Wolfram Pfeundschuh (04/2001)

Wozu Kulturkritik?

(05/2001 Internetversion 3.1)

 

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist größer denn je (1). Die Reichen sind reich, die Armen arm wie nie zuvor. Armut ist zu einem Weltproblem geworden. Durch sie entstehen Kriege und Terror. Zugleich sind die Kriege und der Terror der Reichen auf ihre Entfaltungsmöglichkeiten in der Welt der Armen gerichtet. Der Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital hat seine offensichtliche Subjekte verloren. Das reine Quantum an Lebensmöglichkeiten entscheidet über den Lauf der Welt, über die Beziehung von Krieg und Frieden, Elend und Arbeit, Natur und Umwelt, Boden und Energie.

Zugleich hat sich die Technologie in einem solchen Ausmaß entfaltet, dass die Notwendigkeit der physischen Arbeit immer geringer erscheint. Roboter bedienen Fließbänder. Der Fordismus hat ausgedient. Roboter brauchen keine Autos. Arbeitslosigkeit könnte willkommen geheißen werden und im gleichen Maß verteilt werden, wie die Arbeit. Die Länge des Arbeitstags und der Lebensarbeitszeit wäre auf den Durchschnitt der Menschen berechnet nur noch ein Bruchteil dessen, was zur Zeit als normal gilt.

Ganz im Gegensatz hierzu wird die Verlängerung der Arbeitszeit zur Deckung von Schulden, Renten und Staatsausgaben von den Nationalökonomen als notwendig erachtet. Wichtige Entwicklungen der Sozialleistungen werden nicht im Bewusstsein der wissenschaftlichen und technischen Erweiterung der Lebenspotenzen als billige und selbstverständliche Naturalleistung einer Gesellschaft verstanden, die durch ihre Schrumpfung und dem Import ausländischer Arbeit reich wurde, sondern plötzlich unter derselben Fahne des "demografischen Faktors" zurückgenommen. Der Sozialstaat wird zunehmend zum Risikostaat, weil der Staat als Funktionär des Finanzkapitals nicht mehr funktioniert und selbst in desen Krise geraten ist. Er bietet weniger Rückhalt für die Bevölkerung und befördert die Verwaltung der Armut zur Bedrohung der Armen.

Die Möglichkeiten, an der Entwicklung der eigenen Gesellschaft mitzuwirken scheint auch schon auf der Ebene bürgerlicher Demokratie zunehmend obsolet. Die nationale und kontinentale Politik wird den Zwängen globalisierter Wirtschaft unterworfen und verhält sich selbst nurmehr betriebswirtschaftlich zu den Menschen ihres Wirkungskreises. Die Volkswirtschaft hat keinen Sinn mehr für ein Volk; die Weltwirtschaft verläuft unter der Kommandantur der Finanzmärkte und ihrer internationalen Wirtschaftsform, den multinationalen Konzernen, die längst Größe, Umfang und Wirtschaftsvolumen von Nationen weit überschritten haben..

Die Illussion, durch Geldeinsatz auf den Aktienmärkten zum Besitzer finanziellen Reichtums zu werden, hat sich im Laufe des Zusammenbruchs der Aktionmärkte (nach Erreichen der physikalischen Grenze der Ausbeutbarkeit der Dritten Welt) für den Großteil der Aktionäre in die ernüchternde Erkenntnis verflüchtigt, dass Geld immer noch den ökonomischen und organischen Ausgleich der Arbeit, der Arbeitsteilung und die Möglichkeiten der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse vorraussetzt. Selbst die Oberfinanziers (wie z.B. Sorosz) geben öffentlich bekannt, dass das Maß der Bereicherung, welches zugleich das Maß der Armutserzeugung ist, überschritten ist und den gesamten Geldverkehr gegen seine eigenen Ursprünge kehrt: Wo nicht mehr gekauft werden kann, weil die Entgelte für Arbeit zu gering sind, da wird auch kein Mehrwert entstehen, weil sich das Mehrprodukt nicht mehr verwerten lässt. Dies gilt weltweit. Der Kapitalismus als Gesellschaftform der kapitalbestimmten Arbeitsteilung ist durch die Entwicklung und Masse von technologisch hocheffizienten Produktionsmitteln längst überholt.

Derweil besteht er als eine finale Krise, die in sich selbst keine Struktur und also keine Schranke mehr hat und in der Vernutzung aller noch vorhanden Lebenssubstanzen der Arbeit und Kultur ihre letzten Opfer an den Mammon aufbereitet. Hierfür geht das Kapital im wahresten Sinne über Leichen, über den Tod von vielen Menschen, der so sicher ist, dass ihn die Armen schon als letzten Ausweg zur Waffe im Vorhinein, zum Selbstmordattentat wenden.

Die ideologische Herabsetzung dieser Notwendigkeit geschieht durch die kulturpsychologische Verkehrung, dass das Selbstmordattentat als Heilsereignis religiös gewollt sei (warum dann erst jetzt und in diesem Ausmaß?). Derlei Mythologie bezieht sich nicht nur auf die Denunzierung fremder Menschen, Völker und Religionen, sondern auch auf das Verhältnis zu sich selbst, das in den reichen Ländern die Farce eines obsoleten Lebens übertünchen müssen. Die Verschleierungstechniken des bürgerlichen Selbstverständnisses sind nicht nur kriegsnotwendigen Lügen. Sie entsprechen der allgemeinen Notwendigkeit, über den Sinnlosigkeiten des eigenen Lebens in einer Welt, die ihre Vermittlung und Entwicklung von Sinn, von Arbeit und Bedürfnis, nur über Geld hat, einen blauen Dunst kultureller Scheinwelten auszubreiten. Die Intrige gegen das eigene Selbstverständnis, welche der Kulturkonsum betreibt,.hat einen nicht unbedeutender Teil der Bürger mit oder ohne politischem Verstand dazu gebracht, ihre Lebensform in objektiv notwendiger Bewusslosigkeit abzufeiern, weil sie keine andere Möglichkeit mehr sehen oder verspüren. Sie überantworten sich der Hoffnung, dass sich der Kapitalismus von selbst erübrigt.

Das ist ein großer Irrtum. Kapital entwickelt sich schon immer durch das Prinzip der Entwertung von Leben, um sich im Tod zu stabilisieren und in der Abtötung von Lebensinteressen und ihrem Aufbegehren zu sichern. Es wird gewalttätiger, kriegerischer und militärisch allseitig präsent sein und sich damit in einer weiteren Runde seiner Macht als Allgemeinbesitzer der menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und Geschichte fortsetzen bis tief hinein in einen Weltenfaschismus, dessen Geburtswehen wir vielleicht gerade mal ahnen können. Wer hiergegen nicht aufsteht, ist mit seinem Leben selbst schon zu Ende. Der Aufstand jedoch ist kompliziert. Er verlangt Aufklärung und die Erkenntnis einer allgemeinen gesellschaftlichen Emanzipation, einer Emanzipation der menschlichen Gesellschaften gegen die Privatsphären des internationalen Finanzkapitals, eine Emanzipation der Menschen, die sich in einem lebendigen Internationalisierungsprozess der Menschheit begreifen.

Selbst wenn die derzeitige Krise des Kapitals durch einen barbarischen Aufwand an Lebensverschleiß, Blutopfer und Willensmacht noch einmal aufgefangen werden sollte, so zeigt die ganze Geschichte, dass die Menschen sich durch ihr Vermögen, ihre Werkzeuge, ihr Wissen, ihre Technik und ihre Kommunikation längst schon über die bornierte Wirtschaftsform des Kapitalismus hinausentwickelt haben, dass sie an der Schwelle einer Zeit stehen, in der sie entweder in der Barbarei der politischen und inzwischen auch schon eher militärischen Ökonomie untergehen, oder Gesellschaftsformen schaffen, in denen die Arbeit gesellschaftlich gleich verteilt wird und das Mehrprodukt in selber Weise an die Entwicklung der Menschen und ihres Lebensstandards zurückvermittelt wird.

 

Kultur ist Gesellschaft

Kultur ist der existierende Lebenszusammenhang von Geist, Kraft, Erfindungsreichtum, Gestaltung, Liebe und Sinn, den die Menschen entwickelt und ihren Produkten und Produktionsmitteln geben und gegeben haben. Sie ist geschichtliche Gegenwart ihrer Arbeit und ihrer Bedürfnisse, welche darin verwirklicht sind und sie ist geschichtliches Resultat aller bisherigen Produktion von Gegenständen für menschliche Bedürfnisse in einem bestimmten Lebensraum, in welchem ihr Stoffwechsel vollzogen wird. Kultur ist darin der Lebenszusammenhang von Menschen, auf den sich ihre Bedürfnisse beziehen und in welchem sie miteinander verkehren und sich als Menschen betätigen, erkennen, anerkennen und erzeugen. Sie ist Resultat und Bedingung menschlicher Lebensäußerung, die sich als solche frei auf alle anderen Kulturen der Welt zur Bereicherung des eigenen Lebens beziehen kann, wie sie auch diese bereichert.

Kultivation ist die Vermenschlichung einer Sache (z.B. Land, das zum Acker wird, Stein, der zum Haus wird, eine Farbe oder ein Ton die zu einem Gefühl oder einer Stimmung werden usw.). Kultur ist menschliche Gegenständlichkeit, identisch mit dem Verhältnis des Menschen zu sich selbst und der Menschen untereinander. In ihr sind Tätigkeit und Verlangen, Arbeit und Bedürfnis, Werden und Gewordensein eins, aufgehoben und bewahrt in einem. Gleichgültig, wie sie sich zuträgt, ob mit stofflichem Körper als Sache des alltäglichen Gebrauchs oder als Ereignis und Reflektion (z.B. als Theater, Musik, Brauch usw.), sie ist immer gegenständliches Produkt von und für Menschen, ihr Lebensinhalt, der sich in der Kultur als wirklicher menschlicher Lebenszusammenhang, als Sinn und Genuß des Menschseins ausdrückt.

Für das gesellschaftliche Leben der Menschen ist Kultur als menschliches Gebilde konstitutiv. Sie ist entwickelt durch die Lebensgestaltung der Menschen, durch ihre Arbeit und Bedürfnisse und daher auch Inhalt ihrer Bedürfnisse und Arbeit und die Beziehung dieser Lebensgrundlagen aufeinander. Kultur entsteht im Verlangen der Menschen nach einem bestimmten Lebensausdruck; ihre Bedürfnisse enthalten den Sinn ihrer Arbeit als gegenständliche Kultur und als entsprechende Lebensweise der Menschen.

Arbeit ist menschliche Lebensäußerung, welche Produkte hervorbringt, das Heraussetzen des Menschen als gegenständliche Welt, als Sache. Im Verlangen nach dieser Sache kommen die Menschen auf sich, auf ihr Leben als Produzenten ihrer Welt, zurück. Die Produkte der Menschen existieren zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse, und die Produktion selbst schafft wiederum neue, vielfältigere Bedürfnisse. Die Entwicklung menschlicher Bedürfnisse ist die Entwicklung menschlicher Arbeit, die Bildung und Verwirklichung der menschlichen Sinne. Die menschliche Sinnbildung ist die Bildung der Gesellschaftlichkeit menschlicher Sinne in der Arbeit von Menschen, gleichgültig, ob diese mit oder ohne Werkzeug oder mit Automaten ausgeführt wird. Arbeit ist bewußte menschliche Äußerung, Tätigkeit, welche ihren Sinn als Produktivkraft schafft, erhält und entwickelt, und die menschlichen Bedürfnisse leiden diesen Sinn, was auch immer die gesellschaftliche Form der Beziehung von Arbeit und Bedürfnis sei. Die gesellschaftliche Form jedoch ist immer geschichtliche Form, eine Form, welche dem Entwicklungsstand der Menschheit entspricht.

Arbeit ist Voraussetzung und Resultat dieses gesellschaftlichen Kulturbildungsprozesses auf dem historischen Stand ihrer Entwicklung und den hierin gebildeten Produktionsmittel. Ohne Gesellschaft können Menschen nicht leben, und weil sie sich alleine durch die Gesellschaftlichkeit ihrer Arbeit und Bedürfnisse über die sonstige Tierwelt hinaus entwickelt haben, also wesentlich nur hierdurch sind, ist ihre Gesellschaft ihre Kultur und der Entzug von Gesellschaft ihr Untergang. Schon ihre ursprünglichsten Werkzeuge, Bilder und Gebräuche waren ihre Welt und ihr Lebenssinn: Der Faustkeil wie die Höhlenmalerei, ihre Gottesfurcht wie ihre Ohnmacht vor den Naturgewalten, ihr Kult wie ihre Hingabe, ihr Stammeswesen wie ihre Selbsterhaltung, ihre Beziehung auf sich wie ihre Beziehung auf andere. Ihre Arbeit hat ihre Kultur geschaffen, wie sie in ihrer Kultur auch ihre Arbeit bestätigen.

Die gesellschaftliche Form aber, in welcher diese Kulturgegenstände existieren, war in den bisherigen Gesellschaften durch Macht bestimmt, welche die Naturgewalten über Menschen, die Menschen über Menschen oder die Sachzwänge über Menschen hatten. Kultur war noch nie die ganz und wirklich die gesellschaftliche Form der menschlichen Produktion, der Selbsterzeugung des Menschen, die gesellschaftliche Zusammenführung ihrer Sinne zu Arbeit und Genuß, sondern immer die Kultur der Herrschenden als herrschende Kultur. Die Kulturepochen zeugen von den verschiedenen Abhängigkeitsverhältnissen, in denen Herrschaft über Menschen zur Bereicherung der Mächtigen ausgeübt wurde - von den natürlichen Abhängigkeiten (Stammeswesen), zu persönlichen Abhängigkeiten (z.B. von der Sklavenhaltung in den frühen Epochen oder der Leibeigenschaft der Bauern im Feudalismus) bis hin zur Entwicklung der persönlich freien Gesellschaft, der bürgerlichen Gesellschaft, in welcher nur mehr der Besitz an Gütern die Macht über besitzlose Menschen verkörpert.

 

Kultur der bürgerlichen Gesellschaft

Die bürgerliche Gesellschaft ist die geschichtliche Form eines Lebensverhältnisses von Menschen, die sich aus den unmittelbaren Naturgewalten dadurch befreit haben, dass sie ihre Natur als gegenständliche Welt ihrer Gesellschaft, als einen Reichtum an Gütern, Sachen und Verhältnissen haben, der ihnen diese Freiheit als Notwendigkeit ihres gesellschaftlichen Seins vermittelt. Die Gegenstände menschlicher Bedürfnisse, die Gegenständlichkeit der Arbeit, die Träger der menschlichen Kultur, existieren darin als eine gesellschaftliche Gegenständlichkeit, die in privater Hand ist, als Waren (21), die nur im Austausch ihre gesellschaftliche Substanz haben. Sie sind vergleichbare, werthafte Dinge, deren Herkommen ihrem Dasein als Werte gleichgültig ist. Sie existieren auf dem Markt nur als Wertträger, als Träger menschlicher Arbeit, die in der Form von Waren erscheint. In dieser Form wird Arbeit an die Gesellschaft gewendet, an den Markt, auf dem sie in ihrem Produkt nicht wirkend, nicht wirksam und nicht wirklich sein kann als gesellschaftlicher Zusammenhang der Menschen, sondern in einer Wirklichkeit von Gütern ist, die sich nur im Tausch gesellschaftlich aufeinander beziehen. Der gesellschaftliche Zusammenhang der Arbeit und Kultur ist daher nur in dieser Konkretion existent, die an den Dingen als Nutzen für irgendwelche Menschen einer Gesellschaft aufscheint, die einfach als Nützlichkeit der Dinge vorausgesetzt sein muss, damit sie in die Tauschbeziehung eintreten können. Das reflektiert sich auch in ihrer Nützlichkeit selbst: Sie ist nicht Moment eines wesentlichen Zusammenhanges der Menschen, sondern nur Moment einer Sache, ihr bloßer Gebrauchswert, der sich in einem sachlichen Bezug zu dem verhält, was seinen Tausch ausmacht: Tauschwert. So entstehen die Waren, um Wert zu erheischen und verschwinden, um Wert zu realisieren, also um Geld, das gesellschaftliche Faustpfand aller Tauschakte, einzulösen. Die Nützlichkeit solcher Sachen muss zwar für die Menschen Nutzen bringen, aber in dieser rein äußerlichen Beziehung verschwindet alles, was ihre menschliche Beziehung war. Was an Erfindergeist, Empfindung, Schweiß, Kraft usw. hineingegeben, was an Zusammenhang von Menschen durch ihren Gedankenaustausch, ihre Empfindung usw. aufgewandet worden sein muss, um sie hervorzubringen, selbst was ihre Nützlichkeit in einer Beziehung von Menschen ist, die Entwicklung ihrer Möglichkeiten, Einfälle, Bedürfnisse usw. verschwindet in der bloßen Hülle der Nützlichkeit eines Dings, das auf den Markt zum Tausch gebracht wird.

So wird ihr Dasein denn auch durch ihn bestimmt: Nicht ihre Entstehung und innere Beziehung zum Leben der Menschen, sondern ihr Verbrauch und Verzehr, ihre Vernichtung ist konstitutiv für ihren Wert, weil sie diesen nur durch ihr möglichst schnelles Verschwinden vom Markt realisieren. Gesellschaftlich haben sie keinen anderen Bestand, mag sich ihr Besitzer auch viel Zeit nehmen, um sie zu verbrauchen; es ist gleichgültig für ihr Dasein.

Als Wertdinge sind sie also nicht unmittelbar menschliche Dinge die ihren Wert aus bestimmtem Bezug zum Menschen haben, etwa als Wertschätzung ihrer menschlichen Qualitäten. Sie haben ihren Wert nicht als Produkt einer bestimmten Arbeit, sondern aus einer Menge vergleichbarer Güter, die auf dem Markt sind und deren Wert dort bemessen wird als Quantum verausgabter Arbeit schlechthin. Dieses Quantum ist eine einfache Menge von Arbeit, Arbeitszeit. Aber keine einzelne Ware existiert in entwickelten Tauschverhältnissen schon bei ihrem Auftritt auf dem Markt als ein bestimmtes Quantum von Wert, kein Warenverkäufer kann erwarten, dass er auch eine durch seine wirklich verausgabte Arbeit eine ebenso wirkliche Menge an Arbeit durch den Eintausch anderer Güter erhält. Weil sich ihr existentes Wertquantum erst bestimmt, wenn die Waren vom Markt verschwinden (gekauft werden), erhalten sie ihren Geldwert erst bei ihrem Verkauf. Und dieser hat deshalb auch keinen durch die Sache oder ihre Herstellung bestimmte Größe, sondern realisiert sich allein im Tauschakt, im rastlosen Vergleich der entstehenden und vergehenden Dinge, durch das stetige Verhalten von Angebot und Nachfrage, das sich als Preis der Waren ausdrückt, das sich also erst dann als bestimmtes Quantum darstellt, wenn es durch den Bedarf eines Käufers vom Markt verschwindet. Erst im Tauschakt wird die Arbeit auch quantitativ bestätigt, erst dann wird gesellschaftlich anerkannt, welches Quantum von Arbeitszeit im Produkt als gesellschaftlich nötige Arbeitszeit gültig ist, gültig durch die Konkurrenz der Angebote, die letztlich ausdrückt, was der durchschnittlich nötige Zeitaufwand für ihre Herstellung ist (die Angebote richten sich also nach dem Wert ebenso, wie die Nachfrage, so dass nicht sein kann, dass die Angebote den Wert der Nachfrage bestimmen können). Der Wert der Dinge entsteht im quantitativen Verhältnis der Waren auf dem Markt und drückt aus, was die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit zu ihrer Herstellung ist, indem zu hoher Zeitaufwand den Verkäufer unter Wert verkaufen lässt, und ein geringerer Zeitaufwand über Wert ist.

Das hierdurch bestimmte Quantum der Wertgröße ist im Arbeitsprozess eine reine Menge von Arbeitszeit, nach dem Vergleich auf dem Markt aber nur die Menge Geld, die seine Existenz dort im quantitativen Vergleich mit anderen Waren als durchschnittlich notwendigen Zeitaufwand an Arbeit für diese Produkte realisieren kann. Was in die Herstellung einer Sache an bestimmter Arbeit, an Aufwand, Liebe, Fleiß, Raffinesse usw. eingegangen ist, ist für das Ding als Ware gleichgültig - es kann im Vergleich mit anderen Dingen vielleicht förderlich für seinen Verkauf sein, wenn es gut gemacht ist, kann aber auch zu seinem Nachteil werden, weil der Verkäufer es im Vergleich zu anderen Dingen zu teuer verkaufen müsste, und es deshalb nicht gekauft wird. Das schönste Produkt ist nichts wert, wenn es nicht gekauft wird und nur solche Kultur hat Existenz, die käuflich ist, wie immer ihr Sinn für die Menschen auch sein mag. Umgekehrt wird ein Produkt auch nur gekauft, wenn es einen Sinn für Menschen hat, irgendeinen Sinn, ob dieser nun im praktischen Bedarf nach Lebensmittel oder in einem reflektierten Bedarf (z.B. Erbauung, Sehnsucht, Gesundheit) steckt.

