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Thesen zu diesem Text: "Auf dem Weg in eine andere Gesellschaft."

Wolfram Pfreundschuh (in Radio Lora gesendet am 19. 6. 2007) 

Am Ende der bürgerlichen Gesellschaft:
Zwischen Feudalkapitalismus und internationalem Kommunalismus

Zehnter Teil:  

Anfänge einer Widerstandskultur

Immerhin hat der G8 Gipfel eins gebracht: Viele Menschen aus aller Welt fanden anlässlich des Treffens der Weltpolitiker zusammen. Sie demonstrierten und diskutierten miteinander und manche tanzten, trommelten oder widerstanden auf andere Weise der großen Machtdemonstration der Weltpolitik. So viel Entschiedenheit und Solidarität gegen diese Bühne der Weltmacht hatte es schon lange nicht mehr gegeben. In Ansätzen zeigte sich auf diese Weise schon die Unabdingbarkeit einer Verweigerung, eine grundsätzliche Vertretung des eigenen Lebens gegen die Durchsetzungsmacht der Interessen des Weltkapitals, eine Art Widerstandskultur, worin sich das Veto der Menschen darzustellen versuchte.

Sie waren zum Teil von weit her angereist, aus Südafrika, Lateinamerika, Nicaragua, China und anderen Ländern. Der weltweite Protest gegen die Globalisierung des Kapitals zeigt sich immer lauter, heftiger, vielfältiger und totaler - in allen Formen und einer Vielfalt von Themen, Veranstaltungen und Aktionen. Die Proteste zur G8-Konferenz haben vor allem deshalb ein neues Ausmaß von Entschlossenheit gezeigt, weil  die Klimaentwicklung, die Wirtschaftsentwicklung und die Kriegsszenarien nicht mehr als Themen auf einer Tagesordnung zur freien Erörterung stehen, sondern als Grundprobleme aller weiteren Geschichte auf diesem Globus ausgemacht sind (1).

 

Die Politik der Repräsentation als Weltspektakel

Natürlich hätten sich die Politiker auch stiller treffen können und ihr politisches Kalkül – wie gewohnt - geheim entwickeln und ihre Pläne auf irgendeiner Yacht oder durch diverse Konferenzschaltungen schmieden und besprechen können. 120 Millionen Euro hat man allein für die Veranstaltung des G8-Gipfels ausgegeben, das eigentlich in dieser Form zu nichts nützlich ist, wie der Altkanzler Schmidt lapidar vermerkte – außer eben als Legitimations-Event. Um die Sache selbst geht es hier eigentlich nur am Rande. Vor allem geht es um eine Aufführung, um die Darbietung von großer Gestik, mit welcher 8 öffentliche Persönlichkeiten ihre Vorstellungen ausbreiten. Und das ist dann zugleich die Vorstellung von ganz großer Weltpolitik. Wichtig sind die Bilder von mächtiger Ereignishaftigkeit. Und es geht um Sprache, die vermittelt werden soll, Begriffe, die ihren Sinn entbinden und die Sache der Mächtigen als Dienstleistung an der Menschheit darstellen. Und sogar die Jugend, die nebenan einen „Gegengipfel“ veranstaltete, durfte in einem Statement den Weltmächtigen ihre Sorgen und Wünsche vortragen. Putin nutzte dies für eine leise Kritik am Vorhaben der Großen und dass der G8-Gipfel nicht mehr wirklich zeitgemäß sei, solange China nicht mitreden könne. Und vor allem sei es eine Veranstaltung, zu der er nur mal eben als Gast erschienen wäre.

In der Sache soll es scheinen, als ob es in dem freundlichen Miteinander von 8 relativ nett gestikulierenden Leuten darum ginge, wie etwas für die Welt von morgen zu erreichen wäre. Aber natürlich geht es auch in dieser unangebrachten Form nicht nur um Show, sondern auch um Machtpolitik: Um die Chance, aus einer seit 25 Jahren fälligen Klimapolitik endlich Wirtschaftspolitik zu machen und um die Kriegsszenarien der USA an den Grenzen der EU, die sicher nicht durch eine bessere persönliche Verständigung zwischen Putin und Bush aus der Welt geräumt sein werden, sondern wohl eher erst, wenn in den USA andere Verwertungslagen entstehen oder die politischen Verhältnisse dort eine solche Bedrohung unmöglich machen. Um Macht wird eben politisch gestritten, als wären es politische Persönlichkeiten, welche das Geschick der Welt bestimmen, als wären es noch die Politiker selbst, welche die Weltgeschichte beeinflussen können. Aber deren Möglichkeiten sind inzwischen sehr beschränkt.

Es entwickeln  sich immer deutlicher die Kräfte und Prinzipien, die sie selbst nicht mehr in der Hand haben und es setzt sich in ihren Beschlüssen schließlich doch nur noch durch, was dem Kapital nötig erscheint. Und dieses ist vor allem fiktiv: eine ungeheuere Wertmasse, die um den Globus schwirrt und beständig mit den Stoffen des Lebens gefüllt werden muss. Aber natürlich muss die Welt dafür auch noch funktional bleiben, also zumindest funktionieren. Darum geht es. Und darüber spricht man dann auch wirklich.

Die handelnden Personen des G8-Gipfels sind Funktionäre, die nichts anderes zu tun haben, als das große Spiel der Macht zu spielen - jeder für den politischen Zweck seiner ökonomischen Bedingungen: Die Konkurrenz der einzelnen Länder ist verschärft und die Notwendigkeiten ihrer Politik unterscheidet sich demzufolge inzwischen wieder gewaltig. Auch die Klimafrage wird so beantwortet, wie sie in die ökonomischen Bedürfnisse der Länder passt. Die rasanten Entwicklungen in China stellen für alle ein zentrales Problem dar und die Ressourcen für den großen Boom sind beschränkt. Die Entwicklung des Kapitals stößt an seine Grenzen. Seine Verwertungskrisen bestimmen die Interessensunterschiede immer totaler. Um sich wirtschaftlich zu retten oder weiter zu kommen, braucht der eine Kriege, der andere Feudalwirtschaft und der oder die Dritte macht auf Exporte usw. Man streitet eben vor allem um die Chancen des jeweiligen wirtschaftlichen Fortbestehens. Indem man sich aber mal wieder persönlich erlebt, sieht das doch ganz nett und harmonisch aus – wenigstens als ein Eindruck für schöne Bilder in einer schönen Landschaft.

