"Die Wurzel für den Menschen ist ... der Mensch selbst. Der evidente Beweis für den Radikalismus der deutschen Theorie, also für ihre praktische Energie, ist ihr Ausgang von der entschiedenen positiven Aufhebung der Religion. Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." (Karl Marx, »Deutsch-Französische Jahrbücher«, Paris 1844, MEW 1, Seite 385) Im Unterschied zum Selbstwert, der in sozialen Verhältnissen durch die Bewertung der zwischenmenschlichen Gegenwärtigkeit seiner Selbstbehauptungen zwischenmenschliche Verhältnisse bestimmt, bewahrt Selbstachtung eine bedrohte Wahrnehmungsidentität vor einer Selbsttäuschung. Selbstachtung muss sich also nicht behaupten, weil sie sich nur durch ihre eigene Wahrheit bestärken kann. Sie setzt eine Wahrnehmung voraus, die sich durch ihre Erkenntnisse schon bewahrheitet hat. Wahrnehmung nimmt für wahr, was sie wahrhat. Nötig hierzu ist, dass sie sich hiervon unterscheiden kann und zugleich in ihrem Gegenstand ihr Leben findet, empfindet, befindet und beachtet, und also Achtung für sich in dem findet, was sie erkennt. Von daher ist Selbstachtung die Bedingung einer jeden Erkenntnis. Wo sie missachtet wird, wo Menschen ihre Gegenwärtigkeit, ihre Selbstvergegenwärtigung nur durch ihre Selbstbehauptung für sich finden, wird Wahrnehmung ohnmächtig und auf sich selbst verworfen (siehe auch tote Wahrnehmung). In solcher Selbstwahrnehmung veräußert sie sich selbst und verliert ihren wirklichen Gegenstand, weil ihre Selbstvergegenwärtigung durch eine Selbstverwertung bestimmt und somit durch die fremde Form (siehe auch fremde Kraft) ihrer eigenen Wahrheit behindert wird (siehe hierzu auch psychische Depression). Denn eine tote Wahrnehmung kann sich nicht vergegenwärtigen, weil sie fremd bestimmt ist und sich ihrer Wahrheit widersetzen muss. Sie verwirklicht sich in einer Selbstbeziehung zwischen den Menschen, die ein gegen sich gekehrtes, also verkehrtes Geltungsstreben nötig hat, um sich selbst in ihren Beziehungen zu verwerten und hierdurch einen Selbstwert erlangen oder erneuern kann (siehe hierzu zwischenmenschliche Beziehung). Sie folgt der Notwendigkeit einer Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, die sich in zwischenmenschlichen Verhältnissen dann ergibt, wenn darin die Menschen keine Zerstreuung durch die Einverleibung anderer befürchten müssen, weil deren Beziehung auf sich gerichtet, Selbstbeziehung ist und hierfür ihre zwischenmenschliche Beziehung im bloßen Erleben einverleibt wird. Während Selbstbeziehung ihren Selbstwert aus einem Verhälnis zu sich selbst durch den Eindruck gewinnen, den sie machen, betreibt die Selbstachtung eine Achtung auf sich selbst zugleich als Sorge um ein sich selbst gleich, mit sich identisch zu bleiben, sich selbst gerecht zu sein oder sich selbst gerecht zu werden, ohne Selbstgerechtigkeit auszuüben, um hieraus einen Selbstwert zu beziehen. Wer für seine Sache tätig ist und sich mit ihr und durch sie auf die Welt der Gegenstände bezieht, erkennt sich auch in dieser Beziehung tätig, ist darin unzweifelhaft für sich, ganz gleich, wie sie sich in dieser Welt verwirklicht oder sich erst zu einer Kritik entwickeln muss, um sich darin verwirklichen zu können. Wenn es wirklich seine Sache ist, so wird er In jedem Fall sich darin achten können und also auch auf sich und andere achten, auch wenn seine Sache noch nicht gegenständlich ist, noch nicht objektiv existiert. Die Selbstachtung der Menschen entspringt der Notwendigkeit, sich ihrer durch ihre Sache, ihrer Arbeit, ihrer Bedürfnisse und ihrer Genüsse selbst gewiss zu sein, sich ihrer zu versichern, indem sie sich auf andere, also gegenseitig sachlich beziehen und hierdurch selbst gegenständlich zu werden. Nicht, weil ein Mensch sich seiner Sachen immer schon sicher sein könnte, so, als hätten er diese "auf nichts gestellt" (Max Stirner), sondern weil seine Sache immer schon und vor aller Tätigkeit gesellschaftlich ist, indem er ihr Material in den gesellschaftlichen Gegenständen vorfindet, seine stoffliche Voraussetzung darin hat und durch diese dem Individuum zur Verfügung steht, was immer er auch daraus macht und seine Sinne (siehe Sinnbildung), seine Geschichte in seiner Gesellschaft bildet (siehe historischer Materialismus). Selbstachtung unterscheidet sich daher von jeder anderen Form einer Selbstbeziehung dadurch, dass sie auf die gegenständliche