Durch die gesellschaftliche Existenz der Güter als Waren, durch den Markt der Dinge haben sie einen Doppelcharakter: Sie sind als das, was sie von Menschen sind, nicht für sie. Sie verhalten sich durch ihr Dasein als Tauschwerte aus einer eigenen Bestimmung, die der Sachwelt selbst zu entspringen scheint. Sie sind als menschliches Erzeugnis zugleich ein Produkt ihrer sachlichen Beziehung auf dem Markt, das seinen Wert erhält, wenn es verzehrt wird. Nur in diesem Wert steckt der gesellschaftliche Zusammenhang der Dinge, welcher noch und doch nicht Sache ist, welcher die Sache der Menschen ist, ohne schon wirkliche Sache der Menschen zu sein. Alle Güter des Lebens, alle Gestaltungen seiner Kultur, sind in der bürgerlichen Gesellschaft zugleich Wertgegenstände, haben den Sinn, den ihnen die Menschen gegeben haben, gesellschaftlich nur als Geldwert. Die bürgerliche Kultur existiert daher in ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit nur als geldwerte Kultur, als Kultur der Geldverhältnisse, wie immer sie auch privat genossen wird.

Der Markt erfüllt eine den Menschen fremde Bestimmung, die Bestimmung einer fremden, äußeren Macht. Ihr haben die Menschen zwar ihren Sinn verliehen, indem sie sinnvolle Güter erzeugen, zugleich ist ihnen im gesellschaftlichen Dasein der Waren als Wertdinge ihre eigene gesellschaftliche Beziehung auf sie entrissen. Die Waren sind für ihr Dasein als Wertdinge produziert und stellen in diesem Dasein zugleich die einzige Gesellschaftlichkeit der menschlichen Arbeit dar. Die durschnittsbildende Macht des Wertes bestimmt so den Zusammenhang der menschlichen Gesellschaft. Jedes besondere Wesen, jeder Einfall, Geschick, Kunst usw. ist nur in dem gesellschaftlich existent, was es als Gebilde auf dem Markt ist. Dort erscheinen daher die Verhältnisse der Menschen als Verhältnisse ihrer Sachen und sie sich selbst nicht als ihre Produzenten, sondern nur als ihre Träger. Die gesellschaftliche Macht, die den Sachen gegeben ist, erscheint daher als ihre spezifische Natur, der sich die Menschen zu beugen haben, um als Menschen verkehren zu können. Es ist der Schein ihrer Gesellschaft, der den Sachen gegeben ist, der Fetisch, dem sie ihre eigene Gesellschaftlichkeit opfern, der Warenfetisch.

Der Reichtum, den Menschen im Laufe ihrer Geschichte durch Arbeit erzeugen und erzeugt haben, das Dasein ihrer eigentümlichen Produkte, menschliches Eigentum, erscheint daher gesellschaftlich in der Form seiner Werthaftigkeit als Ware und in einem Verhältnis, das sich als Wert- und Verwertungsprinzip jenseits der Menschen und ohne ihren Zutun, also hinter ihrem Rücken durchsetzt. Gleichgültig, wer die Dinge produziert hat, gleich, was in ihnen an menschlicher Eigentümlichkeit eingeflossen ist, auf dem Markt treten die Menschen nur als ihre Träger, als ihre Besitzer auf. Woher auch immer sie die Dinge haben, ob durch eigene Arbeit oder selbst schon im Tausch erworben: Die Menschen begegnen sich in dieser Beziehung fremd, nur spekulierend auf den Nutzen, den ihr Besitz für andere haben könnte, um in den Besitz fremder Dinge zu gelangen, die ihnen selbst nutzen. Besitz ist ein politischer und militärischer Begriff und kommt von besetzen; es ist die Zuordnung von gesellschaftlichen Dingen in privater Hand. Die wechselseitige Beziehung des Besitzverhältnisses ist das Verhältnis, worin sich die Menschen subjektiv fremd bleiben, weil sie Dinge tauschen, die sie sich entfremdet haben. Der Besitz ist so nur der politische Ausdruck der Entfremdung, wie sie sich im Warentausch vollzieht.

Besitz setzt die Menschen aber auch selbst in ein bestimmtes Verhältnis, in das Verhältnis von Besitzenden und Besitzlosen, wie sie durch ihre Lage und Geschichte auf dem Markt gestellt sind. Besitzer haben mehr, als sie für ihr persönliches Leben verbrauchen. Die Besitzlosen haben alleine ihre Arbeitskraft, die sie verkaufen müssen, um sich ihre Lebensmittel kaufen zu können. Da nur durch Arbeit Reichtum entsteht, dient die Not des Besitzlosen zugleich der Vermehrung des Reichtums der Besitzenden. Dadurch dass sich Arbeiter ernähren müssen, können die Besitzer von Geld und Arbeitsmittel einen Reichtum für sich schaffen, der über das hinausgeht, was die Reproduktionskosten der Arbeit (Ernährung der Arbeiter und Kauf und Instandhaltung der Arbeitsmittel) ausmachen. Jede Arbeit erzeugt ein Mehrprodukt; unter kapitalistischen Bedingungen wird dieses aber nur als Mehrwert für den Kapitalbesitzer angeeignet. Es bereichert den Geldbesitzer (23) und bedrängt den Besitzer der Arbeitskraft (24), das zu bleiben, was er war (sich eben einfach nur zu reproduzieren). Alles, was produziert wird, wird produziert, um Mehrwert für Geldbesitzer zu schaffen. Alle Güter sind Objekte dieses Zwecks, sei es bei ihrer Herstellung, sei es bei ihrem Kauf, durch den sie vom Markt verschwinden.

Kultur unterliegt dem Verwertungsprinzip des Geldbesitzes, dem Prinzip der Effizienz von Quantifizierung, einem Prinzip, das alle lebenden Substanzen nutzt (25), um abstrakten Reichtum, Kapital als gesellschaftliche Verfügungsmacht aufzuhäufen. Jede Arbeit gerät hierdurch unter einen Produktionsdruck, der die Existenz der Menschen beherrscht, jedes Bedürfnis ist vor seine Sache gestellt, wie der Knecht vor den Herrn, - wiewohl beides die organische Voraussetzung der Wertbildung sind. Das Bedürfnis arbeitet nicht, sondern die Arbeit bedarf des Menschen, der seinen Lebensunterhalt bekommt, wenn er sich seinem Herrn gebeugt hat. Das Prinzip des Kapitalismus, die Geldverwertung, setzt das Leben der Menschen voraus, dessen Momente als Produktivkraft und Konsumtion seinen Zweck verwirklicht.

Der Kapitalismus nutzt und vernutzt die Menschen, ihre Arbeitskraft, ihren Erfindungsreichtum, ihren Geist, ihre Bedürfnisse, ihre Gesellschaft überhaupt, um damit dem Trieb der Quantifizierung, seiner Fiktion eines Wachstums, die nichts anderes als die Phantasie des Kapitals von der "Produktivkraft" seines Geldes ist, zu genügen und dies als natürliches, gesellschaftliches Wachstum auszugeben.

 

Kapitalwirtschaft, Krise und Kultur

Geld bezieht in der bürgerlichen Gesellschaft, in der Gesellschaft der Besitzverhältnisse, Arbeit und Bedürfnisse so aufeinander, wie sie darin Form haben können. Ohne Arbeit wäre kein Bedürfnis wirklich und ohne Bedürfnis gäbe es keine Arbeit, ob dieses nun nur Hunger nach reinem Stoff oder kultiviertes Verlangen, Verlangen nach menschlichen Produkten enthält. Das notwendige Verlangen und seine Verwirklichung in der Arbeit ist gesellschaftliche Substanz, der Bezug beider zu einander ist gesellschaftliche Form.

"Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiedenen Bedürfnismassen entsprechende Massen von Produkten verschiedene und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen. Daß diese Notwendigkeit der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus nicht durch die bestimmte Form der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, sondern nur ihre Erscheinungsweise ändern kann, ist self-evident. ... Der Witz der bürgerlichen Gesellschaft besteht ja eben darin, daß a priori keine bewußtse Regelung der Produktion stattfindet. Das Vernünftige und Naturnotwendige setzt sich als blindwirkender Durchschnitt durch." (Briefe über das Kapital, Dietz-Verlag 1954, Marx an Kugelmann, S. 185).

Das Geld als Vermittler zwischen Produktion und Konsumtion enthält keine bestimmte Beziehung beider aufeinander, es enthält den Wert der Dinge als "blindwirkender Durchschnitt", als reines Durchschnittsquantum ihres Reichtums, abstrakte Menge, Maß ihrer verausgabten Arbeit schlechthin. Geld drückt aber nicht nur den Wert der Güter als Durchschnitt ihres rastlosen Vergleichs aus, es funktioniert nicht nur als Zahlungsmittel und Maß der Werte, mit dem die Erzeugung und der Genuß der gesellschaftlich nur auf dem Markt existenten Produkte und deren Produktionsmittel bezahlt werden, sondern es wird auch für die Entwicklung neuer Produkte und Produktivkräfte vorgeschossen. Hierdurch wird die gesellschaftliche Entwicklung, die Schaffung des gesellschaftlichen Mehrprodukts, unter den Bedingungen der Geldwirtschaft ermöglicht. Wiewohl diese Entwicklung aus dem Zusammentragen aller hierfür nötigen Kraft, Intelligenz, Ressourcen, Verkehrswesen, Bildung usw. besteht, unterliegt sie doch ausschließlich der Verfügung des Geldbesitzers, dessen Geld in dessen Interesse als Kapital hierfür eingesetzt wird. Dies tut er nicht zur Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern zur Erheischung eines wertmäßigen Gewinns, den ihm sein Geld bringen soll, Mehrwert. Obwohl das Mehrprodukt ein Resultat menschlichen Zusammenwirkens, gesellschaftlicher Arbeit ist, wird es als Mehrwert privat angeeignet, um in der Hand der Geldbesitzer ihr Kapital zu mehren und damit deren gesellschaftliche Macht zu bestärken. Hierdurch ist Geld Kapital, das einer privaten Bestimmung über die geschichtlich entwickelten gesellschaftlichen Potenzen folgt, die dem Finanzier zur privaten Verfügung stehen. Das Interesse der Geldbesitzer ist vor allem die Geldvermehrung, die sie nur durch Nutzung dieser gesellschaftlichen Potenzen der Arbeit erreichen, besonders durch deren Vermögen, mehr Produkte zu erzeugen, als durch sie verbraucht werden.

Die private Nutzung des gesellschaftlichen Vermögens basiert auf dem politischen Verhältnis, in welches die Besitzer gestellt sind. Nur Geldbesitzer können sich in der bürgerlichen Gesellschaft wirklich als Besitzer verhalten; alle anderen Eigentumsformen (z.B. Arbeitskraft, Bildung, Begabung, Wissen), können sich nur erhalten, wenn sie sich in deren Dienst stellen, indem sie sich deren Interessen beugen, sich gegen Geld feilbieten, wiewohl sie doch die Träger der ganzen gesellschaftlichen Entwicklung sind. Damit sind sie Mittel eines fremden Zwecks, einer ihnen fremden Geldvermehrung, die auch eine Vermehrung der Macht gegen sie ist. So erzielt und erreicht die Ausbeutung der Besitzlosen, der Technologie, Infrastrukturen (Verkehrsbau, Gesundheitswesen, Bildungswesen, Kultureinrichtungen usw.) und der Bodenschätze im eigenen Land oder in fremden Ländern einen enormen Reichtum an Gütern und Werten, über welche alleine Geldbesitzer verfügen. Sie haben damit nicht nur die Mittel zur Bestimmung der gesellschaftlichen Produktion in ihrer Hand, sondern auch das Mehrprodukt, welches aus der gesellschaftlichen Produktion entsteht und mit welchem sie die gesellschaftlichen Zwecke (den Inhalt der Produktion) setzen. Kapitalisten existieren alleine unter den Bestimmungen der Mechanismen der Geldwirtschaft, des Finanzmarkts (z.B. als Banker, Aktionäre, Geldmanager).

Das Mehrprodukt ist in ihrer Rechnung der Mehrwert, den sie als subjektive Frucht ihres Geldes, als Gewinn ihres "Risikoeinsatzes" begreifen, und der solange wächst, wie das Mehrprodukt verkauft, d.h. abgesetzt werden kann. Ihnen scheint der Mehrwert aus ihrer besonderen Situation zu entspringen, ihrer Fähigkeit und ihrem Geschick, mit ihren Besitztümern erfolgreich zu handeln, weil es ihr Job ist, die Lücken der Angebote, die Schwächen ihrer Konkurrenten und die Bedürftigkeit und Notdürftigkeit der Besitzlosen zu ihrem Vorteil, ihrem "Marktvorsprung" zu nutzen.

Das Wachstum des Mehrprodukts ist abhängig vom verfügbaren Geld der Konsumenten und die können eben auch nur soviel finanzieren, wie sie als Lohn erhalten haben. Was als Mehrprodukt von ihnen angeeignet werden kann, entspricht dem realisierbaren Mehrwert, dem Geldwert des Mehrprodukts. Die gesellschaftliche Entwicklung kann sich nur im realen Maßstab von Lohn und Arbeit verwirklichen und der Lohn müsste demnach linear mit dem Wachstum der Produktivkräfte, mit der Automation und Sozialisation der einzelnen Arbeiten, also mit der Wertminderung der Produktion wachsen. Das Wachstum des Mehrprodukts wäre so die Wertminderung der Produktionsmittel (Minderung des Werteintrags in die Produkte durch Minderung der Arbeitszeit der Produktion).

Aber die Rendite, welche Ziel des Kapitals ist, ergibt sich nicht aus den wirklich erarbeiteten Produkten und Mehrprodukten, sondern aus der Wertbestimmung des Finanzmarktes. Das Kapital als bloße Form des Unternehmertums, als einzelnes Interesse von Kapitalbesitzern, die über eine bestimmte Produktion verfügen wollen, käme über das Wertverhältnis des Warenmarktes nicht hinaus, das unmittelbar durch Angebot und Nachfrage beschränkt ist und das in diesem Verhältnis auch ein Mehrprodukt, eine Verbesserung des Lebensstandards finanziert, solange es das Wertwachstum befördert, solange es also produktiv auch für das Kapital ist. Aber die Entwicklung des Mehrprodukts ist zugleich auch eine Entwicklung der Produktivkräfte, die dem Verwertungsinteresse des Kapitals zuwiderläuft. Der im Finanzmarkt (auf den Kapitalmärkten) absorbierte Mehrwert stellt nicht den Wert der Güter dar, nicht den Reichtum an Lebens- und Produktionsmittel, sondern er bestimmt den Wert von Arbeit, Boden und Geld nach Maßgabe seiner Verwertbarkeit (95% der gegenwärtig zirkulierenden Finanzmittel stellen keine realen Gegenwerte wie Waren oder Produktionsmittel dar, sondern sind reine Spekulation auf Erträge). Auf dem Finanzmarkt ist alles von der Zukunft des Kapitals als Potential einer Geldvermehrung bewertet, die ihren Boden und ihre Quellen in der Gegenwart sucht. Der Wert solcher Finanzmittel verwirklicht sich nicht als Produkt, sondern als Wertbestimmung der Arbeit, die in dem Maße wächst, wie die Kosten für Arbeitslohn und Material der Arbeit (Produktionskosten, Stoffe, Energiequellen, Kommunikationstechnologie, also variables Kapital) relativ zur Mehrproduktion sinken. Die Wertbestimmung des Kapitals existiert im Kapitalismus als Wertsteigerung der Produktionsmittel (Kapitalkonzentration), des Bodens (Grundstücke, Immobilien, Mieten) und des Geldes (Zinsen). Was zur Wertsteigerung, zum "Wertwachstum" taugt, ist viel wert, was hierzu nicht taugt, wenig. Heute kann etwas (z.B. eine Erfindung, ein Computerprogramm usw.) noch viel wert sein, was morgen schon gänzlich wertlos ist. Das Kapital bestimmt seine Quellen zum Wert an sich, der sich den Menschen als gesellschaftliche Notwendigkeit aufzwingt. Was sie für ihre Arbeit bekommen, was sie für ihre Miete bezahlen, was sie an gesellschaftlichen Strukturen vorfinden, ist hierdurch bestimmt. Was hier an Wert gesetzt wird, das verlieren die Menschen an Lebenszusammenhang.

Immerhin erzeugt der Kapitalismus das Mehrprodukt, das sich zu einem Teil als ein Äquivalent des Mehrwerts auch gesellschaftlich - wenn auch hinter dem Rücken der Menschen - realisiert. Ein Mehrwert, der wie ein Durchschnittsprofit allein die Masse des realen Mehrprodukts verkörpert, ist keine Rendite, sondern lediglich "ein Produkt, eine Bildung des unter ganz bestimmten historischen Produktionsverhältnissen vor sich gehenden sozialen Lebensprozesses." (MEW, Bd. 25, S. 791). Der Mehrwert als ökonomische Form hat ein Mehrprodukt zum Inhalt, welches gesellschaftlich und allgemein zur Entwicklung der Menschen dient, geschichtliche Tat, Bildung ihrer Kultur und ihrer Bedürfnisse ist, die sich im Entwicklungstand der Produktivkräfte zusammenfasst. "Mehrarbeit stellt sich dar in einem Mehrwert, und dieser Mehrwert existiert in einem Mehrprodukt. Mehrarbeit überhaupt, als Arbeit über das Maß der gegebenen Bedürfnisse hinaus, muß immer bleiben." (MEW Bd. 25, S. 827)

Wäre die Produktion dieses Mehrprodukts wirklicher Sinn und Zweck der Arbeit, so würden wir einen Großteil der Probleme mit dem gesellschaftlichen Fortschritt nicht haben (9). Die Entwicklung der Arbeit, die Erweiterung der Stufenleiter menschlicher Produktion durch neue Werkzeuge, Technologie, Automaten und Roboter wäre rasch amortisiert, wenn genügend viele Produkte aus ihrem Potential gekauft würden und die Neuentwicklung von Produkten und Produktionsmittel, den Aufwand für Erfindung und Einführung, hierdurch finanziert hätten. Uns allen könnten sie als Verminderung unseres Arbeitsaufwandes zugute kommen, anstatt sich als gigantische Maschinerie des konstanten Kapitals gegen uns aufzutürmen. Der notwendige Arbeitstag bestünde aus den Arbeitsstunden, die für die gesellschaftliche Reproduktion der notwendigen Arbeit und den Anteil für das gesellschaftliche Mehrprodukt (also die Kosten für den Lebensunterhalt der arbeitenden Menschen, die Materialkosten und die Kosten für Neueinführungen und die Erhaltung der Technologie) notwendig sind. Arbeitslosigkeit könnte es gar nicht geben, weil niemand auf dem Arbeitsmarkt gegen andere konkurrieren müßte, sondern dann die Arbeit zur menschlichen Reproduktion in dem Maße eingebracht wird, wie sich die Gesellschaft reproduziert. Die gesellschaftliche Mehrarbeit würde in dem Maße aufgeteilt, wie sie effektiv amortisierbare Mehrprodukte erzeugt (z.B. als "überdurchschnittlicher Arbeitstag"). Die technologische Entwicklung würde als Mehrprodukt in unser Leben so einfließen, wie es die Menschen einzeln und allgemein auch befördern wollten und könnten. Die Dinge des Lebens, nur für sich bemessen im Aufwand ihrer Herstellung (Zeit, Technik, Material, Ausbildung der Arbeitskraft, Reproduktion der Menschen und ihrer Kultur) und auch bemessen an einem Aufwand für Fortschritt und Entwicklung (Bildung, Vertiefung des Know-How für neue Entwicklungen und "Erfindungen") zeigt beim Vergleich von denselben Gütern (z.B. Hausbau, Nahrung, Vergnügen, Äußerung von Geist und Sinn etc.) unter verschiedenen gesellschaftlichen Beziehungen (z.B. auf dem Lande, in der Stadt, im Touristenurlaub oder auf Reisen), wieviele Anteile des Aufwandes, in ihren Besitz zu gelangen, nur ihrem geldwerten Dasein auf dem Markt als zirkuläres Mittel des Kapitals geschuldet sind, wieviel also an Wert aus dessen Verwertungsbedürfnissen entspringt.

Es widerspricht eben allgemein dem unendlichen Trieb der Geldverwertung, dass die Güter letztlich doch nur existieren, weil sie für die Menschen da sind. Sie werden eben nur durch sie, durch ihre Lebensweise und Lebensbedürfnisse verbraucht und zur Erweiterung des Lebensbedarfs erfunden und entwickelt. Im Interesse der Geldverwertung, die als privates Interesse von Kapitaleignern besteht, muss Geld immer mehr Geld werden. Und weil Geld als Kapital zugleich ein Zirkulationsmittel zwischen produktiver Konsumtion der Arbeit und Konsumtion der Arbeitsprodukte ist, kann auch ein Mehrprodukt entstehen, welches Mehrwert darstellt, welches aber als Zirkulationsmittel des Kapitals über ein Maß hinaus produziert werden muss, das sich, wie es sich hinterher an übervollen Lagerhalden herausstellt, nicht immer verkaufen läßt: Es kann eben nur soviel konsumiert werden, wie an Geld für den Arbeitslohn ausbezahlt worden ist, es muss aber viel mehr produziert werden, damit die Kapitaleigner ihren Zuwachs an Geld und Macht erreichen. Deshalb sind Kapitaleigner flüchtige Gesellen. Sie wechseln die Menschen und Produktionsstätten fortwährend nur zu dem Zweck, deren Wert zu drücken und deren Konkurrenz zu erhöhen. Sie fliehen den Ort einer Produktion und suchen neue Kapitalanlagen; sie hinterlassen ein Heer von Arbeitslosen und tote Maschinerie, um billigere Arbeitskräfte und neue Technik andernorts aufzugreifen - und um denen, die in Arbeit und Prosperität sind, das Fürchten zu lehren. Dies geht aber nur solange, wie es andere Menschen und Produktionsstätten, wie es also deren Konkurrenz gibt, und deren Lohn auf neuen Märkten zum Absatz der Produkte reicht. Das Kapital muss permanent Kosten drücken und neue Märkte schaffen - nur solange kann es "Gewinne" machen.