 

Das Wertwachstum des Weltkapitals

Die Verschuldungen der Nationalstaaten waren in der Geschichte des Kapitalismus noch nie so groß und untilgbar und die Zinslasten verbrauchten noch nie soviel Steuergelder aus den allgemein schrumpfenden Staatskassen bei wachsenden Sozialausgaben. Von daher gibt es wenig Spielraum. Der Weltmarkt bleibt das Hauptobjekt der Begierden ihrer Gläubiger, die darauf setzen, durch ihn die Werte der Welt auszuschöpfen. Sie treiben die Staaten zu äußerster Härte, um wieder die Märkte "in Schwung" zu bringen. Denn letztlich besteht eben immer noch Einigkeit in der Vorstellung von einem allgemeinen Wirtschaftswachstum. Und diese macht die Stärke der Starken aus: Wo und wenn das noch gelingt geht es immer mal wieder einigen zumindest besser, jedenfalls den allerstärksten.

Was hier als Wirtschaftswachstum gehandelt wird, ist ein schlichtes Unding: ein unendliches Wertwachstum kann es gar nicht geben, weil nicht unendlich viel gekauft werden kann. Doch darauf spekuliert das Kapital. Es hat die ewige Hoffnung, dass immer wieder neue Verwertungspotenziale erschlossen, Konsummärkte erweitert und Ausbeutung der Lohnarbeit weiter intensiviert werden kann. Kapitalwachstum wird dort mit Fortschritt gleichgesetzt. Doch es ist fast nur noch das Wachstum von fiktivem Kapital, was hierbei entstehen kann, die Masse der Verwerungsfantasien. Und solange es darum geht, geht es um die Bewertung von Entwicklungsvorstellungen, von Aktien und Krediten. Aber die haben gerade als bloßes Finanzkapital eine ungeheuere Macht, weil die organischen Bedingungen hierfür völlig gleichgültig geworden sind. Insgesamt verstärkt dieses Kapital nur noch den blanken Finanzdruck auf die Arbeitsplätze und die Arbeitsbedingungen überhaupt. Das Leben der Menschen und ihrer Natur bleiben auf der Strecke.

Da kommen viele Fragen auf. Besonders die, wie man überhaupt gegen fiktives Kapital sich noch zur Wehr setzen kann. Wer kann Aktienmärkte blockieren oder boykotieren? Wie kann man diese Art von psychologischem Kapital überhaupt bekämpfen? Wie kann den fast willkürlich erscheinenden Folgen von Kapitalspekulation überhaupt noch entgegengetreten, die Spirale von Arbeitslosigkeit und Verarmung noch aufgehalten werden? Können Gewerkschaften die Anliegen der Beschäftigten überhaupt noch wirklich vertreten, wenn die Arbeitspreise in aller Welt gegen diese konkurrieren? Kann der Protest gegen die Globalisierung überhaupt noch etwas bewirken?

Eine einfache Antwort hierauf gibt es nicht mehr. Aber auch das ist nicht mehr so neu. Die Grundrente war schon immer die höchste Form politischer Macht und das wichtigste Terrain des Kapitals, sein letztlicher Rückhalt. Aber von Geld und Kapital allein kann niemand wirklich leben und auch die Miete muss durch Lohn finanziert werden und finanzierbar sein. Für sich ist das bloße politische Macht, der man sich immer auch entgegenstellen kann. Die Entgegnung kann nur nicht in der Luft stattfinden, in der dieses Kapital sich aufbläht. Sie muss die Substanz haben, die für andere zur Verwertung dient. Sie muss das zu ihrer Eigenschaft machen, was durch deren Verwertung enteignet wird. Die Frage ist also, von was dieses Kapital seine Macht schöpft, welche Substanz das ist, deren Form von ihm bestimmt ist.

Die menschliche Arbeit als solche ist nicht die unmittelbare Substanz des Kapitals, wenn auch die letztliche Grundlage seiner Wertform, also der Form, in welcher die Produkte als Geld existieren. Nur über diese Form werden diese politisch abhängig – also über die Form, in welcher die Produkte ihrer Tätigkeit ihnen gegenüberstehen. Weil sie das Geld der Geldbesitzer zum Leben nötig haben, müssen sie für diese arbeiten. Das ist so fundamental wie einfach. Aber die Produktivität ihrer Arbeit ist enorm gewachsen und verlangt für immer mehr Produkte immer geringere Aufwendungen an Arbeitskraft. Die Arbeit ist inzwischen zu einem hohen Anteil hochautomatisiert, delokalisiert und nicht mehr von staatspolitischen Organisationsformen, Prinzipien und Wirtschaftsregelungen abhängig. Substanziell als Bildnerin der Lebensmittel und des menschlichen Reichtums überträgt menschliche Arbeit immer weniger Wert pro Zeiteinheit, denn Maschinen und Automaten sind relativ schnell amortisiert. Das Kapital kann sich immer weniger durch seine Funktion als Kommandeur des Produktionsprozesses erhalten, denn als bloßer Besitzer der Lebensbedingungen, als Besitzer der Wohnungen, Produktionsstätten, Energievorräte usw. Die lebendige Arbeit geht immer geringfügiger in den Wert der Produkte ein und als tote Arbeit in Geldform hat sie den Geldbesitzern die Aneignung aller Lebens- und Produktionsbedingungen der Menschen ermöglicht. Die Arbeit ist in eine Form geraten, worin die Menschen nurmehr verschwindende Bedeutung haben

 

Eine moderne Leibeigenschaft

Das Kapital führt sie nicht mehr zusammen, sondern treibt sie auseinander. Was zur Wertproduktion an der Produktionsstätte noch an zusammenhängender Tätigkeit erforderlich war, ist weitgehend zum permanent schwindenden Wert von Automaten zerronnen. Hierüber ist auch der Kapitalismus in seine tiefen Krisen im letzten Jahrhundert gekommen, bis der globale Geldmarkt zur vollen Ausschöpfung aufgebracht wurde. Alles, was bisher der Produktion diente, die Infrastrukturen und Verkehrsmittel und Anlagen, wurde nun als bloße Lebensbedingung der Menschen unmittelbar wertvoll.  Der Wert, dem die Arbeit immer mehr abgeht, wird in diesem Maß zum Erpressungsmittel, welches eine neue Leibeigenschaft der Menschen begründete: Die Lohnarbeit der durch die künstlich erzeugte Not des Selbsterhalts erpressten Arbeitskraft. Die Lohnverhandlungen, welche sich noch am Preis der Arbeit festhalten, werden ad absurdum getrieben. Es sind nicht nur die billigigen Arbeitskräfte in China oder Bulgarien: Es ist die kapitalistische Maschinerie der Automaten, die ihren Wert gegen Null tendieren lassen. Lediglich die Lebensverhältnisse selbst, die gesellschaftlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen stellen den Wert dar, durch den jede Arbeitsleistung erpresst werden kann.

