"Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur für sich und keiner für den andren kehrt, vollbringen alle, infolge einer prästabilierten Harmonie der Dinge oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses." (siehe MEW Band 23 Seite 189f) Das Wort Bürger kommt von Burg und bedeutet im Wortsinn: Burgherr, der sich für die Sicherheit eines Lebensraums verbürgt. Der Bürger und die Bürgerin waren ursprünglich die BewohnerInnen befestigter Marktflecken, also dem Ort des Handels, der gegen das Eindringen fremder Aneignunsgewalt geschützt, als eigenes Verfügungsreich gesichert war. Im Unterschied zu feudalen oder gesellschaftlichen Verfügungsmächten war hier die isolierte Verfügungsmacht konstitutiv, also die von allen Bezügen abgetrennte persönliche Macht über ein klar definiertes einzelnes Gut, das als Privateigentum absolutes Rechtsgut war. Es war die dem Warentausch entsprechende Rechtsform, welche auch das bürgerliche Recht ausmacht (siehe auch bürgerlicher Staat). Der Schutz dieses privaten Eigentums war die Voraussetzung des Handels mit Gütern, die ihre Verfügbarkeit im Unterschied zum persönlichkeitsabhängigen Feudalrecht aus ihrem freien Dasein als Arbeitsprodukte begründen sollte. Waffengewalt sicherte die Marktverhältnisse als Besitzverhältnisse, worin der Besitz von Eigentümern ausgetauscht und damit besessen werden konnte. So kam der militärische Begriff von Besetzen in die Ökonomie als politischer Begriff ihrer Verfügbarkeit und wurde dort zu einem Begriff für Besitz: bemächtigte Sache, Privateigentum. Das Bürgertum gründet auf dem Privateigentum und den Besitzverhältnissen, in denen es Güter durch Tausch aufeinander bezieht und als Ware bewegt und gesellschaftlich allgemein entfaltet. Es ist die Versachlichung im Inbegriff: Die Verwirklichung des Menschseins in seiner besetzten Gegenständlichkeit, gleichgültig, ob dies nun Sache oder Eigenschaft oder Fähigkeit von Menschen (z.B. Arbeitskraft) ist. Im Bürgertum gelten sich die Menschen daher allesamt objektiv als Subjekte ihres Schicksals, widersinniges Subjekt, als Menschen, die sich zwischen ihren Lebensbedingungen als Menschen, also als Zwischenmenschen in zwischenmenschlichen Verhältnissen aufeinander beziehen und sich von daher selbst zu einer persönlichen Lebensbedingung werden. Von daher kann man sagen, dass das bürgerliche Subjekt der Mensch zwischen sich und anderen, der Zwischenmensch schlechthin ist, der sich durch die "freie Selbstentfaltung" in seiner Lebensburg bestimmt. Darin kommt ihnen zugute, dass sie die Mängel ihrer iisolierten Existenz als Warenbesitzer, als Hüter ihrer Besitztümer, in eine Lebensformation aufheben können, durch die sie ihrer entledigt sind und sich hiervon befreit fühlen können. Und darin erscheinen sie sich in der Beziehung auf die Dnge des Lebens auch gleich, auch wenn sie um deren Besitz konkurrieren müssen. "Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren Worten, sie nehmen. Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. ... Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten." (MEW Bd. 23, S. 99) In der existenziellen Wirklichkeit sind die Bürger nur die Hüter ihrer Waren und treten gesellschaftlich durch diese in politische Verhältnisse des freien Willens ein, also in eine Freiheit, die nur im Umfang ihres Besitzes beschränkt ist. Darin sind sie sich gleich und erscheinen sich als Mensch in gleicher Weise voraussetzungslos. Freiheit, Gleichheit und Solidarität sind die Ideale ihrer Gesellschaft wie auch die Ideologie ihres Selbstverständnisses darin. Derweil obliegt deren Notwendigkeit der Produktion, worin