Allgemein ist unterstellt, dass wir das, was wir wahrnehmen auch wahrhaben. Dies jedoch würde jeden Gedanken darüber, warum so vieles unbewusst geschieht, überflüssig machen. Tatsächlich ist es das wesentliche Thema aller Psychologie, dass die Wahrnehmung äußerst unvollständig ist und immer wieder darauf verweist, das Wahrgehabtes nicht in der nötigen Gewissheit wahrgenommen wurde und jedem Zweifel ein "freies Feld" des Beliebens und des Glaubens überließ. Dessen Abstraktionskraft ist die Wirkung einer antäußerten Beziehung. Sie entsteht im Trieb ihres Unfriedens in einer unbefriedigten Beziehung, die sich sinnlich verselbständigt hat, die also gewalttätig wird, wo und weil sie unsinnig geworden, wo sie substanziell außer sich geraten ist und im Trieb ihrer wesentliche Lebensäußerung entstellt und in ihrer Entstellung entstellt sit, die sie verrückt macht. Eindrucksvoll hatte Sigmund Freud besonders bei Zwangshandlungen und Angstzuständen gezeigt, dass sie einen Kompromiss der Psyche belegen, zwischen dem,was wahrgenommen wird, von ihr aber nicht wahrgehabt werden darf. Für ihn war das Unbewusste der wesentliche Gegenstand der Psychologie und die Auflösung seiner Konflikte das allgemeine Ziel der Psychoanalyse. Indem er aber darin nur eine psychische Konfliktlösung in den betroffenen Individuen sah, verschloss er sich der Erkenntnis, dass darin überhaupt die Psyche als gesellschaftliche Form einer Abwesenheit von gesellschaftlichen Verbundenheiten zu begreifen ist. Die Wahrheit einer Beziehung besteht in ihrem Sein, also im Ganzen der Zusammenhänge ihrer Erkenntnis, in ihrer Totatiltät. Wenn ich eine Beziehung zu etwas habe, so verwirklicht sich darin auch meine Beziehung zu anderem - nicht nur in der Form ihrer unmittelbaren Anwesenheit, sondern auch dem Sein, das darin allgemein vermittelt ist. Wenn ich wahrnehme, so habe ich hierin alles wahr, wodurch mir dieses Gegenstand geworden ist. Die Wahrnehmung ist hierdurch eine relative Beziehung zum Wahrhaben, eine, die in sich und durch sich und für sich nur solche Wahrheit hat, die sie sich nimmt von dem, was sie wahr hat. Alle Wahrnehmungen haben einen Grund, der nicht durch sie ist, aber in ihnen erscheint. Bin ich z.B. Tourist, so ist auch meine Wahrnehmung von Land und Leuten touristisch. Was in Wahrheit Not und Schufterei ist, kann romantisch für einen Touristen sein, was Glück und Frieden für die Einheimischen ist, kann ihm öde vorkommen. Ich kann mich auch als einen ganz besonderen Touristen ansehen, beste Kommunikation und Kontakte pflegen und tiefere Einblicke in deren Leben bekommen; ich bleibe doch, was ich in meinem, ganzen Leben bin, was ich also darin wahrhabe, und sehe anderes Leben nur so, wie ich es von meinem aus auffassen kann. Es gibt objektive Beziehungen, in welchen sich Menschen wahrnehmen. Aber eine objektive Wahrnehmung gibt es nicht, weil und sofern sie subjektiv durch das bedingt ist, was ein Mensch wahrhat. Und indem sie bedingt ist, ist sie auch nicht subjektiv, einfaches Auffassen. Sie ist objektiv und subjektiv in einem. Damit enthält jede Wahrnehmung eine zwiespältige Wahrheit: Wahrnehmung setzt einen äußeren Gegenstand voraus, also einen Gegenstand, der ein anderes Dasein hat als der wahrnehmende Mensch. Und sie findet darin zugleich nur die Wahrheit, die ihm durch seine objektive Bestimmtheit gegeben, wie er auch dem wahrnehmenden Menschen zu eigen ist. Ohne einen Sinn für das, was außer mir ist, gibt es keine Wahrnehmung (siehe Subjektivität). Ich nehme wahr, was mir eine von mir unterschiedene äußere Wahrheit (siehe Objektivität) ist und bin dabei bestimmt von dem, was für mich wahr ist. Was ich außer mir wahrhabe, kann ich für mich nicht wahrnehmen und was ich wahrnehme, habe ich durch mich nicht wahr. Wo ich darin etwas