Die Substanz, die durch das globale Kapital aufgezehrt wird, ist die Substanz dieser Arbeitsformen selbst, ist jede Form von Gemeinwesen, Organisationsstruktur, Arbeits- und Lebensgestaltung – oder kurz gesagt: Kultur. Das Kapital betreibt die Zerstückelung und Partialisierung aller Eigenschaften und Notwendigkeiten der Gemeinwesen und ihrer Produktion, um allein als Macht über die Lebensbedingungen der Menschen aufzutreten und sich als Macht der Lebenszusammenhänge selbst aufzutürmen wie eine Feudalmacht, der die Menschen in ihrer ganzen Lebensförmlichkeit unterworfen sind.

 

Wert, Preise und menschliche Reproduktion

Der Wert jedweden Kapitals begründet sich von seiner Substanz her immer aus den Aufwendungen für den Stoffwechsel der Menschen, also durch Arbeit, denn nur wo Arbeit und Bedürfnisse in warenförmiger Beziehung bleiben, lassen sich Menschen für ihre Bedürfnisbefriedigung verdingen und können Geldbesitzer deren Lebensnotwendigkeiten verwerten. Ein Kapital, welches die Arbeitsformen selbst aufhebt oder aufheben muss, weil sie nicht mehr zeitgemäß funktionieren, betreibt also objektiv die Aufhebung seiner eigenen Voraussetzungen, auch wenn es die Arbeitsformen selbst verwertet, also auch noch, wenn noch Werte aus dem Handel mit diesen Formen (z.B. durch Aktienpapiere) erpresst werden können, wenn Betriebe als Werte selbst verschachert oder liqidiert und kommunale Arbeitsbedingungen (z.B. Energieversorgung, Verkehrsbetriebe) wertmäßig aufgezehrt werden. Letztlich bleibt dann nur Geld - und Geld kann man nicht essen. Wo die Produkte des Verwertungsprozesses nicht mehr von den Menschen erstanden werden können, da bekommt das Kapital gewaltige Krisen und entblößt seine Leere und Sinnlosigkeit für die Menschen. Sie arbeiten zwar nach wie vor dafür, Geld zu ihrem Lebensunterhalt zu bekommen, aber ihre Arbeit hat für sie selbst keinen unmittelbaren Sinn mehr. Sie bedient vornehmlich nur noch fremde Bedürfnisse, der Bedarf einer ihnen fremden Kultur.

Der Widerstand hat damit einen Sinn, der nicht unmittelbar wirklich erscheint. Aber er hat gerade darin Sinn, dass Wirklichkeit selbst unmittelbar gesellschaftlich wird. Die Verwertung von Nichtigkeiten erzeugt einen gesellschaftlichen Sinn für Vernichtung. Wo dies bemerkt wird, bleibt nichts anderes übrig, als dem zu widerstehen. Eine Widerstandskultur gegen die Vernichtung der Lebenswelt der Menschen und Natur überhaupt könnte der Weg in neue gesellschaftliche Zusammenhänge sein.

Doch erst mal erscheint die Tretmühle der Nichtigkeiten, die Sinnentleerung der Arbeit, die Unsinnigkeiten der Politik, der Irrsinn der Körperwelten und ihrer Medien als bloße Last. Für ein paar Euro müssen immer die Besitzlosen hinhalten, um die Preise für das Leben bezahlen zu können. Und die vertiefen hierbei ihre Armut und befördern damit den Reichtum derer, die über ihre Lebensbedingungen verfügen. Das war schon immer und mit allem so, was im Kapitalismus geschieht: Alles, was in dieser Gesellschaftsform entsteht, bekommt seinen Wert. Und alles, was Wert hat, kann durch seinen Preis erst erworben werden. Was die Menschen selbst schon geschaffen haben, müssen sie sich noch mal als Wert aneignen, weil es nur als Wert für sie existiert. So muss alles, was selbstverständliches Eigentum ist, erst im Besitz politisch verwirklicht werden, denn gesellschaftlich ist es in fremder Hand, als Produkt Privatbesitz der Geldbesitzer. Lohnkämpfe müssen daher sein wie auch der Kampf um die Länge des Arbeitstags und der um die Lebensarbeitszeit. Und nur um sich und ihre Lebenswelt zu erhalten, müssen die Menschen um die Preise kämpfen und die Schuldenlasten begleichen, die ihnen hierbei noch aufgebürdet werden, z.B. die Steuerschuld, die Versicherungsschuld u.dgl.. Ihre eigene Geschichte ist hierdurch den Menschen dargestellt wie eine Macht höherer Wirklichkeit, der sie ihr Leben schuldig sind.

Aber im Kampf um den Preis und den Wert der Schuld stellt sich doch immer wieder schlicht und einfach nur das Machtverhältnis von unterschiedlichen Lebensbedingungen dar. Diese sind keine Geburtskrankheiten. Das sind gesellschaftliche Bestimmungen, die ihnen zugewiesen sind, in die sie entweder hineingeboren wurden oder in die sie im Lauf ihrer Geschichte mit dieser Gesellschaft hineingeraten sind. Und dagegen kann man sich verhalten, - dagegen, wie auch gegen Kriegspolitik, Naturzerstörung und Technologiewahnsinn und alles andere.

Es ist zunächst nur das Hamsterrad der Gegebenheiten, in dem man tun muss, was einem nötig gemacht worden ist: Steigen die Mieten, so müssen eben auch die Löhne steigen. Die Grundprinzipien der Gesellschaft wurden durch den bloßen Kampf um den Selbsterhalt nicht wesentlich verändert – aber ohne ihn gehen die Menschen unter. Je nach dem, wie viel Befriedung für die allgemeinen gesellschaftlichen Gebotenheiten der polischen Ökonomie nötig ist, erhalten die Menschen mal mehr und ein andermal weniger zum Leben. Und ist der Staat unter Druck, dann gibt er diesen gradlinig weiter , wie es ihm von seinem Hauptgläubiger geboten wird. Denn hinter allen einzelnen Auseinandersetzungen zwischen Abhängigen und Unabhängigen setzt sich immer vor allem die allgemeine Machtposition des Kapitals als Rechtsposition durch, das in der kapitalistischen Gesellschaft die Lebenszusammenhänge der Menschen vermittelt und betreibt: Die politische Form des gesellschaftlichen Eigentums als Pivateigentum der Machthaber.

