„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ (Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 385) Eine Gesellschaft betreibt nicht nur die Reproduktion und Produktion des menschlichen Lebens - sie ist auch das Dasein des Menschen als sich erkennendes und sich auf sich beziehendes Wesen. Nur was Menschen durch einander von ihrem Menschsein erkennen, kann Grund für ihr wirkliches gesellschaftliches Leben sein: Lebensinhalt. Im Grunde ist jedes Bedürfnis ein Bedürfnis des Menschen nach dem Menschen, ein Verlangen nach menschlicher Gegenständlichkeit - auch wenn es sich auf menschliche Produkte bezieht, auf die Produkte der Arbeit. In der Kultur sind die Menschen mit ihren Produkten wesentlich eins, auch wenn sie in den vielfältigsten Gegensätzen aufgespalten, voneinander getrennt sind. Doch die Menschen sind vor allem natürliche Wesen, Wesen ihres natürlichen Daseins mit allem, was sie wirklich - und also in Wirklichkeit - sind. Was die Menschen letztlich immer eint, ist ihr natürliches Menschsein, ihre begeisterte Natur als Mensch, wie sie gesellschaftlich auch als Naturmacht begeisterte Menschen verbindet. "Der erste Gegenstand des Menschen - der Mensch - ist Natur, Sinnlichkeit, und die besondern menschlichen Wesenskräfte, wie sie nur in natürlichen Gegenständen ihre gegenständliche Verwirklichung, können nur in der Wissenschaft des Naturwesens überhaupt ihre Selbsterkenntnis finden. Das Element des Denkens selbst, das Element der Lebensäußerung, des Gedankens, die Sprache ist sinnlicher Natur." (MEW 40, S. 544). Der Mensch ist der erste Gegenstand für den Menschen, nicht ihm unterworfen, weil er sich in ihm und durch ihn äußert und lebt, in Gesellschaft ist. Soweit der Mensch sich nicht als Mensch entäußert hat, hat er jeden Menschen nötig. Wo er aber als Mensch nur außer sich sein kann, sich im anderen Menschen und durch ihn nur als Mensch auf sich bezieht (siehe Selbstbeziehung), sich selbst durch ihn als Mensch behaupten muss (siehe Selbstbehauptung), weil er sein Menschsein nur in ihm und durch ihn in seiner Zwischenmenschlichkeit aufgehoben weiß, konsumiert er das Menschliche schlechthin und lebt durch die Einverleibung anderer Menschen vermittelst seiner Selbstwahrnehmung. Das Menschliche wird darin veräußert und zu einer entäußerlichten Verbindung, zu einer Beziehung in der Selbstentäußerung, die auf sich als fremde Bindung zurückkommt, als eine fremde Kraft wirkt (siehe auch Entfremdung), die eine re-ligio darstellt (siehe hierzu auch Religion). Menschenliebe verlangt nach einer Wahrheit des Menschseins, die aber nicht für sich und nicht individuell sein kann, weil sie nur durch andere Menschen und Gegenstände ist, die das gesellschaftliche Leben ausmachen. Was darin von und für Menschen ist macht ihre Identität aus und erscheint auch als menschliche Identität, die sich aber unmittelbar weder in ihrer Zwischenmenschlichkeit noch in ihrer Gemeinschaft erweisen kann. Von daher ist Gesellschaft in ihrer Kultur einerseits verwirklichte Menschenliebe, die allerdings andererseits nur wirklich sein kann, wo Menschen ihre Wirklichkeit als ihre Verwirklichung auch allgemein vorfinden und betreiben (siehe Sinnbildung). Allgemein wird dies bisher allerdings meist nur in metaphysischer Zwecksetzung formuliert wird (z.B. als Nächstenliebe), weil eine solche Gesellschaft noch nicht wirklich existiert. Menschen erkennen einander nur in ihrem Mangel, in einer Wesensnot, die