"Der Mensch als ein gegenständliches sinnliches Wesen ist ... ein leidendes und, weil sein Leiden empfindendes Wesen, ein leidenschaftliches Wesen. Die Leidenschaft, die Passion ist die nach seinem Gegenstand energisch strebende Wesenskraft des Menschen. Aber der Mensch ist nicht nur Naturwesen, sondern er ist menschliches Naturwesen; d.h. für sich selbst seiendes Wesen, darum Gattungswesen, als welches er sich sowohl in seinem Sein als in seinem Wissen bestätigen und betätigen muß. Weder sind also die menschlichen Gegenstände die Naturgegenstände, wie sie sich unmittelbar bieten, noch ist der menschliche Sinn, wie er unmittelbar ist, gegenständlich ist, menschliche Sinnlichkeit, menschliche Gegenständlichkeit. Weder die Natur objektiv noch die Natur subjektiv ist unmittelbar dem menschlichen Wesen adäquat vorhanden.> Und wie alles Natürliche entstehn muß, so hat auch der Mensch seinen Entstehungsakt, die Geschichte, die aber für ihn eine gewußte und darum als Entstehungsakt mit Bewußtsein sich aufhebender Entstehungsakt ist. Die Geschichte ist die wahre Naturgeschichte des Menschen." (Marx-Engels-Werke Band 40, S. 579) Leiden ist sinnliches Sein, in welchem die Leidenschaft zu sich kommt, die Selbstwerdung des Seins im Menschen, wie es aus seine Tätigkeit geworden ist. Leiden ist passive Aktivität, Bewahrheitung des tätigen Menschen in der Selbsterkenntnis seines Gegenstands. Im Leiden ist Objektives subjektiv, Veräußertes im Bewahrheitungsprozess des Subjekts und zugleich Grundlage seines Denkens, Substanz seiner Sinnbildung, das geschichtliche Sein seiner Kultur - in ihrem Dasein als Vergangenheit und Gegenwart ihrer Tätigkeit, in ihrem Sein und als Potenzial ihres Werdens zugleich. Als dies Beides ist Leiden die Lust und der Schmerz der Erkenntnis in einem. Hieraus ergibt sich die Möglichkeit, objektive Subjektivität zu behaupten, wie es das reaktionäre Denken ausmacht (siehe hierzu auch Heidegger, der Leiden als Ereignis begriffen haben will). In den neueren Sprachgewohnheiten steht Leiden eher einseitig nur für schmerzhafte Zustände (siehe Schmerz). Dies macht den Sprachgebrauch in mancher Hinsicht unsinnig. Besser bewahrt ist die Wortbedeutung in der deutschen Grammatik, z.B. das Passiv als die Leidensform. Positive Bedeutungen tragen sich auch umgangssprachlich fort, z.B. wenn man etwas oder jemanden leiden mag, d.h.: seine Äußerungen als Wirkung in sich selbst genießt. Leiden ist die Erkenntnis der Wahrnehmung, worin das Wahrgehabte zu sich kommt, Gewissheit wird. Darin besteht der Sinn, den sie für ihren Gegenstand hat. In ihm trifft sie auf die Tätigkeit, welche mit dem Leiden Leben ist, Selbsterzeugung und Selbstgenuss des Menschseins. Somit ist Leiden auch wie Arbeiten ein geschichtlicher Prozess, der gebrochen und unterbrochen werden kann, der sich selbst zur Form bringt, wenn er keine Gegenständlichkeit erreicht, damit auch formbestimmend wird, wenn eine darin gesetzte Abstraktion sich fortbestimmt (siehe abstrakt menschlicher Sinn). Darin wird Leiden zur Selbstentfremdung der Erkenntnis, zu einer Form gegen sich, zu einem entäußertes Leiden, welches sich selbst reflektiert, Reflexion seines Widerspruchs, nur darin lebendig sein zu können, dass es sich selbst trägt, sich selbst wahrnimmt, um anderes wahrzuhaben und in der Selbstwahrnehmung Fremdes als eigene Welt zu gestalten. Solches Leiden ist für sich Ästhetik, in welcher der Sinn des Leidens aufgehoben und Form für sich ist, Formverwandlung der Wahrnehmung. In der bürgerlichen Kultur wird Ästhetik selbst bestimmt und darin tätig, dass sie zum Inhalt zwischenmenschlicher Beziehungen wird (z.B. als ästhetischer Wille). Die qualtative Wende von Leiden und seiner Form zur kultivierten Ästhetik vollzieht sich dort, wo sich Leiden von seiner Wirkung trennt, wo man etwas nicht mehr leiden kann, wo man es nicht mehr sehen, hören oder riechen kann, wo die Sinne also verwirkt sind, für das, was sie umgibt, ihre Umstände nicht mehr ertragen. Die Strebungen des ästhetischen Willens gehen daher gegen diese sinnliche Wirklichkeit und gegen Leiden selbst. Als wirkliche Lebensbedingung wird das Verhältnis, worin sich dieses Streben forttreibt , zu einem Verhältnis der Selbstaufhebung in einem Anderssein der Selbstwahrnehmung, z.B. in der Volksseele. | ![]() |