 

Die allgemeine Privatheit des Geldes und die gesellschaftliche Privatisierung der Kultur

Eine Politik, welche nur noch der Privatmacht des Geldes dient, hat ein dickes Problem: Sie muss solche Macht erst mal als allgemeines Anliegen behaupten und muss dieses Anliegen in die Geschichte der Menschen wie eine allgemeine Notwendigkeit einbringem. Das ist nicht ganz einfach, denn warum soll das Anliegen des Kapitals wirklich gut für jeden sein? Auf Dauer zeigt sich doch immer wieder, wer das Nachsehen hat.

Aber für den Staat ist das Kapital zum Allgemeinanliegen geworden, weil er dessen Schuldner ist und die Geldwirtschaft selbst als Allgemeinvertretung der Wirtschaft betreibt. Er muss daher die Staatsschulden beim Finanzkapital durch Druck auf seine Bürger mindern und ist zugleich von deren Wählerstimmen abhängig. Das geht nicht so einfach. Das Diktat des Kapitals muss als irgendeine Art von Wohlfahrt dargestellt werden und sei es auch nur das Wohl des kleineren Übels. Man muss es inszenieren, denn was es wirklich ist, das ist letztlich Glaubenssache. So ist das mit der repräsentativen Demokratie: Um Politik zu machen, muss Meinung gebildet werden, damit möglichst viele auch daran glauben – am besten mit Bebilderung. Es geht dann nicht mehr um die Macht der Verhältnisse und deren immanente Gewalten, sondern um die Allgemeinheit des Gemeinwohls.

An und für sich kann es aber die Allgemeinheit des Allgemeinwohls nicht ohne viel einzelnes Wohlergehen geben. Doch das Kapital treibt immer mehr Menschen ins Unglück und immer weniger werden heirgegen um so reicher. Darin liegt zum einen die große Chance, ein Bewusstsein über die Mängel dieser Gesellschaft und über Gesellschaft zu bilden, nicht dass die vielen voller Neid auf die wenigen blicken, sondern dass darin ein prinzipielles gesellschaftliches Problem begriffen wird. Man kann an diesem Phänomen über die Kultur des Kapitalismus überhaupt nachdenken und hieraus die Kraft für neue Entwicklungen zu schöpfen.

Aber es besteht auch die große Gefahr, dass die faktische Not die Menschen erschlägt, ihre Unterordnung in diese Verhältnisse und unter die Arbeitsanforderungen sie stumpf macht. Sind sie dann entsprechend isoliert, so binden sie ihre Angst an Autoritäten und fremde Mächte, an eine höhere Ordnung schlechthin, an eine abstrakte Kultur, durch welche alles gelöst oder zumindest auflösbar erscheint. Die politischen Vertreter der Staatsgewalt können damit punkten, dass sie für Ordnung sorgen. Und so bekommen besonders Populisten auch immer mehr Zustimmung und Wählerstimmen. Die Vorstellung von einem Sinn, den alles durch sie bekommen soll, wirkt auf manche gewaltiger als ihre  wirklichen Lebensverhältnisse, welche Änderung nötig haben (2)

Von der politischen Konfrontation zum Widerstand gegen die Politik 

Politische Konfrontation ist als politische Äußerung ein notwendiger erster Schritt, aber letztlich nur als Darstellung des jeweiligen Willens, hinter dem sich immer das durchsetzt, was die Lebensverhältnisse bestimmt. Der rein politische Protest jenseits der konkreten Lebensverhältnisse, der sich aus der bloßen Konfrontation mit der Staatsgewalt begründet, bleibt ohne sachliche Substanz, wenn er sich nicht zu wirklichem Widerstand entwickelt. Doch dieser bestimmt sich nicht mehr aus dem Gegenüber, sondern aus den Verhältnissen selbst, worin sich die Menschen zu einander und zu ihrem Leben verhalten.

Widerstand ist von der bloßen politischen Gewalt vor allem darin unterschieden, dass er nichts zurückgibt, dass er nicht aus einer plötzlichen Aktivität oder einer aktuellen Lageveränderung sich begründet, dass er nicht um eine Machtfrage zirkuliert, sondern dass Menschen im Widerstand den Verhältnissen widerstehen, von denen sie abhängig sind und dass sie nicht nur um ihren Selbsterhalt kämpfen, sondern um die gesellschaftliche Emanzipation der Menschen vom Kapitalverhältnis als Ganzes. Dabei geht es also nicht um eine Machtfrage des politischen Willens, dessen Gewalt beantwortet werden muss, sondern um die Lebensverhältnisse der Menschen selbst, die Mächte enthalten und entfalten, denen sich solche Menschen nicht einfach beugen, wiewohl sie davon abhängig sind. Diese Verhältnisse selbst weisen darüber hinaus auf ein gesellschaftliches Leben, das von den Formbestimmungen der gegebenen Existenzweisen zunichte gemacht wird. Diese machen längst keinen Sinn mehr für die Geschichte der Menschheit.

Die Lebensverhältnisse der Menschen sind - in einem erweiterten Sinn gefasst - allesamt prekär. Das sogenannte Wirtschaftswachstum, das eigentlich nur Wertwachstum darstellt, hat bereits jetzt schon weltweit eine Ödnis hinterlassen, welche sich weit über die stoffliche Basis des Kapitalismus erhoben hat. Nicht mehr das investierende Kapital, sondern das rein fiktive beherrscht die Produktion und verbraucht die Substanz der Lebensgrundlagen. Mit ungeheuerlicher Geschwindigkeit und in großer Masse breitet es sich aus. Die Ausbeutung und Auszehrung des menschlichen Lebens und der Natur überhaupt wurde von den Agenturen der toten Arbeit, den Kapitalgesellschaften, in tödliche Dimensionen ausgetrieben. Der Kapitalismus insgesamt ist nur noch als eine Krise des menschlichen Lebens zu begreifen. Hunger und Krankheit grassieren in der Dritten Welt. Und die Lohnabhängigen in unseren Breitengraden können sich nur noch knapp selbst erhalten, wenn sie noch nicht in die Arbeitslosigkeit abgesunken sind.

Demgegenüber steht das Geld der Aktionäre und Finanzkapitalisten, der fliegende Markt fiktiver Kapitalmächte, die sich als bloße Gewalt der Geldbestände über den Produktionsstätten auftürmt. Wer oder was nicht genügend Geldertrag bringt, wird zu Grunde gerichtet. Das ist das Phänomen eines Kapitalismus, der sich inzwischen als Krise menschlicher Kultur und Zivilisation herausgestellt hat.