ihre Gesellschaft ausmacht, die immer noch eine Gesellschaft von Klassenkämpfen ist, die sich auch in der Kultur in den Formationen der Selbstverwertung und des Wertwachstums vollziehen. Eine konkrete Erkenntnis des Menschen im Menschen, konkrete Liebe der Menschen, kann sich nur in der Enzweiuung, im Zweifel und durch Kritik in diesen Verhältnissen bilden und sich damit in der Notwendigkeit einer dem entsprechenden gesellschaftlichen Form entwickeln. Es ist die Geschichte der Selbstachtung der Menschen, die sich darin entfaltet, dass sie ihrer Liebe folgt und darin ihre Erkenntnis wahr macht. Und das ist in der bürgerlichen Gesellschaft wohl die schwierigste Erkenntnis, dass deren Form längst keinen Inhalt der Menschen mehr hält und fortbestimmen kann (siehe auch Formbestimmung), in ihrer Form total anachronistisch ist. Die Aussage, dass der Mensch sich nur im Menschen erkennen kann (Marx) ist daher die einzig mögliche menschliche Erkenntnis und zugleich unmittelbare Kritik jeder Mystifikation, besonders der Religion. Menschenliebe besteht in dieser Gesellschaft somit zunächst nur als Rückschluss auf den Menschen als Erkenntnis des Menschen in ihr, als seine Seinsbehauptung, in welche Form sein Leben auch geraten sei (siehe Entfremdung). Nur weil und solange sich Menschen als Menschen erkennen können, kann ihre Gesellschaft als menschliche Gesellschaft bestehen. Es ist dies der wesentliche Unterschied zur Barbarei. Menschenliebe ist also die einzige Gewissheit gegen die Barbarei und deren wesentliche Kritik als Kulturkritik. Auch die Religionen enthalten Menschenliebe, wenn auch in dritter Form, in der Gestalt eines Übermenschen. Dieser ist sowohl Reflexion des gesellschaftlichen Menschen, als auch Affirmation abstrakter Gesellschaftlichkeit. Wo Menschenliebe kein konkretes Leben hat, weil sie vollständig isoliert ist, bleibt oft nur Religion als Brücke zur Menschheit. Religionskritik ist aber gerade deshalb unbedingt nötig, da nur sie das Leiden der Isolation erkennt. Die Abwendung von solcher Notwendigkeit ist der Zynismus der Moderne, die Bewertung der eigenen Kultur gegen andere Kulturen, welche einen Kampf der Kulturen unterstellt. In solchem Kampf, welcher immer zugleich auch als Legitimation von Kriegen hergenommen wird, ginge aber immer das unter, was ihn beenden könnte: Die Erkenntnis anderer Menschen als Menschen, als menschliche Bereicherung, als Sinn und Auseinandersetzung menschlicher Geschichte. Jeder Zynismus, auch wenn er als Kynismus daher kommt (siehe Sloterdijk), ist der Eintritt in die Barbarei unendlicher Kulturkämpfe. Die zynische Vernunft war schließlich das Markenzeichen des größten Verbrechens der Menschheit (siehe Nationalsozialismus). Sie begründet sich aus der Unmöglichkeit der Liebe (siehe Nietzsche). Damit wird gerne und leicht hantiert und Zynismus ist nicht selten schick. Jedoch endet solche Lust an der eigenen Abgründigkeit, dies wohlige Grauen der Selbstgenügsamkeit, immer in der Grausamkeit einer unerwarteten und brutalen Gewalt, denn es verkörpert der Abgrund zwischen Religionskritik und Zynismus die Überlebensfrage des menschlichen Geistes, der alleine der Niedertracht der Barbarei Einhalt gebieten kann. Dem entgegen steht das ausformulierte Programm der Kapitalmanager mit dem Zukunftskonzept des Tittytainment, dem leibhaftigen Konsumzynismus, die Konsumtion, die Entleibung des menschlichen Lebens durch ein absolut funktionales Kapital. | ![]() |