finde, habe ich eine Empfindung, und befinde mich zugleich in dem, was ich wahrhabe und was ich daher fühle. In der Empfindung befindet sich also auch mein Gefühl durch die Wahrheit in dem vermittelt, was ist. Und was ich befinde, das gründet hierauf, auf dem, was das vielfältige Wahrnehmen und Wahrhaben in mir als solche Erkenntnis und Befindlichkeit hinterlässt, was also darin meine Wahrheit für mich ist (siehe auch Gedächtnis). Mein Leben bewegt sich in der Befindlichkeit meiner Erkenntnisse; es vollzieht und entwickelt und erweitert sich in der Wahrnehmung meines gegenständlichen Lebens, zwischen mir und den Gegenständen meiner Labenswelt (siehe auch Dazwischensein). Alles, was ich in einer Beziehung hierauf wahrhabe und also empfinde, ist bestimmt durch den Sinn, den ich hierfür bereits gebildet habe (siehe Sinnbildung), durch das Gespür, durch die in meiner bisherigen Lebensgeschichte entwickelten Fähigkeiten meiner Sinne, durch das Gefühl, das ich in meinem Leben gebildet habe. So wie die ganze Menschheitsgeschichte nichts anderes ist als die Bildungsgeschichte der menschlichen Sinne im Selbstwerden, der Selbsterzeugung durch ihre Arbeit (Marx), so ist die Bildung meiner Sinne die Entwicklungsgeschichte meines wirklchen Lebens, vergangene Erlebnisse und Beziehungen und Erkenntnisse, die sich im wirklchen Dasein durch die Anstimmungen meiner Beziehungen – in der Zwischenmenschlichkeit meiner unmittelbaren Wahrnehmung – auftun. Ich habe diese eben nur als gefühlte Beziehung wahr, während ich in ihr etwas wahrnehme. Ich empfinde, was mich darin empfinden lässt und was ich finden kann. Der Gegenstand meiner Empfindung ist sowohl in mir wie zugleich außer mir – in meinem Lebensraum zu meiner Lebenszeit. Von daher vefmittelt er sich selbst in den Stimmungen meiner zwischenmenschlichen Beziehungen zu einem mehr oder weniger dauerhaften Selbstgefühl. Die Empfindung desselben Gegenstands kann sich vielfältig unterscheiden. Dasselbe Essen schmeckt anders, wenn ich es alleine oder wenn ich es zusammen mit Freunden einnehme, wenn ich es unter heftigem Stress oder mit sorgenvollem Gemüt verschlinge, oder wenn ich es ausgeruht und bedacht und mit Aufmerksamkeit genießen kann. Es ist die Subjektivität meiner Wahrnehmung, der Sinn, den ich nicht unmittelbar erkennen kann, weil er in meiner Wahrnehmung tätig ist – auch wenn er unbewusst beleibt. Indem ich die Gegenstände meines Lebens wahrnehme habe ich ihr Gewordensein vor Augen, Ohren usw.; ihr Werden ist dem vorausgesetzt, ist eine Wahrheit, die ich habe, indem ich wahrnehme. Es ist keine äußere Wahrheit, sondern der Grund der Wahrnehmung, der Sinn meiner Erkenntnis. Unmittelbar wahr habe ich, was ich rieche, schmecke, sehe, höre, fühle usw.. Es ist sinnliche wahr, und alles, was ich erkenne, gründet zunächst mal darauf. Dazu wäre nicht nötig, mehr zu sagen, wenn überhaupt. In der Empfindung eines Gegenstands verwirkliche ich meine Beziehung zu seinem Dasein, dem die Wahrheit seiner Geschichte inne ist wie auch die meine, ohne anders zu sein, als da zu sein. Die Empfindung realisiert dies in einer ausschließlich einzelnen unmittelbaren Bezogenheit, in welcher der Sinn der Empfindung mit ihrer Sinnlichkeit, mit ihrem sinnlichen Tätigsein eins ist. So sehr die Empfindung unmittelbar ist, so weltlich ist sie. Sie empfindet, was sie wahrhat, wie sie befindet, was sie hat. Erst in der Abtrennung dessen, was sie wahr hat, wird Empfindung zu einer Selbstbefindlichkeit des Augenblicks, zur Wahrnehmung für sich, zu einer Wahrheit, die einen anderen Sinn hat, als sich selbst, als die Befindung der Wahrnehmung. Total ist solche Beziehung im Konsum, der sich vollständig und einzig aus der Oberfläche der Sache ergibt, aus ihrem Reiz und Kitzel, der in solcher konsumhaften