 

Das Aktienkapital als „Krise der Zivilisation“

So wird das inzwischen auch in den Gewerkschaften vermerkt. Leo Mayer vom ISW sprach in seiner Rede zum 1. Mai 2007 von einer „Krise der Zivilisation“. Seine Darstellung der Situation der Lohnabhängigen alleine in unserem Land, einem der reichsten Länder der Erde, ist die Skizzierung irrsinnig gewordener Verhältnisse:

„Allein die 30 Dax-Konzerne weisen einen Gewinn von 62 Milliarden Euro aus – ein absoluter Rekord und ein Zuwachs von 20 Prozent zum Vorjahr. Nimmt man alle Aktiengesellschaften und GmbHs zusammen, dann sind deren Gewinne im Vergleich zum Jahr 2000 um 48 % gestiegen; die Profite der 30 Dax-Unternehmen legten sogar um über 70 % zu.“ (http://isw-muenchen.de/download/1-mai-2007-lm.pdf)

„Immer mehr Menschen können von ihrem Lohn nicht mehr leben. Etwa eine Million Erwerbstätige sind zusätzlich zu ihrem Einkommen auf Arbeitslosengeld II angewiesen, um überhaupt über die Runden zu kommen; davon sind über eine halbe Million Erwerbstätige mit einem Vollzeitjob.“ (a.a.O)

„Der Tanz um den Fetisch Wirtschaftswachstum wird befeuert, obwohl jeder merkt, dass dieses Wachstum zwar die Unternehmensprofite fördert, die Reichen noch reicher macht, aber an der Masse der Bevölkerung vorbeigeht, in keinem Verhältnis mehr steht zu Arbeitslosigkeit und Armut, und nicht zuletzt die Geschwindigkeit erhöht, mit der der Kapitalismus die Menschheit in die ökologische Katastrophe führt.“ (a.a.O)

„Das Kapital ist global. ... Die globalen Parameter (der Aktienkonzerne) bedeuten im Klartext, dass das Unternehmen ein höheres Ergebnis erzielen will, als die Kapitalgeber mit ihrem Geld an den Finanzmärkten der Welt, von den Cayman Islands über die Wall Street und London bis nach Hongkong, an Zinsen erzielen könnten.“ (a.a.O)

Es zählt für das Kapital also nicht mehr die durchschnittliche Profitrate, welche der Zins darstellt, sondern die überdurchschnittliche, der außergewöhnliche Profit. Das allerdings hat heftige Folgen für die einzelnen Produktionsverhältnisse: Kapitalistische Willkür wird allgemein.

„Vor jeder Investition wird ein in der Tendenz weltweiter, unternehmens- und branchenübergreifender Renditevergleich vorgenommen. Die Fortführung von Betrieben wird damit ständig grundsätzlich zur Disposition gestellt. Da kommt es dann dazu, dass selbst rentable, hochmoderne und hochproduktive Betriebe geschlossen werden.

Wenn die Renditeziele nicht erreicht werden, reagieren die Investoren sofort mit einer Umschichtung ihres Kapitals. Es wird restrukturiert, rationalisiert, verlagert. Unternehmensteile werden verkauft, es erfolgt eine Konzentration auf Kernbereiche.

Die Beschäftigten werden auf die Streckbank „betrieblicher Bündnisse für Arbeit“ gezwungen. Arbeitsplätze werden vernichtet, Löhne gesenkt, die Arbeitszeit verlängert und flexibilisiert.

Die Belegschaften und Standorte, die Betriebsräte und Gewerkschaften werden gegeneinander ausgespielt. Eine Spirale nach unten, die keine Grenze kennt.“ (a.a.O)

„Prekarität ist nicht nur ein ökonomisches Phänomen, nicht nur eine gewerkschaftliche Frage; Prekarität ist nicht nur ein Problem der Arbeitsbeziehung. Prekarität berührt und beeinflusst das ganze Leben, die Familienbeziehungen, die Geschlechter- und Generationsbeziehungen. Prekarität fördert Nationalismus und wachsende Ungleichheit. ...

Prekarität ist ein Ausdruck der Krise der Zivilisation.

Krise der Zivilisation, das ist nicht nur der „permanente Krieg" und die drohende Klimakatastrophe.

Krise der Zivilisation ist auch eine Entwicklung, die den Menschen das Vertrauen in die Zukunft nimmt. In welcher Gesellschaft leben wir, wenn es normal ist, dass die Beschäftigten in den Betrieben sagen: Ich bin froh, dass ich schon so alt bin. Das erste Mal in der Geschichte des Kapitalismus leben wir in einer Situation, in der es der jungen Generation schlechter geht, als

der vorherigen. Zukunft ist nicht mehr mit Hoffnung und Herausforderung, sondern mit Angst und Ungewissheit verbunden. Auch das ist Ausdruck der Krise der Zivilisation, die der globale Kapitalismus verursacht. ...

Wie sollen Ausgliederungen, Firmenzerlegungen, Auslandsverlagerungen, etc., die nur  zur Profitmaximierung vorgenommen werden, verhindert werden, wenn nicht die Belegschaften, die Betriebsräte und die Gewerkschaften wirksame Mitbestimmungs- und Vetorechte über Investitionen erhalten? Wie sollen Schutz der Umwelt, die Nachhaltigkeit der Entwicklung oder regionale Entwicklungsinteressen in die Unternehmensstrategien einfließen, wenn es nicht Mitbestimmung über wirtschaftliche Entscheidungen gibt?“ (a.a.O)

Die Privatisierung der staatlichen und kommunalen Versorgung ist deutlicher Ausdruck von Wertverhältnissen, das alles aufzehren, was nicht nur menschliche Arbeitskraft, sondern auch menschliches Gemeinwesen ausmacht. 

So fragt Leo Mayer: „War die Privatisierung der Telekom richtig? Oder lag nicht die damalige Postgewerkschaft mit ihrem Widerstand gegen die Privatisierung richtig?

Gerade bei der Telekom muss man doch die Frage stellen, ob sie dem privaten Profitstreben untergeordnet werden darf, oder ob sie, weil sie zur Grundversorgung der Menschen – ebenso wie Gesundheit, Bildung, Alterssicherung, Wasser, Energieversorgung, Bahn – zählt, unter öffentliche Kontrolle gestellt werden muss. 

Das ist nicht nur eine wirtschaftliche Frage, sondern auch eine Frage der Demokratie.

