Quelle: Briefe Januar 1868 bis Mitte Juli 1870

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Marx an Ludwig Kugelmann in Hannover


London, 11. Juli 1868 Lieber Freund, Die Kinder gehn gut voran, obgleich immer noch angegriffen.

Ich danke Ihnen bestens für Ihre Zusendungen. [622] An Faucher schreiben Sie ja n i c h t. Dies Mannequin Pisse kömmt sich sonst zu wichtig vor. [142] Das Ganze, was er erreicht hat, ist, daß ich, wenn eine 2. Ausgabe kömmt, bei betreffender Stelle über die W e r t g r ö ß e dem Bastiat einige obligate Hiebe geben werde. [623] Es geschah nicht, weil der III. Band ein eignes und ausführliches Kapitel über die Herren der "Vulgärökonomie" enthalten wird. [624] Sie werden es übrigens natürlich finden, daß Faucher und Kons, den "Tauschwert" ihrer eignen Sudeleien nicht aus der M a s s e v e r a u s g a b t e r A r b e i t s k r a f t, sondern aus der A b w e s e n h e i t d i e s e r V e r a u s g a b u n g, nämlich aus "ersparter Arbeit" ableiten. Und der würdige Bastiat hat diese jenen Herrn so willkommne "Entdeckung" nicht einmal selbst gemacht, sondern nach seiner Manier nur viel früheren Autoren "abgeschrieben". Seine Quellen sind natürlich dem Faucher et Cons. unbekannt.

Was das "Centralblatt" [143] angeht, so macht der Mann die größtmöglichste Konzession, indem er zugibt, daß, wenn man unter Wert sich überhaupt etwas denkt, man meine Schlußfolgerungen zugeben muß. Der Unglückliche sieht nicht, daß, wenn in meinem Buch gar kein Kapitel über den "Wert" stünde, die Analyse der realen Verhältnisse, die ich gebe, den Beweis und den Nachweis des wirklichen Wertverhältnisses enthalten würde. Das Geschwätz über die Notwendigkeit, den Wertbegriff zu beweisen, beruht nur auf vollständigster Unwissenheit, sowohl über die Sache, um die es sich handelt, als die Methode der Wissenschaft. Daß jede Nation verrecken würde, die, ich will nicht sagen für ein Jahr, sondern für ein paar Wochen die Arbeit einstellte, weiß jedes Kind. Ebenso weiß es, daß die den verschiednen Bedürfnismassen entsprechenden Massen von Produkten verschiedne und quantitativ bestimmte Massen der gesellschaftlichen Gesamtarbeit erheischen.

Daß diese N o t w e n d i g k e i t der V e r t e i l u n g der gesellschaftlichen Arbeit in bestimmten Proportionen durchaus nicht durch die

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b e s t i m m t e F o r m der gesellschaftlichen Produktion aufgehoben, sondern nur i h r e E r s c h e i n u n g sw e i s e ändern kann, ist self-evident 1*). Naturgesetze können überhaupt nicht aufgehoben werden. Was sich in historisch verschiednen Zuständen ändern kann, ist nur die F o r m, worin jene Gesetze sich durchsetzen. Und die Form, worin sich diese proportionelle Verteilung der Arbeit durchsetzt in einem Gesellschaftszustand, worin der Zusammenhang der gesellschaftlichen Arbeit sich als P r i v a t a u s t a u s c h der individuellen Arbeitsprodukte geltend macht, ist eben der T a u s c h w e r t dieser Produkte.

Die Wissenschaft besteht eben darin, zu entwickeln, w i e das Wertgesetz sich durchsetzt. Wollte man also von vornherein alle dem Gesetz scheinbar widersprechenden Phänomene "erklären", so müßte man die Wissenschaft v o r der Wissenschaft liefern. Es ist grade der Fehler Ricardos, daß er in seinem ersten Kapitel über den Wert [625] alle möglichen Kategorien, die erst entwickelt werden sollen, a l s g e g e b e n voraussetzt, um ihr Adäquatsein mit dem Wertgesetz nachzuweisen.

Allerdings beweist andrerseits, wie Sie richtig unterstellt haben, d i e G e s c h i c h t e d e r T h e o r i e, daß die Auffassung des Wertverhältnisses s t e t s d i e s e l b e war, klarer oder unklarer, mit Illusionen verbrämter oder wissenschaftlich bestimmter. Da der Denkprozeß selbst aus den Verhältnissen herauswächst, selbst ein N a t u r p r o z e ß ist, so kann das wirklich begreifende Denken immer nur dasselbe sein, und nur graduell, nach der Reife der Entwicklung, also auch des Organs, womit gedacht wird, sich unterscheiden. Alles andre ist Faselei.

Der Vulgärökonom hat nicht die geringste Ahnung davon, daß die wirklichen, täglichen Austauschverhältnisse und die Wertgrößen n i c h t u n m i t t e l b a r i d e n t i s c h sein können.

Der Witz der bürgerlichen Gesellschaft besteht ja eben darin, daß a priori keine bewußte gesellschaftliche Reglung der Produktion stattfindet. Das Vernünftige und Naturnotwendige setzt sich nur als blindwirkender Durchschnitt durch. Und dann glaubt der Vulgäre eine große Entdeckung zu machen, wenn er der Enthüllung des inneren Zusammenhangs gegenüber drauf pocht, daß die Sachen in der Erscheinung anders aussehn. In der Tat, er pocht drauf, daß er an dem Schein festhält und ihn als Letztes nimmt. Wozu dann überhaupt eine Wissenschaft? Aber die Sache hat hier noch einen andren Hintergrund. Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden

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1*) selbstverständlich

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Zustände. Es ist also hier absolutes Interesse der herrschenden Klassen, die gedankenlose Konfusion zu verewigen. Und wozu anders werden die sykophantischen Schwätzer bezahlt, die keinen andern wissenschaftlichen Trumpf auszuspielen wissen, als daß man in der politischen Ökonomie überhaupt nicht denken darf! Jedoch satis superque 2*). Jedenfalls zeigt es, wie sehr diese Pfaffen der Bourgeoisie verkommen sind, daß Arbeiter und selbst Fabrikanten und Kaufleute mein Buch verstanden und sich darin zurechtgefunden haben, während diese "Schriftgelehrten (!)" klagen, daß ich ihrem Verstand gar Ungebührliches zumute.

Den Abdruck der Schweitzerschen Artikel würd ich n i c h t raten, obgleich S[chweitzer] für sein Blatt Gutes geliefert hat.[626]

Sie verpflichten mich durch Zusendung einiger "Staatsanzeiger".

Schnackes Adresse erfahren Sie sicher durch Anfrage bei der "Elberfelder".

Beste Grüße an Ihre Frau und Fränzchen.

Ihr K. M.


Apropos. Ich habe einen Aufsatz von Dietzgen über mein Buch [44] erhalten; ich schicke ihn dem Liebknecht.

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2*) genug und übergenug