Weil die Kapitalverwertung der Zweck der Produktion ist und weil es unter den Geldbesitzern niemanden geben kann, der aus anderen Gründen wirtschaftet (er würde auf dem Markt untergehen), kommen die aufgehäuften Potenzen der Produktion, die gigantische Maschinerie der Produktion, mehr oder weniger zum Erliegen, wenn sie keine Gewinne bringen. Und die Profite schwinden in derselben Logik in dem Maße, wie die Maschinerie als konstantes Kapital nicht in den Löhnen sich darstellt, sondern diesen als Form des variablen Kapitals entgegengestellt ist. Das konstante Kapital wächst eben nur an Wert, wo es das variable bedrängen kann. Und wo die aufgehäufte Technik nach Absatz der Produkte drängt, da geht es in die Knie. Es entstehen bei der Minderung der Gewinne, erst Recht bei ihrem Schwund ins Negative (Rezession), für die ganze kapitalistische Gesellschaft Krisen, die als Unverkäuflichkeit der produzierten Waren auftreten. Das Kapital steht in seinen Absatzkrisen an der Schranke seines Interesses: "Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft ihre Grenze bilde." (MEW, Bd. 25, S. 501).

Der Kapitalismus entwickelt einerseits die Mittel, welche als eine gigantische Masse von Produktionswerkzeugen (Maschinen, Verkehr und Kommunikation) und Produkten zur Verfügung stehen und ist zugleich gerade darin beschränkt, was die gesellschaftlichen Potenzen befördert: die Bedürfnisse, die seine Entwicklung tragen. Es ist das historische Schicksal des Kapitalismus, dass er gerade an dem Resultat seines Vermögens, an der Entwicklung der produktiven Potenzen gesellschaftlicher Arbeit, der Automation und Universalisation der Arbeit, scheitert, weil er sie dem privaten Zweck des Kapitals, die Vermehrung seines Geldwerts, unterwirft und den Menschen nicht als Gesellschaftsvermögen zurückgeben kann. Weil der Kapitalist (Kapitaleigner, wie z.B. Bank, Versicherung, Aktionär) dieses Vermögen an gesellschaftlichem Reichtum und dessen Produktivkraft nicht als Gesellschafts- und Produktionsform der Menschen, sondern als Kapitalisierung des Mehrwerts betreibt, kann er Kapital auch nur bilden, wo er das Mehrprodukt oder Teile davon kassiert, um seine gesellschaftliche Macht zu erhalten. Das Kapital steht in dem Widerspruch, sich wertmäßig nur entwickeln zu können, wo es den Menschen Güter und Vermögen (z.B. Arbeitskräfte) entziehen muß, die wiederum aber nur dadurch Wert haben, dass sie von den Menschen gekauft oder betrieben werden. Der Mehrwert ist relativ hierzu und wenn der relative Mehrwert sich zum Wertdefizit treibt, so entwickelt das Kapital einen politischen Machtapparat, der unterwertige Produkte aufwerten muss, der entweder ihre Lager mit Fremdmittel aufkauft (Subventionen, Staatsverbrauch) oder Lieferanten von Arbeit und Arbeitsmittel erpresst. Der Widerspruch bewegt sich zwischen dem Zwang, die Preise für die Produkte und ihre Erstehungskosten zu senken oder dem Zwang die Potenzen der Arbeit durch technologische Fortschritte und andere "Rationalisierungsmaßnahmen" (oft mit einhergehender Arbeitsplatzvernichtung) zu steigern. Der hochentwickelte krisengeplagte Kapitalismus offenbart einen unentwegten Preisdruck auf die variablen Produktionskosten (Material und Arbeitskräfte), dem nicht mehr alleine durch ökonomische Entwicklungen, sondern zunehmend nur noch durch politischen Machtzuwachs, also durch politische Gewalt auf die Preisbildung entsprochen werden kann (z.B. durch Kapitalfussionierung mit monopolistischer Tendenz oder durch sozialen Druck auf die Arbeitskräfte unter Androhung verminderter Sozialleistung oder durch diplomatische oder militärische Besetzung der Rohstofflieferanten).

Natürlich will das Kapital die Menschen nicht abschaffen - es braucht sie und nutzt ihre Fähigkeiten und ihre Bedürfnisse. Aber es schafft ihre Menschlichkeit ab. Es versetzt die Menschen in eine unendliche Vereinzelung, die ihre Not vergrößert, die sie immer abhängiger macht vom gesellschaftlichen Faustpfand ihrer Subsistenz: Geld. Es zerstört ihre Lebenszusammenhänge und Produktionsstätten, um das Leben mit Geld und vollkommener Geldabhängigkeit durchzusetzen. Die Verwertungskrisen des Kapitals werden nicht dadurch immer enger, dass immer weniger Geld zur Produktion von Wert zirkulieren würde - im Gegenteil: Die Anhäufung von Produktivwerten (konstantes Kapital (26)) treibt das Kapital erst in seine Krise, die daraus besteht, dass bei gleichbleibenden oder gering wachsenden Löhnen (variables Kapital (26)) zu wenig Geld zirkuliert, um die Warenwerte durch Kauf zu verwirklichen, die eine durch Wertwachstum bestimmte Produktion nötig hat: Mit wachsender Masse des konstanten Kapitals wird die Masse des variablen Kapitals relativ schwindend und vermindert hierdurch die Profite. Es ist dies der tendenzielle Fall seiner Profitrate (20), der die Krise des Kapitals ausmacht und sich als völlig absurde Verelendung gerade der hochentwickelten Länder herausstellt (Verarmung, Jobhunting, Sozialabbau, Konsumpervertierung) auswirkt. Durch die Hochwertigkeit der Mittel des Wertwachstums führt die Unterwertigkeit der Subsistenzmittel zu einer allgemeinen Entwertung der Lebensmittel und damit zum Wertproblem des Kapitalismus überhaupt: Er entwertet seine Produkte, die seine hochwertigen Produktionsmittel hervorbringen und die zugleich ihren Wert nur durch den Wert der Produkte erheischen können. Wo dies nicht mehr gelingt, muss das Kapital den Druck zur Wertsteigerung auf die Kosten der Quellen des Wehrwerts weitergeben. Der wird an die Lieferanten der Produktionsmaterialien (Energie, Rohstoffe) schließlich auch zu einem machtpolitischen Fakt, das zu Preisdiktaten und Krieg gegen die Länder lockt, die keine Absatzmärkte für das Kapital darstellen. Oft ist eine reine Besatzungspolitik im Sinne eines Preisdiktats, manchmal ermöglicht auch die Zerstörung und der international finanzierte Wiederaufbau eines Landes die Neuentwicklung von Absatz und neuen Absatzmärkten. Das Kapital ist ein schrankenloser Moloch; es erzeugt Reichtum nur für wenige (1) und treibt zugleich alle Lebensverhältnisse zur Barbarei. Die Menschen werden nicht unbedingt nur unmittelbar im Arbeitsprozess, sondern insgesamt ausgebeutet; ihr Leben wird ärmer, ihre Kultur zerstört.

Der Kapitalismus kann seine überkommene Produktionsform nicht ändern, wenn es die Menschen nicht tun. Seine Krisen haben ihr Zyklen und erzeugen zunehmend Gewalt auf dem ganzen Erdball weil der Kapitalismus sich ausdehnen muss und zugleich am Produkt seiner Ausdehnung, der Armut der Menschen, scheitert. Je weiter diese Spirale entwickelt, desto geringer die Spannen auf allen Seiten und desto rücksichtsloser ist das ganze Verhältnis.

Die Spirale wird um so enger, je automatischer die Arbeit strukturiert ist, je weniger Lohnkosten sie also bezahlt und Produkte auf den Markt bringt, die immer weniger kosten dürfen, um überhaupt absetzbar zu sein. Die Krise seit den 80ger Jahren wird inzwischen von einigen Autoren der ökonomischen Fachliteratur (z.B. der Krisis-Gruppe) als finale Krise des Kapitalismus eingeschätzt, die sich in den Seifenblasen der Finanzspekulation bewegt und in kürzesten Anlagezeiten (maximal 8 Tage) noch Ausbeutungsraten von minimalem Wert (3 bis 10 Prozent) aufrechterhält; und zwar nur dadurch, dass die Strukturreserven von Industrie oder Nationen noch ausgezehrt werden. Der Kapitalismus ist so weit brutalisiert, dass er auch Kriege aus rein ökonomischen Vernichtungsinteressen in Kauf nimmt (man beachte die Rede vom "Reich des Bösen" durch den einstigen US-Präsidenten und der Theorie von der "Achse des Bösen", mit der Busch auf einen neuen Weltkrieg vorbereitet. Um dem zu entgehen, besteht für die Menschen allgemein die Notwendigkeit, das privatisierte Produktivvermögen (das Kapital als Institution: die Banken, die Finanzmärkte und Börsen) zu vergesellschaften.

Unter kapitalistischen Bedingungen ist der wesentliche Zweck des Mehrwerts das Entwicklungsprinzip der Rendite. Sie ist das geldwerte Produkt der gesellschaftlichen Entwicklungen, die das Kapital zur privaten Bereicherung an Vermögen und Macht nutzt - nicht weil es dort üble Charaktere so wollen, sondern weil die Rendite selbst formeller Ausdruck des objektiven Widerspruchs solcher Bedingungen ist, in welchen privat nicht nur kassiert, sondern auch vorgeschossen werden muss, was gesellschaftliche Sache ist: Die Entwicklung der Arbeit und der Bedürfnisse der Menschen. Dieses Prinzip der Rentabilität ist die formelle Verabsolutierung menschlicher Entwicklung als Objektivität des Kapitals, die alles zu leeren Objekten ihres Zweckes macht, dem es völlig gleichgütlig ist, was er hierfür braucht. Das Prinzip der Rendite verbraucht die Kraft von Menschen, ihre Arbeit und ihren Erfindungsreichtum, ihre ganze Kultur und verpaßt allem seinen Wertsiegel. Es bestimmt ganze Berufszweige, Industrien und Ländereien zur Entmenschlichung ihres Organismus, um sein Bestreben durchzusetzen, Mehrwert anzuhäufen, indem es nur das vermehrt und bestätigt, was Rendite bringt oder zu bringen verspricht. Das Prinzip setzt das Maß für die Zukunft der Produktion und erwartet nicht die Prosperität der gesellschaftlichen Ökonomie, sondern die der privaten, und das ist die der ehedem schon Mächtigen. Dies steht nun auch im Resultat der ganzen Beziehung in vollem Widerspruch zu einander, im Widerspruch vom gesellschaftlichen Organismus der Menschen und ihrer ökonomischen Erneuerung und Entwicklung.

Wo das Finanzkapital seine physischen Ressourcen ergreift, setzt es Arbeit in Gang, wo es abspringt, zerstört es den vorhandenen Organismus schlagartig. Nicht das Geld als gewordener Wertausdruck, sondern das Geld als ideeller, als potenzieller Mehrwert, als politisch zu bestimmende Entwicklungsgröße, als pure Verfügungsmacht über die Produktions- und Lebensverhältnisse und ihre Entwicklung bestimmt den Wert, den Arbeit, Boden und Geld haben. Deshalb besteht der Kapitalismus letztendlich als politische Wertbestimmung, die als politische Klasse national und international mit den ökonomischen Inhalten so hantiert, dass sich eben das wieder als ihre eigenen Bedingungen (möglichst auf erweiterter Stufe) erneuert, was sie wirtschaften ließ: Dass eben genügend Abeitslosigkeit besteht, um die Konkurrenz der Arbeitenden für den Druck auf das Lohnniveau hinreichend groß zu halten, dass soviel Besitzlosigkeit verbleibt (also die Löhne so niedrig bleiben, dass kein oder wenig Besitz entstehen kann), dass genügend Menschen zum Verkauf ihrer Kraft gezwungen bleiben und dass der Boden, die Bodenschätze, die Infrastrukturn (z.B. Verkehrs-und Kommunikationsmittel) und die Mieten den Preis haben, mit dem sich genügend Rente für den gesamten Gesellschaftszusammenhang als Wert (und nicht als ökonomischer Organismus) speichern läßt.

Diese Wertbildung erscheint nun als einfacher Zwang der Sache, als sachliche Existenzgrundlage, die sich in dem Maße erneuert und erweitert, wie alle Menschen unter dieser ökonomischen Bestimmung ihre Funktion erfüllen - die Arbeiter als Arbeiterklasse, die Grundbesitzer als Klasse der Grundbesitzer, Hauseigentürmer und Vermieter und die Banker und Versicherungskaufleute, welche die Rendite verwalten, vermitteln und als Geldverhältnis (z.B. durch Zins, Aktienkapital und Lebensversicherung) in Anwendung und Rückbeziehung auf den Kapitalkreislauf pflegen, erweitern und ausdehnen. Das macht die Revenue, die beständige Selbsterneuerung der bürgerlichen Gesellschaft aus. Sie verlangt eine Beziehung der einzelnen Momente und der Probleme aufeinander, die für sich konkurrieren, also gegeneinander, negativ und in allgemeiner Selbstauflösung bestehen müßten, wenn sie nicht politisch verbunden wären, wenn die allgemeinen Reproduktionsleistungen der Gesellschaft (z.B. Schulen, Verkehrswesen, Deichbau, Gesundheitsversorgung, Geldprägung) nicht jenseits dieses Kreislaufs erbracht werden.

Die unterschiedliche Revenue der in dieser Gesellschaft lebenden Menschen (ihre Einkommen, deren Grundlage ihre Existenzweise ist und diese zugleich fortbestimmt) hat zwischen ihnen die Trennung der Klassen ergeben, die sich auch erneuert und bestärkt. Die Rendite dieser Klassen hat einen gegensätzlichen Sinn. Auf der einen Seite rentiert sich die Teilnahme am Kapitalverhältnis nur in der bloßen Selbsterneuerung, der Reproduktion der Arbeitskraft. Auf der anderen Seite aber rentiert sich die Teilnahme durch Machtzuwachs in der Nutzung des allgemeinen gesellschaftlichen Vermögens in privater Hand (Kapital- und Grundbesitz).

Die Kultur drückt diesen Gegensatz usprünglich und unmittelbar im unterschiedlichen Bezug auf die Quellen des Besitzes aus. Wo auf der einen Seite die Menschen sich auf die bloße Subsistenz beziehen, erfahren sie auf der anderen den ganz allgemeine Rückbezug der Menschen auf ihr gesamtes Leben als Sphäre der Allgemeinmenschen, als Sphäre der Reflexion, des Brauchtums, der Kunst usw.

 

Die bürgerliche Kultur und der Staat

Kultur ist unmittelbar nichts anderes als Sinn und Lebensweise der Menschen, in welcher sie auch ihre gesellschaftliche Bestätigung erfahren. Solange Kultur auf Besitzverhältnissen gründet, hat sie aber auch die widersprüchliche Form der menschlichen Rückbeziehung, welche das Besitzverhältnis ausmacht: von der einen Seite her als unmittelbare einzelne Beziehung des Menschen auf sich selbst als eigentümliche Kraft und Empfindung und Bedürftigkeit, von der anderen als Sphäre des allgemein kultivierten Menschen als allgemeines Resultat der bisherigen Geschichte. Sowohl die Eigentümlichkeiten der Menschen sind in solchen Verhältnissen von einer ihnen fremden Geschichte, einer Geschichte von ökonomischen Gewalten der Besitzer bestimmt, wie auch das Allgemeine für sie nicht als wirklicher kultureller Zusammenhang, sondern als Zusammenhang aller existentieller Notwendigkeiten besteht, eben Geld haben zu müssen und nur als Geldbesitzer und somit auch nur als einzeln Allgemeiner kulturell zu existieren. Ihre Kultur verbleibt innerhalb der bürgerlichen Lebensweise im Einzelnen als bloße Bedürftigkeit und im Allgemeinen eine von ihnen bloß vorgestellte, in ihrem Glauben, Fühlen und Hoffen zusammengefasste Kultur, die nur ideell ihre Bedürfnisse und ihre Entwicklung zusammenfasst. Diese abstrakt und allgemein zusammengefasste Kultur ist der Anspruch der bürgerlichen Kultur überhaupt, die Vorstellung, die sie von sich hat. Sie wird den Menschen positiv entgegengehalten, wie ein Überbau, der sich als Dach der Einzelinteressen, als höherer Sinn ihres Lebens und Strebens ausgibt, als himmlischer Mantel des Allgemeininteresses, der sich über sie stülpt, sie in diesem allgemeinen Sinn fördert. Sie will ihrem Wesen nach nicht Kultur der Menschen sein, sondern Kultur für sie, will sie in dieser Kultur bestimmt sehen wie den Pagen zu Hofe. Sie will Mensch jenseits der konkreten Menschen sein, das sie auf ihre Idee von sich ausrichtet und ein Abweichen sinnlos macht. Der ideell gefaßte Sinn der Menschen ist ihre Hochkultur. Ihr einziger Zweck ist, die Menschen dort, wo ihre Verhältnisse durch die Verwerfungen ihrer Sachverhältnisse auseinanderfallen, idell zu versöhnen. Im Schmerz über ihre Existenz sollen sie vereint werden, damit sie ihre Existenz nicht vereint bewältigen. Aber diese Kultur gelingt nur, wenn und solange das die Menschen auch wollen, wenn und wo sie also keine Not in diesem Sollen verspüren, weil ihre Verhältnisse ihnen zum größeren Teil mehr "Vorteile als Nachteile bieten".

In solcher Hochkultur herrscht vor allem der abstrakte Sinn der bürgerlichen Kultur, die von der Gegenwart abgelösten Kulturgüter: Tradition, Bildung, Glaube, Seele und die Vorstellungen von Menschlichkeit schlechthin. Die Hochkultur ist vergangene Kultur, die repräsentiert, angeeignet und genossen wird. Sie stellt den Bildungsstand der vergangenen Epochen dar, den Entwicklungsstand der menschlichen Sinne, der in Schulen übermittelt, in hoheitlichen Sphären gefeiert und in den Ruheräumen als Rückbesinnung genossen wird.

Solche hohen Kulturgüter sind nicht von selbst abstrakt. Sie werden dadurch von der konkreten Kultur abgehoben, dass sie sich nicht als Waren verkaufen lassen. Bildung, Glaube, museale Kunst sind Grundlage und Begründung für den gesamten Reproduktionsprozeß einer Gesellschaft. Sie können nicht im Tauschverhältnis auftreten, weil sie nicht um ihren Wert konkurrieren können. Daher ist die Hochkultur die vornehmste Sache des Staates, die in seinen allgemeinen Bereich hineingehört, in welchem alle Reproduktionsaufgaben der Gesellschaft (Infrastruktur, Verkehrswesen, Bildung, Gesundheit etc) bewerkstelligt werden.

In der Hochkultur herrscht die Eintracht des Brauchtums, die sich für die existentielle Gegenwart als allgemeine Bedingung ausgibt, während die praktischen kulturellen Beziehungen der Menschen von dieser Allgemeinheit ausgeschlossen bleiben, weil ihre Interessen darin nicht vorkommen können, ohne die Allgemeinheit dieser Kultur zu bedrohen. Die Kultur ist ja nichts anderes, als der konkrete Lebensprozeß der Menschen, der in der bürgerlichen Gesellschaft sich nicht als Produkt der Geschichte, sondern als Machtkampf der Einzelexistenzen gestaltet. Demgegenüber gibt sich die Hochkultur ungerührt und bedingungslos, hat sie doch die Allgemeinheit des gesellschaftlichen Sinns zum Inhalt, auch wenn dieser im Widerspruch zu seiner Bedingung steht: Er ist durch die Geschichte bedingt und soll zugleich Bedingung der gegenwärtigen Sinnentfaltung sein; - aber in der bürgerlichen Gesellschaft gibt es für solche Geschichtlichkeit keine Existenz. Die herrschende Kultur bezieht sich als Hochkultur im selben Verhältnis auf die Menschen, wie diese in der bürgerlichen Gesellschaft auch ökonomisch gestellt sind: Arbeiter stehen darin unter der bloßen Existenzabhängigkeit, der Sorge um ihren Haushalt, dem Mangel an Entwicklungspotential und der Abhängigkeit von der Knappheit des im Lohn zugewiesenen Geldquantums. Geldbesitzer stehen darin als Beförderer der gesellschaftlichen Entwicklung als "Unternehmer", haben ihre Kultur im fortwährendem Wandel des Reichtums, Entwicklung von Technologie, Know-how und Action. Und Land-, Grund- und Immobilienbesitzer stehen darin als Träger der Tradition, lassen sich von der Bodenständigkeit tragen und beziehen sich darin auf sich selbst als geschichtlich gewordener Allgemeinmensch, den sie in Religion, Philosophie, Kunst und Ästhetik genießen. In dieser vergangenen Geschichte sehen sie ihre Gegenwart begründet, wiewohl die Gegenwart sich nur auf dem Verzehr der gegenwärtigen, zur Geschichtlosigkeit verurteilten Quellen und Kräfte gründen kann. Vergangenheit beherrscht Gegenwart, Totes bestimmt Lebendiges. Das ist der historische Widerspruch der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt, wie er auch im Verhältnis der Hochkultur zur existentiellen Kultur sich vollzieht.

Die Bereiche der Hochkultur sind an den allgemeinen Verkehrsverhältnissen reflektierte kulturelle Beziehungen. Sie entstammen der allgemeinen Notwendigkeit der sozialen Welt (Ethik, Recht, Sitte, Anstand, Religion) und reflektieren sich in ihren Medien als allgemeine Bedürftigkeit (Kirche, Theater, Rundfunk, Fernsehen und Presse) und in den Anwendungen der Sozialwissenschaften als Restaurationsnotwendigkeit (z.B. Psychologie, Psychiatrie, Pädagogik, Soziologie). Diese Kulturbereiche sind für den Erhalt der bürgerlichen Gesellschaft immens wichtig, enthalten sie letztlich doch vor allem ihr Legitimation, ihre Visionen (von Zukunft und Sinn) und ihre Krisenperspektiven (Glaube an die Lösung). Dies macht ihren politischen Zweck aus. Und dieser hat eine Form für sich: den bürgerlichen Staat.