Denn ganz klar ist, eine Politik, die sich nicht mehr an der Maximalrendite für die Investoren, sondern am Gemeinwohl orientiert, braucht eine ökonomische Struktur, die zumindest in den Schlüsselbereichen auf Gemeineigentum basiert.“ (a.a.O) 

Er fordert bei den Gewerkschaften eine neue Solidarität ein: „Wiederherstellung der Solidarität heißt Neubegründung der Arbeiterbewegung, als internationalistische Bewegung in der Kooperation mit anderen gesellschaftlichen Bewegungen.“ (a.a.O)

 

Die Staatsverschuldung und der starke Staat 

Die staatlichen Funktionäre wissen längst, dass nicht mehr sicher ist, ob sie diese Verhältnisse noch lange beherrschen können und sie bereiten sich bereits auf eine härtere Gangart der Staatsmaschine vor. Die Anschaulichkeit der Weltprobleme selbst ist zu krass geworden. Auch das sind eben die Bilder, welche die Medien vermitteln: die grassierende Natur- und Umweltzerstörung beschäftigt schon fast jeden Menschen. Die Spaltung von arm und reich und die zunehmende Verarmung vieler Bürger ist nicht mehr nur das Problem vereinzelter Lebenskarrieren, sondern längst zu einem Problem der Sozialkasse geworden. Die Staatsverschuldung und das Wissen um die Unmöglichkeit einer Schuldeinlösung sitzt ihnen im Nacken. Ebenso die abnehmende Finanzkraft der Löhne, die Zunahme der Arbeitskämpfe, die Erfordernisse gesicherter Krankenversicherung und die Notwendigkeit einer Grundversorgung, um das Prekariat nicht unbezahlbar werden zu lassen (Mindestlohn). Eins ist sicher: Nicht die Rente wird zunehmen, sondern die sozialen Unruhen. Die Logik des Kapitals kennt keine Pause mehr und keinen wirklichen Aufschwung für alle beteiligten Menschen.

Die staatliche Exekutive richtet sich auf einen starken Staat ein, auf einen Machtapparat, der sich auf die Verwertungswirtschaft und Geldwirtschaft konzentriert, aus seinen Bürgern rausholt, was zu holen ist. Innerhalb kapitalistischer Logik muss das auch so sein: Als Schuldner des Kapitals muss er alles tun, um die Staatsschulden zu mindern. Doch was sind das eigentlich für Schulden? Sie resultieren aus notwendigen Ausgaben für ein Gemeinwesen, das zur Wertproduktion tauglich sein muss, aber nicht hinreichende Einnahmen daraus bezieht. Die Schulden resultieren aus dem entzogenen Wert, aus dem entweder nicht realisierten Wert, den die kapitalistische Krise mit sich bringt, oder aus dem Wert, den das Kapital für sich behält, um sich zu stabilisieren. Beides findet in großem Maßstab statt. Diesen hat Karl Marx schon vor 150 Jahren gut beschrieben:

„Die öffentliche Schuld wird einer der energischsten Hebel der ... Akkumulation. Wie mit dem Schlag der Wünschelrute begabt sie das unproduktive Geld mit Zeugungskraft und verwandelt es so in Kapital, ohne dass es dazu nötig hätte, sich der von industrieller und selbst wucherischer Anlage unzertrennlichen Mühwaltung und Gefahr auszusetzen.

Die Staatsgläubiger geben in Wirklichkeit nichts, denn die geliehene Summe wird in öffentliche leicht übertragbare Schuldscheine verwandelt, die in ihren Händen fortfungieren, ganz als wären sie ebenso viel Bargeld.

Aber auch abgesehen von der so geschaffenen Klasse müßiger Rentner und von dem improvisierten Reichtum der zwischen Regierung und Nation die Mittler spielenden Finanziers – wie auch von dem der ... Kaufleute, Privatfabrikanten, denen ein gut Stück jeder Staatsanleihe den Dienst eines vom Himmel gefallenen Kapitals leistet – hat die Staatsschuld die Aktiengesellschaften, den Handel mit käuflichen Effekten aller Art, die Agiotage (das ist der Gründergewinn von Aktiengesellschaften) emporgebracht, in einem Wort: das Börsenspiel und die moderne Bankokratie.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 782f.

Die Gegensätze von Staatswesen und Widerstand werden sich zwangsläufig entwickeln und verschärfen. Auch die Staatsbürger selbst, sofern sie nur auf das Allgemeine hören, werden einen Rechtsrutsch zur staatsbürgerlichen Gesinnung hin durchmachen. Auf der anderen Seite gibt es keine reale Möglichkeit, daran etwas zu ändern, wenn sich nicht die Kräfte im Widerstand gestalten, welche das konkrete Leben der Menschen ausmachen. Und das sind die Kräfte, welche das Gemeinwesen in Wahrheit tragen: Der konkrete Zusammenhang menschlicher Arbeit und Lebensäußerung, eben der Arbeit, welche menschliches Leben ermöglicht und vermittelt und ihm auch selbst unmittelbaren Ausdruck verleiht. Es geht also wesentlich um eine Arbeit, welche menschliche Kultur befördert und erhält - um Arbeit für ein menschliches Gemeinwesen, worin nicht individualisierte Menschen sich um eine Ansammlung von Warenangebote scharen, sondern sich Menschen als Individuen zum Gemeinwesen ihres Lebens und den Befriedigungsmöglichkeiten und den entsprechend notwendigen Aufwendungen darin frei verhalten können.

Solche Arbeit steht inzwischen im Widerspruch zu einem Großteil der Arbeit, welche hierzulange gängig ist: Die Arbeit für Agenturen, Informaten und Dienstleistungen. Von daher wird Gemeinwesenarbeit zunehmend in den rein kommunalen Bereich gedrängt und von einer Gemeindekasse abhängig gemacht, die zugleich im Maß des Verlustes von lokalen Produktionsstätten schrumpft. Die größeren Arbeitszusammenhänge dienen alleine der puren Geldverwertung. In den Kommunen steht das menschliche Leben noch wirklich auf dem Spiel – auf dem Spiel der Kommunalpolitik und deren Gestaltungsmöglichkeiten. Die existenziellen Auseinandersetzungen werden zunehmend im Gegensatz von staatlichen und kommunalen Interessen verlaufen.

Die Ausbeutung der Kommunen 

Doch zunächst besteht auch hier die Abhängigkeit der Gemeindekassen von den Steuereinnahmen, besonders den Einnahmen aus der Gewerbesteuer. Diese wird aus dem realen Gewerbe geschöpft und das ist zugleich das Gewerbe, das zunehmend aufgekauft und anderweitig vermarktet wird. Investoren aus Aktienkonzernen  haben nichts mit dem lokalen Gemeinwohl im Sinn, bestimmen aber immer umfassender Unterhalt und Miete ganzer Wohngegenden, die öffentlichen Verkehrsbetriebe, die Energieversorgung, die Kommunikationsmöglichkeiten und hie und da  auch schon mal die Müllabfuhr und die Verwahrung von Straffälligen.