die Güter für den Warentausch entstehen. Diese sind einerseits als Lebens- und Produktionsmittel ausschließlich privat bezogen auf die Existenz der Privatperson. Andererseits sind sie ausschließlich gesellschaftlich bestimmt durch das Dasein als Wertträger des Geldes, der ausschließlich allgemeinen Vermittlungsform der Waren. Dadurch sind sie doppelt bestimmt als Arbeitsprodukte und als Mittel des Austauschs, des gesellschaftlichen Bezugs, wie er in der bürgerlichen Gesellschaft als gegeben erscheint. Darin vermitteln sich alle Waren durch die Geltung einer allgemeinen Wertform, welche die allgemeine gesellschaftliche Form des Arbeitsprodukts ist, gesellschaftliche Allgemeinheit des Besitzes, und als allgemeines Faustpfand die einzig wirkliche gesellschaftliche Beziehung und Vermittlung der privaten Subsistenz. Der Geldbesitz gilt daher als höchster Besitz. Darin dünkt sich das Bürgertum frei von aller Notwendigkeit, denn im Geldbesitz steckt die Macht des gesellschaftlichen Zusammenhangs, wie die der Allseitigkeit, die Verfügbarkeit aller Güter zugleich, allgemeinste Verfügungsmacht. Und so versteht es das Bürgertum, auch durch Handel mit Geld (siehe Finanzmarkt) machtvolle und universelle Beziehungen einzugehen und sich darin selbstbestimmt zu entwickeln, sich selbst zu verwirklichen. Doch als Selbstverwirklichung gründet diese auf der Fremdbestimmung der Arbeit, welche die Lebensmittel der BürgerInnen erzeugt. Die Notwendigkeit fremder Arbeit bestimmt sich ihnen nicht aus Not wendender Tätigkeit, sondern aus der Inbesitznahme ihrer Produkte, also als Willensverhältnis ihrer Aneignung. Darin bestehen sie alleine in der Zeit, in der Verweildauer ihrer Existenz zwischen ihrem Erscheinen als Gebrauchsgut und ihrem Untergang im Gebrauch, der Vergänglichkeit von Produkten zwischen Entstehung und Verbrauch. Nur solange sie in dieser Bestimmung existieren und als Güter zirkulieren, sind sie auch die Existenzbestimmung des Bürgertums. In seinem Geldbesitz reflektiert sich die optimale Nutzung der Zirkulationszeit. So erfährt sich das Bürgertum als Schmied eigenen Glücks, das mit seinem Geldbesitz wächst und sich dadurch gewinnt, dass es zur rechten Zeit am rechten Ort handelt, Geld geschickt anlegt und einsetzt, um optimalen Nutzen für seine Existenz hieraus zu realisieren. Seine Sache ist dem Bürgertum nicht wirkliches Ding, sondern grundsätzlich nur als Geldwert vertraut, für sich und für ihn, also an und für sich fremd. Im Bürgertum bewegt sich somit auch die Trennung von Geld und Sache, diese als Sachgewalt und Sachzwang, jenes als Mittel der Freiheit und Beliebigkeit (s.a. Gleichgültigkeit), der Willkür. Subjektiv erscheint dies dem B�rgers als Trennung von jener Welt, �ber die er sich als Besitzer erhaben wei�, von deren Entstehung und deren Vergehen aber sein Gl�ck vollst�ndig abh�ngig ist. Er ist von daher das politische Subjekt sines Besitzes in Allgemeinform: Geldbesitz schlechthin. Und als Geldbesitzer bleiben ihm die gesellschaftlichen Sinnbezüge äußerlich. Zwischenmenschlich folgt er seinen Gefühlen, denen die gesellschaftlichen Inhalte ihrer Empfindungen fremd geworden sind, sodass er seine Empfindungen aus dem Reich seiner Gefühle, seiner Lebensburg finden muss. Das gesellschaftliche Verhältnis von Empfindungen und Gefühlen steht hier kopf und ist nur noch durch sein Selbstgefühl vereint, in welchem seine wirkliche Lebenswelt abwesend ist. Als Burgherr ist er aber zugleich abh�ngig von dieser Welt, gegen die er sich sch�tzt. In solcher Wesenslosigkeit kann ihm sein eigenes Wesen fremd, sein Heim unheimlich werden. Erlebt