Wenn etwas zerbrochen ist, ist es nicht mehr heil. Als Gedanke eilt es seiner Wiederherstellung voraus. Vom Standpunkt eines Unheils ist das Heil die Vorstellung seiner Aufhebung. Vom Standpunkt eines Mangels ist das Heil die Vorstellung seiner Überwindung. Vom Standpunkt eines Vorhabens ist das Heil die Vorstellung einer geglückten Ausführung (z.B. Petri Heil). Das Heil ist überhaupt die Vorstellung eines geglückten und gesunden Lebens, die Vorstellung von einem Ganzen, das Ungebrochen und mächtig alle seine Widerspüche in sich aufgehoben hat und ihnen gedanklich also durch Vorbildliches (Heiliges) als Erwartung eines glücklichen Endes entgegengehalten wird. Das Wesen des Heils ist das Positive schlechthin, die Position einer fiktiven Ganzheit, eines Unwesens, ganz gleich was es in Wirklichkeit auch sonst noch sein mag: Sinn und Zweck des Positivismus. Im ursprünglichen Wortsinn aus dem Germanischen bedeutet Heil so etwas wie Glück, Zufriendenheit und Gesundheit - Identität im Ganzen und Geschlossenheit im Gemeinen, das, was allen heilig sein soll, weil darin wesentliches Glück aufkommen könne, das Glück des Ganzen. Es besteht als Vorstellung, dass alles Gebrochene im Ganzen wieder heil werde, heilen soll. Von daher ist es ein totaler Begriff, der nur durch die Abwesenheit dieser Identität wirklich ist, an sich nur Unwirkliches beschreiben kann. Heil bezieht sich also auf eine nicht vorhandene Ganzheit, auf eine Geschichte, die nicht gegenwärtig ist, eine verkehrte Geschichte die aus den Brüchen der Gegenwart ein gutes Gelingen im Zweck eines Ganzen erwirken will, sodass das einzelne Unheil immer in einer abstrakten Allgemeinheit aufgehoben sein soll. Es ist also das, was Geschichte nicht wirklich sein kann, was Geschichtliches unwirklich macht. Als geschichtliche Verkehrung kommt die Heilsvorstellung daher vom Wunsch auf Erfolg und Glück unter Bedingungen, in denen Anstrengung nicht in einer konkreten Arbeit oder Planung, sondern als abstrakter Ansporn nötig ist, weil ihr Sinn völlig ungewiss bleibt, weil er nur aus der Vorstellung eines Glücks besteht. "Petri Heil!" war der Zuruf und Ansporn der Angler und Fischer; ebenso "Waidmansheil" zum Jagdglück der Jäger. "Glückauf" sagen dagegen die Bergleute. Erst in der Religion wird das Heil als das Heilige Gott ähnliche, also das, was sich dem irdischen Geschick entwindet und einer abstrakten Ganzheit des Lebens zugehört und damit der Erlösung von irdischem Unglück und Schuld nahe ist. Der Heiland schließlich soll dies doppelte sein: Glücksbringer, der zugleich Heilung im Sinne von Erlösung, verschafft, Heilung durch Glück. Das macht ja schließlich jeden Glauben aus - und sei es der ans Nirwana (siehe Nichts). So also sprach auch Buddha: "Wohlan, ihr Mönche, ich sage euch, alles geht dahin und stirbt, aber die Wahrheit bleibt. Strebt nach eurem Heil!" Heil ist etwas, das nicht gebrochen ist und von allen Widersprüchen frei und unteilbar, ein totales Ganzes, im Grunde ganz heilig sein soll (siehe auch heile Welt). Darin kann es nur totalitär sein. Es wird als ihnen gänzlich äußerlich verstanden, ohne Schmerz im gebrochenen Leben, doch nicht wirklich außer diesem seiend. Lediglich auf seine Form als ein Unheil ist es bezogen. Als Substantiv wendet sich das Heil zur Vorstellung einer gelungenen Geschichte, zu einer "gute Zukunft" (siehe Heilsvorstellung), deren Gegenwart überwunden ist. Das Streben zum Heil will das Gebrochensein auflösen, indem es das Heile an dessen Stelle setzt. Durch seine Ausschließlichkeit verbirgt es seine Herkunft, das Unheil, und tauscht diese gegen eine Vorstellung aus, in welcher sie sich in das Anderssein ihrer wirklichen Gegenwart schon gekehrt hat, schon als deren Verkehrung ausgemacht ist. Das Heil leitete sich auch tatsächlich aus dem Gegensatz von Geist und Welt ab, zunächst aus dem Unheil, aus dem Schicksal, welches die Bestimmungen eines Jenseits vollzieht. Solange Unheil nicht als Unglück begriffen wird, das sich aus dem Glück erklärt, enthält es als einzig Anderes das Heil - sowohl bei den Christen, als auch bei den Juden, bei C.G. Jung wie bei Max Horkheimer. Dem Unheil schlechthin kann keine Erkenntnis gerecht werden, solange sie nicht den Apfel vom Baume dieser Erkenntnis in jenem Garten pflückt, der Paradies genannt wird. Unheil kann nicht richtig erkannt werden - und das macht seinen Mythos aus und macht es zum Mittel für die Dämonisierung des Unheils. Religion ist die höchste Heilserwartung und jeder Mensch bleibt ihr treu, solange er sein Heil nicht im Diesseits als sein einfaches Glück neben seinem ebenso einfachen Unglück erkennen kann. Für jeden Heilsbegriff