Wolfram Pfreundschuh (11.8.2006)

 

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Thesen zu dem Text:
"Auf dem Weg in eine andere Gesellschaft."

 

Erster Teil:
Die Verwertungsprinzipien des globalisierten Kapitals

 

1. Das Kapital der Grundrente hat sich gegen das investierende Kapital verselbständigt und bestimmt alle Verhältnisse zu reinen Geldverhältnissen, deren organische Herkunft und Substanz gleichgültig ist. Es verhält sich nicht mehr vollständig als Wertträger sondern auch wie ein Feudalherr, bei dem es Bedienstete (Dienstleistungsgesellschaft) und arme Bauern gibt (Dritte Welt).

2. Im Unterschied zur bürgerlichen Gesellschaft beruht dieser Wertfeudalismus zwar auch auf Warentausch, aber nicht mehr auf den vollständig dargestellten ökonomischen Warenwerten. Ein Teil des Kapitals ergibt sich aus der Verwertung von Kulturunterschieden, also aus Aneignung von Arbeit und Stoff, die nicht dort reproduziert wird, wo sie verausgabt und ernährt oder erhalten wird und mit Geld verrechnet wird, dessen Preis sich aus dieser Unterwertigkeit ergibt. Hierdurch wird ein zunehmender Teil des variablen Kapitals erzwungen und durch Feudalgewalt „erwirtschaftet“: Durch die organische Abhängigkeit der armen Länder von den reichen erpresst.

3. Das Ausbluten der armen Länder, die Vernichtung ihrer Kultur und ihrer Natur, die Ausbeutung ihrer Rohstoffe und die Gewalt gegen Menschen dort als politische und militärische Gewalt gegen die natürlichen Eigentümer des Bodens, ist die unmittelbare Folge dieser Wirtschaft. Das Kapital kann in den reichen Ländern wirtschaften, wie es will, und Krisen haben, die ihm nicht wehtun, denn es fängt sich in der Armut wieder, durch die es sich regeneriert. Es lebt insofern von substanziellen Reserven an Naturstoffen und Menschen, die sich nicht in einem wirtschaftlichen Kreislauf des vorhandenen Reichtums verkörpern, in welcher Form und in welcher Macht auch immer, sondern vom Kapital selbst aufgezehrt werden, um seine Krisen temporär zu überwinden, Es hinterlässt „verbrannte Erde“, die sich nie „rentieren kann“ und beutet damit schon jetzt die nachfolgenden Generationen aus.
Es erhält sich selbst nurmehr durch seine Zerstörungsmacht. Durch sie bewältigt es seine Krisen, hält diese durch solche Gewalt also weitgehend von den reichen Ländern fern, bzw. schwächt sie auf diese Weise ab. Es ist die Verwertung im Nachhinein, die Wertrealisierung von Substanzen, die nicht als Arbeitsprodukte verwirtschaftet werden, wiewohl sie Produkte wie alle anderen sind (siehe Negativverwertung). Deren Aneignung findet auf den Aktien und Devisenmärkten als internationale Übereignungsform unbezahlter Arbeit statt.

4. Dies hat zur Folge, dass das Kapital von den Bedingungen seiner Produktion sich abwendet, sich daher wesentlich weder an Investitionen noch am Erhalt von Infrastrukturen (Verkehr, Bildung, Gesundheit etc.) beteiligen muss. Die Wirtschaft der Nationalstaaten wird von den Kapitalmärkten abhängig und muss sich der internationalen Mehrwertproduktion beugen. Ihre nationale Verwertungslage wird von der internationalem bestimmt, also davon, inwieweit sie Kapitaleinträge ermöglichen und Arbeitskosten reduzieren können. Ihre eigene Mehrwortproduktion ist dem globalen Mehrwert unterstellt, ihr Mehrprodukt wird zunehmend darin abgezogen. Sie werden zu Betriebswirtschaften, die eher reproduktive gesellschaftliche Funktionen haben, ohne hierfür weiterhin am Wertwachstum teilzuhaben. Diese Abkehr der Kapitalwirtschaft macht die Nationalstaaten zu Existenzverwaltern, welche den Repressionen des internationalen Devisenmarktes unterworfen sind. Die Nationalstaaten, die nun selbst betriebswirtschaftlich ausgebeutet werden, verlieren die wirtschaftliche Substanz ihrer bisherigen Geschichte, die einfache Reproduktion der Bevölkerung. Diese wird nach Maßgabe internationaler Lohnkokurrenz auf unterstes Niveau gedrückt; jedes Ausscheren bedeutet vergrößerte Arbeitslosigkeit, vergrößerte Sozialkosten und Produktion von sozialem Elend. Die nationale Politik muss daher die internationale Verwertungslage gegen die eigene Bevölkerung wenden und als Agent des internationalen Marktes auftreten.

