"Ein wenig besser würd' er leben, "Sei doch endlich mal vernünftig!" sagen die Erzieher und meinen die Gewalt des Faktischen, wenn sich ihr Zögling dieser zu entziehen sucht. Von daher sollte Vernunft hiergegen die Möglichkeiten einer politischen Urteilsbildung zur Selbstoptimierung der persönlichen Anpassung an eine durchschnittliche Leistungsfähigkeit erschließen (siehe auch politische Reaktion). Aber wo Vernunft sich nicht in seinen wirklichen Lebensverhältnissen einem Verstand erschließt oder mit ihm verwechselt wird, versteht man nur, was man für vernünftig hält Und man hält für vernünftig, was man gerade so in der Willkür seiner zwischenmenschlichen Beziehungen verstehen kann, was also für sich für wahr genommen und also verstanden zu haben meint (siehe Meinung). Wo also Vernunft selbst nicht aus dem Bedürfnis nach gesellschaftlicher Verständigung, nach Emanzipation aus den herrschenden Gewalten der durch die von einander isolierten Tatsachen ihrer gesellschaftlichen Existenz entwickelt hat (siehe Existenzwert) wird sie zwangsläufig reaktionär – auf das Tatsächliche der Gegebenheiten reduziert. Stillschweigend und unter der Haut wird sie sie zu einem Prinzip der Ordnung und Reinheit verselbständigt, die auch gerne als Gottesbeweis (siehe Gott) hergenommen wird. In Wahrheit ist das aber das Gegenteil: "In diesem Sinne sind alle Beweise für das Dasein Gottes Beweise für sein Nichtdasein, Widerlegungen aller Vorstellungen von einem Gott. Die wirklichen Beweise müßten umgekehrt lauten: "Weil die Natur schlecht eingerichtet ist, ist Gott." "Weil eine unvernünftige Welt ist, ist Gott." "Weil der Gedanke nicht ist, ist Gott." Was besagte dies aber, als, wem die Welt unvernünftig, wer daher selbst unvernünftig ist, dem ist Gott? Oder die Unvernunft ist das Dasein Gottes." (MEW 40, S. 372). So ist Gott das Prinzip der allgemeinen Unvernunft, der dem Menschen fremde Urgrund, also der Grund eines Lebens, das sich selbst grundlos ist, weil und solange es keinen vollständig wirklichen Sinn hat, weil es ohne Gott sich sinnlos vorkommt und sich nur durch ihn sich in seinem sinnlosen Sinn verstehen lässt. Es ist Leben in der Aufhebung von Leben, aufgehobenes Leben als Leben der Aufhebung. Durch Gott bekommt alles Sinn, was durch den Menschen keinen Sinn hat, weil der Mensch seine wirklichen Sinne mit seiner sinnlichen Wirklichkeit negiert. Solange er seine Negation nicht erkennt, ist Gott ist das geistige Prinzip eies Lebens, das sich unsinnig erscheint und so erscheinen muss, solange und weil es seinen Sinn nur außer sich finden kann. Gott ist der Inbegriff und die Verewigung des sich fremden Lebens, des entfremdeten Lebens, weil er die Kultivation des entsinnlichen Lebens im Geiste ist, die Selbsttäuschung des Menschen über seine unerreichbare Übermenschlichkeit. Im gesellschaftlichen Verhältnis der ursprünglichen Akkumulatton des Kapitals hält der Gebrauchswert der Waren noch ihren gesellschaftlichen Sinn und Nutzen zusammen. Beides trennt sich erst durch den Geldbesitz über die Kreditwirtschaft einerseits über das Bildungsbürgertum für den Nutzen der Geldverwertung, andererseits als Sinn seiner Kultur, die sich zur Sicherung einer Staatskultur des Kapitals über das Kulturbürgertum verfestigt. Als gesellschaftlicher Wert für den Nutzen im Zweck seiner Verwertung in der Finanzindustrie als Existenzwert eines fiktiven Kapitals ist vor allem Verstand nötig, für die Fortbildung des Lebensstandards der Reproduktion des Lebens vor allem das Durchsetzen einer Vernunft der Kapitalistischen Kultur. Von daher ist das Betreiben Bildungsbürger von anderen Interessen als die der Kulturbürger angetrieben. Im Gegensatz zum Verstand sucht Vernunft ihre Inhalte außer sich zu beurteilen. Aber wenn deer Verstand sich nicht durch Analyse mit Vernunft begabt, wird er blindligs einem ästhetischen Willen und einer ästhetischen Beurteilung nachgehen. Und auch wenn Vernunft sich dem Verstand entzieht, kann Vernunft nur dogmatisch werden (siehe Faktenglaube). Erst nachdem aus dem Verstand durch Analyse deren Substanz objektiv erschließbar ist (siehe Begriffssubstanz), lässt sich darin auch nur eine Vernunft seiner Lebensverhältnisse als notwendige Substanz einer Beziehung erkennen, die ohne dies nur wesenlos - also unwesentlich – für seine Gedanken und die Freiheit seiner Meinungsbildung sein könnte (siehe auch Wählermeinung). Wo sie im Jenseits ihrer unmittelbaren Wahrheit keine Gefühle entwickeln konnte stirbt die Substanz ihrer Erinnerungen. Es verliert ihre Wahrnehmung an Eindrücklichkeit und Aufmerksamkeit – und so stirbt die Wahrheit der Wahrnehmung ab (siehe tote Wahrnehmung). Aber ohne die Wirklichkeit der Vereinzelung zu analysieren und von daher zu begreifen, wird Vernunft den Prinzipien ihrer Gewalten unterworfen und mystifiziert, einem "sophistischen" Menschenverstand der herrschenden Philosophie unterworfen. Im Prinzip des Auskommens mit dem Gegebenen gilt dies – so wie es ist – als ihr vorausgesetzt und soll durch Vorurteile über das gefestigt werden, was wesentlich hierfür gültig sein und gelten soll (siehe auch bürgerliche Wissenschaft). Doch Aufklärung will alle Mythologisierungen aufheben. Von da her kann es eigentlich auch keine absolute Vernunft geben (siehe Religion). Es gibt demnach lediglich die Gegenwart eines geschichtlich Vermögens einer Urteilskraft, wie sie durch die gesellschaftichen Mittel der Verständigung, also der gesellschaftlichen