Der bürgerliche Staat gründet auf der Lebensweise seiner Bürger und den Vorstellungen, die sie sich darüber machen. Er hat diese Kultur zu seinem positiven Inhalt und Zweck und steht damit im Widerspruch von allgemeinen Kulturinteressen (Fortbestand der Gesellschaft und der allgemeinen Lebensgrundlagen) und den einzelnen Kulturinteressen (Ausdruck der eigenen Lebenslage in widersprüchlichen Produktionsverhältnissen). Er faßt das Produktions- und Reproduktionsinteresse der Menschen wie ein menschliches Allgemeininteresse in sich zusammen - aber ihm "gelingt" diese Zusammenfassung nur dadurch, dass er das Allgemeininteresse als Reproduktionsinteresse des Kapitals verfolgt. Als ideeller Gesamtkapitalist spitzt sich in ihm der Widerspruch des Kapitalismus, der Widerspruch von Privatheit und Gesellschaftlichkeit der Lebens- und Produktionsverhältnisse auf einer staatspolitischen Ebene zu. Das Volk ist darin wahrnehmender Teilhaber, der sich seine Meinung bildet und über die möglichen Alternativen im allgemeinen Verhalten zu den Sachzwängen nachdenkt und streitet. Es existiert in der bürgerlichen Demokratie eben burgherrlich (das ist der Wortsinn von Bürger): als ideeller Souverän, der sich dem Staat als Wählermeinung zuneigt oder seine Politik abweist, indem es neue Angebote an Politikern oder politischen Richtungen fördert. Aber es ist nicht der wirkliche Souverän des Staates. Es erzeugt nicht die Politik, - es wundert sich über mancherlei Zwänge, denen die Politiker nach den Wahljahren zu folgen haben. Es hat keine wirklich politische Existenz, solange es nur und ausschließlich als Wählermeinung gesellschaftlich auftreten kann, solange also der Ort der Gesellschaftsbildung (die Arbeit und ihre Glieder und die Bedürfnisse, die sie enthält) von dem politischen Ort getrennt bleibt, d.h. davon unterschiedenen Interessen folgt.

Der bürgerliche Staat hat ein wesentliches Interesse am Erhalt der bestehenden Verhältnisse, der allgemeinen Besitzverhältnisse, von denen die Besitzlosen als bloße Eigentümer ihrer Lebenskräfte abhängig sind, und verfolgt in letzter Konsequenz die Interessen des allgemeinen Besitzstandes, die er als Interesse des allgemein Menschlichen ausgibt und das er als Bedürfnis des Volkes nur vermuten und ansprechen kann. Er ist nicht nur der Hüter der kapitalistischen Produktionsbedingungen, der Verfügbarkeit von billiger Arbeitskraft und billiger Produktionsmittel und -materialien, nicht nur Kasse für die Rente, sondern auch der Träger und Förderer der Hochkultur.

Aus den ursprünglichen Aufgaben des bürgerlichen Staats folgt seine eigentlich konservative Beziehung auf die Gesellschaft, die sich an der Notwendigkeit der Erhaltung der bestehenden Verhältnisse bemisst und seine Ermessensgrundlagen ideologisch und allgemein bewertet: Die Rechtschaffenheit des Verwaltens und Verfügens, die Selbstgerechtigkeit des freien Willens als Allgemeinwille und die Bezichtigung von Aufwiegelungen oder Aufständen durch die Moral des Allgemeinverhaltens, der Sitte und des Anstands. Der Staat regelt auf dieser Grundlage die Willensverhältnisse (Zivilrecht), die Bezichtigung, Verfolgung und Bestrafung von Rechtsbrechern (Strafrecht), Aufbau und Erhalt der Infrastruktur und die Bereitstellung von Fähigkeiten und Grundlagen für die gesellschaftliche Arbeit (Verkehrswesen, Ausbildung, Notenbank). Und schließlich hat er die große Aufgabe der Förderung von allgemeiner Wohlfahrt und Kultur und die Restauration der Gesellschaft bei wirtschaftlichen und sozialen Problemen.

Durch diese Förderaufgaben, die letztlich daraus resultieren, dass das Kapitalverhältnis als solches die gesellschaftlichen Potenzen nicht fördern, sondern nur vernutzen (entleeren) kann, enthält sein Handeln auch den Widerspruch von Allgemeinkultur und Krisenmanagement, das als Grundlage der neuzeitlichen Probleme noch herauszustellen ist. Der Widerspruch löst sich in dem Maße, wie das Krisenmanagement durch Internationalisierung der Wertbildung auch gegen die konservativen Interessen des Staates gefordert ist. Innerhalb der nationalen Kapitale besteht bei wachsender Krisenlage nicht die hinreichende Wirtschaftskraft und auch nicht das Interesse, große Teile des Mehrwerts zur Krisenfinanzierung abzutreten. Das Kapital kommt hier schnell an seine Grenze. Klassenkämpfe wären unausweichlich.

Durch die Internationalisierung des Kapitals, anfangs (in der Zeit des Kolonialismus) noch unter Nutzung des Militärs, konnte der Krisenpuffer erweitert werden, weil hinreichende Anteile des Mehrwerts - auch bei inländischem Fall der Profitrate - durch Exportgewinne national ausgeglichen wurden. Die Steuereinnahmen des Staates reichten dann auch zu einem Management, welches die Idee des kapitalistischen Wohlfahrtsstaats aufkommen ließ. Das Kapital musste seine Interessen nicht mehr über die Grenzen der allgemein nötigen Reproduktionskosten seiner Arbeiter hinaustreiben, sondern konnte sich - dank der staatlichen Absicherung - im Inland friedlich geben.

 

Der Wohlfahrtsstaat oder die Staatskultur

 

Spätestens seit den sogenannten Sozialistengesetzen von Bismarck hat auch der Staat seine ausschließliche Parteinahme für das wirtschaftliche Allgemeininteresse des Kapitalismus relativiert. Hatte er bisher sich sozial nur zu den Problemen verhalten, die sich aus der Konkurrenz der Einzelinteressen und den Krisenzyklen des Kapitals ergaben, so hat er nun die Funktion eines Gesellschaftsganzen bekommen, das auch die ökonomische Befriedung gesellschaftlicher Gegensätze zu leisten hat: die Pflege des "sozialen Friedens" durch Beschwichtigung von Gegensätzen und Bekämpfung von Aufruhr und Widerstand. Störquellen des "sozialen Friedens" lassen sich nur durch Vorsorge und Versorgung (Sozialkasse) vermeiden. Das hat den bürgerlichen Staat zum "Wohlfahrtsstaat" gemacht. Im Wohfahrtstaat gibt sich der Staat als Garant der nationalen Kultur, gegen die Krisenhaftigkeit der Ökonomie und der Gesellschaft.

Der bürgerliche Staat ist hierdurch erst wirklich seiner eigentlichen Rolle als Überlebensstrategie des Kapitalismus gerecht geworden. Er konnte nicht in der unmittelbaren allgemeinen Beziehung auf die Ökonomie der Lebensverhältnisse verbleiben. Hierfür war die Industriegesellschaft nun schon zu weit fortgeschritten und mit konkreten Widersprüchen von Allgemeinsinn und Einzelinteresse überlastet und zugleich vom ökonomischen Vorteil der Industrialisierung und der Internationalisierung eingenommen. Eine Industriegesellschaft muss dem Allgemeinsinn eine allgemeine Masse verleihen, um sich in der Anarchie der Einzelinteressen durchzusetzen.

In unserem Land wurde das Deutsche Reich gegründet und mit ihm die Wohlfahrt des Kulturstaats Deutschland, der sich aus dem Verhalten der Kapitalien nicht nur heraussetzte, sondern auch den kulturellen Zusammenhang der Deutschen stiftete. Dies entsprach der ökonomischen Notwendigkeit der Geschichte der kapitalistischen Krise. Als hervorragendes Interesse dieses Staates war die militärische Macht und Präsenz zur Formierung und zum Schutz des nationalen Allgemeinwillens gesetzt worden. Seine militärische Option bezog sich vor allem auf den Gesamterhalt des in ihm zusammengefassten Kulturkreises und die Durchsetzung der Abwehrmechanik gegen innere Feinde (Krisen) und äußere. Es sollte sich schnell zeigen, dass der innere Feind am besten durch äußere Feindschaft gezähmt werden konnte.

Der Staat wurde zum wehrhaften Handelskapitalist im Ausland, um seine wirtschaftlichen Krisenpuffer im Inland auszubauen. Und im Inland war er aktiv geworden, indem er auf die Krisen des Kapitalverhältnisses mit seiner Krisenprophylaxe durch staatspolitische Regulationen - Umverteilungen (Sozialausgleich) und Besteuerungen - reagierte. Hierdurch waren die rauhen Zeiten der unmittelbaren Lebensbedrohlichkeit von Einzelexistenzen durch Krisen der Einzelkapitale beendet. Das Bürgertum entwand sich seiner zwiespältigen Lage zwischen Kapital und Arbeit und wurde zu einer staatspolitisch orientierten Zwischenschicht, die sich als wesentlicher Vollstrecker des Staatswillen berufen sah und daran erstarkte, dass es damit den Markt nun auch wirklich dominieren konnte (es war die Geburt der reichen Zwischenschichtler wie Ärzte, Anwälte, Politiker, Zeitungsverleger usw., die bis dahin ein kärgliches Dasein hatten). So wurde der Staat wenigstens teilweise nun auch vom Volk als in seinem Sinne handelnd angesehen, auch wenn dies nur als staatspolitische Fürsorge für das Wohl des Allgemeinverhätnisses geschah. Monarchien, die bisherigen Kulturträger wurden überflüssig. Die neuen Verkehrsformen waren als realer politischer Allgemeinwille in den Republiken adäquater formalisiert.

Die staatspolitische Aufgabenentwicklung der im Staat zusammengefasste Hochkultur als politischer Allgemeinwille hatte ihn zum wirklichen Kulturträger der Bürger gemacht. Er konnte jetzt erst die feudalistische Kulturkonserve, welche bis dahin in der kulturpolitischen Funktion des Monarchen bestanden hatte, auflösen und dem unzeitgemäßen Prunk der Feudalkultur die kultivierte Stellvertreterposition des Reichskanzlers und Präsidenten entgegenstellen. Die Überwertigkeit der Feudalkultur, die Jenseitigkeit ihrer Herkunft, wurde so zur überwertigen Kultur des Kleinbürgers, der seine Phantasien als Maßgabe seiner Weltbewältigung herzunehmen begann. Während die monarchistische Kultur zur Spielwiese des Phantastischen gegen die Handlungszwänge des Staats und seiner internationalen Interessen verkam, wurde die Psyche des Bürgers zum Augaupfel der allgemeinen Selbsterkenntnis. Während König Ludwig II. von Bayern den Konflikt zwischen seinen Kultur-Phantasien und der Kriegs- und Kulturpolitik seines Kanzlers in aller Öffentlichkeit vorgeführt hatte und mit seinem Leben bezahlen mußte, keimten die Anfänge der wissenschaftlichen Seelenkenntnis, Psychiatrie und Psychoanalyse, zur Beherrschung der immer massiger werdenden und ins öffentliche Bewußtsein drängenden psychischen Verrückungen.

Der Wohlfahrtsstaat ist zu einer eigenständigen Sphäre der Allgemeinkultur geworden, selbständige Kultur, die ihren Grund in der Überwertigkeit der gesellschaftlichen Sinnstiftung bekommen hat. In dem Maße, wie die Bevölkerung an nationalen Handelsprofiten beteiligt wurde, in dem Maße, wie die Überproduktion eines Landes als Mittel gegen allgemeinmenschliche Not (durch Export von für andere notwendige Güter) erscheinen und dabei zugleich dem Fall der nationalen Profitrate entgegentreten kann, trennt sich die Kultur eines Landes von ihrer existentiellen Bestimmtheit und erhebt sich innerhalb dieser Nation über die Klassenverhältnisse wie eine Verwirklichung der Idee, die der Kapitalist von seinem Geld hat. Die Entgeistigung der sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen entwickelt die Begeisterung für einen Staat, welcher der Substanzlosigkeit der existentiellen Welt einen allgemeinen Sinn jenseits der Menschen entgegenhalten kann. Das Chaos der wirtschaftlichen Undurchdringlichkeit, die Ahnung der gesellschaftlichen Not, die darin keimen kann, soll seine Bewältigung durch die Übermacht des Staates erfahren.

Der Staat wird so zur Kulturmacht. Der im Staat zusammengefasste Allgemeinwille tritt jetzt als Kulturträger auf, der die einzelnen Willensverhältnisse nicht unbedingt reflektieren muss, weil er seine Allgemeinheit auch als Sollen dem Einzelnen entgegenhalten kann. Der Staat ist der kultivierte Allgemeinwille, der sich dem Einzelnen mehr oder weniger zugeneigt verhalten kann - je nach Krisenhaftigkeit des Staatsganzen. In dieser Kultivation benötigt er nicht nur politische, sondern auch ästhetische Mittel zur Selbstlegitimation und gegebenenfalls auch zur Durchsetzung seiner Macht. Er nutzt die Hochkultur als Mittel seiner Macht, als Mittel zur Unterwerfung der lebenden Kultur und den Staatszweck.Was das Leben der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft ausmacht, die gesellschaftliche Teilung von Arbeit und Bedürfnissen, die über den Warentausch zusammengeführt wird, findet im Wohlfahrtsstaat nun auch einen gewaltigen kulturellen Zusammenhang als Hochkultur. Sie stellt sich aus dem toten Zusammenhang der Arbeit im Kapital jetzt auch als toter Zusammenhang der Bedürfnisse heraus: Die allgemein auseinanderfallende Subjektivität der bürgerlichen Gesellschaft hat ihre tote gesellschaftliche Gestalt als objektive Subjektivität des Wohlfahrtsstaates. Die Hochkultur wird in dieser Form zur Herrschaft toter Bedürftigkeit über die lebenden Bedürfnisse der Menschen.

Kultur hat so eine enorme staatspolitische Funktion, die zu allen nationalen und nationalistischen Anlässen vollzogen wird - sei's bei olympischen Selbstdarstellungen oder als Reichspropaganda. Die Mittel hierzu werden ihm gezollt, weil er die einzig verbliebene Gesellschaftlichkeit der Menschen darstellt, selbst wenn er ganz gegen ihr unmittelbares und konkretes Interesse handelt. Aus diesem Grunde gilt er als der Vater, der Krisenmanager und wird in Krisenzeiten ob dieser Funktion vergöttert, wie ein Garant der ewigen Geschichte des Bürgertums. So kann er sich auch praktisch in Form des staatsmännischen Populismus in die Herzen seiner Bürger schleichen, die sich unter kritischen Umständen eher ihm zuneigen als ihrer eigenen Schicht, die sich im Streit um ihre letzten Pfründe zu zerfleischen droht und ob der heftigen Konkurrenz der isolierten Eigeninteressen schier zerbrach.

Der Wohlfahrtsstaat ist aber ein sehr beschränkter Krisenmanager. Sobald die Krisen der Kapitalverwertung das umlaufende nationale Geldvermögen selbst angreifen (Rezession, Inflation), hört seine Funktion auf: Die Wohlfahrt kehrt sich um in Gegenregulation. Sie muss die Wertverluste durch Einschränkungen der Vorsorgeleistung und durch Eingriffe in die "freie Beziehung der Staatsbürger" ausgleichen. Die wesentlichen Quellen der Kapitalwirtschaft werden zum Gegenstand eines kulturpolitischen Diktats, durch welches die Bürger zunehmend in die Pflicht der Allgemeinkultur genommen werden. Und das in dem Maße, wie die Wirtschaft an Kraft verliert.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Kolonien politisch und wirtschaftlich am Ende. Ihre Ausbeutung rentierte sich nicht mehr, weil die Erhaltungskosten der dortigen Infrastrukturen und der militärischen Besatzung zu hoch waren. Andererseits waren diese kolonialisierten Länder hierdurch auch abhängig geworden von der Wirtschaftsmacht der einstigen Besatzer. Von da her war eine Beziehung zu diesen längst existenznotwendig. Militär und Staatsfürsorge waren nicht mehr notwendig zu ihrer Ausbeutung. Der Übergang vom Kolonialismus zur Handelsabhängigkeit der Dritten Welt, der Übergang zum Imperialismus, war der vermutlich wichtigste Grund für den Ersten Weltkrieg. Die deutsche Position war in dieser Entwicklung (im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten) besonders gefährdet, weil sie relativ schwache Kolonien hatte und die Handelbeziehungen zu diesen nicht hinreichend ertragreich waren, um den Wechsel leicht zu überstehen. Das Ende war fatal. Der "Untergang des Abendlandes"(22) wurde beschrieben. Für Deutschland wäre es das Ende der Entwicklung seiner Kapitalwirtschaft gewesen, wäre da nicht ein Mann aufgetreten, der aus dem wirtschaftlichen Elend die Kulturmacht Deutschland herauslockte: Adolf Hitler.

Ganz im Einklang mit den Interessen des deutschen Kapitals gab er sich antikapitalistisch, nationalsozialistisch und völkisch. Er verzerrte die Fratze des Kapitalismus zu einer Kulturfeindschaft mit dem Judentum und appellierte an die Gesundheit und Kraft der Natur, des deutschen Geistes und des deutschen Körpers und versprach hierfür die Endlösung für das Wohl der Deutschen, den absoluten Wohlfahrsstaat. Der Appell an das Gefühl des Großteils der Bevölkerung gelang. Der "Untergang des Abendlandes" konnte mit der Unterwerfung der Kultur unter die Verwertungsinteressen der Volkswirtschaft als ganzes abgewendet werden.

Der Kapitalismus war aus der deutschen Realität verdrängt und zum Bild des "ewigen Juden" gemacht, der Führer zum Sinnbild des deutschen Volkskörpers, das Staatsganze zur Leitkultur. Sie bestimmt Konformität und Abweichung vom Zweck der staatspolitischen Erfordernisse, welche als kulturerhaltende Erfordernisse ausgegeben werden (z.B. Rassengesetze, Judenverfolgung, Berufsverbote, Ausländergesetze usw.). Hierdurch erfährt der Bürger kulturelle Direktiven, deren Sinn in einer sozialpolitischen Unterwerfung für den Arbeitsprozeß steckt. Er soll unter dem Druck stehen, durch seine einzelne Diszipliniertheit, Bescheidenheit und Beflissenheit, das volkswirtschaftliche Ganze zu befördern. Der Andersartige wird zum Drohmittel gegen den Normalen, damit der Normale seine Pflicht zur Artigkeit begreift. Der Jude, der Kommunist, der Schwule usw. wird niedergemacht, um einen Schuldigen für die Kulturbedrohung herauszustellen und damit durch das gewonnene Feindbild die Zusammenfassung aller Bürger gegen äußere Feinde, die Zusammenfassung eines "Volkskörpers" unter die staatsgewollte Kultur gelingen konnte.

Dem Wohlfahrtsstaat ist der Faschismus immanent, insofern er seine Legitimation aus der Wohlfahrt für alle entnimmt - im Faschismus allerdings nicht mehr als Wirklichkeit, sondern als Vorsehung. Das war im Hitler'schen Faschismus auch ganz offenkundig. Er war in "freier, gleicher und geheimer Wahl" entstanden, weil das Volk an die Wohfahrtsmacht des Staates geglaubt hatte. Faschismus war die totale Staatsform, die der Wohlfahrtsstaat einnehmen kann, wenn seine reale Fürsorge an seinen Möglichkeiten gescheitert ist, und er wird zur illusorisch begründeten Macht über die Menschen, indem er ihnen Wohlfahrt verspricht, wenn sie sich der Staatsmacht als der Macht des Allgemeinen beugen. Allerdings muß der Faschismus die Illussion der Wohlfahrt auch einlösen - und dies kann er nur durch Import von Devisen einerseits und andererseits durch die Zerstörung der Fremdwährung, die den Krediten zugrunde liegen - und das geht nur mit Besetzung des ausländischen Marktes und seiner Quellen - am einfachsten mit Krieg.

Der politische und militärische Expansionismus ist ein notwendiges Interesse des Wohlfahrtsstaats. Und daran ist er letztlich auch gescheitert, auch wenn er auf den Trümmern des Faschismus in der Zeit des sogenannten Wirtschaftswunders eine letzte Wiederbelebung erfahren hatte, wie eben jeder Wiederaufbau ein Aufblühen der Kapitalwirtschaft mit sich bringt und ein prosperierender Markt auch hinreichende Überschüsse hat. Aber nach der deutschen und europäischen Restauration hat der Wohlfahrtsstaat seine Beschränktheit in der Unhaltbarkeit seiner volkswirtschaftlichen Versprechungen erfahren müssen. In den sechziger Jahren wurde dies sinnfällig, als Notstandsgesetze gemacht wurden und der US-Imperialismus seine aggressive Militärpolitik als weltstrategisches Kalkül an verschiedenen Plätzen offenbarte. Mit dem Vietnamkrieg kam es auch in die Medien, die sich teilweise kritisch, teilweise offen und brutal hinter diese Aggressionen stellte (Springerpresse).