5. In den reicheren Ländern, den Dienstleistungsgesellschaften, stellen die erpressten Substanzen der armen Länder nicht ergaunerte Lebensmittel dar, also etwa ein Übermaß an fremden Gütern, die in eigener Hand wären und jeden bereichern würden, die also überhaupt im Reichtum dieser Gesellschaft wirklich - wenn auch geklaut - erscheinen könnten. Sie bestehen allgemein und gesellschaftlich als Geldquantum, das aus dem variablen Kapital frei geschlagen ist und durch Lebensmittel getauscht wird, die nicht kapitalwirtschaftlich in Rechnung stehen. Sie sind eine Geldmenge, die durch keine Warenwirtschaft gedeckt ist, weil sie letztlich verwirtschaftete Kultur darstellen. Sie stellen vor allem Kulturverarmung dar und betreiben von daher auch Kulturverarmung in den reichen Ländern. Geldbesitz führt dadurch zu kultureller Armut, dass sie einen gesellschaftlichen Zweck verkörpert, der keinen Sinn hat. Es ist ein Reichtum an Nichtigkeiten, die herumgereicht werden und alles nichten, womit sie getauscht werden. Jede Anstrengung, jede Arbeit, die hierfür erbracht wird, gerät zum Selbstverlust. Armut wird unsichtbar.

6. Das Leben in diesen Ländern kann sich nicht wirklich vermitteln. Solche Gesellschaften bestehen aus dem Verhältnis vieler Möglichkeiten und sind von geringer Wirklichkeit. Ihre Selbstgewissheit hat von daher und in diesem Ausmaß keine sinnliche Gegenwart. Darin erleben sich die Menschen als wechselseitige Lebensumstände ihrer zwischenmenschlichen Beziehungen. Ihr Leben gerät zum Erlebnis ihrer persönlichen Beziehungen und darin leben sie durch ihre Selbstvermittlung als radikalisierte Individuen in dem Maß, wie sie ihre Selbstwahrnehmungen verwirklichen können. Solche Individuen sind Persönlichkeiten des Selbsterlebens, die ausschließlich sich selbst als Welt kennen und daher jede Welt ausschließen, um wirklich selbst zu sein. Von daher sind sie selbst und füreinander ausschließlich objektiv, sich selbst objektiv erlebende Subjekte, die sich ausschließlich in ihrer objektiven Subjektivität erleben.

7. Die individuelle Identität bildet sich immer weniger in wirklich gesellschaftlichen Beziehungen. Sie entwickelt sich eher aus dem Erfolg der Selbstdarstellung für das Selbsterleben objektiver Subjekte. Dieses kann sich nur dort als Maß verwirklichen und als Maßstab vergesellschaften, wo Kulte herrschen. Eine Kulturelite der Selbstdarstellung und des Körperkults wird darin zum bedeutsamsten Gesellschaftsträger. Dort agieren die Dramaturgen der Hochkultur, die ihre Bühne vor allem in den Medien hat.

8. Diese Hochkultur steht im Zweck einer Nationalpolitik, welche die Folgen der gesellschaftlichen Entwertung zu kompensieren sucht. Sie muss gesellschaftliche Identität verschaffen, die in einer Gesellschaft ohne Sinn quasi übersinnlich sein muss. In einer Kultur der Selbstentfremdung vollzieht sich eine Sinnbildung der Selbstdarstellung, worin die Menschen ihre Bedürfnisse an die Notwendigkeiten dieser Kultur anpassen und sich von ihren Gegebenheiten nähren lassen. Sie müssen hierfür ein Optimum an Anpasssung erlangen und ihr gesellschaftliches Selbstverständnis zu einer Allgemeinheit von eigener Güte gleichschalten, um darin als Menschen anerkannt zu sein. Ihre Bedürfnisse, die sich schon durch ihre objektive Identität aufgehoben haben, vollziehen alleine ihre abstrakte Substanz, ihre abstrakt menschliche Sinnlichkeit, in der bloßen Anwesenheit des Erlebens und Fühlens, in zwischenmenschlichen Beziehungen, die in der Menge auf ihre Allgemeinheit reduziert und darin verdichtet sind: auf Massenmenschlichkeit.