Vermittlungen des Verstandes gegeben ist. Diese Vermittlungen sind wesentlich aber von der geschichtlichen Entwicklung der Lebensverhältnisse und ihrer sozialen Bildung abhängig (siehe hierzu Historischer Materialismus). Vernunft mag logisch sein, doch sie lässt sich nicht logisch begründen. So hatte dies auch schon Immanuel Kants verstanden, um ganz im Widerspruch hierzu der "praktischen Vernunft" die überweltliche Logik einer idealisierenden "Gattungsbegrifflichkeit" vorauszusetzen. Hierdurch aber konnte er ihre Urteile nur zirkulär aus der Vernunft der Notwendigkeiten ihres Verstandes so begründet verstehen, wie diesem ihre Vernunft zugleich vorausgesetzt sein sollen: "Die Vernunft bereitet ... dem Verstande sein Feld" (Kant, Kritik der reinen Vernunft) Und so bleibt die Begründung der Vernunft auch bei Immanuel Kant durch seine Gattungsbegriffe selbst nur in der geistigen Verfassung einer Gesellschaft, im zwiespältigen "objektive Sollen" einer übergeschichtlichen Natur des Geistigen befangen (siehe hierzu auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel): "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir." (Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, A 289) Trotz oder wegen aller Demut vor dem praktischen – und also politischen Verständigkeit – kann Vernunft von daher eigentlich nicht aus einem Gattungswesen begründet sein, wie es die Nationalsozialisten und auch die dialektischen Materialisten und Stalinisten durchgesetzt und dabei dieser Absurdität die ganze Welt in Rechnung gestellt hatten. Reaktionäre Philosophen mit schwächlichem Verstand (siehe tote Wahrnehmung) stellten sich hierfür zur Verfügung (siehe auch Martin Heidegger – und eben auch der ewige Aufklärer Immanuel Kant. Die Losung war von der deutschen Aufklärung formuliert und war auch bisher schon in den Weltkrigen der Modernen "erfolgreich" (Paul Celan: "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland"). Dafür sollte es letztlich nur einen Grund als Prinzip der Weltpolitik geben: der Verstand einer höher bestimmten Vernunft, der politische Verstand einer Weltmacht (siehe Imperialismus). Vernunft wird so zu einer eigenen Disziplin verselbständigt, die dem Verstand vorauseilt, um ihm das zu bieten, was ihm im Allgemeinen zur Verständigung nötig ist, was dem Nutzen des Ganzen unterworfen sein muss, um es im Einzelnen zu erfüllen. Es ist das Prinzip des Opportunismus, der im Bewusstsein wie auch in der Sache gesellschaftlich herrschen soll (siehe auch Kaufmittel), um es im Einzelnen zu erfüllen (siehe auch Zahlungsmittel). Vernunft wird in diesem Zweck zu einer gesellschaftlichen Macht der Genugtuung einer abstrakt allgemeinen Pflichterfüllung, wofür man im Gefolge der herrschenden Verhältnissen dienlich und ordentlich sein muss, das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft, um sich darin im allgemein selbstlosen Dafürhalten einzugliedern. Weil man die Macht der Fakten, dem tatsächlichen Nutzen des Verkaufs von Waren als persönliche Eigennützigkeit im Prinzip ihrer gesellschaftlichen Ordnung, dem Prinzip des Privateigentums in der Form des Geldbesitzes zu vollziehen hat (siehe auch repräsentative Demokratie) - sei es, weil man damit etwas gewinnt oder darin seine zwischenmenschliche Beziehungen hat - seine ordentliche Beziehungen in der Zweifelhaftigkeit des alltäglichen Dazwischenseins. Bezogen auf ihre Wirklichkeit ist Vernunft in sich tautologisch, bloße Logik der Existenzformationen gegen ihre lebendigen Inhalte, die darin zwischen ihrem Logikeinzelnen und allgemeinen Dasein nur zirkulieren können (siehe Geldzirkulation). Sie ist nur gegen die Unvernunft einer Willkür kritisch, für sich kritiklos, wenn sie keine vernünftige Analyse zur Erkenntnis von dem leitet, was im Verständigen notwendig zu ändern wäre. Eine bloße Vernunft aber soll vor allem verstehen, was ist, und danach auch handeln. Eine Vernunft die im Verstand verharrt, bleibt Ideologie und muss nicht sonderlich intelligent sein. Sie ist wesentlich instrumentell und steht von daher sogar im Widerspruch zur Intelligenz, aber auch nicht unbedingt als ihr Gegenteil, wenn sie ein kritisches Verhalten ihrer substanziellen Existenz gegen die Logik ihrer bloße Masse bewirkt. Hegels Begriff von Vernunft ist die Vernunft seiner idealistischen Logik und reduziert alle Wirklichkeit auf die bloße Logik ihrer Erscheinungsform, die nur ihren "Weltgeist" zu äußern hat, wie er sich im abstrakt Allgemeinen der bisherigen Geschichte durchgesetzt hat. Aber gerade darin hat sich das Prinzip der Klassenkämpfe verewigt (siehe historischer Materialismus). Geschichte entwickelte sich in dieser Logik rein objektiv und für die Menschen übermächtig. "Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig." (Hegel, Enzyklopädie I, Einleitung, § 6) So sprach Hegel, dem es nicht gelinen konnte die "Gattungsbegriffe" des Immanuel Kants hinreihend qualifiziert zu überwinden. Er hing ganz offensichtlich dessen hermeneutischen Zirkel des "ewigen Friedens" nach, dem er das Placebo eines aufgeklärten Idealismus beifügte, wie sie für die Phänomenologie des Geistes für eine Phänomenologie ewiger Lebensbewertungen grundlegend wurde. Er musste ja nur dem zussprechen, was seine Tautologie verewigen sollte: Lang lebe die "Vernunft" des Weltgeistes, der eben einfach in allem sei und wirke. Das weiß der Teufel im Großen und Ganzen wie im Kleinen und Einzelnen besonders ausdrücklich zu vermitteln, denn