Zum Widerstand gegen die Globalisierung gehört daher zu allererst der Widerstand gegen die Vermarktung von lokalem Gewerbe, lokalem Wohnungsbau, der regionalen Energieversorgung und den kommunalen und staatlichen Einrichtungen für den Selbsterhalt (Schulen, Verkehrsmittel, Bildungseinrichtungen, Alten- und Jugendbetreuung usw.). Es geht hierbei nicht um die politische Form, nicht um die Kommune als politische Gliederung eines Staatswesens und auch nicht um den Nationalstaat, sondern um den Ansatzpunkt einer menschlichen Reproduktion, welche nur in einem ihr entsprechenden Gemeinwesen für alle Beteiligten durchsichtig vollzogen werden kann.

Eine Widerstandskultur kann nur im Widerspruch zu den bestehenden politischen Formationen sich bilden, indem sie sich als Produktionsform, zumindest und zu allererst als Reproduktionsform eines menschlichen Lebenszusammenhangs erweist. Das verlangt vor allem, dass sie sich weitestgehend den Kapitalkreisläufen des Geldes entziehen kann und menschliche Reproduktion zu einer wesentlich kommunalen Angelegenheit macht. Diese mag erst mal in alternativen Einrichtungen oder Selbstverwaltungen oder genossenschaftlichen Betrieben eingeführt werden. Doch in rein familiaren Strukturen lässt sich kein gesellschaftlicher Zusammenhang auf Dauer verwirklichen. Diese müssen daher in eine möglichst lückenlose kommunal gegliederte Selbstverwaltung übergehen. Die  Übernahme der vom Aktienkapital veräußerten Betrieben und Wohnungen und einem Einkaufsverbot für Aktiengesellschaften wäre ein erster wichtiger Schritt, den auch heute schon Kommunalpolitik gehen kann. Ihr Ziel aber muss letztlich die Bildung einer Infrastruktur von einer Arbeit sein, die in Vertragswirtschaft die Selbsterhaltung der beteiligten Menschen sichert. 

Ohne die Einrichtung eines kommunalen Geldkreislaufs, der völlig unabhängig von Kapitalinteressen ist, wird das nicht gehen. Der nächste Schritt in einer Widerstandskultur wäre demzufolge die Herstellung eigener Geldkreisläufe mit einem Geld, das nur als Zahlungsmittel fungieren kann. Und das wäre ein Geld mit Einführungs- und Verfallsdatum,  dessen Existenzdauer an die der damit dargestellten Arbeitsprodukten gebunden ist. Das wäre als Computergeld auf Chipbasis heute leicht zu handhaben, z.B. als Schwundgeld, das mit seiner Verweildauer auf dem Markt seinen Wert prozentual verliert.

Vorwärts, und nicht vergessen ... 

Die Auseinandersetzung der Menschen mit den globalen Staatsinteressen hat gerade erst mal begonnen. Wenn sie auf kommunale Ebene gebracht wird und in die Organisationsform einer Widerstandskultur kommt, bei der sich möglichst viele Menschengruppen beteiligen können, kann sie zur Basis einer neuen gesellschaftlichen Bewegung mit praktischem Übergang in andere gesellschaftliche Zusammenhänge werden. Die Basis dieser Zusammenhänge muss sowohl die gesicherte Reproduktion der Menschen sein, wie auch ihre Beteiligung am Mehrprodukt im Maßstab ihrer wirklichen Mehrproduktion. Der Verfall der bestehenden Betriebe kann nur durch genossenschaftliche Übereinkünfte abgewendet werden und ein Vertragsverhältnis von Genossenschaften lässt sich auch zu einem gesellschaftlichen Verhältnis entwickeln, wenn die Menschen hierüber zu neuen Verhältnissen, zu einer neuen Kultur gelangen.

Das kann nicht nur von den Gewerkschaften und von Genossenschaften ausgehen. Alle gewohnten Formen des Existenzkampfes müssen hierbei überwindbar werden, der Schacher um Geld und Besitz sinnvollen Beziehungen weichen und möglichst viele Menschen mitmachen können, gleich ob als Arbeitslose oder als Arbeitsleute, prekär Beschäftigte oder Kranke oder Alte, Kopfarbeiter, Handarbeiter, Künstler, Dienstleistende usw.. Alle Bewegungen, von der Gewerkschaftsbewegung, Frauenbewegung bis zur Friedensbewegung müssen darin die Überwindung ihrer Ausgangsprobleme sehen können und es wird sich auf diese Weise ein neues Lebensverständnis einfinden, das sich vom Kapital und seiner Ideologie emanzipiert und das die Menschen in die Lage versetzt, ihr gesellschaftliches Leben aus ihrem wirklichen Leben begründen. Dann kann dies auch zu einer wirklichen Widerstandskultur gegen die staatliche institutionalisierte  Verschuldungsideologie werden, denn fast alle Staaten dieser Erde haben das selbe Problem mit der Staatsschuld, die nichts anderes ist als die Verdingung der Geweinwesen unter die Zwecke des Kapitals. Diese Verschuldung ist die Machthabe eines feudal gewordenen Kapitalismus und der internationale Aufstand der Kommunen ist die Basis seiner Überwindung. Hieraus wird sich leicht erweisen, dass Verschuldung nichts anderes ist als eine Kapitalmacht, die mit der Verwirklichung menschlicher Lebens- und Produktionszusammenhängen aus der Welt leicht zu vertreiben ist. Sie wird verschwinden wie ein böser Traum, wenn die Menschen ihre Produkte durch faire Verträge erzeugen und tauschen.

Sind sich die Menschen darin weltweit einig, werden sie auch die Machtzentren des Kapitals knacken, sei es dadurch, dass sie sich ihnen entziehen können oder sie ermüden oder unwirtschaftlich machen oder durch lokale Streiks oder Generalstreiks zu einer neuen gesellschaftlichen Lebensgrundlage finden. Im Grunde geht es nurmehr um diese eine Sache: Die Nichtigkeit und Vernichtungsmacht des Kapitalismus, die er in  der Phase seines Untergangs noch mal auf die Spitze treibt. Aber Ansätze hiergegen gibt es schon viele (z.B. Gemeinwesenökonomie, Gewerkschaftskulturen, Genossenschaftswesen, solidarische Ökonomie, Regionalgeld-Initiativen, Alternativkulturen, Dritte-Welt-Bewegungen, Arbeitslosenbewegung, Friedensbewegung, Ideologiekritik, Medienkritik, Wertkritik, Kulturkritik u.a.m). Aber diese sind oft noch separat und manchmal auch etwas apart oder auch mit Anpassungsideologien durchzogen. Wenn alles, was an Erkenntnis und praktischer Bemühung besteht, in einer gesellschaftlichen Bewegung an ihrer gemeinsamen Sache sich auseinandersetzt und zusammenfindet, wenn sich hieraus eine wirkliche Widerstandskultur bildet und entfaltet, dann haben die Menschen eine ganz reale Chance, den Untergang des Kapitalismus zu überstehen.