9. Es entsteht so eine Massenkultur, in welcher der allgemeine Mensch als Sinnstifter herrscht, als Massenkult des abstrakten Menschen. Allgemein besteht er auch in seiner Reflexion als Ideologie des Guten, in welcher alle Ideologien und Religionen sich zugleich vereinnahmen und ausschließen lassen. Die Kultur der Selbstentfremdung reflektiert und legitimiert sich von daher in der Ideologie des guten Menschen als Übermensch, als Gottmensch des allgemeinen Selbstgefühls isolierter Individuen, wogegen jeder Mensch abartig gilt, der sich nicht gut sein lässt.

Zusammenfassen lässt sich dies alles in der Feststellung, dass menschliches Elend die Isolation des Menschen von sich selbst als Wesen von eigener Natur ist. Es steht in der Geschichte eines Entfremdungsprozesses, dem die Menschen durch ein gesellschaftliches Verhältnis unterworfen sind, in welchem sie ihre Lebensverhältnissen als ihnen entäußerte Verhältnisse erleben, die Beziehung ihrer Bedürfnisse auf ihre Arbeit nicht durch sich selbst bestimmen können, zu ihrer Entwicklung und Geschichte nur in der Absehung von sich, in der Abstraktion gestellt sind. In dieser Entwicklung steht der geschichtsbildende Sinn vollkommen auf dem Kopf, weil das Kapital als menschliche Macht gilt, obwohl es gerade nur menschliche Ohnmacht erzeugt. Das Kapital ist selbst anachronistisch geworden, hat sich selbst längst schon überlebt und zehrt die ganze Menschheit aus, um sich nicht aufgeben zu müssen.

Das gesellschaftliche Leben der Menschen muß sich gegen das Kapitalverhältnis entwickeln und es überflüssig machen – bis hin zum Geld, worauf es beruht. Das verlangt, dass die Menschen ihre wirklichen Lebenszusammenhänge gegen die Existenzformen des Kapitals durchsetzen und zugleich jene Zusammenhänge konkret ausprägen, welche die fremden Identitäten der Wertverhältnisse bisher überbrückt haben: Den Zusammenhang von Arbeit und Bedürfnis und die Begründung eigener Geschichte hieraus in menschlicher Identität. Der Zusammenhang der Wertform von Geld und Kapital, wie er als eine verselbständigte quantitavite Form, dem Wertverhältnis, besteht, kann nur durch Qualifizierung der Lebenszusammenhänge begegnet werden. Diese kann es schon im einzelnen Ort, in der Kommune, der Region und dem Land, letztlich aber nur im Bezug auf die ganze Menschheit geben.

 

Zusammenfassung des 2. Teils:
Die Verhältnisse der Kulturen als Formen gesellschaftlicher Beziehungen

 

1. Das globale Kapital negiert die Verhältnisse der Menschen in doppelter Weise: Es entzieht ihnen Arbeit, Naturstoff und Land und bestimmt das Ausmaß ihrer Abhängigkeit durch diesen Entzug, macht sie von sich vollständig abhängig und wird vollständiges Subjekt ihrer Kultur. Sie sind damit aller Subjektivität enthoben, sich selbst entfremdet – sowohl als einzelne Menschen, als auch als Gemeinwesen. Sie stehen nicht mehr dem Kapital gegenüber als Kraft für seine Verwertungsinteressen, sondern nurmehr als ohnmächtige Menschen überhaupt, die tun müssen, was der Kapitalverwertung nötig erscheint. Der bürgerliche Staat selbst wird zum Vermittler dieser doppelten Macht und muss dem seine Sozialstaatlichkeit opfern.

2. Der doppelt negierte Mensch ist nicht nur Objekt einer Entfremdungsmacht, sondern zugleich Subjekt seiner Entfremdung, ist subjektiv ein bedürfnisloses Wesen, das sich über sein Dasein stellt, indem es ihm gefügig ist. Es wird hierfür entlohnt durch Geld, das keinem gesellschaftlichen Kreislauf von Produktion und Produkten entspringt, sondern vor allem Herrschaftsmittel über menschliche Existenz und ihres Lebensbedarfs verkörpert. In Abhängigkeit von den Gegebenheiten sehen sich die Menschen daher selbst als Subjekte dieser Verhältnisse an, werden als bloße Konsumenten von Lebensstoffen zu objektiven Funktionären des Kapitals. Ihre Bedürfnislosigkeit hat daher System, das sich als Charaktermaske in flexiblen Persönlichkeiten darstellt und als deren unendlich bestimmtes, also sinnloses Befriedigungsstreben auftritt. Dieses betreibt eine prinzipielle Unterwerfung von Menschen unter die Macht des Geldes, das Unabhängigkeit verheißt und das Leben zu einer Farce macht, letztlich aber nur die stringente Anpassung an eine Dienstleistungsgesellschaft ist. Das macht die Gebundenheit an Reize und Erleben aus, dem das Leben unterworfen wird, einem Streben, das unmittelbar für den Menschen keinen Sinn hat, wohl aber alle Sinne anspricht.