das "preisen die Schüler allerorten, sind aber keine Weber geworden". Der alternde Wissenschaftler musste für sich selbst erkennen, wofür er ausgestattet wurde: "In jedem Kleide werd' ich wohl die Pein Des engen Erdelebens fühlen. Ich bin zu alt, um nur zu spielen, Zu jung, um ohne Wunsch zu sein. Was kann die Welt mir wohl gewähren? Entbehren sollst du! sollst entbehren! Das ist der ewige Gesang, Der jedem an die Ohren klingt, Den, unser ganzes Leben lang, Uns heiser jede Stunde singt. Nur mit Entsetzen wach' ich morgens auf, Ich möchte bittre Tränen weinen, Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen, Der selbst die Ahnung jeder Lust Mit eigensinnigem Krittel mindert, Die Schöpfung meiner regen Brust Mit tausend Lebensfratzen hindert. Zu jung, um ohne Wunsch zu sein. Was kann die Welt mir wohl gewähren? Entbehren sollst du! sollst entbehren! Das ist der ewige Gesang, Der jedem an die Ohren klingt, Den, unser ganzes Leben lang, Uns heiser jede Stunde singt. Der Teufel muss nur aussprechen, was die Verzweiflung an der wissenschaftlichen Vernuft ist: "Wer will was Lebendigs erkennen und beschreiben, Sucht erst den Geist heraus zu treiben, Dann hat er die Teile in seiner Hand, Fehlt, leider! nur das geistige Band." Das Potenzial einer Veränderung, die Kritik kann eben nur subjektiv entstehen, indem sie das abstrakt Allgemeine in seinen vielfältigen Besonderungen aufhebt (siehe Kapitalismus), zu einer menschlichen Geschichte konkreter Subjekte macht, indem die Logik der objektiven Abstraktion unentwegt durchbrochen wird, sodass sich der Mensch vom "Schein ihres Himmelslichts" emanzipieren kann. "Wenn die Tätigkeit der wirklichen Menschheit nichts als die Tätigkeit einer Masse von menschlichen Individuen ist, so muß dagegen die abstrakte Allgemeinheit, die Vernunft, der Geist im Gegenteil einen abstrakten, in wenigen Individuen erschöpften Ausdruck besitzen. Es hängt dann von der Position und der Einbildungskraft eines jeden Individuums ab, ob es sich für diesen Repräsentanten "des Geistes" ausgeben will." (MEW Bd. 2, S. 90). Die Logik des abstrakt Allgemeinen beschreibt letzlich nur die idealisierte Beziehungen einer herrschenden Ordnung, die als Maßstab des "gesunden Menschenverstandes" des positiven Lebens (siehe auch Positivismus) gelten soll. Doch: "Wäre die Vernunft der Maßstab des Positiven, so wäre das Positive nicht der Maßstab der Vernunft. "Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode!" Hugo entheiligt daher alles, was dem rechtlichen, dem sittlichen, dem politischen Menschen heilig ist, aber er zerschlägt diese Heiligen nur, um ihnen den historischen Reliquiendienst erweisen zu können, er schändet sie vor den Augen der Vernunft, um sie hinterher zu Ehren zu bringen vor den Augen der Historie, zugleich aber auch, um die historischen Augen zu Ehren zu bringen." ((Marx-Engels-Werke Bd.1, S. 78) Unvernüftiges Verhalten ist entweder eine Herausforderung der Freiheit als Kritik dieser Ordnung oder eine Selbstzerstörung, weil sie sich ihrer existenziellen Notwendigkeiten entledigt, ohne sich aus diesen zu befreien, ohne sich zu emanzipieren. Es ist die Beziehung auf diese Verhältnisse, das Verhältnis zu ihrer Logik, welches zwischen Vernunft und Unvernunft, zwischen Notwendigkeit und Zufall entscheidet. Doch diese Logik hat System und kann sich von daher auch nicht wesentlich von dem System des Notwendigen unterscheiden. So bestärkt sie vor allem dessen Verbundenheiten und Verbindlichkeiten, das "Gebälk seiner Begriffe" (Friedrich Nietzsche). Von daher sollte nach Hegel die Vernunft die Einseitigkeit des Verstehens verneinen, sich dem Verstand entgegensetzen, und über seine Begrenztheit hinaus auf eine höhere Stufe der Entwicklung spekulieren. "Das Spekulative oder Positiv-Vernünftige fasst die Einheit der Bestimmungen in ihrer Entgegensetzung auf, das Affirmative, das in ihrer Auflösung und ihrem Übergehen enthalten ist." (G. W. F. Hegel: Enzyklopädie, § 82.) Vernunft bleibt von daher allerdings ideell an das gebunden, was notwendig erscheint, also immer auch so subjektiv wirksam, wie objektiv gebunden, durch sich selbst borniert, Das "Positiv-Vernünftige" ist Grundlage einer jeden Ideologie. Diese will vernünftig sein, indem sie Vorstellungen und Sehnsüchte in Vernunft kleidet. So sind z.B. Friede, Freiheit und Gleichheit aller Menschen zwar schöne Vorstellungen und ihre Verwirklichung mag daher auch als das Regulativ ihrer Verhältnisse als vernünftig erscheinen (siehe hierzu auch den Kategorischen Imperativ). Aber in der Tat können sie prinzipiell nur einen Widersinn verwirklichen, weil sie sich substanziell widersprechen (siehe hierzu Liberalismus), also insgesamt unvernünftig, weil unlogisch sein. Indem jeder sich zum Maß seiner Freiheit (siehe auch Egozentrik) und Gleichheit (siehe auch Selbstgerechtigkeit) macht, kann er nicht wirklich friedlich sein. Vernunft als solche gibt es nur gegen die Unvernunft, gegen eine sinnlose Unordnung und Verwahrlosung. Die gängige Redensart zeigt als Appell in einer erzieherischen Beziehung, dass Vernunft nicht unmittelbar sein kann, dass sie vor allem nur den Anschein einer Lösung im Gerümpel des Alltags vermittelt, dass sie nur ein Schein dessen sein kann, was nötig ist, was den Notwendigkeiten der Existenz entspringt. Eine Erziehung zur Vernunft ist an sich unsinnig und dem entsprechend nur nötig, wo die Menschen widersinnigen Lebensverhältnissen unterworfen