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Themenabend der Kulturkritik München:
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Die "flexible Persönlichkeit" - Merkmale des postmodernen Erfolgsmenschen_

Kurzfassung:

In fast jedem Stellenangebot der besseren Art wird ausdrücklich eine "flexible Persönlichkeit" Systemup14a gesucht. Das neue Management und die Team-Arbeit kleiner Elitearbeitsgruppen besteht offenbar daraus, "beweglich" zu sein, und das heißt: Sich an jede Situation anpassen und sich auf jeden Menschen einlassen zu können. Das klingt zwar nicht schlecht, zumindest sehr liberal, unterstellt aber, dass vor allem dies als Fähigkeit einer Persönlichkeit, als Eigenschaft einer Arbeitskraft genutzt werden kann. Und das bedeutet, dass die Beziehung eines Menschen auf andere hierdurch bestimmt wird, von allem Sinn abzusehen, den diese haben kann.

So wie sich hier die Flexibilität aus der Notwendigkeit des Geldverdienens in einer ganz bestimmten Gesellschaft, in einer Dienstleistungsgesellschaft begründet, so sind auch alle zwischenmenschliche Beziehungen bestimmt, die auf Geldverkehr und Geldbesitz gründen. Was dies für die Menschen selbst bedeutet, darum geht es an diesem Themenabend. Er ist eine Fortsetzung des Themas "Lebensangst und politische Kultur".

Grundlagentexte hierzu:

http://kulturkritik.net/psychologie/flexiblepers
http://kulturkritik.net/systematik/systematik/kultur/k1033.html#3.3
http://kulturkritik.net/psychologie/lebensangst

Auszug aus der Diskussion:

audioup1a2e1a1a2 http://kulturkritik.net/audio/flexiblermensch.html

Begründung:

>"Der Druck auf den Einzelnen, der sich auch in einem gewandelten Verständnis des Zeitbegriffs zeigt, steigt immens. Hinzu kommt eine engmaschige Überwachung der gesamten Produktionsprozesse - einschließlich der Arbeitenden - durch den Einsatz moderner Kommunikationsmittel. All dies trägt zu einer Atmosphäre von Angst, Hilflosigkeit, Instabilität und Verunsicherung in weiten Teilen der Gesellschaft bei. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Die Mittelschichten werden ausgedünnt. Dort ist eine Polarisierung zwischen einer kleineren Gruppe von Profiteuren und einer großen Anzahl von Verlierern des neuen Systems zu beobachten." (Richard Sennet, "Die Zukunft des Kapitalismus")

"Die Fähigkeit der Menschen, das zu deuten, was mit ihnen geschieht, ist bei den meisten stark eingeschränkt, ihr Selbstverständnis ist erschüttert, sie sind desorientiert. Die meisten Menschen sind davon überzeugt, dass "alles Stehende verdampft" (Richard Sennett in "Die Kultur des neuen Kapitalismus")

"Der »neue Kapitalismus« betrifft also ein soziologisches Ganzes und nicht bloß Wirtschaft oder Technologie. Die Institutionen, in denen wir uns bewegen, haben nach Sennetts Überzeugung unsere Zeitwahrnehmung verändert: Arbeitsplatz, Sozialstaat und Gemeinschaftsleben sind als Bezugsrahmen einem immer rascheren Wandel unterworfen; Ursachen lassen sich kaum noch Wirkungen zuordnen; Absichten und Vorhaben verlieren sich in einem Netz von Unwägbarkeiten und Zufälligkeiten, über die Einzelne und Gruppen immer weniger Kontrolle haben. Kurzum: Institutionelles Leben vermag nicht mehr als Erzählrahmen zu dienen, als eine Geschichte, in der Menschen eine signifikante - aktive - Rolle spielen." (Umschlagtext von Richard Sennett, "Die Kultur des neuen Kapitalismus")

"Der Druck auf den Einzelnen, der sich auch in einem gewandelten Verständnis des Zeitbegriffs zeigt, steigt immens. Hinzu kommt eine engmaschige Überwachung der gesamten Produktionsprozesse - einschließlich der Arbeitenden - durch den Einsatz moderner Kommunikationsmittel. All dies trägt zu einer Atmosphäre von Angst, Hilflosigkeit, Instabilität und Verunsicherung in weiten Teilen der Gesellschaft bei. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer. Die Mittelschichten werden ausgedünnt. Dort ist eine Polarisierung zwischen einer kleineren Gruppe von Profiteuren und einer großen Anzahl von Verlierern des neuen Systems zu beobachten." (Richard Sennet, "Die Zukunft des Kapitalismus")

 