3. Dies macht auch den Zweck und Antrieb einer Individuation aus, die sich freiwillig erscheint, wiewohl sie Reaktion auf Sinnlosigkeit ist. Im Geldverhältnis ist dessen doppelte Bestimmtheit gegenwärtig und macht daher jeden Menschen zu einem doppelt bestimmten Individuum: Subjektiv als Zwischenmensch, der sich allseitig auf die Menschen bezieht, sich durch ihr Leben vermittelt und bildet und daher in seiner Selbstbezogenheit allgemein menschlich erscheinen kann. Und objektiv ist er bestimmt in dem einseitigen Zwang, Geld zu erwerben, selbst Sache des Geldbesitzes zu sein, um sich in seiner individuellen Allgemeinheit als allgemeines Individuum zu erleben und zu erhalten. Der Geldbesitzer ist der leibhaftige Zwischenmensch, der zwischen sachlichem und menschlichem Sein sich im Zweifel um seiner selbst willen bewegt und weder das eine noch das andere wirklich beherrschen kann, worin er sich mächtig fühlt. Befriedigungsgier ist der einzige Sinn, der solchen Menschen verbleibt, auch wenn darin nur die sinnliche Form der Bedürfnisse enthalten ist.

4. Auf der ganzen Welt sind die menschlichen Bedürfnisse in den Widerspruch zu ihrem Sinn geraten. In der Abtrennung von ihrer menschlichen Lebenswirklichkeit ist dies zwangsläufig. Sie haben nurmehr einen abstrakt realisierten Sinn für ihr Leben, in welchem sie nach Erleben wie auch nach Lebensmittel zum bloßen Überleben verlangen. Im Hunger bleibt die Speise ebenso abstrakt, wie es der Reiz ist, welcher die Erlebnisgier anfacht. Beides ist nurmehr Begierde, welche die Menschen abhängig macht und als Abhängige in der Knechtschaft ihrer Sinne hält, um politische Macht über sie zu haben.

5. Menschliche Bedürfnisse machen die Freiheit des Menschen aus, sind das Moment, worin Freiheit ihre Notwendigkeit erkennt und verarbeitet, worin sich Menschen mit ihren Gegenständen eins sind und worin sich daher menschliche Identität praktisch verwirklicht. Die Deformation der Bedürfnisse zu einer bloßen Begierde des Erlebens im Reiz der Gegebenheiten ist die Aufhebung menschlicher Identität, die innere Zerstörung menschlicher Entwicklung überhaupt, Zerstörung des Ansatzes menschlicher Emanzipation gegen die Sachgewalt der Verwertungszwänge. Darin gewinnen absurde Lebensverhältnisse vollständige Macht über die Menschen. Dies ist politisch gewollt, um die Krisen des Kapitals in die Menschen zu verlegen und sie dort möglichst weitgehend in Befriedigungssucht aufzulösen.

6. Im bisherigen Kapitalismus war die Industrie der gesellschaftliche Ort, worin der Gegensatz von Existenzmacht und Leben ausgetragen worden war. Heute ist die ganze Welt eine Fabrik und jede Zelle darin ein Raum von Armut oder Reichtum. Jedes Land, jede Gemeinde, die kommunalen Lebenswelten überhaupt bis hin zu den Familien, ja, bis in die Selbstwahrnehmung der Individuen selbst hinein, ist inzwischen ein Ort, worin Bedürfnisse und Arbeit vollkommen isoliert und getrennt voneinander und jenseits aller menschlichen Kultur ihr abstraktes Dasein fristen.