sind und unterworfen bleiben sollen, und sie sich besser im "Schein des Himmelslichts" zu erfreuen hätten. Wem die bloßen Ereignisse des Lebens zu seiner Sinnbildung hinreichen, dem kann in diesem Licht das Leben immer als lebenswert erscheinen, weil es ihm Erlebnisse zur Verfügung stellt, die ihm jede Lebensangst austreiben könnten - wenn sie denn nur irgendwann auch als deren Problemlösung wahr würden. Doch gerade das ist das Problem mit der Vernunft. Vernunft ist zwar ein Substantiv, hat aber keine Substanz für sich. Sie ist eine Eigenschaft, - die Eigenschaft einer Erklärung welche Klarheit über Zusammenhänge verschafft, die ohne sie nicht wirklich aufzuklären wäre, die willkürlich bliebe, wenn sie sich nicht als schlüssig erweisen und beweisen ließe (siehe Schlussfolgerung). Sie ist notwendig, sinnvoll, wo und weil Not herrscht und weil dadurch, dass durch sie etwas erreicht wird, was sein muss, weil es notwendig ist, und zugleich Emanzipation hiervon möglich wird, wenn es in seiner Logik begriffen und hierdurch überwindbar ist, aufgehoben werden kann. Doch mit der Aufhebung begründet sich keine neue Vernunft, sondern die Befreiung aus ihrer Notwendigkeit, denn Leben kannn nicht vernünftig sein, auch wenn es Verhältnisse schafft, die nicht unvernünftig sind. Vernunft ist das Wissen um das Notwendige, - zugleich aber ohne ein Urteil darüber, ob dieses dem Menschen im Allgemeinen überhaupt nötig ist. Vernunft wendet sich gegen Willkür, und also gegen die persönliche Macht des Nutzens eines unbezogenen und hierdurch beliebigen Willens, der sich in der Not zwangsläufig durch die Ohnmacht seiner Objekte durchsetzt. Vernunft wendet sich also gegen Herrschaft nach Belieben, gegen die Herrschaft der Güte, gegen die Gutsherrrlichkeit der guten Sitte. Sie ist daher eine Reaktion auf diese, keine Entscheidung für den Fortschritt, daher notwendig konservativ und kann nur in der vernünftigen Kritik daran fortschrittlich sein. Sie befördert keine Erkenntnis, weil sie auf dem beruht, was man schon kennt, weil Logik und Prinzipien der Gegebenheiten die Gebote der Vernunft beinhalten. Allerdings schließt dies jene Intelligenz nicht aus, die immerhin über jede Vernunft hinwegkommt, weil sie über alle Gegebenheiten hinausreicht, das Herrschende schon durch ihr Tätigsein kritisiert.. Vernunft kann nur den Gegebenheiten der Existenz entsprechen, ihre impliziten Konsequenzen nutzen und über diesen Nutzen aufklären. Unvernünftig zu sein ist zweifellos unnütz und auf den Selbsterhalt bezogen nicht intelligent. An Vernunft zu appellieren kommt also durchaus den Geisteskräften entgegen, die bedroht sind, wenn sie sich nicht zu ihrer Existenz, zu ihren Lebensbedingungen verhalten. Von daher stellt sich aber die Frage, ob Vernunft nicht einfach nur die Logik eines Sachzwangs ist und betreibt, ob sie also lediglich der Macht der Gegebenheiten folgt, als Zuchtmittel der herrschenden Verhältnisse dient, dem Überleben im Überkommenen gereicht. Dennoch wäre eine unvernünftige Kritik an diesen ein Fiasko, Willkür und Bodenlosigkeit. Vernunft beruht auf den bestehenden Verhältnisen, aber in diesen und mit diesen wird sich gerade deshalb auch die Vernunft nur zu deren Affirmation entwickeln. "Die Vernunft hat immer existiert, nur nicht immer in der vernünftigen Form. Der Kritiker kann also an jede Form des theoretischen und praktischen Bewußtseins anknüpfen und aus den eigenen Formen der existierenden Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sollen und ihren Endzweck entwickeln. Was [aber] nun das wirkliche Leben betrifft, so enthält grade der politische Staat, auch wo er von den sozialistischen Forderungen noch nicht bewußterweise erfüllt ist, in allen seinen modernen Formen die Forderungen der Vernunft. Und er bleibt dabei nicht stehn. Er unterstellt überall die Vernunft als realisiert. Er gerät aber ebenso überall in den Widerspruch seiner ideellen Bestimmung mit seinen realen Voraussetzungen." (MEW 1, S. 345) Es ist eben vor allem intelligent, was über das Bestehende hinauszuwirkt, sich ihm widersetzt, um Neues zu gestalten. Die Kritik der Verhältnisse hat ihren subjektiven Grund jenseits der Vernunft, geht über diese hinaus, befreit sich aus der Vernunft der Gegebenheiten, die in ihren Widersprüchen zirkulieren, und wird hierdurch zur Grundlage der Emanzipation von diesen - aber eben auch durch den Nachweis, dass diese ihrer eigenen Vernunft widersprechen. Deshalb kann Kritik nicht einfach unvernünftig sein. Wo Unvernunft herrscht, also Willkür mächtig ist, ist Vernunft not-wendig, um über das Notwendige zu urteilen. Von daher steht Vernunft auch notwendig im Widerspruch zur Freiheit und verlangt nach der Einsicht in die Notwendigkeit. Aber sie ist nur objektiv, vollzieht nur die Logik des Bestehenden nach. Die subjektive Seite der Emanzipation ist eine Inteligenz, die sich nicht in der Not gefangen hält. Freiheit wird durch Vernunft zwar einsichtig, indem sie sich ihrer Willkür entledigt und sich dem Nötigen zuwendet. Sie stellt sich aber gerade über die Not, welche die Vernunft als ihren Antrieb weiß, und weist darüber hinaus. Wer sich seiner Not entzieht, kann nicht frei sein. Ebenso aber auch, wer nur tut, was nötig ist. Denn nur in der Freiheit beginnt die Entwicklung eines Sinns, der sich über das Gegebene hinaus bildet (siehe Sinnbildung), indem sie dessen Gewalt in sich und durch sich tätig, also praktisch aufhebt, sich ihrer Macht