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Rubrik Psychiatrie: Ärztliche Begleitung beim Umgang mit Psychopharmaka

von Josef Zehentbauer

Erschienen: 10.9.2005

Überarbeitete Fassung des Vortrags 'Ordnungsmacht Psychiatrie', den Marc Rufer am 10. September 2005 an der Tagung des BPE in Kassel hielt.

Marc Rufer hatte bereits im Widerspruch 50: Alternativen! 228 S., Fr. 25.- seine grundsätzliche Kritik an der Psychiatrie erneut dargelegt. Hier eine Rezension des Artikels:
'Ein wahres Kleinod dieser Textsammlung zum Thema „Alternativen“ bildet Marc Rufers Kritik am prädominanten neurophysiologischen Paradigma in der Psychiatrie. Wer meint, Rufers Beitrag betreffe bloss ein Randgebiet des behandelten Themas, verkennt die zentrale Bedeutung kapitalistischer Interessen in der Psychiatrie. Aus der Dominanz des „neurobiologischen-psychiatrischen Denkstils“ folgt in den meisten Fällen die Behandlung psychischer Störungen durch ein Psychopharmakon. Obwohl die Wirksamkeit dieser Medikamente empirisch höchst umstritten ist, hat sich ihre Legitimität weitgehend durchgesetzt. Patienten, die sich bei psychischen Störungen einer Medikamentierung verweigern, werden als un- oder nur teilweise zurechnungsfähig deklariert und per „Recht des Zwanges“ einer solchen Behandlung unterzogen. Die „bis zu acht, zu körperlicher Gewalt bereiter Pfleger“, welche in Härtefällen die Behandlung realisieren, führen bei vielen Patienten zu schweren Traumata, die ex post eine Behandlung mit Medikamenten rechtfertigen (Wer noch nicht krank ist, wird es spätestens in der Psychiatrie). Auf der Basis der Theorien des französischen Philosophen Michel Foucault und des polnischen Wissenschaftstheoretikers Ludwik Fleck versucht Rufer aufzuzeigen, wie Wahrheiten geschaffen werden. Indem die VertreterInnen des neurophysiologischen Paradigmas den Diskurs in der Psychiatrie majorisieren, gelingt es ohne empirische Beweise, die Wirksamkeit von Psychopharmaka als Tatsache zu etablieren. Dass die Machtverhältnisse im psychiatrischen Diskurs wesentlich durch wirtschaftliche Interessen geprägt sind, zeigt die enge Verknüpfung, die viele PsychiaterInnen zur Pharmaindustrie aufweisen. Nach Angaben des „Deutschen Ärzteblattes“ unterhalten mehr als die Hälfte aller AutorInnen des diagnostischen und statistischen Manuals der Vereinigung der US-amerikanischen PsychiaterInnen finanzielle Verbindungen zur Pharmaindustrie. Rufers Fazit ist so ernüchternd wie einleuchtend: „Ob sich Denkkollektive durchsetzen und behaupten, ist eben auch eine politische Frage“. Als Gegenmodell zur psychiatrischen Macht wie sie sich uns heute präsentiert, ist einzig eine „Entpsychiatrisierung“ möglich. Das Aufheben dieser Macht - und somit eine sinnvolle Hilfe für die Betroffenen - geht unweigerlich mit dem Verzicht auf Zwang, Gewalt und Psychopharmaka einher.'

Fabrizio Moser

(Eine erweiterte und aktualisierte Fassung des oben stehenden Artikels ist unter dem Titel Psychiatrie – ihre Diagnostik, ihre Therapien, ihre Macht' publiziert in:
Peter Lehmann / Peter Stastny (Hg.): 'Statt Psychiatrie 2', Berlin / Eugene / Shrewsbury: Peter Lehmann Antipsychiatrieverlag 2007, S. 400 – 418)

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