ist ein Unheil vorausgesetzt, das auf dem Verkennen seines Wesens, die Gebrochenheit eines Ganzen, gründet. Das Heile wäre so nur das seinen Schmerz überwunden habende, das sich wirklich aufgelöst habende Unglück. Im Unheil raunt eine Abkehr von Ursprünglichkeit, von Wesentlichkeit mit, die in der Wesenlosigkeit, der Oberflächlichkeit selbst schon begründet scheint und erweckt dadurch wesenloses Verlangen, Sehnsucht (siehe Ursprungssehnsucht). Hierin wird jeder Erkenntnis eine Grenze gesetzt, Erkenntnislosigkeit als Tribut an das Unheile abverlangt, welches unendlich begründet ist, weil es unendlich viele Gründe hat. Von daher sind dem Heilsprinzip immer auch Untergangstheorien beigemengt, welche eine Endlichkeit ohne wirklichen Grund vorstellen, einen Vernichter ohne Grund und somit genug Grund für jede Vernichtung. Praktisch entsteht das Verlangen nach Heil aus der Zerstörung; es ist die Ideologie der darin begründeten schlechten Negation. Die in ihren Lebensburgen eingeschlossenen Menschen, die in ihren Familien, in deren symbiotischen Selbstbehauptungen durch ihren Selbstverlust eine Lebensangst strukturiert hatten, an der sie verrückt geworden waren, gelangen In ihrer Selbstverlorenheit in eine Welt, in der sie zunächst nur durch ihre Selbstlosigkeit gegenwärtig sein können, weil sie darin ihre Ohnmacht zumindest kaschieren können. Damit wird allerdings eine Macht vermittelt, die nichts anderes als eine Macht der Heilsamkeit ist (siehe auch Heilserwartung), einer unterstellten Gesundung einer noch nicht erkannten Krankheit. Von daher gründet die Selbstlosigkeit auf der Machtfantasie eines abstrakt gesellschaftlichen Heils. Zur Begründung solcher Ideologie hat sich besonders die Philosophie gerne hergegeben, hat sie doch ständig auch mit ihrem eigenen Untergang zu kämpfen. Die Seinsvergessenheit, die Heidegger der Moderne zum Vorwurf macht, enthält den impliziten Vorwurf, dass Seiendes verflacht und seine Wahrheit verliert, was das "eigentliche" Unheil des Menschen in quasi ontologischer Gesetzmäßigkeit mit sich bringe. Das Unheil ist eine Abstraktion von allem, was wirkliches Unglück mit sich bringt - und deren Totalisierung als Geschichtsmythos, wie er urtümlicher Geschichtsschreibung zu eigen war (nicht ohne Grund war das germanische Unheil zum Ursprungsbegriff der Nazis geworden - und beispielsweise nicht das Gotische, Slawische, Fränkische usw.). Hitler sah im Unheil die Fäulnis, Dekadenz und den hinterhältigen Niedergang durch Charakterlosigkeit und Unwürde, den Verrat („Mein Kampf I", Kapitel 10, Seite 250, Auflage 1939). Heil ist daher vom Ansporn gegen den Verrat (z.B. Nibelungenmord) zu einem Ausruf der Selbstgerechtigkleit geworden; es wurde zum Ansporn und Glück des Führers, der die Gewalt und Kraft der Gerechtigkeit für alle verkörpern sollte. Ihre Abstraktionskraft ist die Wirkung einer antäußerten Beziehung. Sie entsteht im Trieb ihres Unfriedens in einer unbefriedigten Beziehung, die sich sinnlich verselbständigt hat, die also gewalttätig wird, wo und weil sie unsinnig geworden, wo sie substanziell außer sich geraten ist und im Trieb ihrer wesentliche Lebensäußerung entstellt und in ihrer Entstellung entstellt sit, die sie verrückt macht. Obwohl Heil urspünglich nicht viel mit Heilung zu tun hatte, bekam es dennoch durch den Erlösungsglauben, der damit verbunden war, eine Bedeutung von Heilung aus der Not. Auch wenn diese sozialer Natur war, wurde sie in dieser Bedeutung der Krankheit - ja sogar der Verwesung gleichggesetzt. Heilung ist eigentlich nur die Wiederherstellung des Ganzen, was durch Kränkung oder Krankheit gebrochen war. Hierin ist sie bestimmt und beschränkt auf die Umstände und Mittel, die hierfür verfügbar sind. Jetzt wurde sie zur Lebensmacht, zur Macht des Überlebens gegen das Sieche, Faule und ... Schwache. Heil bekam die Bedeutung von Größe, Herrschaft und Macht gegen Meute, die Masse, die sich nicht ordnen und nicht ausrichten kann. Es war so ein Begriff für Massentherapie. Damit war jeder Grund für die gesellschaftlich auftretenden Probleme beseitigt und diese selbst zum Grund gemacht: Das Unheil kommt aus dem Unreinen und dieses wird zum Objekt des Heilsgedankens. Es ist das Abstößige, das abgestoßene werden muss. Jede Rassentheorie enthält ein Heilsprinzip, nach welchem die Rassen sortiert sind. Letztlich aber ist es die Sortierung des Lebens selbst, um die es im Heilsgedanken geht. Seine finale Konsequenz ist daher der NS-Begriff des "lebensunwerten Lebens", aus dem als konsequente Praxis die Euthanasie der Kranken und Verkrüppelten vom obersten Arzt der NS, Karl Brandt, entwickelt wurde. | ![]() |