entledigt, indem sie auch erkennt, was daran unnötig, nicht wirklich notwendig ist (siehe Emanzipation). In der Vernunft wird dieses zu einem absoluten Objektivitätsverständnis, das sich auch leicht zu einem Totalitarismus verselbständigen kann. Von dieser Seite wird sie zum Werkzeug der Affirmation einer Macht, die keinen Grund außer sich selbst hat, ihre Vernunft als höchstes Eigentum der Übermacht entfremdeter Verhältniss hernimmt, als Recht auf den Raub jedweder Eigenheit durch Besitz, durch den Ausschluss ihrer Gesellschaftlichkeit (siehe hierzu Privateigentum). Denn sie vertritt nichts als die Logik der herrschenden Form, als ein Verstand über das, was als objektiv nötig gilt, auch wenn es ein Unding ist. Vernünftig ist dann die Form schlechthin, die Inhaltslosigkeit als Erfolg einer Funktionalität, die allgemein und ihrem Wesen nach ohne Grund wirken kann und somit die Wirklichkeit schlechthin als ihren Maßstab hernimmt. Friedrich Engels hat dies an Hegels Vernunftverständnis dargestellt: "Kein philosophischer Satz hat so sehr den Dank beschränkter Regierungen und den Zorn ebenso beschränkter Liberalen auf sich geladen wie der berühmte Satz Hegels: "Alles was wirklich ist, ist vernünftig, und alles was vernünftig ist, ist wirklich." Das war doch handgreiflich die Heiligsprechung alles Bestehenden, die philosophische Einsegnung des Despotismus, des Polizeistaats, der Kabinettsjustiz, der Zensur. Und so nahm es Friedrich Wilhelm III., so seine Untertanen. Bei Hegel aber ist keineswegs alles, was besteht, ohne weiteres auch wirklich. Das Attribut der Wirklichkeit kommt bei ihm nur demjenigen zu, was zugleich notwendig ist; "die Wirklichkeit erweist sich in ihrer Entfaltung als die Notwendigkeit"; eine beliebige Regierungsmaßregel - Hegel führt selbst das Beispiel "einer gewissen Steuereinrichtung" an - gilt ihm daher auch keineswegs schon ohne weiteres als wirklich. Was aber notwendig ist, erweist sich in letzter Instanz auch als vernünftig, und auf den damaligen preußischen Staat angewandt, heißt also der Hegelsche Satz nur: Dieser Staat ist vernünftig, der Vernunft entsprechend, soweit er notwendig ist; und wenn er uns dennoch schlecht vorkommt, aber trotz seiner Schlechtigkeit fortexistiert, so findet die Schlechtigkeit der Regierung ihre Berechtigung und ihre Erklärung in der entsprechenden Schlechtigkeit der Untertanen." (MEW 21, S. 266) Die Rationalität des Kapitalismus steht z.B. als einerseits erfolgreiche Ersparnis vernünftig der Unvernunft gegenüber, die durch deren Konsequenz die Menschen immer ohnmächtiger gegen die kapitalisiserte Technologie werden lässt. Vernunft ist so widersprüchlich wie die Logik der Verhältnisse, auf die sie sich bezieht. Es ist nicht das Leben, das vernünftig sein könnte. Im Gegenteil: Vernunft kann nur rein objektiv sein. Von daher betreibt Vernunft mit ihrer Objektivität zugleich die Disqualifikation des Subjektiven und des Unbegrifffenen, die Herabsetzung des Unlogischen und vollstreckt die Lebensbemächtigung des Gegebenen, denn Leben ist unlogisch. Wenn Eltern an die Vernunft ihrer Kindern appellieren, dann wollen sie, dass sie sich an einen Verhalt angleichen, der ihnen geboten erscheint. Vernunft kann man nicht wollen, aber es kann gut sein, ihr zu folgen - oder auch nicht. Das Gebot ist natürlich meist vernünftig, aber nicht unbedingt Sache der Kinder. Es will ihre Verhältnisse bestimmen durch einen Zweck, der für sich vernünftig, aber nicht von ihnen gewollt ist (z.B. Ordnung halten usw.) und auch nicht unmittelbar ihren Bedürfnissen entspricht. Vernunft dient zunächst also der Begründung für Moral, indem sie ein Verhalten oder eine Absicht auf ihre "Gangbarkeit" und Güte prüft, aufzeigt, was innerhalb der gegebenen Bedingungen gut für ein ganzes Verhältnis ist, was nicht. Sie unterstellt ein Ganzes, dessen Wirklichkeit ihre Voraussetzung ist und aus dem heraus sie allgemein urteilt und das für vernünftig ansieht, was in diesem Ganzen aufgeht, und das als unvernünftig abwehrt, was ihm widersagt oder widerspricht. Vernunft beruht auf der Logik eines Verhältnisses und bestärkt dessen immanente Systematik und bekämpft deren Transzendenz. Sie ist die Rückvermittlung der Menschen an Verhältnisse, die nicht unbedingt die ihren sein müssen. Von daher steht sie immer als Behauptung von der Vernünftigkeit des Ganzen im Widerspruch seiner Vermittlung. Vernunft fordert Widerspruchsfreiheit durch Allgemeinsetzung der Güte des menschlichen Lebens. Sie ist der Imperativ des Guten schlechthin, das durch das Handeln der Menschen erst zum Leben erweckt wird: Handle so gut, wie du behandelt sein willst. Das betreibt eine implizite Verkehrung von Leben und Güte: Bevor Leben wirklich ist, seine Widersprücke da sind, könnte alles giut sein, wenn alle Gutes tun. Das ist die Grundlage des bürgerlichen Bewusstseins, das sich damit von einer schlechten Welt enthebt. Im Grunde ist es das, was es ausschließen will: Religion, der Glaube an die unendliche Rückbeziehung des Menschen auf seine Güte. Kant hat dies in einen kategorischen Imperativ aufgelöst, indem er das Ganze als maximale Absicht des Willens wie einen Allgemeinwille vorstellte, der so in jedem einzelnen Willen wirksam sein könne. Er ist an der Widersinnigkeit seines Allgemeinwillens gescheitert, der von den Nationalsozialisten zur Begründung von Gesinnung durchaus folgerichtig genutzt wurde. Mit der Kritik der Gesinnung stellte sich die Frage, wieweit ein