7. Die wirklichen Beziehungen von Bedürfnissen auf ihre Lebensnotwendigkeiten verhalten sich im Gemeinwesen der Menschen. Die Bedrängung der menschlichen Gemeinwesen durch das Kapital hat in den bestehenden Gemeinwesen, in den Kommunen und Provinzen und Länder ihren gesellschaftlichen Ort, wo auch die öffentlichen Kassen relativ zur Bevölkerungsdichte am meisten belastet werden. Der Widerspruch von sozialem Potenzial und den Kapitalformen der Belastung (Miete, Energie, kommunaler Verkehr, Arbeitslosigkeit, Altersvorsorge, Gesundheitsvorsorge usw.) bieten dort auch die Möglichkeit, Subjektivität gegen das Kapital zu bilden und Mittel gegen seine Gewalt zu erzeugen. Diese Mittel sind in erster Linie die Vermittlungen, welche jedes menschliches Gemeinwesen erzeugt und hierüber das Kapital als Gewalt der Vermittlung unnötig macht.

8. Der Widerstand gegen das Kapital kann wesentlich kein Streit um Geldmittel sein, es kann nicht um Geldbesitz noch um Besitztümer überhaupt gehen. Es geht um das Eigentum der Menschen an ihren eigenen Lebensäußerungen, um die Aneignung ihres wirklichen Reichtums, den sie darin gebildet, aber noch nicht wirklich für sich haben. Es geht nicht nur um Eigentum an Sachen, sondern an dem ganzen Lebensverhältnis selbst, welches ihr Zusammenwirken ausmacht, um menschliche Kultur als Gesellschaft der Menschen. Es geht also um die Erhaltung und Entfaltung eines menschlichen Gemeinwesens, welches in der Lage ist, menschliche Kultur gegen die Abstraktionsmacht des Geldes zu stellen, sich von seiner objektiven Bestimmtheit zu unterscheiden und die herrschenden Lebensbedingungen der Menschen zu subjektivieren, sie den Menschen selbst zu überlassen.

9. Eine Chance der aktiven, d.h. subjektiven Veränderung der Gesellschaft besteht also darin, dass die Menschen ihre Lebensgrundlagen der Wertproduktion entziehen und sich die Produktions- und Reproduktionsmittel zu ihrer eigenen Sache machen. Das Kapital hat sich selbst ja schon zum großen Teil hiervon getrennt und seine eigenen Existenzmittel, die große Industrie, sich selbst überlassen. Es selbst musste die Technologien und Roboter bauen, um sich zu erhalten. Diese aber taugen für jeden Menschen und werden schließlich auch von Menschen erfunden und hergestellt. Es ist im Grunde das Kapital, das seinen eigenen Untergang produziert, weil ihm die stoffliche Produktion immer weniger nützt. Es versucht nur, ihn an die Menschen weiterzugeben, weil es nur Wert hat, wenn und solange ihm Menschen ihre Arbeit übereignen und ihm die Vermittlung ihres Stoffwechsels und ihrer Kultur überlassen. Es geht also nicht um das Kapital als politische Gewalt, die als solche alleine zu bekämpfen wäre; es geht um eine Gesellschaft, die diese nicht nötig hat.

10. Das Wissen, dass die Sache der Menschen nur eine menschliche Sache sein kann, dass die Gesellschaft nichts anderes sei kann als menschliche Kultur, formuliert eine Kritik der sachnotwendigen Logik der Kapitalwirtschaft. Es ist die Kritik an einer Ökonomie, die ihre Politik als Sachzwang ausgibt, ist Kritik einer politischen Ökonomie. Aber diese impliziert, dass es eine andere Ökonomie, eine Ökonomie der menschlichen Arbeit gibt, die nicht im Widerspruch zu menschlicher Kultur steht, dass es also auch bereits einen Bedürfniszusammenhang gibt, der kultiviert ist, wenn auch nicht in der herrschenden Form der Wertproduktion. Gesellschaftsveränderung kann nicht durch die Findung einer Alternative entstehen und auch nicht aus der Zerstörung einer bestehenden Gesellschaft hervorgehen, sondern nur aus der Überwindung ihrer anachronistischen Form, die sie gegenwärtig hat. Es geht subjektiv bei einer Gesellschaftsveränderung nicht um neue Bedürfnisse, es geht um die Verwirklichung der bestehenden Bedürfnisse in einem Arbeitsprozess und einer Kultur, die ihnen entspricht. Es geht um die Erkenntnis des menschlichen Gemeinwesens, das bereits da, aber noch nicht wirklich ist, also zur Verwirklichung ansteht.

11. Eine menschliche Gesellschaft kann sich nicht durch die Wertform vermitteln. Sie kann in Wirklichkeit nur eine Form der Verträglichkeit der Menschen selbst sein, eine Vertragsform ihrer Beziehungen zur Befriedigung und Entwicklung menschlicher Bedürfnisse auf der Basis des bestehenden Reichtums an Gütern und Produktionsmitteln.

 

Wolfram Pfreundschuh