im fortw�hrenden Zwiespalt zwischen sich als Herr seines Hauses und dem, was diesen Haushalt am Leben h�lt. Er lebt zwischen Seele und Realit�t, zwischen Familie und Staat, zwischen Individuum und Gesellschaft, ohne hierin jemals eins mit sich zu sein. Seine prinzipielle Identit�tslosigkeit ist die Grundlage seiner Kultur, der b�rgerlichen Kultur. Darin kommt er zu sich, indem er sein Dazwischensein als seine Zwischenmenschlichkeit erf�hrt. Hier findet er seine Gewohnheiten, mit denen sich leben lässt, auch wenn zwischen seinen Empfindungen und Gef�hlen oft Abgr�nde lauern, Ritzen, auf die er nicht treten darf. Durch Imperialismus und Globalisierung entwickelte sich das B�rgertum zum Weltbürgertum, ohne hierbei seine wesentliche Bestimmung (des Geldbesitzes) zu verlieren. Allerdings hat es in den L�ndern, welche zum �berwiegenden Teil auf Kapitalbesitz gr�nden, eine unmittelbare Einheit gewonnen, in dem Ma�e, wie die Notwendigkeit der Produktion ver�u�ert ist. Das stellt die Zwischenmenschlichkeit in eine kulturelle Selbst�ndigkeit, macht eine Nation also selbst schon zu einem Kulturzusammenhang. Ihr Reichtum wurde zu einer Selbstverst�ndlichkeit, wohingegen die Armut immer weniger mitmenschliche Pr�senz hatte und zunehmend verborgen bzw. in entsprechenden Anstalten verwahrt blieb, ohne dass sich qualitativ am Verh�ltnis von Armut und Reichtum etwas ge�ndert h�tte. Lediglich die Geldmittel reichten besser hin, die Schatten des Reichtums, seine finsteren Quellen, zu verr�umen. Die Armut im Finstern allerdings erweckt diffuse �ngste in der Welt der Reichen; die Unerkennbarkeit der Armut, das nicht wissen, woher sie kommt und wohin sie w�chst, mobilisiert ihre Lebensangst als Angst vor "der Meute", Angst vor Terror und Erpressbarkeit. Der B�rger selbst ist als Aktion�r oder Dienstleistungsunternehmer zum Teilhaber des nationalen Reichtums geworden, Seine Freiheit und sein Sachzwang bewegen sich nicht mehr nur um sich selbst sondern auch um den Geldbesitz in Kapitalform: Kursstabilit�t, Devisenm�rkte, Rendite als Rente und der f�r Exportgesch�fte so wichtige "Standort Deutschland". In solcher Zuwendung zur Welt wird das nationale Problem zum Problem eines Unternehmens: Nur durch Drosselung der Reproduktionskosten kann sich hier Wertwachstum ergeben. Die Balance des Sozialstaats liegt nun zwischen Zumutbarkeit der Sozialk�rzungen und der Konsumierbarkeit der sozialen Leistungen. Das Konsumproblem wird in einem Land zum absoluten Problem, in welchem die Werte selbst vor allem als Wert der Grundrente (Miete, Verkehr) wachsen. Von daher verliert auch der Durchschnittsbürger seine Geldsicherheit. Geld verschwindet zunehmend als reale Rechengr��e. Die Entwicklung des Geldverh�ltnisses geht selbst gegen die Bev�lkerung, gegen ihre Eink�nfte und Ersparnisse. In seinen Krisenzeiten muss das Kapital auch wirklich vernichtet werden, was nicht in den Stoffkreislauf zur�ckkommt. Die B�rger werden hierf�r jetzt selbst zu lebenden Puffern. Als Tr�ger des Allgemeinmenschen der b�rgerlichen Gesellschaft muss ihnen das gelingen, ansonsten sie selbst zu einem lebenden Zwiespalt dieser Gesellschaftsform werden. Dieser Notwendigkeit dient vor allem die b�rgerliche Kultur, in welcher die entsinnlichten Geldverh�ltnisse besinnlicht werden. In ihren Lebensr�umen findet jede Identit�tslosigkeit ihre Scheinwelt in der Selbstbehauptung als Seelenwesen, das nicht anders k�nne, als sich und andere zu beseelen. Es ist eine Entr�cktheit, welche f�r viele Menschen zur Verr�cktheit wird, die diese Lebensr�ume wirklich und ausschlie�lich menschlich erleiden m�ssen. | ![]() |