Ganzes überhaupt allgemein sein kann und sich als solches rückvermitteln muss. Als allgemeingültige Ganzheit stellt es sich notwendig als eine Gewalt der Abstraktion vom Einzelnen und gegen dieses heraus. Von daher bestimmt sich Vernunft durch sich selbst: "Es setzt sich nur so viel von der Vernunft durch, wie die Vernünftigen durchsetzen." (Bert Brecht). Hieraus ergibt sich auch der doppelte Sinn von Vernunft: Zum einen ist sie ein herrschendes Prinzip, dem sich die angleichen können, die nicht ihr Opfer sind, zum anderen ist sie die Hoffnung des Opfers auf einen Sinn von der Vorherrschaft der Vernunft. Friedrich Engels hat diese Vernunft der Aufklärer, besonders der französischen Philosophen des 18.Jahrhunderts, in ihrem Verhängnis erfasst: "Wir sahen in der Einleitung, wie die französischen Philosophen des 18. Jahrhunderts, die Vorbereiter der Revolution, an die Vernunft appellierten, als einzige Richterin über alles, was bestand. Ein vernünftiger Staat, eine vernünftige Gesellschaft sollten hergestellt, alles, was der ewigen Vernunft widersprach, sollte ohne Barmherzigkeit beseitigt werden. Wir sahen ebenfalls, daß diese ewige Vernunft in Wirklichkeit nichts andres war, als der idealisierte Verstand des eben damals zum Bourgeois sich fortentwickelnden Mittelbürgers. Als nun die französische Revolution diese Vernunftgesellschaft und diesen Vernunftstaat verwirklicht hatte, stellten sich daher die neuen Einrichtungen, so rationell sie auch waren gegenüber den frühern Zuständen, keineswegs als absolut vernünftige heraus. Der Vernunftstaat war vollständig in die Brüche gegangen." (MEW 20, S. 239) Das unmittelbare praktische Leben selbst ist unvernünftig, auch wenn seine Natur als Gewordene, also im Nachhinein ihrer Geschichte, mehr oder weniger vernünftig erscheinen mag, weil sie schlicht einen Sinn hat und sich in diesem auch gestaltet. Aber in ihrem Werden regelt sich dies nicht nach Vernunft, die somit vorgegeben wäre, sondern nach der Einflußnahme verschiedenster Wirkungen, deren Resultat nur dadurch vernünftig ist, dass es da ist und als dieses Resultat eine Logik des Daseins enthält, das nur durch Unvernunft gesprengt würde. Man spricht von der Vernunft des kosmischen Ganzen und setzt diese oft bruchlos mit einer Vernunft im sozialen Verhältnis gleich, ja, begründet gar das eine durch das andere. Doch die Beziehungen in der Natur haben keine Systematik, keine selbständige Ganzheit. Sie wirken in uns, indem wir sie vollziehen, weil wir Teil der Natur sind und zugleich doch über sie hinaus tätig sind. Und nur unsere Tätigkeit stellt die Frage nach seiner Vernunft. Aber auch das einfache Tun in unserem praktischen Leben hat für sich keine Vernunft nötig, solange die Menschen ihre Verhältnisse darin überschauen können, ihre Wirkungen erfahren und ihre Wirklichkeit erleben. Nur wo es sich systematisiert hat, wo es Verhältnisse gebildet hat, die in sich selbständig sind, erscheint Vernunft auch als ein Vermittlungsprinzip geboten. Vernunft als Gebot ist die Moral der Notwendigkeit von Gegebenheiten, welche eine Folgsamkeit gegenüber ihrer Logik fordern. Um sich an ihr nicht zu zerreiben wird Vernunft auch zur Handlungsanleitung für diese Gegebenheiten, wodurch ein hierin sinnvolles Verhalten gewährt ist. Vernünftig ist jeder, der alles sinnvoll sieht, was unter dieser Bedingung Sinn macht, auch wenn es keinen Sinn hat. Von daher waren z.B. auch die Rassentheoretiker der Nationalsozialisten vernünftig, so barbarisch die Grundlagen ihres Systems waren. Sie hatten für ihr System eine stringente Erlösungstheorie, die in sich folgerichtig war und einem Heilsprinzip zum Erfolg verhelfen wollte. Ihre Vernunft der Reinhaltung der höheren Rassen von den schlechten Instinkten der niederer Rassen (worunter die Juden, aber auch "primitive Völker", Slaven und dergleichen gerechnet wurden) leitete sich aus der Theorie des gesunden Volkskörpers ab. Von da her war das Recht des reinen Blutes, also das Unrecht der Rassenmischung zu beurteilen, das in sich pervers war und sehr umfassende und vernichtetende Folgen für viele Menschen hatten. Jede Perversion begründet sich vernünftig eben auch in ihrer Verkehrung. So haben die Zwangssterilisationen und die Euthanasie-Prozesse gezeigt, dass dahinter die Vernunft einer Verkehrung stand: Der Staat sollte als Kulturstaat die Menschen ersetzen und durch den in seinem Sinne kultiverten, dem staatsreinen Menschen begründet werden. Hierzu machte er Gesetze zur Reinhaltung der "besseren Instinkte", was zu einem allgemeinen Prinzip wurde. Niemand hatte hinterfragt, was diese Kultur war und warum Kulturstaat nicht sein kann, weil zwar eine Vernunft des Ganzen vorgestellt war, aber keine Erkenntnis von Kultur bestand. Nur hierdurch konnte diese Vorstellung tatsächlich und massenhaft zu einer nationalen Gesinnung werden. Vernunft ist die Logik der Moral, die Zwangsfolge der Ideologie des Gegebenen. Ihre Kritik ist der Anfang des Denkens. Wer Vernunft selbst für unhinterfragbar hält, will eine Ordnung durchsetzen, über die nicht zu streiten sein soll. Dem Denken wird eine Falle gestellt, wenn es vernünftig daherkommt, sich in die Vernunft der bestehenden Ordnung einschleicht und dabei eben doch etwas ganz anderes betrieben wird. Die Kritik der reinen Vernunft (Kant) hatte dazu geführt, dass sie als Imperativ sich auf die Menschen beziehen sollte (siehe Kategorischer Imperativ). Von da her war Vernunft als praktisches