Die Studentenbewegung in den sechziger und siebziger Jahren hatte diesen Widerspruch von volkswirtschaftlichen Versprechungen und imperialistischer Politik zu verarbeiten versucht und hieraus Konsequenzen für eine andere Gesellschaft gezogen. Ihre Eltern hatten den Faschisten noch in ihrem Gemüt und zugleich zerrte das Kapital schon mit vielschichtigen Konsumangeboten an ihrer gerade entstehenden Selbständigkeit. Das war ein kultureller Übergang im Höhenflug. Während noch die seelischen Verkrüppelungen faschistoider Soziogenese zu bewältigen waren, wurden auch schon die Freiheiten des modernen Konsumverhaltens gelebt und als kulturelle Entwicklung ausgetragen (sexuelle Revolution, Selbsterfahrungs-Extasen, Subkultur, und Kult jedweder Art). Manch einer landete zerstört auf dem Boden der kapitalistischen Nachkriegsgeschichte. Aber in dieser Zeit wurde auch schon deutlich, dass ein Widerstand gegen das Kapitalverhältnis nicht mehr nur vom Proletariat ausgehen kann. Die an die Fließbänder abgewanderten Studenten mussten das bitter erfahren: Sie hatten eine Widerständigkeit, die sowohl von den Gewerkschaften wie auch von den jeweiligen Betriebsräten nicht zu begreifen, geschweige denn, politisch umzusetzen war. Die Studentenbewegung war ein Protest gegen den Faschismus und gegen die kapitalistische Kultur in einem. Aber der Protest war schließlich überschwemmt worden von den Möglichkeiten des Kapitalismus, sein Krisenmanagement mit der individualisierten Sinnstiftung durch Konsum und Spaß zu betreiben und das eigene Land wenigstens tendenziell von seinen Abfällen zu säubern. Die Grünen übernahmen willig die Funktion des Straßenkehrers und entzogen sich - wie es ein solcher Dienstleister eben tun muss - den ökononomischen Widersprüchen schon so weit, dass sie selbst zu Agenten des Kapitalismus geworden sind (ihren ökonomischen Verstand haben sie inzwischen ja zur Genüge geoutet).

Die Notwendigkeit zu einem anderen Staatsbegriff ergab sich zum Anfang der neunziger Jahre aus dem nationalen Problem des Standort Deutschland, das ihm vom Weltmarkt her angetragen wurde. Die relativ "hohen Sozialkosten" des Wohlfahrtsstaates reduzierten seine Konkurrenzfähigkeit. Die "Stücklohnkosten", die jetzt mit denen des internationalen Marktes verglichen und zur Maßgabe der Position des Deutschlandbetriebs in der Konkurrenz der nationalen Betriebswirtschaft zu anderen Staaten wurden, enthielten zu viele "Sozialkosten". Die Geldpolitik, die Devisenwirtschaft, gab den Anlaß, als bei wachsender Produktivität die Devisenwerte der Bundesrepublik sanken und ein Abwärtstrend im Vergleich zu den erstarkten USA absehbar wurde. Was an Wirtschaftswachstum entstand, verschwand in der Entwertung der Deutschen Mark, die beim Export eingetauscht wurde. Deutschland mußte mitmachen, um überhaupt noch am Wertwachstum teilzunehmen. Die Deutschland-AG wurde gegründet und sie konzentrierte die nationale Produktion auf den Export.

Zur Überwindung des Wohlfahrts- und Sozialstaats bedurfte es einer am Kapitalertrag unmittelbar beteiligten Volkswirtschaft, welche sich nur noch durch grenzenlose Marktausdehnung bewirtschaften konnte. Seitdem funktioniert die Volkswirtschaft über den Handel von Import und Export nicht mehr wie eine nationale Krisenlösung durch den Handel mit mehrwertträchtigen Gütern, die über die nationalen Grenzen hinweg die Sicherheit innerhalb dieser Grenzen garantieren. Sie funktioniert jetzt wie eine betriebswirtschaftlich ausgerichtete Produktionsgemeinschaft, die allgemeinen Wohlstand durch unmittelbaren Kapitalertrag so erbringen will, wie es ein Kapitalist auf dem Markt gewohnt ist. Die nationalökonomische Betriebswirtschaft braucht natürlich ihren inländischen Markt, ihre Industrie und Exportquellen und beteiligt sich ebenso an den nationalen Profiten aus Industrie und Handel. Neu an ihr ist eigentlich nur die Grenzenlosigkeit ihrer Beziehungen. Aber die Folgen sind gigantisch. Sie ist nicht mehr die Grundlage für einen Wohlfahrts- oder Sozialstaat, der sich ausschließlich über nationale Steuern, Zölle, Sozialkassen und Renten finanziert, nicht mehr nur ideeler Gesamtkapitalist, sondern sie betreibt einen ganz realen und unmittelbar wirksamen Kapitalismus. Der nationale Betriebswirt stellt sich zu seinen Bürgern wie ein Unternehmer und zum Ausland wie ein Nationalökonom, dem aber keine Grenzen mehr gesetzt sind. Er handelt wie ein Industrieller mit eigener Notenbank, die an den Gewinnen beteiligt ist. Und deshalb kann er auch Teile seines Vermögens (z.B. Bahn, Post und Kabel) verkaufen und als sein Kapitalvermögen und seine Grundrendite (z.B. UMTS-Lizensen) privatisieren, die er wiederum als Regulativ für seinen internationalen Handel einsetzt. Seitdem geht es dem Staat überwiegend um diesen nationalökonomischen Handel, um die Markterweiterung der nationalen Märkte zum Europäischen Markt und um die Globalisierung der Märkte überhaupt.

Um die Bevölkerung auf den Übergang zum "globalen Markt", zur Globalisierung des Kapitals, einzustimmen, wurden aus den volkswirtschaftlichen Versprechungen des Wohlfahrtsstaats die betriebswirtschaftlichen Versprechungen einer Deutschland AG, die als Kapitalertrag das bringen soll, was die Nationalwirtschaft für das Wohlergehen der Menschen nicht bringen konnte. Die Krisenpolitik wurde damit zur Sache der Beteiligten, der Mitmacher. Aber auch dies hat Kultur.

 

Die Kultur der Krisenpolitik

Hier in Deutschland hat sich die Arbeitswelt in den letzten 50 Jahren sehr gewandelt: Handel und Dienstleistungen machen inzwischen den größten Teil aller Beschäftigungen aus (1950: 32,8%; 1997: 62,8%); das produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft haben rapide abgenommen (1950: 67,2%; 1997: 37,2%) (4). Der größere Teil der arbeitenden Bevölkerung arbeitet in einem Bereich, der vom Anschein her eher der Reproduktion der Verkehrsverhältnisse und dem Interesse des Handels zuzuordnen ist, als der Produktion von Gütern. Man spricht von einer Dienstleistungsgesellschaft. Wo sich die Menschen gegenseitig zu Diensten sind, sich die Schuhe binden oder die Fenster putzen, die Haare schneiden, die Post austragen oder mit Rat und Tat beiseite stehen, erzeugen sie kein Mehrprodukt, das ja die organische Grundlage für den Mehrwert darstellt. Von Politikern und Wissenschaftlern wird deshalb gerne behauptet, wir hätten den Kapitalismus längst überwunden, wir seien im Grunde eine klassenlose Gesellschaft. Doch der Schein trügt: Die Dienstleistungsgesellschaft gibt es eigentlich nicht und was die Menschen in ihren Büros und Agenturen machen, das dient vor allem einer selbst schon automatisierten Produktion von Maschinen.

Sie leben in einer gigantischen Maschinerie, die sie bedienen und auch bezahlen und deren Nutzung wie eine selbstverständliche Bedingung dieser Gesellschaft erscheint. Sie fahren gute Autos, kaufen sich jedes erdenkliche Haushaltsgerät, jedes Kommunikationsmittel oder die unzähligen Medienmaschinen und Apparaturen zum Kulturkonsum. Sie lassen sich beim Arzt mit hochtechnisiertem Gerät untersuchen und behandeln, kaufen und bedienen ihre Computer wie auch die Materialien und Maschinen ihrer Baumärkte oder kaufen von Sägeautomaten zugerichtetes Holz bei Ikea, um die vorgestellten Gestaltungsideen für ihre Wohnung zu nutzen. Die Technologie bestimmt ihren Alltag und ihre Reproduktion. Und ihnen geht es dabei solange relativ gut, wie sich diese Technologie entwickelt und von ihnen auch produziert wird. Sie ist das teuerste, was man verkaufen kann und sie verbilligt das Leben, solange sie Mehrwert schafft - vor allem, wenn er im Ausland erzielt wird.

Unsere sogenannte "Wissens-, Informations- oder Dienstleistungsgesellschaft" ist die Gesellschaft der Maschinennutzer und Maschinenkäufer, deren Gebrauchsgüter vorwiegend Maschinen sind, und die auch vorwiegend Maschinen produzieren, deren Mehrwert sich nur auf dem Weltmarkt verwirklicht, für die sie aber die Subsistenz (Reproduktionkosten), die Intelligenz (technisches Know-How), Kreativität (virtuelle Geschichtsbildung) und Pflege aufbringen - so zumindest der größere Teil der Bevölkerung. Gepflegt wird die Verständigung, die Kultur, der Glanz, der Verkehr und auch Werbung und Handel mit Waren und Geld.

Hierdurch ist eine Mittelschicht entstanden, die weitgehend von der ökonomischen Position des Landes auf dem Weltmarkt und von der Geldzirkulation und ihren subalternen Strukturen (Verwaltung, Versicherung, Banken, Werbung) abhängt. Das Proletariat besteht zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Ausländern, welche durch Ausländer- und Einwanderungsgesetzte geregelt und diszipliniert werden und auch kulturell von deutschen Arbeitern abgetrennt sind, so dass ihre objektive ökonomische Interessengleichheit kulturell unwirksam ist.

Zugleich ist die Anzahl der Erwerbslosen gewachsen (5), wie auch die der Selbständigen mit geringfügigem oder mittleren Einkommen. Die Kluft zwischen arm und reich hat sich weltweit (1) und auch in Deutschland vergrößert. Die Armen, immerhin fast ein Viertel der Bevölkerung (2), geraten zunehmend zur Subkultur und fallen höchstens hier und da bei Gewaltkonflikten ins öffentliche Auge. Das Grunderleben der Wirkungslosigkeit und Gesellschaftslosigkeit ist bei ihnen allgemein. Es kann nicht ihr Interesse sein, dass der Arbeits- und Kapitalmarkt transkulturell und transnational expandiert, so dass besonders bei ihnen nationalistische und nazistische Tendenzen erstarken. Die große Armut, die Arbeitslosigkeit schwankt zwischen 4% bis 8% (je nach Berechnungsgrundlage). Die sozialen Probleme werden durch die zunehmende Belastung der Sozialkassen (Mindereinnahmen, Preissteigerungen, anwachsende Beanspruchung und Ableitung der Finanzmittel) immer halbherziger angegangen und den Familien, den Wohlfahrtsorganisationen oder der Straße überlassen.

Andererseits hat die Bundesrepublik einen fast stetig wachsenden Exportüberschuß (7). Die Europäische Union hat hochwertige Devisen, wenn man den Realwert der Zahlungsmittel am durchschnittlichen Einkaufskorb der Vergleichsländer bemisst (8). Im Zukunftsmarkt hortet jeder vierte Haushalt mehr oder weniger große Aktienbestände und beteiligt sich damit am Risiko der Kapitalverwertung. Das Risiko besteht hauptsächlich in der Absetzbarkeit der verschiedensten Produktionsvorstöße, nicht in der Produktion selbst, die nach wie vor dem Warentausch dient und dem Zinssatz folgt. Immerhin haben schon 98% aller Devisentransaktionen (1,2 Billionen Dollar täglich) nichts mehr mit Warentausch zu tun und die Aktienanlagedauer liegt im Durchschnitt bei weniger als 8 Tage. Die Aktionäre übernehmen somit das höchste Ririko, während der Kapitalverkehr in den Konzernen und Banken relativ kontrolliert fließen kann. So stellen sie auch einen erheblichen Krisenpuffer dar, da die Krisen der Kapitalentwicklung nun auch schon in ihrer Vorphase durch Geldvernichtung im Geldbeutel der Aktionäre ausgeglichen und dem Volksvermögen entzogen werden können (alleine die Verluste bei den Aktien der deutschen Telekom im ersten Halbjahr 2001: 600 Milliarden DM). Als Aktionär beteiligt sich der Bundesbürger unmittelbar an Überfluss und Niedergang und stellt sich bewußt oder unbewußt zunehmend auf die Seite des Kapitals, teilt seine Sorgen und sein Wohlergehen wie die Amme im Haus reicher Leute. Während er zugleich unmittelbar von den Verwertungskrisen und ihren Folgen (z.B. Inflation und Arbeitslosigkeit) bedroht ist, hofft er auf seine Anteile am Gewinn. Das ist im Prinzip selbstmörderisch, weil er sich der Logik der Wertvernichtung als Gewinner zu unterwerfen sucht.

Im Prinzip handelt es sich hierbei um eine permanente Gegenwartsverschiebung auf die Zukunft der Kapitalerträge, die der Kulturmarkt in den reichen Nationen betreibt und die ihn wiederum belebt. Hieraus entstehen Strukturveränderungen im Lebenszusammenhang der reichen Länder: Sie bekommen höhere Anteile an Verwaltungs- und Dienstleistungsarbeiten, als ihre eigene Reproduktion nötig hätte. Das eigene Proletariat verschwindet aus ihrem Gesichtsfeld, weil es zum Teil im Ausland lebt oder durch seine andersartige Kultur nicht integriert ist, gesellschaftlich herausfällt oder als Ausländer unter der Bedingung der Ausländergesetze nur mit zwiespältiger Rechtslage und abgetrennter Kultur eingemeindet ist.

Die derzeitigen Regierungsmitglieder sehen die Zukunft der BRD vor allem in einem Kapitalbündnis, bei dem die Deutschland AG hohe Prosperität genießen soll (namentlich Joschka Fischer in seinem Buch: "Für einen neuen Generationenvertrag" und Gerhard Schröder). Der Glaube an wachsende Kapitalerträge hat zu einem unglaublichen Opportunismus geführt, der das Regierungshandeln den Strahlemännern überließ, die sich nicht mehr mit dem Staat indentifizieren, sondern den Staat mit sich. Ihre Entscheidungen beruhen daher auch weitgehend nicht mehr auf Einsicht in die nationale Lage, sondern auf Machtpolitik. So wird eine Lösung des Rentenproblems mit einer kapitalgestützten Rentensicherung verhoben und die Rentner in die Risikobeteiligung einbezogen. Das US-Modell des Sozialsponsoring soll Stück um Stück auch hier zur Entlastung der Sozialkassen eingeführt werden (Fischer, Blair und Schröder). Und der Schutz der Bevölkerungen vor Übergriffen des Staats (Datenschutz, Persönlichkeitsrechte) wird rasant unter das Niveau der Nachkriegszeit reduziert.

Da sich ein nicht unbedeutender Teil der Bürger am Modell Deutschland - zumindest zeitweise, teils aus eigenem, teils aus allgemeinem Interesse - beteiligt, konnte sich das Prinzip der Betriebswirtschaft zum Selbstverständnis des deutschen Allgemeinbürgers mausern. Besonders Bundeskanzler Schröder versteht es, jedermann und jederfrau die Sorgen seines Betriebs klar zu machen. "Wir alle" kämpfen jetzt gegen Kostensteigerung und Arbeitslosigkeit - unermüdlich wie Sysiphos und hart wie ein Held der Arbeit zu Zeiten des Sowjetsozialismus. "Wir alle" wollen die Stücklohnkosten, und damit auch die Lohn- und Sozialkosten senken, damit "unsere Wirtschaft den Wettbewerb auf dem Weltmarkt" besteht und der "Standort Deutschland" ergiebig bleiben möge. Und "wir alle" sind für grenzenlose Märkte, um durch "unsere Exporte" auch am Zugewinn von Kapital teilzunehmen und "unsere Sorgen" damit zu mindern. Die Wirklichkeit hiervon sieht bescheiden aus. Die nationale Industrie konzentriert die Arbeitsinhalte auf die exportüberschüssigen Produktionszweige (z.B. Automobilindustrie, Verkehrstechnologie und Kommunikationstechnologie) und die ursprünglichsten Arbeiten (wie z.B. Fisch-, Forst- und Landwirtschaft) verkommen im Preiskampf der europäischen Bauern und Fischer. Der Sozialdarwinismus treibt jedes Einzelschicksal an seine absolute Grenze und wird zunehmend zu einem allgemeinen Problem der Sozialvorsorge, dem sogenannten sozialen Netz. Aber dennoch: Jetzt darf sich jeder wie ein kleiner Betriebswirt verstehen; - immerhin gehört uns ja die Deutschland AG - der DAX sei unser.

Der Schein ist (fast) perfekt: Unser Arbeitsalltag gründet nicht mehr auf Reproduktion der Menschen und Entwicklung ihres Lebensstandards, sondern relativiert sich am Wohlergehen unseres Deutschlandbetriebs, am Bruttosozialprodukt und an der Handelsbilanz. Die Gewerkschaften treten in einem "Bündnis für Arbeit" mit dem Verstand von Managern auf, die auf Ausgewogenheit der Forderungen zum Nutzen für "das Ganze" zu achten haben und die Interessen der Arbeit mit dem Interesse am Fortbestand "unseres Wohlstands im Vergleich zu dem von anderen Ländern" gleichsetzt (ob das nun stimmt oder nicht). Aber auch das spüren wir und bekommen es täglich über die Nachrichten mit: Der Wohlstand ist bedroht, der Markt unsicher und der "Standort Deutschland" gefährdet. Schon werden die Nachrichten über schlechte Börsenkurse, Nachteile auf dem Weltmarkt und Wirtschaftsvergleiche zwischen uns und den konkurrierenden Volkswirtschaften zu unseren Sorgen, als seien es unsere Kinder.

Es sollte jetzt jedem klar sein: Wir sind ein Team. Nicht dass wir lauthals Stolz sein sollen, "ein Deutscher zu sein" - das Ego gibt sich als Sozialego und ist bemüht, seine Integrität zu wahren. Es bringt ja nur Vorteile. Wir haben Spaß am Zusammensein. Und die Arbeit selbst erscheint den Menschen näher und übersichtlicher, wenn sie nicht gerade von Karrieremobbing und Jobhunting bedrückt ist. Die Vernunft des vermeintlichen Wohlstands ist die Vernunft der Gewinnmaximierung, die wir zwar nicht erleben und von der wir insgesamt und auf Dauer auch nichts haben werden, in die wir aber unsere Hoffnung auf Wohlstand hineingeben wie einst unsere Großmutter ihre Ersparnisse in den Klingelbeutel der Mutter Gottes. Natürlich haben wir auch viele "Probleme". Aber die Vereinigung der Menschen in der bloßen Hoffnung auf deren Lösung durch den ganz großen Gewinn macht süchtig. Nicht jeder kann mitmachen aber jeder macht es mit. Das Glücksspiel an der Börse hat sich längst in den Lebensalltag eingeschlichen und manche "Gewinnmitnahmen" sind als Allgemeinthema im Wirtschaftsteil der Boulvardpresse so breitgetreten, dass jeder glauben kann, auch er wäre zumindest potentiell ein Glücksritter "unseres Systems".

Und auch praktisch haben wir ja diesem Prinzip des Reichtums einiges zu verdanken. Die Krisenpolitik bezieht sich innerhalb einer Volkswirtschaft vorwiegend auf Absatzprobleme. Hohe Werbeausgaben finanzieren die Werbemittel - und so werden wir beständig angesprochen, aufgefordert und informiert. Das Internet, das im Wesentlichen durch solche Ausgaben finanziert wird, hilft uns auch bei unseren täglichen Informationsbedürfnissen. Das Sponsering ist eine feine Sache für die Bedürfnisse, die mit dem Marktgeschehen konform laufen. Der Marktkonformismus wird zum selbstverständlichen Alltag und zum Selbstverständnis auch der arbeitenden Menschen. Als Beteiligte an solchen Fortschritten und geködert mit den Vorzügen der Konsumwelt verstehen sie sich auch ohne weitere Bedenken selbst als Teil dieser Welt und daher auch sich selbst als konsumierbar, als Gegenstand des Konsums.

Wenn man das verfügbare Geldquantum allein ansieht, so leben wir vergleichsweise gut - zumindest der größere Teil der Bevölkerung. Und auch im Bezug auf den privaten Besitzstand hat sich einiges verschoben. Viele Familien sind angetan von potentiellem und manchmal auch verwirklichtem Reichtum, von eigenem Grund und Boden, eigenem Raum, mit dem jegliche Gesellschaftlichkeit nur als Außenwelt der Häuslichkeit erscheinen muss. Der Grundbesitz ist das höchste Versprechen, das die Arbeit machen kann. Es ist die Beteiligung an dem Status, mit dem man zumindest dem Markt der Grundbesitzer, den Mietpreisen und ihrer Entwicklung, entkommen kann - so man dabei nicht an der Kredittilgung zugrunde gegangen ist. Das Risiko wird größer, aber eine Chance haben wir alle, denn immerhin hat Grundbesitz in unserem Land einen enormen Wert im Vergleich zu den ärmeren Ländern, in denen er nichts wert sein kann, weil die Sozialstrukturen dort wenig Wert haben. Die Grundrente ist nun mal der bleibende Wertausdruck des Kapitals. Niemand hat hierfür eine andere Leistung als den Erwerb des Geldes aufbringen müssen und kassiert im Grundbesitz doch alles, was in das gesellschaftliche Leben eingebracht wird, das sein Grundstück so wertvoll macht: Verkehr, Betrieb, Markt und alle anderen Entwicklungen, die Boden wertvoll machen.

Schafft man nicht den Erwerb des eigenen Lebensraums, so muss man dafür zahlen, indem der Mietanteil des Lohns zunehmend größer wird oder Lohnsteigerungen in der Miete verschwinden. Wer es aber schafft, der hat ausgesorgt, wer nicht, der fällt tief. Die Kluft ist unüberwindbar. Die Gegensätze wirken in den Menschen selbst: utopischer Eskapismus durch den Glauben an die Profitrate und panische Angst im Wissen um die eigene Unverläßichkeit, die Verlassenheit des Goldgräbers in der Wüste des Größenwahnsinns.