Beziehung achtet, die ein Mensch zu anderen Menschen hat, die also achtsam auf Irritationen und Täuschungen ist, die einen Menschen unwirklich machen oder ihn entgegenwärtigen oder verwerten (siehe Selbstverwertung). Sie besteht darin, das ich mit mir selbst einig, für mich selbst konsistent bin und bleibe, und daher mich ohne Minderwertigkeitsgefühle und ohne Geltungsbedürfnis ganz meiner Sache zugewandt äußern kann, auch wenn ich dabei fehlerhaft oder unvernünftig sein sollte. Und auch wenn ich mich objektiv irren kann bin ich für mich - eben auch im Irrtum - wahr; d.h. ich bin für mich nicht getäuscht und daher auch nicht enttäuscht, - einfach in der Äußerung meiner Wahrheit tätig, was immer hierbei auch entstehen oder mir widerfahren wird, weil ich mich ja mit der Entäuschung auch selbst bewahrheite und verändern kann. Im Umgang wird das mit "Identität haben" gleichgesetzt, was allerdings eine überzogeme Beschreibung ist, weil man Wahrheit nicht haben, nicht besitzen kann (siehe hierzu menschliche Identität). Im Unterschied zum Selbstwert, welcher der Selbstwahrnehmung entspringt und nach Selbstverwertung verlangt, sich also in seiner Selbstbezüglichkeit vermitteln muss, ist die Selbstachtung eine unmittelbare Tätigkeit, eine Aufmerksamkeit und Achtsamkeit auf die Wahrheit eigener Wahrnehmung sowohl von sich wie auch - was dasselbe ist - von anderen Menschen. Auf sich kann man eben nur achten, indem man auf andere Menschen achtet, sie alsoauch beachtet. Das ist die Grundlage einer Fähigkeit zu Kritik und Selbstkritik, worin die bloßen Selbstwahrnehmungen dadurch aufgehoben werden, dass sie deren Leiden als Produkt menschlicher Tätigkeit erkennt und gegen deren Entäußerungen tätig wird. Während der Selbstwert seinen Wert aus dem Verhältnis von Selbstgefühlen gewinnt, ist die Selbstachtung die Basis aller Liebe, die in der Lage ist, die Mächte der Selbstentfremdung zu erkennen und mit ihrer Kritik zu durchdringen, ihrer Welt den Stachel zu nehmen, ihr Grauen zu überwinden, indem sie ihre Wahrnehmung zu einer Tätigkeit der Erkenntnis und Selbsterkenntnis wendet, die über sich selbst Gewissheit verschafft, zu einem tätigen Selbstbewusstsein wird. Selbstachtung ist daher immer Achtung auf das menschliche Leben überhaupt, eine Achtung auf sich, die zugleich Achtung auf andere, eine gesellschaftliche Achtung ist, die jede Form einer Achtung vor anderen, der Demütigung und Unterwerfung bekämpft. Selbstachtung kritisiert Selbstverwirklichung, weil sie keine Selbstverwertung nötig hat. Sie ist daher nicht individuell auf die eigene Person bezogen, trägt nichts zur "freien Entfaltung der Persönlichkeit" bei. Sie kann nur auf Selbsterkenntnis als Erkenntnis der eigenen gesellschaftlichen Verhältnisse als gesellschaftliches Verhalten gründen. Weil sie sich im anderen Menschen nur wirklich achten kann, ist sie die Erkenntnis der Notwendigkeiten eigener Geschichte im Verhalten zu anderen und aus dieser heraus eine Achtung für sich und auf sich selbst im Zusammenhang eigener Lebensverhältnisse, die Achtgebung auf eigene Wahrheit, eine Beachtung seiner selbst als unveräußerlichbares Wesen, das sein Leiden als Grund seiner Tätigkeit und als Sinn für seine Freiheit begreift. Gegen die Anmaßungen fremder Besetzungen, gegen die Inbesitznahme (siehe Einverleibung) des eigenen Seins als Mensch, Kultur und Gattungswesen (siehe Gattungsbegriff). Deshalb ist die Selbstachtung der letzte menschliche Rückhalt gegen die Unterwerfungsmächte fremder Bestimmungen, die im Stolz der Besatzungsmacht durch die Selbstbehauptung ihres Besitzstands ihr zugefügt werden (siehe auch Selbstgerechtigkeit). Die Selbstachtung ist von daher der Antagonist zum Selbstwert, der bestrebt ist, sich jede Selbstbeziehung einzuverleiben und sich zu unterwerfen. Wo der Selbstwert aufgeht, verliert sich die Selbstachtung. Die Selbstverwertung gründet auf diesem Verhältnis, welches das wesentliche Verhältnis der Selbstentfremdung ist. In der Selbstachtung verbleibt die Erkenntnis seiner als Mensch unter Menschen bewahrt, welche das Heraustreten aus der Scham seiner Selbstentfremdung nötig hat, die Erkenntnis eigener Wahrheit als Erkenntnis seiner Fremdbestimmmung durch Selbstverwertung (siehe auch Selbstwert). Selbstachtung ist der wesentliche Ausdruck notwendiger Liebe als Menschenliebe, Anerkenntnis des Lebendigseins schlechthin, Abgrenzung vom