Fußnoten:

(1) Das machte einige Akteure der großen Politik nervös. Der deutsche Veranstalter, die Bundesregierung, griff zu allen ihm möglichen Mitteln, um den Protest nieder zu halten und versuchte, die große Zahl der Protestierenden mit ungewöhnlich scharfen und zum Teil unmöglichen Auflagen zu bedrängen, zu isolieren und zu zerstreuen. Das Grundrecht auf Demonstration in Hör- und Sichtweite ihrer Adressaten wurde zu einer Farce, das Gebot der "Angemessenheit" polizeilicher Aktionen ohne irgendwelche Wirkung. Protestierer galten wohl unter der Hand schon als "Terroristen", - das jedenfalls kann man denken, wenn man die hysterische Akrebie der "Maßnahmen" zu begreifen sucht. Schon im Vorhinein wurde geschnüffelt und durchsucht, Computer beschlagnahmt, Daten gesammelt und Verdächtige beschattet. Die „vorbeugende Ingewahrsamnahme“, der Einsatz von Gummigeschossen und anderes wurden ernsthaft erwogen. Und auch die Demonstrationen selbst sollten ausschließlich die Form haben, welche der Selbstwahrnehmung des Staates entspricht. Nur 2000 durften z.B. am Montag gegen die Migrationspolitik in der Innenstadt von Rostock demonstrieren. Als 8000 kamen, wurde die Demonstration einfach verboten. Das seien „zu viele“. Als ob eine Demonstration eine geringe Anzahl von Teilnehmern bezwecken könnte. Und zur Begrüßung des amerikanischen Präsidenten am Flughafen, wurde eine Kundgebung am Flughafen Rostock-Laage auf 50 Teilnehmer beschränkt – lächerlicher kann eine Demonstrationsauflage nicht sein. Es war die faktische Aufhebung des Demonstrationsrechts – eine essenzielle Bankrotterklärung der gewohnten Bürgerrechte.

(2) Diese Menschen finden in solcher Ordnung einen Sinn, der nichts mehr mit ihrem wirklichen Leben, aber alles mit ihren Lebensvorstellungen gemein hat. Politik handelt in Krisenphasen vor allem mit deren Etikettierung. So ist das dann auch mit solchen Großveranstaltungen wie die Fußball-Weltmeisterschaft oder der G8-Gipfel. Die Gestik ist gigantisch und die Bilder hiervon greifen tief. Die Veranstaltungen müssen Sinn vermitteln, einen besonderen, einen staatspolitischen Sinn für das Machbare. Deutschland führt sich damit als Weltmacht vor, die stets das Gute will und nie das Böse schafft. 

Das kann auch ruhig etwas kosten, denn hierüber vermittelt sich das Wertvollste, was der Staat braucht, wenn er selbst nichts mehr zu vertreten hat: Nationale Selbstgefälligkeit. Geschichte funktioniert dann so, dass zunächst als nationaler Event in Szene gesetzt wird, was man thematisieren will und dass man dann thematisiert, was hiernach nötig ist. Was auf diese Weise hinreichend zwingend erscheinen kann, damit ist die Politik dann rechtlich und ideell gut gerüstet und vollzieht, was für den Machterhalt nötig ist, Schritt für Schritt. Erst müssen die Bilder da sein, danach wird die entsprechende Politik gemacht.

Bild dir deine Meinung - und Bild schreibt: Die Chaoten gehen über Leichen, und die Münchner Tageszeitung berichtet von einer neuen „deutschen Schande“. Das Übel wird fixiert. Die Leute, die das glauben, kommen damit auch plötzlich und schlagartig persönlich zum Zug: Wer sind wir denn eigentlich? Staatsbürger natürlich – Wähler dieser Politik! Wie aus dem Nichts wird ihnen so eine politische Identität geschenkt, die sie angesichts der allgemeinen Nichtigkeiten nicht mehr finden konnten. Und so erscheinen sie sich endlich auch mal am Hebel der Macht: Sie können wählen und meinen und fordern und in der allgemeinen Meinungsbildung hin und wieder auch mal zuschlagen. In ihrer staatsbürgerlichen Einbildung haben sie natürlich immer auch Recht: Ihre Meinung gehört dem, der sie hat. Und das sind sie selbst. Das ist endlich mal was Eigenes und Eigentümliches inmitten der vielen Verfremdungen, die ihr Alltag sonst so bietet. Vor allem meinen sie jetzt, selbst zu wissen, was notwendig ist: die Ausschaltung und Liquidation des Übels. Und dann ist ihre Meinung natürlich auch gefragt – aber erst dann, wenn so richtig klar geworden ist: Die größte Gefahr für unser Land, ist Terrorist und Querulant. Früher sprach man in diesem Zusammenhang nur von Wirrköpfen. Heute werden sie von Westerwelle und anderen als „Gesindel“ bezeichnet. Schäuble spricht von Verbrechern. Diese Politiker wissen, was sie zu fürchten haben, wenn solcher Protest sich verstärkt und ausbreitet. Denn dem Inhalt nach haben sie nichts mehr dem entgegen zu setzen. Das wissen sie.

So einfach ist das mit der rechten Gesinnung und der Staat weiß das: Das Gemeine wird als Einheit am besten durch Staatsfeinde gestiftet, und das schafft Ruhe dort, wo gegenwärtig das eigentliche Chaos herrscht: Auf den Regierungsbänken der Parlamente. Die Rechte hat ihr eigentliches Kapital im bürgerlichen Staat. Und wenn der dahin gelangt ist, Staatsfeinde nötig zu haben, dann hat sie gewonnen: Ein politisches Selbstbewusstein kann dann als persönliches Selbstverständnis durchgehen, die Personifikation der Politik zur politischen Person eines allgemein politischen Willens gelangen. Denn: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“ – so sprach dereinst der große Führer. 

Die personifizierte Politik ist hinterhältig. Denn als Wille erscheinen alle Verhältnisse nurmehr persönlich. Und politisch kann man einem solchen Willen nicht mehr wirklich entgegentreten. Politik ist immer die Formation eines Allgemeinwillens, der sich als Rechtsform etabliert. Man kann ihn bestreiten und auslegen. Aber die politische Konfrontation mit einem personifizierten Willen ist auf Dauer selbstzerstörerisch. Es geht darin allein um dessen Gewalt, die natürlich von den Mitteln entschieden wird, die hierfür zum Einsatz kommen, also letztlich um das, was an wirklicher Macht dahinter steht.