Deshalb: Wir haben ja sowieso keine Alternative. Der Stress sei unser. Wir machen mit. Wir machen auf Team und machen Überstunden. Wir kaufen uns die Computer und bezahlen deren Entwicklung, wir bestaunen und beklatschen ihre Intelligenz und die Arbeitserleichterungen, die sie bringen und lassen uns erdrücken von der Mehrarbeit, der allgemeinen Beschleunigung des Arbeitstempos und der erhöhten Anforderungen an Konzentration und Fähigkeiten, die sie mit sich bringen, sobald sie als allgemeiner Bestand der Produktion integriert sind. Wir sind ja nun auch nicht mehr nur die Handlanger an fremden Maschinen. Diese Maschinen können wir sogar selbst besitzen; sie faszinieren uns und ihre Potenzen für Kommunikation und Haushaltshilfe sind unübersehbar. Im Prinzip könnte das zu unserer Arbeitswelt zu Hause werden, unser Büro im Familienbund.

Die technische Intelligenz hat uns längst überzeugt, dass dieses Leben machbar ist, auch wenn sich eben diese Intelligenz zunehmend der Monopolisierung der Software- und Technologiehersteller unterwerfen muss. Intelligenz hat im Kapitalismus eben eine zweischneidige Eigenschaft: Sobald sie in Funktionsabläufe formalisiert ist und in Automationen angewandt wird, gehört sie nicht mehr uns, sondern verstrickt uns mit einem Marktmechanismus, der uns nur noch Handlanger dieser angewandten, also vergangenen Intelligenz sein läßt: Jede Erleichterung an Arbeit führt zu Ihrer Entwertung. Jede Technisierung entzieht uns unter dieser Bedingung den sozialen Zusammenhang. Die Monaden am Bildschirm müssen nichts mehr von der Gesellschaftlichkeit ihres Rechners wissen, weil für sie auch nicht mehr nachvollziehbar ist, wie er entstanden ist und wie und warum seine Fortentwicklung betrieben wird. Auch das Wissen, was hier eingeht, verliert zunehmend seinen gesellschaflichen Boden und wird zur Angelegenheit von Eliten, die nicht mehr auf dem Allgemeinzusammenhang von Arbeit, Bildung und Kultur bezogen sind. Intelligenz ist zwar allseits vonnöten, um in dieser komplexen Gesellschaft mitzukommen, aber für den ganz lockeren Lebensunterhalt wird davon nur ein zunehmend schwindender Teil profitieren. Eliteschulen könnten in nicht allzu ferner Zukunft die Intelligenz ganz real unter die Kapitalinteressen subsumieren.

 

Die Kultur des Konsums

Wie gesagt, leben die Menschen an und für sich durch das, was sie produzieren. Ihre Lebensmittel sind Inhalt ihrer Arbeit und Substanz ihres Reichtums, ihrer lebendigen Kultur. Die Reichhaltigkeit ihrer gesellschaftlichen Beziehungen entspricht dem Reichtum an Bedürfnissen und den Gegenständen des Bedarfs. Kultur ist das Band zwischen den Menschen, weil sie der Gesellschaft der Menschen und ihrer Sachen entspringt. Die bisherige Geschichte hat diese Verbindung zwar noch nicht erbracht, der Anschein einer gesellschaftlichen Kultur ist allerdings in einer Gesellschaft, in der die Sachen wie für die Menschen bereitgestellt erscheinen, schon allgegenwärtig. Seitdem die Automationstechnologie die Menschen zwar nicht an ihren Maschinen eint und auch noch nicht ihre Subsistenz sichert, aber immerhin die Kommunizierbarkeit von allem erbracht hat, ist die Klasse der Arbeit zur einfachen Unterschicht geworden und hierdurch aus dem Blickfeld des emanzipatorischen Bewusstseins verschwunden. Die Menschen erscheinen sich hierin unmittelbar als Menschen, vor allem, wenn sie ihre Gesellschaft ausschließlich im Zusammensein haben. In der Welt des reinen Konsums ist dies möglich - ungestört von jeder Notwendigkeit und jeder sachlichen Not.

Deshalb behaupten auch viele, darunter sogar viele Marxisten, es seien die Automaten, welche die Arbeit inzwischen wie von selbst unnötig gemacht hätten. Das mag in irgendeiner Zukunft für die Lohnarbeit zutreffen. Aber der Kapitalismus hat die Lohnarbeit längst nicht aufgegeben, weil er sein Streben nach privatem Mehrwert, nach Profit gar nicht aufgeben kann, wenn ihn die Menschen nicht dazu zwingen. Und gerade von da her muss die Konsumwelt zum Gegenstand von Kulturkritik werden - nicht als Kritik des Konsums, sondern als Kritik der Lohnarbeit.

Wesentlich hierfür ist, dass Arbeit nichts anderes ist als Lebensäußerung, Tätigkeit für den Genuß der eigentümlichen Produkte und Inhalt der menschlichen Bedürfnisse. Ohne Bedürfnis gibt es keine Arbeit und ohne Arbeit hat kein Bedürfnis einen Sinn.

Aber die Verfügbarkeit über die Gegenstände des Konsums mag so erscheinen, als ob darin die Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen als das Maß und das Mittel des Lebens geboten ist. Bedürfnisse beziehen sich aber immer auf ein bestimmtes Verlangen, auf bestimmten Genuss, bestimmte Lebensnotwendigkeit und bestimmte Lebensentfaltung, wie sie sich aus den konkreten Verhältnissen und der Wechselseitigkeit der gesellschaftlichen Beziehungen ergeben. Konsum hat alleine den Verzehr zum Zweck und enthält in diesem Sinn nur abstrakte Bedürfnisse, Bedürfnisse gleichgültig gegen jede Bestimmtheit. Konsumieren macht satt, aber sättigt nicht, weil es kein bestimmtes Verlangen befriedigt, aber jedes Verlangen ausschaltet. Konsum ist die Sucht des Kapitals nach unendlichem Absatz, wie sie im Menschen als unendliches Verlangen wirksam wird.

Die Potenzierung des Konsums ist das wichtigste Mittel des Krisenmanagements im Kapitalismus. Sie beruht auf der Ausgrenzung der Arbeit und dem Selbsterhalt der Menschen als Menschen für sich und für die Konsumtion. Der Sinn dessen, was Menschen gesellschaftlich produzieren, kann in einer reinen Konsumgesellschaft nicht mehr wirklich existieren. Der Lebensraum hat sich als eigenständige Kultur von der Arbeitswelt getrennt und die Arbeitswelt ist zugleich zu einem Moment dieses Lebensraums geworden, zum Moment konsumierender Individualität. Der ökonomische Zweck ihrer Produktion ist so selbstverständlich, dass deren Produkte nur noch als leeres Mittel für den persönlichen Lebensraums gelten. Es geht nicht mehr um die Reproduktion der Menschen, sondern um die abgegrenzte Sphäre ihres Besitzes als kultivierter Lebensraum, der sich gegen die existentiellen Bestimmungen emanzipiert gibt.

In dieser Abtrennung der Kultur, in der Reduktion dieser Güter auf ihren Zweck, als Gegenstände des Konsums zugleich Mittel einer ökonomischen Krisenbewältigung zu sein, wird auch die Arbeit menschlich entleert und als Lebensraum obsolet. In ihrer Reduktion zum bloßen Stoff, zum leeren Mittel der Ökonomie, wird der Sinn lebendiger Produkte wie auch das Bedürfnis nach ihnen zum ausschließlichen Werkzeug für die politische Ökonomie, wie andererseits das Reich der Persönlichkeit, Familie, Freizeit und Kultur zum ausschließlichen Lebensraum für sich wird. Auch wenn hierbei alle ökonomischen Bestimmungen fortbestehen - schließlich wird der Konsum hier vollzogen - so erscheinen sie jetzt als eine persönliche Bestimmung. Der Raum der persönlichen Sphäre mag als Raum der Selbstentfaltung gelten, er ist aber als Sphäre der Konsumtion gesellschaftslos und in seinem Sinn nur für sich. Die Selbstentfaltung ist die Entfaltung der Selbstbezogenheit und so wird jede persönliche Beziehung zur persönlichen Kultur.

Die Kultur hat jetzt ihre Allgemeinheit und ihre Allgemeingültigkeit vollständig abgestreift und verfolgt eigene Zwecke, die sich im Zweck des persönlichen Überlebens, in der Persönlichkeit des Eigenlebens bündeln. Die Fortentwicklung des kapitalistischen Krisenmanagements hatte in den reichen Ländern eine Notwendigkeit ergeben, ein Gegenreich zur Welt der Arbeit und Reproduktion zu gründen, das nicht einfach als Reich der Freiheit, als freie Verfügungszeit außerhalb der notwendigen Arbeitszeit funktioniert, sondern selbst einen ökonomischen Zweck hat: die Konsumtion als eine phantastische Sphäre des Mehrprodukts, in welcher in den reichen Nationen Teile des Mehrwerts zur infrastrukturellen Absicherung und Zufriedenstellung der darin arbeitenden Menschen verwendet werden, die Befriedung der Menschen in der Entfaltung ihres Selbsterlebens. Das "rentiert" sich, solange hierdurch der Fortbestand des Kapitalismus gewährleistet ist und die Ausbeutung der ärmeren Länder und der besitzlosen Menschen ungestört weiter betrieben werden kann. Es entfaltet sich mit dem Selbsterleben vor allem die Welt des Geldbesitzes, die abstrakte Gesellschaft schlechthin, die ihre Wirklichkeit und Bestimmtheit nur außer sich hat.

All dies hat die bürgerliche Kultur in dieser Welt des Geldbesitzes unmittelbar an das Kapitalinteresse gebunden, nicht, weil sie darin positiv aufgehen kann, sondern weil sie darin Sinn für das stiftet, was seinen Sinn als gesellschaftliches Produkt verloren hat. Was als Lebensmittel wenigstens im Lebensunterhalt noch seinen Sinn hat, auch wenn er von der gesellschaftlichen Entwicklung getrennt ist, verschwindet in den Potenzen des Geldbesitzes zum leeren Dasein, zum unerfüllten und geschichtslosen Besitzstand vergangener Lebenswelten. Denn Geld entsteht aus vergegenständlichtem, vergangenen Leben und erfüllt seinen Sinn nur im zukünftigen. Kultur als Inhalt des Besitzes befreit die Dinge aus ihrer Beschränktheit, aus der Befangenheit des Privaten, aus ihrer entwendeten Gesellschaftlichkeit und verleiht ihnen gerade dort gesellschaftlichen Glanz, wo sie ihre Wirklichkeit verloren haben.

Der Widerschein ist betörend: Kultur wohin man schaut! Kultur erscheint plötzlich und unmittelbar für jedermann zugänglich und umgänglich - sie macht Spaß. Kultur beweist uns an jeder Straßenecke unseren Reichtum, wie er nur als Sehnsucht nach dem besseren Leben den Generationen vor uns und den armen Welten außer uns doch seit Menschengedenken bekannt war! Keine Stadtverwaltung, keine Sparkasse läßt es sich nehmen, Kultur mit Feiern zu verbinden und über Kulturfeste mit oder ohne Kommunalbeteiligung "den Bürger anzusprechen". Was jeder Schrebergartenverein bisher zum eigenen Wohlergehen betrieben hat, wird nun zum öffentlichen Einbrüderungsgewerke: Kultur als Mittel für einen guten Zweck: Das "Miteinander Auskommen". Kultur hat eigentlich verbindlichen Inhalt, aber als Kommunikationsmittel verbindet sie ihr völlig äußerliche Zwecke: Sie bietet den ganz gewöhnlichen Kult in der Ödnis eines ziellosen Lebensalltags, sie bietet Sinn in sinnloser Gemeinschaft und sie erzeugt Leben in jeder toten Hose. Kultur kann immer Sinn erzeugen, wo keiner ist - solange, bis sie sich selbst unsinnig macht. Sie kann begeistern, wo Geist fehlt, solange, wie sie sich nicht selbst entgeistert.

Die Kultur, unmittelbarer gesellschaftlicher Lebensausdruck und Inhalt der Arbeit, der Bedürfnisse und Reflektionen der Menschen, hat eine Funktion bekommen, die sie von ihrem Lebensgrund enthebt in das Reich abstrakter Befriedigung, Zufriedenheit und Sättigung zerrt. Die Kultur, die Substanz aller Gesellschaft bildenden Lebenskraft wird in den reichen Ländern zum Mittel der erweiterten Wertschöpfung, die ihren Grund nicht aus dem Stoffwechsel und seinen Substanzen bezieht, sondern aus dem Bedarf nach Leben. Er kommt aus der Fülle, die ihr Elend nicht begreifen kann, gesellschaftliche Ödnis in Hülle und Fülle, und wendet diese zu einer virtuellen Gesellschaft, zu einem gesellschaftlichen Sinn, dem das Leben der Menschen zum Mittel im Angebot an Illusionen gereicht. Solche Lebensillusionen vermarkten sich für einige Zeit auch als eine Suchtfalle, die sich gut verwerten läßt. Nichts schafft so schnell vergängliche und daher beständig nach Erneuerung süchtig machende Produkte, wie die Illusion. Und wer sie verkaufen kann, hat einen schier endlosen Kassenschlager. Aber weder die virtuellen Welten aus den Computern der Unterhaltungsindustrie, noch die Walkmen und sonstigen Prothesen des ruhelosen Selbstgefühls können den Sinn erfüllen, die Befriedigung verschaffen, die darin suggeriert ist. Sie treiben die Sehnsucht der Menschen in den leeren Raum, in die Scheingesellschaft, worin sich Menschen finden, ohne irgendeine wirkliche Beziehung zu haben: Die Starken, die Überleber, die Guten und die Schönen. Ihre Welt ist Design, Jux und Tollerei. Es ist ein anstrengender Spaß, der permanentes Lachen produzieren soll, wo die Menschen nichts mehr zu Lachen haben. Aber das "Klima" des mitmenschlichen Beisammenseins, selbst das Betriebsklima profitiert davon.

Das nette Miteinander erscheint voraussetzungslos, weil es zwischen den Menschen keinen anderen Sinn zu haben scheint, als den der Menschen selbst. Es hat durch sie Sinn und verlangt auch Sinn durch sie. Jeder Einzelne gilt daher als Mensch schlechthin, soweit er diesen Sinn stiftet. Das Allgemeinmenschliche wird zwischenmenschlich erlebt - nicht weil jeder ein Mensch ist, sondern weil er sein Menschsein im Verkehr mit anderen erst erzeugt. In den zwischenmenschlichen Beziehungen erzeugt und bestätigt er sich als Mensch. So kann das leben, was gesellschaftlich nicht mehr möglich ist, was in keiner Arbeit und durch keine Arbeit mehr entsteht, was aber jetzt in der Konsumtionsspäre sein menschliches Antlitz erhält, was hier also wirklich noch menschlich und voller menschlicher Gegenständlichkeit erscheint. Gesellschaft findet im Privaten statt, jenseits von Existenz und Produktion. Zwischenmenschliche Kultur ist die verbliebene Kultur einer entwendeten Gesellschaflichkeit, die ihre Existenz verlassen hat, weil sie nicht mehr getragen, sondern nurmehr ertragen werden muss um das zu erhalten, was hier einziges existenzielles Lebensmittel ist: Geld.

Kultur erfüllt jetzt die klassischen Reproduktionswelten mit höherem Sinn und Sinn fürs Höhere: Es erscheint alles gewollt, was notwendig war, um dem Leben diesen Sinn zu geben. Gemeinschaft, Gemeinde, Familie, Freizeit, Kinder, Kultur usw. hatten schon immer einen Sinn, einen Sinn unter vielen, die als Momente des Lebens auftraten; jetzt sind sie der Sinn des Lebens überhaupt, der Sinn, wofür gelebt wird. Und die ökonomische Partikularisierung der Arbeit und Existenz entspricht dem voll und ganz. So läßt sich die Individualität verallgemeinern, verklärt als menschliches Sein, das zwar von jedem gesellschaftlichen Sinn jenseits der Zwischenmenschlichkeit abgeschnitten ist, das aber immerhin Sinn macht. In den Gefühlen der Menschen hat sich ihr Bedürfnis bewahrt, das nach Gesellschaft verlangt. Hierin steckt noch ihr Geist und hat so weit Sinn, wie ihre unmittelbare Beziehung aufeinander Sinn macht. Es ist das Reich der Seelen, die nach ihrer Welt verlangen. Aber die Seele wird so auch zu einem gegen die Welt affirmierenden Geist.

Allein die Zwischenmenschlichkeit dieses zwischenmenschlichen Verhältnisses ist die Existenzgrundlage für diese Kultur, welche sich jetzt auch als Macht herausstellt. Wer nicht mitmacht, fällt heraus; wer nicht mitreden kann, der darf nicht schweigen. Besonderes wird absonderlich; es macht Angst. Wer sich nicht so präsentiert, dass er verstanden werden kann, wie er verstanden werden muss, wer nicht ist, wie die anderen, der ist nichts - es sei denn, er ist nicht einfach etwas Anderes, sondern das Besondere seiner selbst - irgendwie kultisch, Paradegänger, Paradiesvogel oder Superstar, ein Avantgardist des Selbstgefühls.

Jedes Verhältnis zwischen Menschen, das keinen Gegenstand außer ihnen hat, wird selbst gegenständlich, sie werden sich darin wechselseitig zum Gegenstand, ihre subjektiven Beziehungen, ihr Werden und Leben, ihre Fragen, Zweifel und ihre Liebe, erscheint nun in der vollständigen und mittellosen Abhängigkeit vom anderen Menschen. Jeder ist darin als subjektiver Mensch zugleich Gegenstand, Objekt eines anderen Menschen. In dem Maße, in dem kein wirklicher Bezug mehr über die Dinge des Lebens, über die Sachen, die Arbeit und die Gestaltung des Lebensraums und keine dieser Dinge mehr auf die Menschen Wirkung hat, wird die subjektive Beziehung von Menschen zugleich objektiv, ihre Liebe zu ihrem Schicksal. Die mittellose Liebe, die unmittelbare Beziehung zwischen den Menschen, erscheint weltenlos, wiewohl sie sich aus der Negativität zur Welt bestimmt, begründet und entwickelt. Die Weltenlosigkeit wird hierdurch zu einem von keiner Endlichkeit geplagten Selbstgefühl, wie dieses Gefühl aber auch unendlich besorgt, bedrängt und ängstlich um seiner Selbst ist, da es nur durch das unmittelbare Verhältnis zu andern Menschen besteht und Bestand hat - je besonderter, desto ausschließlicher.

Die Krise der zwischenmenschlichen Beziehungen

Während die Kulturen der armen Länder durch Ausplünderung ihrer Lebensstrukturen und Ressourcen durch den Kapitalmarkt unmittelbar bedroht sind, besteht die Kultur der reichen Nationen zunehmend aus zwischenmenschlichen Beziehungen, die ihrem gesellschaftslosen Reichtum Sinn verleihen müssen. Was die Bedürfnisse der Menschen als notwendiges Verlangen nach Tätigkeit, Lebensäußerung, Produktion und Befriedigung enthalten hatten, kann in dieser Welt nicht als Verlangen existieren, weil der aufgehäufte Reichtum an Produkten nach Absatz verlangt. Für jeden Bedarf gibt es Stoff. Bevor dieser zum Gegenstand für Menschen werden könnte, ist er schon als Produkt notwendig, als Produkt des Wertwachstums. Stoff allein kann kein menschliches Bedürfnis befriedigen, aber er sättigt es. Was nicht befriedigt wird, das ist die menschliche Beziehung der Bedürfnisse auf Gegenstände für das menschliche Leben, das Ineinandergreifen und Beziehen von menschlichem Verlangen auf die Entwicklung und Erzeugung von Produkten für Menschen. Die Gesellschaft als ein lebendiges System von Bedürfnissen und Entwicklungsnotwendigkeiten ist ausgefallen; gesellschaftliche Tätigkeit als Sinn für den Lebensbedarf ist obsolet.

In ihrem Zusammensein haben die Menschen daher auch keine unmittelbar notwendige Beziehung. Sie brauchen einander als Mensch in räumlicher Bestimmtheit: als Anwesenheit von Menschen. Ihr Verlangen besteht in der Notwendigkeit, unter Menschen zu sein, um sich als Mensch noch wahr zu haben. Die Menschen existieren von daher in den reichen Gesellschaften vor allem in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen, in denen sie ihre Bedürfnisse abstrakt, gleichgültig gegen ihre Sachen, aufeinander beziehen und in räumlicher Nähe ihr Leben zwischen Menschen gestalten. Die Menschen sind jenseits ihrer Sachwelt allein und ausschließlich unter sich. Was sie sachlich versammelt, ist die Gewinnung von Geld, die Herstellung ihrer individualisierten Existenz im Besitz eines gesellschaftlichen Garanten für individuelles Fortkommen. Für sich machen sie jetzt ihr Menschsein zu ihrer Sache.

Das Gefühlsverhältnis verlangt nach einer Produktion von Selbstgefühl, das sich zugleich auch dem Selbstgefühl anderer beugen muss. Es schafft vielerlei Probleme in der Begrenzung und Entgrenzung dieser Wahrnehmungsidentität. Was die Menschen voneinander wahr haben, das nehmen sie nicht wahr und was sie wahrnehmen, das haben sie nicht als ihre Wahrheit. Sie produzieren eine Wahrheit ihres Verhältnisses zu sich selbst, zu ihrem Selbstwert, in welchem sie verschwinden und sich zugleich bereichern, in dem sie ihre Gefühle füreinander nutzen und sich darin zugleich verlieren. Die Entgrenzung und Verschmelzung mit Fremdem vernutzt die eigene Wahrheit und die Benutzung anderer zur eigenen Identitätsfindung gründet auf deren Dasein als fremder Sinn für menschliche Bezogenheit. Die Entfremdung der Sinne verläuft in den Polen zwischen Entgrenzung und Selbstaufopferung, in welchen die seelischen Entwicklungen verlaufen, die in diesen zwischenmenschlichen Verhältnissen stattfinden können.