Regelwerk des freien Willens aufgefasst, der sich in vernünftiger Selbstbeschränkung allgemein geben und verstehen soll. Eine solche praktische Vernunft scheitert allerdings auch notwendig an ihrer Selbstbegründung: Praktisch lässt sich ihre Allgemeinheit erst nach ihrem Vollzug beweisen, was ein Urteil erst möglich macht, nachdem es gefällt war: Ich kann nicht wollen, was ich als Allgemeinwille mir vorstellen kann - nachdem ich aber meinen Willen verwirklicht sehe, kann ich dessen Beschränkung allgemein beurteilen. So konnte sich der "ewige Frieden" noch nicht herstellen, weil jede Partei ihrem Willen nach allgemein sein muss gegen die andere. In der Psychologie gilt Vernunft als eine Begabung der Selbstbeherrschung, ein Prinzip, durch welches Realität erst zu meistern sei (Realitätsprinzip). Aber was ist dann dieses Vernünftigsein und diese Realität: Selbstbeherrschung zugunsten einer höheren Seinsweise, einer besseren Kultur? Ist Vernunft die Fähigkeit zur Refexion, welche den Menschen zum Menschen, zum vernunftbegabten Wesen macht, das durch Vernunft erst seine Entwicklung, seine Zivilisation begann und von da her über dem Tier und aller sonstigen Natur steht? Ist die die "Einsicht in die Notwendigkeit", von der Hegel sagt, dass sie die Freiheit des Menschen ausmache? Selbstbeherrschung kann schlecht Freiheit sein, auch nicht im Nachhinein: Wie soll das Beherrschte wissen, was gut für den Menschen sei? Für die Vernunft gibt es nur die Notwendigkeit eines Resultats, Beherrschung, damit etwas werde, Selbstbeherrschung für etwas, das nützlich sein muss: Mittel einer Bedürfnisbefriedigung, wie Freud meint. Wenn dem so ist, so hat die Vernunft aber gleichermaßen dazu beigetragen, eigene Mittel dadurch zu finden, dass fremde genutzt werden, dass Befriedigung des Mächtigen erreicht wird, indem der Ohnmächtige beherrscht wird. Vernunft taugt genauso dazu, Zivilisation zu erreichen, wie auch dazu, sie zu zerstören. Indem sie Selbstbeherrschung verlangt, dient sie auch dem Prinzip einer Macht und kann in ihrem Sinne Frieden erzwingen, wie sie die Herrschaft der Gewalt zu industrialisieren vermag. So unmittelbar menschlich kann Vernunft nicht sein. Schon Goethe hat Vernunft (allerdings nur aus dem Mund Mephistos) als "Schein des Himmelslichts" hingestellt, als Blendwerk der Vorstellung von einem höheren Wesen, das gegen tierhafte Sinne taugt, die Fahigkeit, durch höhere Folgerung das Niedere beschönigen und betreiben zu können: schlussfolgernde Absicht. Vernunft sei unser aller Vorteil, sagt der Gott der Aufklärung. Sie habe von daher einen höheren Zweck, sei der Sinn, den jeglicher Fortschritt nur haben kann. Wenn Vernunft die Fähigkeit zu einer Schlussfolgerung ausmachen soll, die zum Vorteil aller Beteiligten führt, so gibt es diese durchaus auch schon im Tierreich. Vernünftig ist dann das meiste, was auch Tiere tun. Vernunft wäre so schlicht die Fähigkeit, einzusehen, was nötig ist. Aber die Aufklärung hat sie als Prinzip der notwendigen Sittlichkeit Kant) ausweisen wollen und damit eine Trennung von natürlicher Notwendigkeit und Kultur erzeugt. Im Vollzug der Geschichte hat sich gezeigt, wie diese als Gesinnung sich selbst zum Zynismus gegen die Menschen entwickelte. Ihre Vernunft erwies sich als die Rationalität einer menschenlosen Sachlichkeit, die sich über dem Zusammenhang der Menschen als logische Struktur gegen ihr Leben ausrichtete. Und auch wenn Sloterdijk diesen Zynismus durch Kritik zu überwinden oder als gegebene Notwendigkeit auszugleichen vermeint, so treibt er mit seiner kynischen Vernunft doch nur das Leben der Menschen zur Camoufflage ihrer Verhältnisse (Menschenparks). Vernunft ist ein rein sachliches Prinzip, was die Logik eines Zusammenhangs ausmacht. Vernünftiges Verhalten ist daher immer ein diesem Prinzip folgendes Verhalten zum Nutzen eines Anwendungszweckes, wie er in der Sache steckt. Vernünftig verhalten sich Menschen ausschließlich zu ihrem Nutzen, ob dieser einzeln oder allgemein ist. Dies muss nicht unbedingt fortschrittlich sein. Um vernünftig zu sein, ist die Erkenntnis der Logik nötig, welche in solchen Verhältnissen sachlich wirkt. Diese ist nicht der Erfahrung und auch nicht dem Verstehen zu Folge, sondern ergibt sich alleine aus dem Denken in der Schlussfolgerung, dass ein Ding oder ein Verhalt nur als Mittel eines Zwecks zu verstehen ist, der also auch nur durch Vernunft zu erreichen ist. Vernunft ist kein subjektives Vermögen "die Verstandesregeln unter Prinzipien zu ordnen" (Kant), sondern Resultat von gegenständlichem Denken, Folgern und Schlussfolgern, welches aus der Ungewissheit einer Sache oder eines Verhalts nötig ist. Sie ist die Auffassung sinngegebener Logik, welche nur objektiv sein kann. Vernunft ist die Rationalität eines Urteils und seine Entsprechung mit den Sinngegebenheiten. Ein Kunstwerk kann nicht vernünftig sein (Oskar Wilde), ein Mensch muss es manchmal. Vernünftig ist, was so bestimmt ist und nicht anders. Bestimmung gilt der Vernunft also immer schon als objektiv und wird erst durch ihre Logik im Bezug zur menschlichen Lebenswelt erkannt. Insofern ist Vernunft ein Begriff für den Nachvollzug dessen, was in der Wahrnehmung verstanden worden war und sich als Bestimmung verstehen lässt, wie sie erscheint und nicht anders (siehe Verstand). Eine Bestimmung, welche eine andere aufhebt, gilt als unvernünftig, wenn sie sich dieser nicht überordnet. Der Begriff der Vernunft war aus