"Mit Recht fordert ... die praktische politische Partei in Deutschland die Negation der Philosophie. Ihr Unrecht besteht nicht in der Forderung, sondern in dem Stehnbleiben bei der Forderung, die sie ernstlich weder vollzieht noch vollziehen kann. Sie glaubt, jene Negation dadurch zu vollbringen, daß sie der Philosophie den Rücken kehrt und abgewandten Hauptes - einige ärgerliche und banale Phrasen über sie hermurmelt. Die Beschränktheit ihres Gesichtskreises zählt die Philosophie nicht ebenfalls in den Bering der deutschen Wirklichkeit oder wähnt sie gar unter der deutschen Praxis und den ihr dienenden Theorien. Ihr verlangt, daß man an wirkliche Lebenskeime anknüpfen soll, aber ihr vergeßt, daß der wirkliche Lebenskeim des deutschen Volkes bisher nur in seinem Hirnschädel gewuchert hat. Mit einem Worte: Ihr könnt die Philosophie nicht aufheben, ohne sie zu verwirklichen. Dasselbe Unrecht, nur mit umgekehrten Faktoren, beging die theoretische, von der Philosophie her datierende politische Partei. Sie erblickte in dem jetzigen Kampf nur den kritischen Kampf der Philosophie mit der deutschen Welt, sie bedachte nicht, daß die seitherige Philosophie selbst zu dieser Welt gehört und ihre, wenn auch ideelle, Ergänzung ist. Kritisch gegen ihren Widerpart, verhielt sie sich unkritisch zu sich selbst, indem sie von den Voraussetzungen der Philosophie ausging und bei ihren gegebenen Resultaten entweder stehenblieb oder anderweitig hergeholte Forderungen und Resultate für unmittelbare Forderungen und Resultate der Philosophie ausgab, obgleich dieselben - ihre Berechtigung vorausgesetzt - im Gegenteil nur durch die Negation der seitherigen Philosophie, der Philosophie als Philosophie, zu erhalten sind. Eine näher eingehende Schilderung dieser Partei behalten wir uns vor. Ihr Grundmangel läßt sich dahin reduzieren: Sie glaubte, die Philosophie verwirklichen zu können, ohne sie aufzuheben." (Karl Marx, MEW Bd. 1, S. 372) Gerechtigkeit ist die Vorstellung eines politischen Willens, der sich gegen das allgemeine Unrecht einer den Menschen fremden Macht wendet. Darin werden die gesellschaftlichen Widersprüche entäußerter Lebensverhältnisse in ihrem politischen Willen infrage gestellt." „Die schrecklichsten Leiden sind […] aus dem Gerechtigkeitstrieb ohne Urteilskraft über die Menschen gekommen.“ (Friedrich Nietzsche: "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben") Die Einforderung einer gesellschaftliche Gerechtigkeit setzt allerdings voraus, dass es eine "richtige" gesellschaftliche Beziehung gibt, z.B. dass etwas gerecht aufgeteilt wird (siehe Verteilungsgerechtigkeit), im Vergleich gleiche Anteile hat (siehe Gleichheit) - setzt also die Vergleichbarkeit voraus, aus der das ergeht, was richtig für jeden ist (siehe Recht). Gerechtigkeit kommt also von Recht, beruht auf dem, was als "gleiches Recht" für jeden in einem bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhang als richtig, als vernünftig angesehen wird, z.B. auf einer allgemein gültigen Rechtsprechung, auf Spielregeln, auf einem Verständnis von Fairness, von Ethik usw.. Die Gerechtigkeitsvorstellungen der unterschiedlichen spiegeln den Stand der Produktionsverhältnisse der Gesellschaft wider, so z.B. im Stammeswesen das Gerechtwerden gegenüber den Naturmächten, der Naturreligionen, im Feudalismus das Recht durch "Gottes Gnaden". Nach bürgerlichem Recht besteht die Gerechtigkeit aus dem Gleichheitsprinzip, das aus der Möglichkeit einer allgemeinen Vergleichbarkeit und damit schließlich auch die gleiche Behandlung von Menschen fordert, besonders ihre Unterschiedslosigkeit vor dem