Das Bedürfnis des Menschen nach dem Menschen lebt hier einerseits als Bedürfnis nach Gefühlen mit anderen, durch welche sich die Menschen auf sich selbst beziehen und für sich eine geistige Identität finden. Es sind Gefühle, an denen sich Menschen treffen, an dem sie ihre Gefühle als Selbstgefühl wahrhaben. Zum anderen lebt das Bedürfnis des Menschen nach dem Menschen als Verlangen nach menschlicher Gegenständlichkeit, als Verlangen nach der einfachen Anwesenheit von Menschen, die Gegenstand des Selbstgefühls sind.

Dies Beiderseitige der menschlichen Bedürfnisse, das dem Kind im Allgemeinen noch selbstverständlich gegeben ist, wird für erwachsene Menschen zu einem Kunststück. Das zwischenmenschliche Leben gerät hier zur Erlebenswelt, in der zunächst einmal nicht Leben, sondern das Erleben der Befriedigung einer gegensinnigen Bedürftigkeit nach Befriedung produziert wird. Geistige und sinnliche Identität kann dabei nur der Mensch geben, der sich als vollständige Individualität, als Resultat seiner bloßen stofflichen und geistigen Geschichte leben kann. Er gibt in dieser Form zwar seine Geschichte als gesellschaftlich entwickelter Mensch auf, hat aber darin doch sein Leben als zwischenmenschliches Erleben. Jedes Bedürfnis in diesen zwischenmenschlichen Beziehungen ist daher ein Bedürfnis nach dem Erleben von Selbstwahrnehmung.

Der große Bruder oder:
Die reale Unterwerfung der Kultur unter den globalen Kapitalismus

Die Vorherrschaft der Selbstwahrnehmung hat auch Folgen für die Wahrnehmung der politischen Wirklichkeit. Schon im September 1995 war in einem Treffen der Machtelite der Welt in San Franzisko festgestellt worden, dass die vorhandenen und noch anstehenden Probleme des globalen Kapitalismus im 21. Jahrhundert, worunter eine Arbeitslosigkeit von bis zu 80% der Weltbevölkerung gezählt wurde (Martin & Schumann, "Die Globalisierungsfalle"), nur bewältigbar sind, wenn die Bevölkerung in ein weitreichendes "Tittytainment" (18) einbezogen werden kann, – einer Mischung aus Unterhaltung und Nuckeln an den Titten des Kapitals. Sie soll zu einer vollständigen Infantilisierung des Großteils der Menschheit führen, der sich mit simpler, vollständig separater Arbeit reproduziert, die von einer relativ kleinen und gut bezahlten Intelligenzlerschicht (und der von ihr beherrschten Technik) zusammengefügt wird.

Es ist die Logik der Transnationalen Konzerne (TNK), die Logik der sogenannten globalen Diversifizierung: Produkte werden in ihren Teilen jeweils zu optimalen Stücklohnkosten in den verschiedensten Ländern hergestellt und dort zusammengesetzt, wo es Unkosten (Arbeitskraft, Transport, Infrastruktur) minimalisiert. So wird, um es verdichtet zu beschreiben, letztlich ein Produkt erzeugt, das in seinem Aussehen und anderen Varianten lediglich an die einzelnen Kulturen angepasst wird, aber den sachlichen, technischen und sozialen Gehalt des Kapitalbetreibers einbringt. Damit werden schließlich auch Bedürfnisse geweckt, die in den Kulturen der einzelnen Ländern noch nicht oder überhaupt nicht entstehen würden. Es entsteht Kulturhoheit des Kapitals in Ländern, die von solchen Konzernen abhängig sind, und das wird permanent zunehmen (schon heute beherrschen die 300 größten TNK 40 % des Weltmarktes).

Zur Kostenminimierung finden sie das vor, was sie erzeugt haben: Vagabundierende Arbeitskräfte mit minimaler gesellschaftlicher Bindung und maximaler Konsumbereitschaft für Massenprodukte, durch welche allein "gesellschaftlicher Erfolg" und soziales Prestige gemessen werden kann. Und dadurch, dass die TNK im Welthandel schon einen Kapitalrückfluss von einem Viertel ihres Vermögens haben, können sie in diesem Verhältnis auch die Beziehung von Produktion und Konsumtion selbst schon steuern. Sie verfügen über die Potenz, alle gesellschaftlichen Akte, welche die Menschen bislang zur Arbeit bewegt hatte, selbst zu bestimmen und Produkte einzuführen, die alleine durch die Funktionalität des Krisenmechanismus gesteuert werden. Hinter dem sogenannten Neoliberalismus versteckt sich genau das, was er dem Staatsdirigismus vorhalten will: die Steuerung aller wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Jetzt allerdings als Entwicklung des Transnationalen Kapitals, welches ja in weiten Teilen der Welt schon über mehr Marktanteile verfügt, als die Bruttoinlandsprodukte vieler Nationalstaaten darstellen.

Durch solche Kapitalgiganten, die aus einer Kette von Fussionierungen und Privatisierung von Staatsvermögen entstanden sind, wird eine System optimaler Machtkonzentration weit über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg betrieben, welches die Entwicklungen so handhaben kann, wie es für die Sache dieses Kapitals gut ist. Dem leistet die individualisierte Selbstwahrnehmung Vorschub. Sie ist eine ins Individuum getriebenene Fortsetzung der Kulturzerstörung, die das Wertgesetz mit sich bringt: Absulute Partikularisation der Menschen, um sie als vollständiges Objekt des Kapitals zu verwerten.

Aber das Kapital funktioniert auch nicht endlos als das abstrakte Subjekt der Gesellschaft. Seine Verwertungskrisen machen es zu dem wirklichen Objektivum, das es ist, das in seiner schlechten Unendlichkeit sich eröffnet wie eine Todesnachricht von einem Unsterblichen. Die Verwertungskrisen tragen in sich die Wahrheit, dass sachliche Verhältnisse immer ihre Grenzen im Menschen und seinem gesellschaftlichen Organismus haben und dass dieser Organismus selbst Grenzen hat, die dort fatal wirklich werden, wo das Kapital sie gerade endlos dringend bräuchte: Die Grenzen der Konsumierbarkeit, der Dehnbarkeit und der Geschwindigkeit.

So Kapitalisten die organischen Kulturen nutzen, so abhängig sind sie von ihnen, auch wenn in der Wirklichkeit dies umgekehrt erscheint. Der gesellschaftliche Organismus ist die Voraussetzung, die empirische Bedingung, dass Kapital verwertet werden kann, dass aus Geld mehr Geld wird. Das Kapital überordnet sich den Menschen allein in seiner Abstraktion von Gesellschaft, also dadurch, dass es das Geld als gesellschaftliches Medium zwischen Produktion und Konsumtion vermittelt. Die Menschen sind damit an eine Gesellschaftlichkeit gebunden, der sie kein anderes organische Leben entgegenhalten können, als ihr Fähigkeit zu Arbeiten und zu Konsumieren. Die Verwertungskrisen werden daher schließlich auch zu Krisen dieser Fähigkeiten.

Sie erzeugen sie in den Menschen die Ohnmacht der zeitweisen Unverwertbarkeit. Wenn sie im Wertkreislauf keine Funktion haben, so ist ihnen ihre Gesellschaftlichkeit auch wirklich genommen. Ihr Lebensalltag wird zur Grunderfahrung der Endlosigkeit der Krise, deren Abwärtsspirale als permanent lauerndes Existenzproblem. Sie bekommen einerseits nicht genügend Arbeit, um sich gesellschaftlich tätig zu erfahren und sie haben zu wenig Geld, um am Konsum hinreichend beteiligt zu werden, um also den Wert realisieren zu können, der die Krise lösen würde. Nicht mehr die Macht des Kapitals, sondern sein Problem, sich zu erneuern wird zum bestimmenden Inhalt der menschlichen Existenzen in diesem Kapitalverhältnis. Was es angetrieben hatte, war die Potenzierung der Konsumtion, was es barbarisch macht, das ist die Entmenschung der Arbeit, die Vollautomation der Werterzeugung, die den Widerspruch des Wertverhältnis auf die Spitze treibt, indem sie einerseits prinzipiell den Broterwerb aufhebt, aber zugleich kein Brot gibt, solange die Automaten im Besitz des Kapitals seinem Zweck unterworfen bleiben.

Das Verwertungsproblem verläuft als Absatzkrise, die Marktausdehnung notwendig hat. Sie hat jegliche Schranke aufgelöst, nationale Grenzen nun auch politisch überwunden und funktioniert wie eine ewig nötige Sachbestimmung, welcher die Menschen nur noch folgen können, um ihre Notwendigkeiten einzulösen und der sie nicht entgehen können, ohne ihre Not zu vergrößern, es sei denn, sie betreiben die Auflösung des Kapitals. Mit dem Imperialismus von konkurrierenden Nationalstaaten war der Kapitalismus schon im 19. Jahrhundert voll entwickelt. Mit der Globalisierung der Märkte ist er jetzt total. Sie macht die Menschen zum unmittelbaren Objekt der Not, in welche das Kapital für sich ist, in die es durch seine Logik geraten ist und der alles folgen muss, was in diesem Verhältnis verbleibt.

Sind die Absatzmärkte ausgesaugt, die Absatzgrenzen erreicht und die Reduktion der Arbeitslöhne an der Grenze der menschlichen Reproduktion angelangt, so können Verwertungskrisen nur noch durch Druck auf die Kosten der Produktion, durch Druck auf die Preise für die Rohstoffe und die Energie (Öl, Gas, Elektrizität) aufgefangen werden. Und deshalb muß es die Autonomie der Länder angegriffen, die das liefern können. Solange die sich in eigenem Lebenskreislauf befinden, müssen sie sich keinem Preisdiktat beugen, weil sie noch einen eigenen gesellschaftlichen Stoffwechsel haben, wie arm sie dabei auch sein mögen. Es gibt zwei Möglichkeiten, diese Automie aufzulösen: Durch die Erzeugung von Marktabhängigkeit oder durch militärische Gewalt. War diese ursprünglich (in der Zeit des Kolonialismus) die Voraussetzung für die Erzeugung der Marktabhängigkeit, die zum Imperialismus führte, so wird sie durch den Krisendruck des Kapitalismus jetzt zum Mittel der Krisenlösung. Daher werden jetzt wieder Länder der Dritten Welt zum Ziel militärischer Aktionen, die diese Kreisläufe zerstören und die Länder in der ihrer Preisgestaltung abhängig machen sollen.

Die ganze Welt steht schließlich unter einem Druck, der wirtschaftlich, militärisch und politisch ist. Die Märkte sind ohne Schutz vor dem Devisenverfall, die Löhne sind an der Grenze dessen, was sie finanzieren sollen (die Reproduktion der Arbeitskraft) die Großmächte machen Krieg und die Politiker zerstören ihre demokratische Lebensbasis. Alles, was der Kapitalismus immer wieder verspricht, das löst er nicht nur nicht ein, sondern zerstört die Voraussetzungen, die er für seine Versprechen hat: die gesellschaftlichen Lebenszusammenhänge im Weltmaßstab.

Wo die gesellschaftlichen Lebenszusammenhänge selbst zerstört werden, da kann sich kein Widerstand auf der Basis des gesellschaftlichen Lebens bilden. Das Elend der Zerstörtheit ist gerade die reale Isolation der Menschen nicht nur von ihrem Produkt, sondern von der Wirklichkeit, dem wechselseitigen Wirken ihres Zusammenhangs (das Wort "Elend" kommt von Eiland, Insel, Isolierung). Und das Elend verwirklicht seinen reaktionären Charakter auch in den Vorstellungen und Zielen, welche die Menschen darin entwickeln, solange sie von jedwedem gesellschaftlichen Inhalt getrennt bleiben. In einer solchen Situation können sich leicht auch wieder illussionäre Lebensvorstellungen ausbreiten, die auf der sozialen Angst gründen und das Heil in lebhaften Innenwelten suchen. In Wirklichkeit sind solche Illussionen, die sich als Anspruch des Elends auf an der Teilhabe an der Macht entstehen, voller Gewalt gegen jede Abweichung von den Machtinteressen, die ja nun auch wirkliche Interessen für die Menschen sind. Abweichung kostet Geld, Versagen auch und die größten Versager machen die Politik. Die Orientierung an dieser Ökonomie, welche nur noch die Reibungslosigkeit der Lebensverhältnisse im Einklang mit dem Staatsganzen fordern können, betreibt innerhalb der bürgerlichen Demokratie ihren mal latenten, mal offenen Untergang. Die Staatsform solcher zur Wirklichkeit gelangten Lebensvorstellungen sind uns als Faschismus bekannt. Aber der bisherige Faschismus hatte noch ein persönliches Gesicht und die Mächte in der Welt standen noch gegeneinander.

Die Spaltung zwischen Arm und Reich hat sich vergrößert. Die Armen haben nichts mehr zu verlieren, die Reichen aber auch nicht mehr viel zu gewinnen. Die Spannen sind eng und dennoch treibt die Logik des Kapitals, der Zwang der Geldverwertung, die Gegensätze weiter. Um billige Ressourcen für die Kapitalverwertung (Arbeitskräfte, Bodenschätze, Infrastrukturen) wird zunehmend brutaler gekämpft und die Armut treibt die Menschen ins Jenseits der ökonomischen Verhältnisse. Reichtum und Armut stehen der Tendenz nach in einem terroristischen Verhältnis zu einander.

Derweil hat das Antlitz des Kapitalismus innerhalb der reichen Länder zwischenmenschliche Züge bekommen. Obwohl auch hier die Menschen nach wie vor in den ökonomischen Klassengegensätzen von Kapital, Arbeit und Grundrente zu einander gestellt sind, so sind sie doch zum Teil auch in der Hoffnung auf Rentabilitäten verbunden. Zwar konzentrieren sich auch hier die Konzerne zu transnationalen Giganten und es Fusionieren die Besitztümer und Arbeitsstandorte in schwer durchschaubare Machtstrukturen. Aber immerhin ist der Wert des Grundvermögens, die letztlich stabilste Form des Wertes, hier besonders hoch, und Aktien, die Form des Finanzkapitals, werden wie ein potentieller Reichtum angesehen, der zum Erwerb von Grundvermögen zu helfen verspricht und inzwischen auch schon die Probleme mit der Rentenentwicklung auflösen soll (kapitalgestützte Rente).

Die Risikofreudigkeit hat schon beträchtliche Verluste in der privaten Haushaltskasse erzeugt, aber eine Desillussionierung ist auf der geldwerten Ebene deshalb doch nicht zu erwarten, da sich Geld von Zeit zu Zeit, eben ja nach Lage des Krisenzyklus des Kapitals, positiv wie negativ entwickeln kann. Auf der Ebene des Lotteriespiels gibt es keine Grenzen - und hier wird es auch noch mit der Glamour der Begabung beglittert, dem Anschein, als ob durch persönliche Fähigkeiten (Informiertheit, Intelligenz, Risikofreude, Dreistigkeit usw.) die Lotterie dauerhaft beeinflußbar sei. Der Kapitalismus besteht insgesamt aus Erwartungen in eine Zukunft, die er nicht bringen kann, weil seine Verwertungskrisen logisch und eklatant sind. In dem Widerspruch zwischen illusionärer Erwartung und Krise zerreiben sich die Menschen, die daran teilnehmen - die anderen werden zerrieben.

Der Kapitalismus kann nur fortbestehen durch den Einsatz aller kulturellen Kräfte, die sich vom Standpunkt der Problemlösung der Illussion beugen, dass es eben nur die Probleme der Menschen sind, die zu lösen wären. Die sachlichen Probleme des Kapitalzusammenhangs müssen daher auch mit Kraft im menschlichen Lebenszusammenhang bewältigt, überwältigt werden. Der Sachzwang wird zur alles bestimmenden Lebensgröße, zur Grundangst der Menschen, solchen existentiellen Zwang nicht zu meistern.

Diese Angst mag es als Sorge schon immer gegeben haben. Aber Angst ist keine Sorge. Angst ist Enge, hervorgerufen durch Bedrängung, die keine sinnliche Subjektivität hat. Die Angst der Eltern um die Lebensfähigkeit ihrer Kinder, die Angst der Familienmitglieder um ihren Zusammenhalt, die Angst der Liebenden um ihre Liebe und dergleichen mehr, ist eine fundamentale Lebensangst, die keinen wirklichen Sinn mehr hat, die aber alle Sinne beherrscht. Es ist die Angst um den Sinn überhaupt, die da her rührt, dass die permanent und schicksalhaft erfahrene oder berichtete Zerstörung von Sinnzusammenhängen zur Grundgewißheit der Menschen im Kulturkreis der Reichen gehört. Abstrakten Reichtum kann man nicht aufgeben, weil er die Armut außer sich hat, weil darin die Fähigkeit der Bescheidung auf Wesentliches weder vorhanden, noch möglich ist.

Aus diesem Grund wird die Kultur zum Mittel, dem Zwang des gesellschaftlichen Zusammenhalts gerecht zu werden. Die Kinder werden schon früh bedrängt, sich darauf einzustellen, die Arbeitnehmer entwickeln eine Beflissenheit ihres persönlichen Einsatzes, der sich bis zur Selbstaufgabe in der Betriebskultur unterwirft (vgl. hierzu das japanische Betriebsklima) und die zwischenmenschlichen Beziehungen werden unter den absoluten Funktionsdruck gestellt, als Mittel für den "emotionalen Ausgleich" zu taugen, bzw. dahin gebracht zu werden. Der Staat erhält als oberster Anwender von Wissenschaft und Forschung eine hohe praktische Kompetenz, mit der er sich zwischen die kulturellen Zerfallserscheinungen wie ein interdisziplinärer Krisenmanager stellt und sein Personal in diesem Sinne instruiert und vergemeindet.

Die Institutionen des Staats lösen sich aus ihrer Abhängigkeit von der Meinung seiner Bürger. Sie gründen nicht mehr auf Dafürhaltungen, sondern auf den inneren Notwendigkeiten des Staatsganzen. Die Grünen und die Sozialdemokraten führen es uns vor. Alles, was als Anwalt der Not und gegen die Übermacht des Staates oder der Staaten installiert war (z.B. die Menschenrechte, die Grundrechte), wird in den Zweck der Notwendigkeit gestellt, das Ganze gegen die einzelnen Widerstrebungen zu richten. Terrorismus bietet hierfür eine hervorragende Legitimation, transportiert dieser Begriff doch letztlich die Angst des Staates, der sich in der gigantischen und unlösbaren Aufgabe der Krisenpolitik vor dem Aufstand seiner Bürger fürchten muss, in das Herz des Bürgers, der um seinen Besitzstand und sein Leben fürchtet.

Die Institutionen der Wissenschaft und der Kultur wurden zur Lösung von Problemen schon immer hergenommen. Sie haben bestehende Bezogenheiten im Leben der Menschen, ihre Kultur, als ihr Mittel genutzt und damit Moral begründet und Widersprüche befriedet. Jetzt zielen sie, ob der zunehmenden Desolatheit solcher Möglichkeiten zur Beherrschung der Probleme, dahin, die sozialen Probleme mit den Mitteln der Ideologie, die das Interesse des Staatsganzen allüberall als die allgemeine Lebensnotwendigkeit für jeden Menschen ausgibt, anzugehen. Und da das Geld zu Krisenzeiten auch in der Staatskasse knapp wird, müssen die in solche Interessen investierten Staatsgelder optimal genutzt werden. Der Staat wird zum selbst bedrängten Finanzier ungewisser Fürsorgeaktivitäten und daher auch zum argwöhnischen Kontrolleur der Wissenschaften und ihrer praktischen Organe.

Jeder Kulturarbeiter, sei es im sozialen, pädagogischen, ästhetischen oder psychologischen Bereich, gerät in den Widerspruch, vor den wirklichen Problemen der Menschen zu stehen, die er inhaltlich nicht bewältigen kann aber die er zugleich beherrschen muss, wenn öffentliche Gelder seine eigene Reproduktion ausmachen. Der Konflikt ist gelöst, wenn die Notwendigkeit des Auskommens mit einem gebotenen Geldquantum eine Interessensgemeinschaft zwischen Kultur-ar-beit und Klient bietet. Dies wird zum Maßstab jeder Kulturleistung. In der Notwendigkeit der Selbsterhaltung, also in Abhängigkeit von ihrer staatlichen Aufgabenstellung, wird sich die Kulturarbeit nicht auf die Seite der Wirklichkeit der Probleme stellen, sondern den Problemträgern die Notwendigkeit der Ganzheit des Funktionierens der Menschen mit allen Mitteln ihres Einsatzes vorstellen. Und als Mittel hat sie nur noch die zwischenmenschliche Gemeinschaft. Diese wird zum ausschließlichen Träger der Moral, welche solche Ideologie bei ihrem Befriedungsunternehmen einsetzt. Amerika hat uns das längst schon vorgemacht. Aber auch hier setzt sich der Trend durch, die Lösung gesellschaftlicher Widersprüche zur gemeinschaftlichen menschliche Lebensaufgabe, als quasi persönlich notwendige Lebensleistung eines jeden vorzustellen. In dieser Lösungsgemeinde wird zwischenmenschliche Nähe ideologisiert und unter das Primat der Notlösung gestellt. So entsteht keine Befriedung, sondern geschwisterliche Nähe der Staatsfunktionen zum Einzelinteresse, die ihn zur freiwilligen Selbstaufgabe bedrängt und die sich auch für ihn angesichts der Ohnmacht gegen die Sachverhältnisse als tragend erweist. Solche Praxis ist schließlich auch in der Lage, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen, ihnen den Unterschied von Normalität und Abweichung als gewalttätigen Unterschied zu vermitteln und eine Art zwischenmenschlichen Faschismus aufzugeben. Hierfür bedarf es keinen Führer mehr. Die Menschen gehorchen im Gefühl dem, was sachlich und sozial als nötig erscheint (vergl. hierzu z.B. die Rechtspraxis in den USA, wo soziale Ächtung durchaus als billiges Mittel zur Bestrafung und Isolation eingesetzt wird).

