Das so genannte "Über-Ich" ist ein Konstrukt der psychoanalytischen Strukturtheorie der Psyche, durch die alle Formen der Selbstbeherrschung so erklärt sein sollen, wie sie sich aus den erzieherischen Beziehungen der bürgerlichen Familie ergeben und in einer angeblich allgemein kulturnotwendigen psychischen Struktur verfestigen sollen. Sigmund Freud befand die Überwindung der "triebhaften Bestrebungen des ES" als Kulturleistung eines "Über-Ichs" und sah darin seine Strukturtheorie der Psyche abgeschlossen. Viel adäquater als diese Herkunft ist hiergegen allerdings der Charakter der bürgerlichen Familie als eine Lebensburg ausschließlicher Geborgenheit, welche die Kindheit der meisten Menschen bestimmt und sie mit einem langlebigen Familien-Ego ausstattet. Tatsächlich besteht nämlich diese "Kulturleistung" aus einer Flucht, einer Überhöhung der Selbstwahrnehmung, die sich übermenschlich gibt und ihren Edelmut mit allerlei Residuen ihrer Selbstverwertung ausstattet. Deren Geltungsstreben überwindet die Selbstbeschränktheit ihrer Egozentrik in einem Übermut der Selbstverwirklichung durch die Herabsetzung der Selbstbeziehungen unter deren Funktionalität. Das Über-Ich lässt sich daher eher aus einer allgemeinen Theorie der zwischenemscnschlichen Verhältnisse erklären, wo sie gegenüber ihre Lebenswerte disfunktional werden. Es stellt nichts anderes dar als das Gebot einer Lebenspflicht, die sich aus den Bestrebungen der Selbstverwirklichung und der ihr entsprechenden Egozentrik erst im Scheitern ihrer Selbstbehauptung ergibt, dieser also nicht vorausgesetzt sein kann. Hieraus wird sich der besondere Charakter einer Persönlichkeit dadurch herausschälen, dass sie ihre Beziehungen zwischen ihren Empfindungen und ihren Selbstgefühlen aus dem bestimmen muss, für das sie sich pflichtschuldig fühlt, um als eine zwischenmenschliche Persönlichkeit in den Verhältnissen egozentrischer Beziehungen zu gelten (siehe auch autoritärer Charakter). Jede Egozentrik hat nämlich einen gewaltigen "Pferdefuss". Sie betreibt in ihren wirklichen Verhältnissen einen Teufelskreis der Selbstwahrnehmung. Denn sie enthält schon vor aller Erfahrung das gröbste Prinzip der Relativierung ihrer wesentlichen Bestrebungen. Weil Selbstverwirklichung nur dadurch zu betreiben ist, dass man die zwischenmenschlichen Verhältnisse hiernach bestimmt, muss man andere von sich abhängig machen, dass sie sich dem auch beugen. Ein jeder dient dem anderen, um sich selbst zu dienen, um eigene Wirklickeit dadurch zu erlangen, dass aich alle diesem Prozess der Selbstverwirklichung verpflichtet fühlen. An sich steht der Bezug dieser Egozentrik schon über dem, worunter er sich beugt. Denn ein Selbst gibt es nicht wirklich und in der Verpflichtung der Selbstgefühle steht alles, was von daher nicht wirklich sein kann. Es entsteht Liebesschuld durch Dienstbarkeiten, die keinen anderen Gegenstand haben, als sich selbst. Doch gerade dadurch, dass jeder dem anderen dient, konkurriert er auch gegen ihn, dient er einem Prinzip, dem beide zu folgen haben. Es ist ein PrInzip wechselseitiger Pflicht, die einzelne Selbstbehauptungen gültig zu machen, ihnen einen höheren Selbstwert zuzuweseisen, als ihnen durch sich und ihre Selbstwahrnehmung zukäme. Selbstverwirklichung hat sich in eine Selbstverpflichtung verkehrt, die wie eine allgemeine Lebenspflicht wirksam wird: wer ihr nicht Folge leistet, verliert seine zwischenmenschlichen Lebensgrundlagen. Es geht aber zugleich um die Veredlung der Selbstbehauptungen im Allgemeinen, ihrer Verwirklichung, der jedes einzelne Verhältnis dieser Wirklichkeit unterworfen, damit dem Begriff nach beherrscht und zugleich beherrschend ist. Im Grunde bestrebt und betreibt in diesem Verhältnis jeder eine höhere Selbstwertigkeit als der andere und bestreitet mit der Anerkennung seiner allgemeinen Selbstbehauptung von daher zugleich auch notwendig dessen Selbstwert.
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