Prozess des Todes und der Tötung (siehe auch Entleibung). Darin wird die Entfremdung zu einer Wahrheit gewendet, die das Selbst im Streit der Selbstwahrnehmungen um eigene Wahrheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen aufgehoben hatte. Die Depression, welche dieser Streit durch Entleibung der Wahrnehmung überhaupt, und damit als Nichtung ihrer Substanz hervorgerufen hatte und den sie schließlich als Selbstverachtung wahrhaben musste, wird in der Selbstachtung konkret negiert und eröffnet die Erkenntnis wirklichen Bezogenseins auf der Grundlage fremder Lebensbedingungen. Aus dem Widerstreit des Wahrnehmens, aus dem Zweifel der Selbstwahrnehmung entsteht somit eine wirkliche Beziehung auf Menschen als wirkliche Selbsterneuerung, also zugleich als Bedürnis nach Erneuerung des menschlichen Lebenszusammenhangs (siehe Gesellschaft). Aus der Durchdringung der Form der Wahrnehmung entsteht darin die Erkenntnis seiner selbst als Mensch unter Menschen, welcher nicht anders kann, als sich in anderen zu erkennen, ohne sich durch andere zu verlieren. Selbstachtung kann also nur in der wechselseitigen Achtung der Menschen als Achtung für das menschliche Leben überhaupt aufgehen. Deshalb begründet die Selbstachtung die Beziehung auf andere Menschen durch Kritik an menschlicher Entfremdung und Selbstentfremdung und stellt die Subjektivität der Menschenliebe gegen die Objektivität eines über sie herrschenden Subjekts, dem Inbegriff menschlicher Selbstentfremdung. Jeder politischen Kultur, sei sie nationalistisch, neoliberalistisch, religiös oder sonstwie begründet, kann nur menschliche Kultur entgegengehalten werden, wie sie als wirkliches Lebensverhältnis der Menschen ist. Damit wird diese vor allem gegen die Bestimmung durch einen übermenschlichen Willen gestellt. Das Verhältnis zu sich erscheint so im Verhältnis zu anderen Menschen und reflektiert sich darin, worin Willkür herrscht und subjektive Not bestärkt, wo also Reflexion notwendig ist. "Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, daß der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." (MEW 1, S. 385) Wo ich mich nicht achte, sind mir auch andere verächtlich und wo ich andere als Menschen achte, werde ich auch mir menschlich. Somit ist Selbstachtung auch die Notwendigkeit der Liebe: Wo sie in Not ist, kann sie sich nur in Selbstachtung wirklich wenden, muss sich dorthin verlieren, um sich darin wieder zu gewinnen. Es ist ihr Schmerz wie ihre Wirklichkeit. In der Selbstachtung offenbart sich allerdings auch die Abstraktion zwischenmenschlicher Beziehungen, die Reduktion ihrer Wirklichkeit. Sie kann einem Übersinn unterworfen sein, der bis zur Selbstverstümmelung zwingt. Als Produkt einer Scheinwelt kann sie auch zu einem Stolz werden, der in der Negation dieser Welt sich hervortut als Besonderung des Selbst gegen seine Erscheinung. Als solches wird Selbstachtung übermächtig und benötigt Macht zur Selbstverwirklichung: Selbstbehauptung. Durch sie kann sie ihre Bestätigung willkürlich erfahren und entwickelt sich im Glauben an sich zu einem Willen der Subjektivität des Selbst, der sich selbst objektiv nimmt und in seiner Beziehung auf andere diese zerstört (siehe auch Autoritärer Charakter). Es ist das Dilemma der Selbstachtung, dass sie sich in der Selbstverwertung immer wieder aufheben muss, weil sie sich darin durch die sich verhaltenden psychischen Absichten wertlos erlebt und zur Aufhebung ihrer Minderwertigkeit Selbstwert bilden muss, der die Selbstachtung aufbraucht. Indem Menschen in zwischenmenschlichen Beziehungen Sinn finden und äußern, sich aber zugleich zur Bildung von Selbstwert Substanz entziehen, sich in ihrer Selbstbehauptung also Sinn einverleiben, den sie nicht haben, wohl aber wahrhaben, bewegen sich die sogenannten "Ich-Funktionen" nur um dies, um dieses Dilemma der bürgerlichen Psyche überhaupt leben zu können. Von daher kann die Auffassung von Sigmund Freud immerhin illustrativ sein: Die Menschen machen "Umwege" über ihre Kulturleistungen, um ihre Wünsche zu erfüllen und ihre Liebe zu verwirklichen. Was er aber nicht sieht: Es bleibt in dieser Kultur immer eine ohnmächtige Liebe, eine Liebe, die das nötig hat, was sie schon aufgehoben hat. Innerhalb dieser Kultur ist Selbstachtung die unendliche Notwendigkeit eines permanenten Selbstverlustes.
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