Das Verhältnis der Wissenschaft zum Menschen besteht ja längst nur noch als praktischer Pragmatismus. Sie lässt die Sache sprechen und die Menschen handeln. Es war ja in den Wissenschaften längst so eingeführt, nachdem die erkenntnis-theo-re-ti-schen Streitigkeiten mit dem Pragmatismus der Wissenschaft aufgelöst worden waren. Seitdem wird die Wirkung der Sache als entscheidende Qualität wissenschaftlich begründeten Handelns angesehen. Die Probleme, mit der Sache auszukommen, sind damit die ausschließlichen Probleme der Menschen. Die neueren wissenschaftlichen Ausrichtungen überlassen die Menschen der Objektivität, die sie an ihnen subjektiv abhandeln und damit ihre Unterwerfung absolut machen. In der Partnerschaft des gemeinsamen Bezugs auf die absolute Objektwelt, in der Beziehung von Kulturarbeit und objektiver Problematik wird der/die KulturarbeiterInn zum zwischenmenschlich fungierenden Subjekt einer objektiven Beziehung.

Die Kulturarbeit dient dem Interesse, die Menschen zu befrieden, die im gesellschaftlichen Ganzen keinen Sinn mehr haben, sehen und verspüren und die zu halten und ggf. zu reintegrieren, die aus dem gewöhnlichen Reproduktionsprozess herausfallen. Kulturarbeiter werden zu Lebensberatern, die kein Leben mehr haben, zu Sozialarbeitern, die keine Gesellschaft mehr vertreten, zu Lehrern, die nur noch belehren können, zu Psychologen, die nur noch Spannung und Störung abzuleiten haben, zu Künstlern, die der Künstlichkeit abstrakten Lebens unterworfen sind. Sie alle können in ihrer Arbeit nur noch ihre Funktion haben und nur noch den Sinn des Funktionierens entwickeln. Der Sinn für ihre Arbeit wird ihnen genauso zerstört, wie dieser Sinn von denen gesucht wird, die sich auf ihre Kulturarbeit beziehen. Es bleibt den Kulturarbeitern alleine die Rolle des großen Bruders, der ein Leben vorstellt, anleitet und bewältigt, das es jenseits seiner Vorstellung und seiner Mittel nicht mehr gibt. Ihre bloßen Selbsterhaltungsinteressen machen sie zum Subjekt eines Verhältnisses zu Menschen, die ihre Erhaltung bei ihnen suchen, und zum Objekt ihrer Funktionalität in einem. Immerhin ist ihnen eins geboten: Der große Bruder ist die Elite der Kulturarbeit. Und als solcher wird er auch zum Gutachter und Richter darüber, wer nicht mehr "reproduktionsfähig" ist, wer als krank, siech, therapieresistent, assozial usw. zu gelten hat. Das "soziale Netz" gilt nur mehr selektiv.

Ein anderer Bereich der Kulturarbeit gründet auf der Funktion der Quantifizierung von Selbsterfahrung. Die Medien richten sich nach Quoten, die ihre Verkaufszahlen oder Einschaltungen darstellen. In der Abtrennung von ihrem unmittelbaren Sinn wird sie zu einem Effekt des Affekts, in dem alles gleich wird, was sinnlich sehr verschieden ist. Doch diese Sinnlichkeit ist in diesem Effekt aufgelöst, abstrakte Wahrnehmung, die gesellschaftliche Bestätigung findet. Die Quellen der Sinne versiegen, wo sie nicht mehr wirklich bestätigt werden, wo die unmittelbare Äußerung keinen Sinn mehr hat, weil sie nicht mehr verstanden, übermittelt oder ertragen wird. Es werden durch die Medien gerade die Gefühle genutzt, die sich quantifizieren lassen, d.h. die "ankommen". Die Isolation der unmittelbaren Sinnlichkeit treibt vielerlei Blüten, die sich der Öffentlichkeit entwinden und keine Brücke mehr zu ihr haben. Es gibt einen ungeheueren Brei von allgemein bekannten Selbsterfahrungen, die öffentlich bis zur Unerträglichkeit ausgeschlachtet werden, die aber in Wirklichkeit die Isolation menschlicher Empfindungen allgemein und publikumswirksam betreiben.

Diese Funktion der Medien als Straßenmeister der seelischen Hygiene macht sie selbst zum politischen Werkzeug der Ideologien, den Vorstellungen, die sie von ihrem Tun und Leben haben. Daran beteiligen sie ihre Konsumenten wie in einem öffentlichen Geheimclub. Jeder weiß, was gemeint ist, aber alle bringen es, wie es für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Der Große Bruder tritt als Moderator, Entertainer ... und irgendwann als Staatspolitiker auf. Die Öffentlichkeit wird selbst zur Elite gegen die Menschen, die sich darin bestätigt fühlen.

Die Notwendigkeit elitärer Selbsterhaltung widerspricht in eklatantem Umfang der Notwendigkeit menschlicher Grundsicherung, welche der gewordene Lebenszusammenhang, die menschliche Geschichte in ihrer Gegebenheit als gesellschaftliches Material, als kulturelle Vielfalt der Sachen und Menschen, bietet. Aus diesem Grund ist schon alleine im öffentlichen Kulturbereich erkennbar, dass der Kapitalismus den Organismus, den er in den Menschen und ihrem gesellschaftlichen Tun hat, nicht nur auf die unterste Stufe der Selbsterhaltung (Reproduktion mit unkultivierten Lebensmittel) drückt, sondern Teile davon auch zerstört, wenn sie dem funktionalen Ganzen nicht mehr entsprechen und deren Restauration ihm zu teuer wird. Der Staat widerspricht zunehmend diesen Grundlagen jeder menschlichen Entwicklung, die letztlich seine eigenen Grundlagen sind. Als gesellschaftlich tätige Menschen werden Kulturarbeiter obsolet, wenn sie die Aufgabe der nationalen Ganzheit erfüllen. Deshalb sind sie im Grunde daran interessiert, sich gegen die Kultivation des Kapitals, gegen die Unterwerfung der menschlichen Kultur unter die Verwertungsinteressen des Kapitals zu stellen. Und die Möglichkeiten hierfür stehen nicht schlecht, wenn es gelingt, alle Menschen, die von und mit ihrer Kultur leben, davon zu überzeugen, dass der Kapitalismus ihre Kultur zerstört und wenn die Mittel gefunden werden, mit denen er auch in einer Nation, in der das Proletariat keine mehrheitliche Rolle mehr hat, angegangen werden kann.

Kulturkritik ist Kapitalismuskritik

Es gibt eine alte Bauernweisheit: Wird der Bauer verjagt, so stirbt das Land. Es ist vielleicht ein "rechter" Spruch, vielleicht auch Eigenwerbung. Aber es ist auch eine schlichte Wahrheit, dass jede Gesellschaft, jede Kultur, auf dem Stoffwechsel, auf einem mehr oder weniger geschlossenen Kreislauf von Arbeit und Lebensmittel gründet, wie immer die Form hiervon aussehen mag. Und genauso wahr ist, dass die Abwesenheit von den hierbei in Umlauf gebrachten Substanzen diesen Kreislauf empfindlich stört oder sogar zum Erliegen bringen kann, weil die Funktion des Ganzen nur durch die Beziehung der Teile gegeben ist (wenn ein Städter durch Arbeitslosigkeit in Not gerät, bleibt er weiterhin von Geld, von Sozialgeld abhängig, weil er keinen Acker finden wird, wodurch er sich ernähren könnte). Wo der Reichtum einer Gesellschaft nicht auf wirklichem Stoffwechsel und wirklicher Leistung beruht, da entsteht Lebensarmut: Die Unmöglichkeit, die einfachsten Dinge für sich und andere selbst zu erzeugen (z.B. Nahrung, Hausbau, Verkehr), weil die Mittel hierzu, die Fähigkeiten, Materialien und sozialen Zusammenhänge fehlen. So ist es auch, wenn die Dinge des Lebens einem solchen Stoffwechselkreislauf, einer bestimmten Gesellschaft im Sinne eines Kulturzusammenhangs, nicht mehr entspringen, weil sie durch Geld erworben werden, das darin nicht verdient werden muss. So ist zu verstehen, dass es für alle Gesellschaften nicht einfach nur unterschiedliche Entwicklungsstände des Reichtums gibt, nicht einfach nur ein Mehr oder Weniger, nicht nur quantitative Unterschiede, sondern dass es nur reiche Gesellschaften gibt, weil es arme gibt, dass es nur Überfluss gibt, weil andernorts Auszehrung herrscht und dass Gesellschaften nur veröden, weil sie sich der Macht reicher Gesellschaften unterwerfen müssen, um überleben zu können, in dem sie ihnen ihre Ressourcen (Bodenschätze, Naturstoffe, Arbeitskräfte) überlassen. So wie ihr Stoffwechsel durch die Kolonialmächte erst vom Industriestandard abhängig gemacht worden war, so wird ihre Abhängigkeit jetzt durch die strukturelle Ausplünderung der transnationalen Konzerne und des Finanzkapitals überhaupt in eine Kultur zerstörende Abwärtsspirale getrieben. Die Verdammung zur Prostitution kann keinen Frieden haben. Die Kulturen von Arm und Reich stehen sich qualitativ entgegen.

Der Stoffwechsel ist weltweit ausgebreitet. Geschlossene Kreisläufe gibt es praktisch nicht mehr, es sei denn in den letzten Nischen des Urwalds. Die verschiedenen Kulturen haben sich in dem Maße von den Notwendigkeiten des Stoffwechsels getrennt, als er für sie nicht mehr existiert, für sie keinen Sinn hat, sei es, weil ihr Reichtum an Kapital keinen Sinn findet, sei es, weil ihre Armut ihnen jeden Sinn abverlangt. Solche abgetrennte Kulturen sind Hochkulturen. Kultur und Existenz sind darin entgegengesetzt. Hochkultur erfüllt den Sinn ideell, den die Existenz nicht hat, z.B. als Religion, Kult, Nationalgefühl. Die Nationen, deren Zusammenhalt auf Geld beruht, das nicht durch stoffliche Werte oder wertgleiche Gegenleistungen gedeckt ist, die Kapital besitzenden Nationen, haben aber eine andere Hochkultur als jene, deren Abhängigkeit vom Kapital sinnfällig ist. Während letztere den entfremdeten Sinn, das Prinzip der Nützlichkeit, kultivieren, kultivieren die Armen ihren entfremdeten Geist, ihren Gott, in den sie ihre Sinnlichkeit für sich haben, ausschließlich für sich.

Das Kapital ist der Boden von allem. Ein "Kampf der Kulturen", wie ihn ein journalistisch begabter amerikanischer Soziologe (Samuel P. Huntington) festgestellt haben will, kann gar nicht stattfinden, weil er die eigene Kultur preisgeben würde. Die Kulturen verbrämen als Hochkulturen einfach nur ihren Grund und Boden, und sind daher für die Propagandakriege nützlich. Hierdurch wird möglich, religiös finalen Fanatismus oder den "Zauber der Walt-Disney-World" in die Fernseher der Welt zu bringen. Aber auch wenn dies einzelne Menschen zu absurden Taten verleiten kann, wenn sie dazu angehalten und gesellschaftlich beglückt werden, so kann die kriegerische Zerstörung einer Kultur durch die andere keinen Sinn haben: Jede Kultur wäre hierdurch für sich selbst obsolet, sinnlos, denn sie gründet ja auf dem Anderssein und ist für sich nur positiv, durch ihre Negativität zu anderen Hochkulturen.

Hochkulturen spielen nur in dieser Position, also nur innerhalb ihres Kulturbereichs, eine tragende Rolle. Die wird dadurch gewaltig, dass sie das als Sollen des Kultiviertseins verkörpern, was dort nicht ist. Wo den Menschen der Sinn für ihr Leben genommen ist, da brauchen sie einen jenseitigen Grund für sich, Gott. Wo ihre Sinne in fremden Nutzen gestellt sind, da brauchen sie sich als übersinliches Wesen, ihre Persönlichkeit zwischen den Menschen, ihre Zwischenmenschlichkeit. Die extremen Formen davon, der religiöse Fanatismus auf der einen und der Nazismus auf der anderen Seite, sind Radikalisierungen dieses Sollens, Extremformen der Hochkultur, nicht ihr vollständiges Ganzes. Sie kann nur funktionieren, solange sie für das Ganze eines Kulturkreises taugt, solange sie also die Menschen dazu bringt und darin erhält, innerhalb dieses Kreises ihren gesellschaftlichen Funktionen zu entsprechen, auch und gerade weil die Gesellschaft hierzu sinnlich abwesend ist, aber abstrakten Sinn hat.

Kulturkritik muß den abstrakten Sinn der Hochkultur sowohl aufgreifen wie auch angreifen: Aufgreifen, weil er die Notwendigkeit eines Anders-Sein-Sollens ausdrückt. Angreifen, weil er das bestehende Lebensverhältnis verbrämt und in den Menschen verkehrt, pervertiert. So wie Religion die Abwesenheit des Menschen in seiner Gesellschaft ausdrückt, wie sie den "Seufzer der bedrängten Kreatur" (Marx) ausdrückt und zugleich "Opium des Volkes" ist , so ist die Hochkultur überhaupt, auch wenn ihr Kult sich nur auf den Schimmer und Glanz des Geldes bezieht. Die Rauschmittel können wegfallen, wenn die Lebensverhältnisse selbst ihren Doppelcharakter zeigen und wenn dies auch gezeigt wird.

 

Die Globalisierung hat auch die Internationalisierung gebracht, die Individualisierung auch die Bezogenheit auf Gesellschaft und das Verlangen nach ihr und die Technologie hat die vielfältigen Möglichkeiten des Verkehrs und der Kommunikation entwickelt, durch welche die Menschen sich näher kommen und sich besser verständigen können. Der Doppelcharakter der bürgerlichen Gesellschaft besteht eben auch darin, dass sie in dem Maße, wie sie die Kräfte der Menschen partikularisiert und nur im Kapital vereint, auch die Potenzen ihrer Überwindung entwickelt. Eben weil die Menschen in ihrem Verlangen und ihrer Tätigkeit nur gesellschaftlich wirklich werden können, ist ihre Wirklichkeit auch dort gesellschaftlich, wo sie privat erscheint. Das zeigt sich besonders, wo die Privatheit nicht mehr prosperiert, wo sie in die Krisen gerät, die ihre Bestimmtheit und deren Logik aufscheinen läßt.

Privatisierte Kultur ist ihrem Inhalt unangemessen. Zwischenmenschliche Beziehungen veröden, wenn sie ihre Gesellschaft nicht mehr finden und jeder Geist und Körper bedrückt sich selbst, wenn und wo er sich seiner Wirkung und Wirklichkeit entzieht. Zugleich zeigt sich im Privaten auch der Grund seiner Gesellschaftslosigkeit: Der Zwang zur Rückgewinnung eines Sinnes, der in der Welt keinen Sinn hat. Kulturkritik ist demnach zweierlei: Verweltlichung privatisierter Sinne und Bekämpfung gesellschaftlicher Kräfte und ihrer Ideologien, die sich in der Krisenbewältigung stark machen, die formieren, formalisieren und institutionalisieren, was Menschen kulturell (im weiten Sinne des Begriffs) hervorbringen. Die Krisen ihrer Liebe, der Inhalte ihrer Arbeit, der Schönheit ich Sachen und der Kraft ihres Geistes können und müssen daher als Krisen des Kapitalismus herausgestellt und als solche nicht auf ihn zurückgeführt, sondern als Potenzen seiner Veränderung entdeckt werden.

Kulturkritik ist zum einen die Bekämpfung der politischen Interessen der Hochklultur und entwickelt zum anderen ein Bewußtsein über die Verhältnisse und Beziehungen, in denen wir leben, wie sie auch Bestandteil unserer Tätigkeit sind. Indem sie zum Beispiel die persönlichen Konflikte als gesellschaftliche, die Selbstwahrnehmung als sich selbst fremde Wahrheit, die Kultur überhaupt als Herrschaft des Privaten über das Gesellschaftliche, und die Zerstückelung von Arbeit als gesellschaftliche Abstraktion herausstellt, stellt sie auch den gesellschaftlichen Menschen vor und spricht ihn aus. Wenn sich die Menschen daran in ihrem Leben beteiligen, dann verändern sie auch sich und andere - und die Produktion ihres Lebens überhaupt. Die gesellschaftliche Form wird daran gemessen und auf ihren Zweck befragt. Sie wird überwunden werden können, sobald die Menge und Kraft der Menschen hierzu ausreicht und Lebensformen entwickelt werden können, welche die bisherigen unnötig werden lassen.

Durch Kulturkritik sollen Menschen zu ihrer wirklichen Existenz finden, weil in ihr Ökonomie, Kultur und Psychologie aus ihren zergliederten und zergliedernden Gewalten genommen werden. Die Menschen sind in ihrem gesellschaftlichen Leben versammelt, wenn sie es in seinen vielfältigen Entwicklungen auch gesellschaftlich bestimmt erkennen und gesellschaftlich bestimmen können, wenn sie nicht als Objekte einer ihnen fremden, abstrakten Gesellschaftlichkeit, sondern als Subjekte des gesellschaftlichen Lebens in der Kraft und dem Anteil beteiligt sind, den sie auch wirklich einbringen. Kulturkritik ist eine nötige Arbeit hierzu. Sie kritisiert nicht Kultur oder Kulturen, sondern sie kritisiert den abstrakten Zweck, den Kultur erfüllt, wenn sie politische Interessen enthält und sie implizit oder auch bewußt verfolgt.

Karl Marx hat eine bedeutende Vorarbeit hierfür geleistet, indem er die politische Macht des Kapitals in seinem Lebenswerk als Herrschaft vergangener, untergegangener, toter Arbeit, als Herrschaft toter Arbeit über die lebende, bewiesen hat. Das Wissen über die Stadien und Phasen dieser Geschichte und Prozesse liegt vor - bis hin zur Beschreibung der konkreten Alltagserfahrung von Arbeit und den Kämpfen der Arbeiter um ihre Existenz und ihr Selbstbewußtsein.

Die Erfahrung des Faschismus, die Gewalt toter Bedürfnisse über die Lebenszusammenhänge des eigenen Volkes, hat gezeigt, dass auch Kultur lebensbedrohende Mächte und Kräfte enthält, die sich unmittelbar aus der ökonomischen Zerstörung und einem darin geborenen Willen ergeben. Dieser Wille speist sich aus der gesellschaftlichen Zergliederung und Isolation, in welcher die Menschen sich auch kulturell bedroht fühlen. Der Antifaschismus und Antimilitarismus haben die Möglichkeiten einer Bekämpfung von Krieg und Staatsterror zum Teil schon herausgearbeitet.

Die Ökonomie und die Kultur, der Zusammenhang der menschlichen Arbeit mit den Gegenständen menschlicher Bedürfnisse, wie auch die Macht toter Arbeit (abstrakt menschliche Arbeit) und toter Bedürfnisse (abstrakt menschliche Bedürfnisse), bleibt allgegenwärtig und die Aushöhlung (oder Vernutzung) dieses Zusammenhangs wird auch als Aushöhlung und Vernutzung des eigenen Lebens konkret gelitten und erfahren.

Die Kritik der Ideologie, die Aufdeckung äußerlicher Zweckhaftigkeit des Denkens, ist seit dem 19. Jahrhundert in Gang und durch die Geschichte der gesellschaftlichen Bewegungen (z.B. der Arbeiterbewegung, der Studentenbewegung, der pazifistischen und der ökologischen Bewegungen) gegenwärtig. Die Kritik der bürgerlichen Restauration ist immer schon Ideologiekritik und ihre bisherigen Resultate lassen sich auch heute noch verwenden.

Die Armen, die Jobhunter, die Randgruppen, die Arbeitslosen, die Ausländer, die Sozialhilfeempfänger, die Alten, die Jugendlichen, die Verrückten, die Frauen und die Männer, und auch die viele Arbeiter und Angestellte, die permanent um ihren Job bangen müssen, machen den immer größer werdenden Teil einer Gesellschaft aus, die kulturell auseinanderbricht, weil sie sich ihrem eigentlichen Wesen, der Organisation einer vom Bedürfnis der Menschen bestimmten Arbeit, immer weiter in dem Maß entfernt, in dem sie die Kapitalerzeugung weiter treibt und nur noch mit zunehmend politischer und militärischer Gewalt durchsetzt. Das Zentrum der Gesellschaft sind die Randgruppen, die schon jetzt ihren größten Teil ausmachen. Wenn sie in der Lage sind, zusammen mit den Kreisen aus der Arbeiterklasse und den Angestellten, die ihre ökonomische Ausbeutung noch erfahren und wahrhaben, ihre eigene Sache als gesellschaftliche Sache in die Hand zu nehmen, so wird sich die Gesellschaft hier und in Folge hiervon auch anderswo ändern.

 

Das Papier ist nicht abgeschlossen und wird auch nicht mehr bearbeitet.

 

Wolfram Pfreundschuh