Gericht, in der Arbeit, ihrer Würde usw.. "Eine prägnante Definition liefert der römische Jurist Ulpian (170–228 n. Chr.): „Gerechtigkeit ist der feste und dauernde Wille, jedem sein Recht zuzuteilen“. Gerechtigkeit regelt die Beziehungen von Menschen zu anderen Menschen. Sie enthält immer ein Moment von Gleichheit in dem Sinne, dass jedem Menschen „sein Recht“ (ius suum) zusteht. Zentrale Frage ist, wie dieses Recht bestimmt wird." (https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/gerechtigkeit-34985) Es war der geschichtliche Fortschritt, welchen die Warenproduktion mit sich gebracht hatte, zugleich aber auch Beherrschung der Unterschiede von Lohnarbeit und Kapital durch Gleichschaltung aller Lebensverhältnisse, durch die Rationalisierung der Subjektivität zur Sittlichkeit des Bürgertums. Doch wie soll sich hieraus eine "Gerechtigkeit" ergeben können? Für die Aufklärung war dies allerdings kein Problem, waren doch alles nur Reflexionen einer allgemeinen Dinglichkeit, die sich per Votum des Verstandes durch ihre eigentümliche Vernunft sinnvoll wie von selbst erschließen ließe. "Die formale Logik ... bot den Aufklärern das Schema der Berechenbarkeit der Welt. Die mythologisierende Gleichsetzung der Ideen mit den Zahlen in Platons letzten Schriften spricht die Sehnsucht aller Entmythologisierung aus: die Zahl wurde zum Kanon der Aufklärung. Dieselben Gleichungen beherrschen die bürgerliche Gerechtigkeit und den Warenaustausch. »Ist nicht die Regel, wenn Du Ungleiches zu Gleichem addierst kommt Ungleiches heraus, ein Grundsatz sowohl der Gerechtigkeit als der Mathematik? Und besteht nicht eine wahrhafte Übereinstimmung zwischen wechselseitiger und ausgleichender Gerechtigkeit auf der einen und zwischen geometrischen und arithmetischen Proportionen auf der anderen Seite?« Die bürgerliche Gesellschaft ist beherrscht vom Äquivalent. Sie macht Ungleichnamiges komparabel, indem sie es auf abstrakte Größen reduziert." (Theodor W. Adorno "Dialektik der Aufklärung" Fischer 2002 S. 13) Gegen des Ständewesen war die Gleichstellung jedenfalls der Fortschritt, den die bürgerliche Gesellschaft begründet hatte und der von der Aufklärung auch so formuliert war. Der Ständestaat beruhte auf der persönlichen Macht, in welcher die Stände nur für sich richtig sein konnten. Dies hatte sich als Hemmnis in der Ausdehnung der Märkte herausgestellt und somit die Überzeugung verallgemeinert, dass er eine Blockierung der Menschen und ihrer Geschichte ist. Es veränderte sich das Rechtsverhältnis, weil die Entwicklung der Menschen ein anderes Verhältnis verlangte, das in der Entwicklung der Märkte schon gegeben war. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren die Ideen, durch welche die Französische Revolution getragen wurde und sind die Ideologieen, die bis heute unser Rechtssystem begründen, weil die Marktwirtschaft im Prinzip damit funktioniert. Aber auch diese hat sich schon längst über ihre Grenze hinausentwickelt. Für die Globalisierung fällt das bürgerliche Recht, das auf dem gesellschaftlichen Verhältnis innerhalb von Nationalstaaten gründet, weitgehend aus. Eine Weltgesellschaft wird wieder andere Rechtsvorstellungen umsetzen müssen - nicht im Rückgriff auf ältere Rechtsvorstellungen, sondern in der Anpassung des Rechts auf die Notwendigkeit des friedlichen Zusammenlebens der Völker und Kulturen (siehe hierzu auch Vertrag). Gerechtigkeit reflektiert also immer bestehende Verhältnisse. Andererseits ist die Forderung nach Gerechtigkeit aus der Empfindung vcn Ungerechtigkeit oft ein Aufschrei gegen eine Macht, welche Menschen ausbeutet, welche