Information zu
Rubrik Philosophie: Thesen zur Militarisierung der deutschen Selbstverständigung

von W. Pfreundschuh

Erschienen: 31.1.2005
In Deutschland brachte die Entwicklung der Globalisierung zunächst den 'Fall der Mauer', der die Nation völlig unerwartet und ohne eigenes Zutun wiedervereinigte. Die wichtigste noch wirksame Folge des Hitler-Faschismus schien damit behoben. Deutschland sollte nun wieder 'normal' werden. Die Historiker stritten über das Wie (Historikerstreit), die Philosophen darüber, was denn normal sei (Sloterdijk). So sollte Deutschland sich mit seiner Vergangenheit 'endlich abfinden' und sich wieder 'aktiv am Weltgeschehen beteiligen', sprich: Gleichberechtigter Waffenträger werden. Nur unter dieser Bedingung konnten auch seine politischen Bündnisse weiterhin tragfähig bleiben und seine 'wirtschaftliche Absicherungen' gewährt und die entsprechenden militärischen Abhängigkeiten und Verträge (NATO) dauerhaft garantiert werden.
Entsprechend wurde an einer ideologisch konformen 'Normalisierung Deutschlands' gebastelt. Diese durfte nicht so sehr mit Vergangenheit belastet sein, weil sie vorwiegend eine Zielbestimmung haben musste: Die 'Verteidigung der Freiheit und Gerechtigkeit' der Supermächte. Die deutsche Geschichte störte da ein wenig, hatte sie doch deutlich gemacht, wohin es der bürgerliche Staat als Reaktion auf wirtschaftliche Krisen bringen kann. Was allzu nahe liegt, muss deutlich abgedrängt werden, darüber waren sich die Agenten der politischen Klasse der reichen Nationen schnell einig: Solche Vergangenheit sollte Phantom werden. Die geschichtliche Tragödie eines zur Staatsmacht entwickelten Kapitals sollte jetzt zum Problem der individuellen Antriebe geschichtlicher Persönlichkeiten werden - und die waren ja schließlich jetzt auch fast alle tot.
Zur deutschen Reife sollte es daher auch gehören, dabei zu sein, Anteil am Heroismus einer zur Weltpolizei stilisierten Mititärmacht zu erwerben. Seine Vergangenheit, welche die Auswirkung militärischer Heilkraft allzu deutlich gezeigt hatte, sollte jetzt als eine unrichtige Interpretation erscheinen, als eine unpasssende Verächtlichmachung der Deutschen, die sich eigentlich gar nicht mehr 'schämen' müssen. Martin Walser gab sich dafür her, bei seiner Rede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gegen das bisherige Geschichtsbewusstsein aufzutreten und sich damit aufzubauen, dass ihn das 'ständige Gerede' über die 'deutsche Schande' aufrege. Geschickt floss in die ganze Rede eine Abkehr von Gedächtnis und Erinnerung ein und übermittelte dem deutschen Selbstverständnis hierfür wieder eine ganz gehörige Portion Antisemitismus - wenn auch in einer besseren Verkleidung. Der Streit zwischen Ignaz Bubis und Martin Walser sprach für sich, Augstein sollte sich auch noch für die linken Liberalen im Sinne Walsers einmischen und im Umfeld wurde über die Abfindung der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen und der Beteiligung der deutschen Wehrmacht am Nazisystem vor allem in dem Trend geurteilt, dass jetzt damit Schluss sein müsse. Mit solchem Selbstverständlis lässt sich längst leichter leben mit der Vergangenheit, aber vor allem auch mit den Erfordernissen der Zufkunft. Denn um die geht es ja eigentlich, wenn das deutsche Friedensverständnis seit Ende des zweiten Weltkrieg wieder auf den Kopf gestellt wird. Aus der Forderung 'Nie wieder Krieg!', die von Deutschland aus in alle Welt ging, wurde nun eine psychopolitische Reflexion zur Kriegslegitimation: 'Wegsehen kann Ausschwitz entstehe lassen'. Die Deutschen wollen mit solchen Sprüchen zu den Wächtern einer weltweiten Vorbeugehaft für potentielle Kriegstreiber werden. Das können sie gut. So wird nun Krieg durch Krieg vorweggenommen. Deutsches Selbstverständnis wird wieder allgemein selbstverständlich.

zurück | mehr über W. Pfreundschuh | Text lesen


Direktlink zum Text: kulturkritik.net/philosophie/militarisierung/index1.html
Link zu dieser Infoseite: kulturkritik.net/autoren/index.php?code=pfrwol025