Empfindung ausschließlicher Bezug auf die Sache (oder den Menschen) ist, und daher alles Ausgeschlossene wahrhaben muss. Das Wahrgehabte ist die Wahrheit der Wahrnehmung und nur mit ihr zusammen ist Erkenntnis möglich. Je äußerlicher die Wahrnehmung daher ist, desto veräußerter ist auch der Sinn, den ich hierbei habe und desto umfangreicher müssen - wenn nötig - ihre "Hintergründe" erforscht werden, soll sie zur Erkenntnis gelangen, also zu einer wesentlichen Beziehung auf ihren Gegenstand werden. So äußerlich der Sinn einer Wahrnehmung sein kann, so äußerlich muss er auch sein, um nicht mit ihr zu brechen. Dieselbe Wahrnehmung kann bloßer Schall und Rauch sein, so sie nicht in selbem Sinn wahrgehabt ist. Wo ich ganz anderes wahrhabe, als ich wahrnehme, nehme ich auch anders wahr. Der Sinn von Wahrnehmung ist dann selbst bedingt, wenn er mit und durch andere Menschen vermittelt ist, wenn also zwischenmenschliche Verhältnisse diesen Sinn machen oder aufheben. Diese begründen meine Wahrnehmung durch das, was ich in der Wahrnehmung durch sie wahrhabe, was an sinnbildlicher Substanz in die Wahrnehmung eingeht und ihre Erkenntnistätigkeit begründet und was so ihre Form bestimmt, ihre Trennung von Empfindungen und Gefühlen. Die Befindlichkeit der Wahrnehmung hat daher einen anderen Sinn, als die Empfindung, hat etwas wahr, was Sinn für sich hat, was den Sinn der Erkenntnis ausmacht, ohne durch ihren Gegenstand bestimmt zu sein. Es ist das Gefühl, was unserer Wahrnehmung zu Grunde liegt, der allgemeine Sinn ihrer Erkenntnisse, ein Allgemeinsinn, der die Selbstgewissheit der Wahrnehmung ausmacht: Ihre von jedem Gegenstand unabhängige Wahrnehmungsidentität. Wir selbst erkennen sie nur negativ, z.B. wenn wir sagen: "Das kann doch nicht wahr sein!". Wir haben im Gefühl eine Erwartung von Wahrheit, welche unsere Empfindung nicht immer bestätigt. Diese Erwartung ist allgemein aus vergangener Geschichte begründet und "trägt" unsre Wahrnehmung über die Abgründe der Brüche in unserer Existenz hinweg, ist sich gleich bleibende Wahrheit über die wirkliche Gegenständlichkeit und die Wirkungen des Lebensalltags. Diese Wahrheit kann allerdings vollkommen eigenständig werden, wenn sie sich von der Empfindung vollständig trennt, wenn sie also nur zwischen bestimmten Menschen wie ein Übersinn existiert und die Form der Wahrnehmung bestimmt und ihren Sinn verselbständigt (z.B. als Angst, Depression, Zwangsgefühl, Wahnsinn). Im Unterschied zu den Lebensbedingungen, die als Notwendigleit der Existenz gelten, hat man zwischenmenschliche Wahrheit als Notwendigkeit wahr. Diese besteht in der Geschichte, der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als allgemeiner Hintersinn der unmittelbar menschlichen Beziehungen, dem Gedächtnis vom Werden und Vergehen ihres Sinnes. Sie kann von daher glücklich, bedrohlich, ernüchternd usw. sein, je nach dem, was ihr konkreter Zusammenhang ist, ohne dass dieser Wirklichkeit hat. Diese Wahrheit besteht subjektiv tätig im Gefühl und der Stimmung, die es hervorruft und ist zugleich objektiv darin, was sie als Inhalt ihres Gedächtnisses, als ihre Leidensgeschichte hat. Somit ist in der Wahrnehmung das Gedächtnis selbst als Sinn tätig, der in der Wahrnehmung von etwas als Gefühl für dieses wahrgehabt wird: bedingt durch die Umstände und Gegenstände, unbedingt als innere Gewissheit. So Gefühle begriffen werden müssen, muss der Lebenszusammenhang begriffen werden, den sie enthalten. Gefühle erkennen Zusammenhänge, sind ihre Subjektivität und verhalten sich in der Wahrnehmung einfach zum Moment des Wahrnehmens in der Empfindung. Sie können den Empfindungen darin entsprechen oder widersprechen oder sich in Selbstgefühlen (z.B. Zustände) abziehen, wenn sie ihre Empfindungen ausschließen müssen. | ![]() |