also in der Weise ungerecht ist, dass sie zu ihrem Besitz aneignet, was nicht ihr zu eigen ist (siehe Eigentum). Die Forderung stellt sich somit auch gegen die Art und Weise, gegen die gesellschaftliche Form, worin qualitative Unterschiede selbst schon unrichtig bestehen, in diesem Sinne also Unrecht sind. In dieser Negation ist die Forderung nach Gerechtigkeit zugleich ein Wissen um Fremdbestimmung. Somit enthält die Forderung auch eine Notwendigkeit, herrschende Zustände zu ändern, die nicht nur die Forderung nach Gleichheit (z.B. Ausgleich ungleicher Verteilung), sondern auch Verlangen nach qualitativer Änderung des Rechts (vergl. "No Justice, No Peace!"). Gerechtigkeit ist zwar gegen Ungerechtigkeit, aber in ihrem Verständnis relativ. Für sich genommen bezieht sie sich auf ein und dieselbe Qualität, und dies nur quantitativ; z.B. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Aber selbst dies ist noch nicht erreicht und scheitert oft selbst an Störungen der Gleichheit durch das System. So ist z.B. selbstverständlich, dass Frauen und Männer für gleiche Arbeit gleichen Lohn bekommen sollten. Nicht mal das ist erreicht. Hinzukommt aber auch, dass Frauen oft noch Arbeit leisten, die als solche nicht aufgefasst wird und daher außerhalb der rechtlichen Bewertung gestellt ist. Da es also noch keine rechtliche und ökonomische Bewertung der Familienarbeit gibt, die entsprechend zu berücksichtigen wäre, sind Frauen nicht nur als Lohnarbeiterinnen quantitativ schlechter gestellt als Männer, sondern zudem dadurch, dass sie oft eine Arbeit verrichten, Familienlast alleine tragen, die garnicht gesellschaftlich als Arbeit angesehen wird. Die Frage ist also vor allem, inwieweit es überhaupt Gerechtigkeit für sich gibt, wieweit also Qualität quantifizierbar ist, ohne qualitatives Quantum zu sein. Gleichheit in der Entlohnung für gleiche Arbeit zu fordern, ist notwendiger Verteilungskampf und den Verhältnissen immanent. Wenn aber alle Lohnarbeiter bei gleicher Arbeitszeit gleichen Lohn bekommen, muss das nicht immer gerecht sein (z.B. wenn eine Arbeit die Dauer der Lebensarbeitszeit verkürzt). Auf der anderen Seite ist noch gravierender, dass der qualitative Schlüssel zur Gerechtigkeit in einem allgemeinen Prinzip steckt und nicht in den Menschen. Wer beurteilt ihre Produktivität, wenn ihre Arbeit nur in der Zeit vermessen ist; wer weiß, wann die Arbeit Produkte des allgemeinen Lebens (Reproduktion) schafft, und wann sie Mehrwert produziert? Solange die eine Arbeit gesellschaftlich, die andere privat angeeignet wird, kann es auch in der Bewertung der Arbeitszeit keine Gerechtigkeit geben, da gesellschaftliche Gerechtigkeit ein Widersinn wäre. Gerechtigkeit als Prinzip erweist sich so als Brücke abstrakter Beziehungen, die darin Ausgleich suchen, weil und solange sie qualitativ sich nicht verwirklichen können. Es ist die Forderung, unter welcher sich die Warenhüter, die Besitzer ihrer Güter begegnen, in welcher sie ihren Willen bemessen und ihre Macht begrenzen, damit das Tauschverhältnis auch "gerecht" von statten gehen kann - manchmal auch, wenn völlig entgegengesetzte Güter unter völlig gegensätzlichen Bedingungen und damit auch oft unter Erpressung oder in einem Ausbeutungsverhältnis getauscht werden. Also: Gerechtigkeit ist äußerst relativ und hängt sehr vom praktischen Bezug ab, der zu Gericht steht - und davon, wie er überhaupt verstanden wird. Je abstrakter der Verstand von komplexen Beziehungen ist, desto schneller wird Gerechtigkeit gefordert. Daher sind politische Forderungen nach Gerechtigkeit oft die Grundlage von Populismus. | ![]() |