihre geistigen Regenten sein, aber niemals für Kulturen, die ihnen fremd sind. Nein, um Kultur geht es hier ganz und gar nicht. Wenn kulturelle Leidenschaften durch die politische und wirtschaftliche Bedrohung eines Kulturkreises geweckt werden, dann eben deshalb, weil Kultur immer noch das letzte ist, was der Selbstachtung im Prozess der Zerstörung verbleibt.

Auch wenn das Selbstmordattentat religiös begründet interpretiert wird, so ist es in Wirklichkeit vor allem eine Waffe der Verzweiflung, die niemand anwendet, der in Frieden lebt. Der Koran verbietet sie und keinem seiner Texte ist zu entnehmen, dass die Jungfrauen des Jenseits für Selbstmordattentäter bereitstünden. Die dem Islam zugeschriebenen Vorstellungen von jenseitiger Glückserfüllung kann kein Motiv sein, Krieg zu machen, seine Familie zu verlassen und sein Leben zu beenden. Das will keine Religion, die doch immer darauf gründet, das gute Gelingen des dieseitigen Lebens zur Voraussetzung eines jenseitigen zu machen. Die im Koran beschriebenen Vorstellungen vom Paradies unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer Religionen. Der „Kampf der Kulturen“ ist eine Inszenierung, die kulturelle Leidenschaften anstachelt, indem sie kulturelle Lügen ausbreitet. Wenn hierbei Frieden wieder denkbar werden soll, so müssen diese Leidenschaften von allen Seiten auf die wirkliche Lage zurückgeführt werden, die nach wie vor ihrer Lösung harrt.

Wenn die US-Regierung die Politikwissenschaftler ihrer rechten Think-Tanks einen „Kampf der Kulturen“ feststellen lässt, so geht es ihr nicht mal um irgendeine Art der Lösung tatsächlich aufscheinender Konflikte. Es geht ihr einzig um ihre sogenannte „neue Weltordnung“, die zum Ersatz von jeder Konfliktlösung gemacht werden soll. Wäre es wirklich um Weltkonflikte gegangen, so hätte man über deren Grundlagen nachdenken und diskutieren müssen. Aber die meint man schon lang zu kennen und hält sie für unlösbar, weil für alle Fälle der allgegenwärtige Grund, die Verwertungsinteressen des Kapitals, alles andere überdauern soll.

Fatal für alle ist, wenn sie keine Lösung der Konflikte mehr durch die betroffenen Menschen für möglich halten. Vielleicht ist genau dies der größte und der folgenschwerste Irrtum, dem zur Zeit die meisten Menschen aufsitzen.

 

Ende:

Das war’s für heute. Ihr könnt wieder von uns am Freitag, den 14. April hören. Wer gerne bei dieser Sendung mitdiskutieren will, ist herzlich eingeladen ins Studio im EineWeltHaus am Freitag, den 24. März um 19 Uhr. Unsere Termine können immer auch über unsere Web-Site Kulturkritik.net nachgeschlagen werden.

Ich will zuletzt noch darauf hinweisen, dass wir zur Zeit „Das Kapital“ von Karl Marx diskutieren. Auch hier kann jede Interessentin und jeder Interessent einsteigen, wenn sie oder er sich darauf so vorbereitet, wie es zum entsprechenden Termin in der Veranstaltungsliste unserer Web-Site vorgesehen ist. Dort ist der Text nach Textstellen nummeriert und Ihr könnt sehen, welche gerade dran ist. Gut ist, wenn Ihr die anderen zuvor auch lest, damit Ihr wirklich auf dem Laufenden seid.

Dann also bis zum nächsten Mal und zum Abschluss noch ein letztes Lied von Yusuf Islam - so heißt heute Cat Stevens seit seinem Übertritt zum Islam im Jahr 1977.



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