der klassischen Philosophie heraus aus der Metaphysik der Idee entstanden, dass das Walten göttlicher Vernunft das Bestimmende des Lebens sei. Durch das Dilemma der Evidenz (Descartes) war durch die Entwicklung des Vernunftsbegriffs Gott zumindest als Vernunftswesen zu bezweifeln. Descartes zu Folge konnte nichts vernünftig sein, was ich nicht denken kann, weil das Denken die ursprünglichste Evidenz der Vernunft, der Beweis des Selbstbewusstseins, ist ("Ich denke, also bin ich"). Im darauf gründeneden Bestreben der Aufklärung hatte sich aus der kritischen Vernunft selbst die Kritik Gottes ergeben: Vernünftig konnte die Bestimmung des Menschen in unendlicher Bestimmtheit nicht sein. Die Abweisung der Theologie hatte mit dem Rationalismus der Aufklärung begonnen und der Vernunft eine unlösbare Position gegeben: Sollte sie für den Menschen sein, konnte sie nur menschlich werden, indem der Mensch vernünftig wird, sollte sie ihn entwickeln, konnte sie nur vernünftig sein, wenn sie nicht menschlich ist. Was Menschen tun und was zugleich über ihr Sein hinausweist, was sie erzeugen und darin zugleich werden, war vernunftgemäß nicht auflösbar. Aus dem heraus gab es eigentlich nur eine Entscheidung zwischen dem Menschen als vernünftig werdender Mensch und dem Menschen, der vernünftigerweise nicht Mensch sein kann, damit er sich endlich als Mensch ereignet. Rational ist die Schlußfolgerung, welche Vernunft hat, für den Menschen erst in der Logik der Sache. Die Kritik der Vernunft wurde (zum Ende des 18. Jahrhunderts) zur Erkenntnis, dass ihr Begriff dem Menschen ein bestimmtes Sein abverlangt, dass der Mensch also von seinem Sein entfremdet ist (siehe Hegel). Diese Erkenntnis hat Marx dahin gebracht, der Philosophie die Durchdringung der dem Menschen fremden Sache als vom Menschen enfremdete Wirklichkeit seiner sachlichen Verhältnisse aufzuerlegen. Dies hat ihn zur Kritik der politischen Ökonomie, also zur Kritik der Ökonomie, welche die Rationalität der versachlichten Arbeit affirmiert, geführt. Marx wendete die Philosophie in die Kritik der politischen Ökonomie, in die vernünftige Kritik menschlicher Wirklichkeit als menschliche Gegenständlichkeit. Nietzsche verewigte die Kritik der Vernunft zur Erkenntnis des ungeborgenen Menschen, des zweifelnden Individuums, das nur im Zwiespalt von Rationalität und Kunst leben und sich seine Wahrheit nur einbilden und ästhetisch ausdrücken könne. Der wesentliche Geist könne nur als schmerzhafte Intellektualität bestehen, die gegenstandslos gegenüber einer Welt des Grauens verharrt, bis sie aus ihr als Härte des Übermenschen gegen das Schicksal hervortritt. Aus dem identitätstheoretischen "Skandal" (Nietzsche), der im Gottesglaube noch geleugnet war, hatte sich ihm die Unmöglichkeit des Strebens nach Wahrheit als eine Vernünftigkeit erschlossen, welche das Denken von Wesenheiten als fromme Illussion entlarvt. In der venünftigen Kritik der Vernunft, die keinen Gegenstand haben will, wird Nietzsche zu ihrem Übersinn, zum Gleichnis des Menschseins, der gleichermaßen Gott verneint, wie er sein Urteil über die Menschen als unvernünftige Wesen bejaht, der ästhetische Vollkommenheit zu seinem Willen hat und die Vernunft als das Werkzeug für sich nimmt, das er der Wahrheit stiehlt: Wo das Denken wesentlich Wahrheit konstatiere, stelle es nur Übereinstimmung mit seinen eigenen Produkten, Ausdruck seines Wesen fest, bleibe bei sich selbst. In ohnmächtigem Bewusstsein befangen, bleibe das Sein sich identisch und Bewusstsein schlechthin, "Gebälk der Begriffe". Der Mensch müsse sich durch sich selbst versetzen, um lebendig zu sein, und dies geschehe nur durch Entstellung und Selbstaufhebung. Das Bewusstsein müsse sich täuschen, um Bewusstsein sein zu können, es müsse sich entstellen, um Wahrheit zu finden und zu haben. Es muss daher seine Werte beständig umwerten, sich jeder Kausalität entziehen und sich gegen seine Objektivität sträuben. Alles Wissen ist nur Moment eines ästhetischen Verhältnisses zu sich selbst. Zwischen Subjekt und Objekt "gibt es keine Kausalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern höchstens ein ästhetisches Verhalten" (Nietzsche "Über Wahrheit und Lüge" WW V, S. 317). Vernunft wird so kritisiert, aber auch bewahrt wie ein notwendiger Hintersinn, der sich fortwährend zu bewähren habe. Die vollständige Abtrennung des Bewusstseins von der Objektivität hat schließlich Heidegger betrieben, der es mit einem Sein identifizierte, das unter allem Seienden nur wie eine Lichtgestalt hervorscheinen könne, wie ein Raunen der Wahrheit gegen die Seinsvergessenheit der Moderne. Hiermit allerdings wird Vernunft selbst wieder zur Mythologie, unendliche Vorstellung eines Prinzips, welches nicht Sein kann, wenn es nicht sein will. Das nun ist höchste Aufklärung in ihrer vollkommenen Selbstzerstörung, indem sie sich gegen Geschichte überhaupt wendet, sie zu einem Willen macht, der Ergriffenheit verlangt. Dieser Art von Kritik der Vernunft und der Aufklärung haben sich viele Intelektuelle bis zum heutigen Tag als Existentialisten oder Dekonstruktivisten angeschlossen (z.B. Sartre, Horkheimer, Adorno und Foucault), die sich dennoch als Marxisten verstehen. Der Nachweis, dass sie auf eine fatale Art in der Aufklärung verstrickt bleiben, wird z.B. bezogen auf die Kritische Theorie von Norbert Trenkle in seinem Aufsatz "Gebrochene Negativität" erbracht. |
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