Flexibilität und Reflexion

Geld ist allseitig, unendlich beweglich und gegen alles Bestimmte gleichgültig. Solange es alleine als Zahlungsmittel fungiert,nimmt man das für eigene Zwecke in Kauf. Wenn es aber selbst Leben vermittel, zum Lebensmittel wird, so geht es als Lebensbestimmung ein, der man selbst unterworfen ist. Wer ihm dient, muss sein können, was es erfordert: Allseitig, unendlich beweglich und durch es gebeugt. Flexibilität ist das allgemeine Phänomen einer Gesellschaft, die nicht nur Geld zu ihrem Lebensunterhalt und ihrer Mehrproduktion erwirtschaftet, sondern die ihren gesellschaftlichen Zusammenhang auf Geld als Kapital gründet: Es ist das Phänomen einer Dienstleistungsgesellschaft, in welcher das Individuum nicht mehr als ein auf seine gesellschaftliche Tätigkeit und Bedürftigkeit bezogener Mensch aufgefasst wird, sondern als ein Zentrum seiner Beziehung auf unendlich viele Lebensmomente, als Knoten einer im Grunde unbestimmten und unbestimmbaren Beziehungswelt. Das wird auch von den Vertretern des postmodernen Existenzialismus in dieser Phänomenologie aufgenommen und damit affirmiert: "Wir existieren nicht mehr länger als Subjekte, sondern eher als Terminal, in dem zahlreichreiche Netze zusammenlaufen" (Jean Baudrillard: Das andere Selbst, Wien 1987, S. 14, zitiert nach Rifkin: Access, S. 283). Das Leben besteht nach solcher Auffassung aus beliebigen, völlig relativen Momenten ohne jede Wahrheit und Allgemeinheit, deren Sinn sich aus einem aktuellen Beziehungsgeflecht ergibt, in welchem gut leben kann, wer sich darauf einzustellen vermag, wer also flexibel ist.

Wer unter solchen Bedingungen sich bestätigt sieht, kann sich auch nur am eigenen Erfolg bestätigen und sich für ihn betätigen. Jede Meinung ist hierin völlig relativ dazu, jede Auffassung ohne weiterreichende Bedeutung. Aber auch Erfolg ist realtiv, besonders zu Erwartungen und Vorstellungen, die man aus seinen konkreten Lebensbedingungen heraus für sich hat und bildet. Von daher gilt auch schon als Erfolg, wenn man sie bewältigt, mehr noch, wenn es einem gelingt, ihnen noch eine Besonderheit abzugewinnen, indem die Ereignisse darin hierfür zugerichtet und aufpoliert werden, jedes zu einem Kult für sich. Die Fragmentation des Welterlebens wird durch fragmentarisches Bewusstsein bestätigt, das lediglich durch wirkliche Erfolge mit größeren Geschäften aus seiner Dämmerung erwacht. Solche Erfolge gelten dann aber eher als zufällig, als ein "Treffer" in einer Welt unbestimmter Möglichkeiten, der sich ereignet und für den man eigentlich nichts kann. Doch der Sinn steht im permanent geleugneten Lebenshintergrund vor allem danach. Im Grunde geht es nur um Erfolg und der ist dann eben ein Zusammentreffen von Können und Fügung, das eher durch Flexibilität zu erreichen ist als durch Reflexion.

Wer an den Erfolg aus ungewissen Sachverhalten heraus glaubt, der glaubt, was den Neoliberalismus ausmacht, glaubt an die Niederkunft eines Glücks aus dem Selbstregelungsprozess der faktischen Welt, das man erlangen kann, wenn man sich dauerhaft für etwas engagiert, sich auf diese Verhältnisse einstellen kann und bereit für alles ist - eben flexibel. Das Prinzip des Erfolgs ist nach diesem Glauben zugleich sein Zufall: die Bereitschaft sich jeglicher Botschaft zu öffnen, die es verheißt, jeden Deal mit zu machen, der es möglich sein lässt. Leben erscheint einem solchen Menschen als eine Art Glücksspiel, bei dem er sich selbst zum Einsatz bringt. Er muss sich selbst beständig und zu jeder Zeit selbst vergessen können, völlig widerstandslos und identitätslos sein können, denn die Identitätslosigkeit ist das Prinzip von Lebensverhältnissen, in denen der Gelderwerb als solcher ein Lebenswert, ein Lebenssprinzip ist, das über sich sebst hinausgeht, also eigentlich ein Überlebenssprinzip ist, eine Hoffnung auf ein Leben, das sich aus den bloßen Möglichkeiten der Lebensbedingungen irgendwo und irgendwann ergibt, also letztlich von selbst erfüllend und darin schon lebendig sein soll, dass es Lebensbedingungen hierfür, nämlichen materiellen Reichtum gibt, der lediglich der Aneignung harrt. Das Erfolgsversprechen ist so hoch, wie es gerade auch noch erreichbar erscheint. Aber der Zufall, es zu erlangen, ist damit besonders überzufällig und ereignet sich aus ungeahnten Hintergründen heraus, nicht aus der Logik der Wirtschaft, sondern aus ihrer Mystik. Das letztlich macht Neoliberalismus als ihre abstrakteste Ideologie, die sich somit als praktischer, ja, seelsorglicher Lebensratschlag gibt: Leben kann man nicht einfach, man muss dafür etwas tun, auch wenn man selten genau weiß, was. Flexibilität wird zur allgemeinen Erfordernis an das Leben schlechthin, um so strenger, je leblos es selbst wird. Es steht daher solchen Bedingungen bald kein konkretes Leben mehr gegenüber. Sie selbst werden Lebensgrund und Grundlage für alles, was dabei sich ergibt, weil es darin immer möglich ist. Leben, das ist das, was vielleicht dabei herausspringt und was jeder unter solchen Bedingungen so tut und treibt, steht in dieser Erwartung, ohne zu erkennen, dass er oder sie sich dabei schon als leblos unterstellt. Von daher ist Leben nicht Ausgang, sondern Ziel aller Tätigkeit. Das bedingt, dass solche Menschen sich nicht von ihren Lebensbedingungen unterscheiden können. Ihr Leben ist ein unterschiedsloses Sein und Empfinden, dessen Frucht erst Leben sein soll.

 

Der Glaube an das Leben der Volksaktie

Die flexible Persönlichkeit ist aber nicht ein Kind unserer Zeit, sondern ein Kind des Kapitals - und zwar dort, wo es besonders volkstümlich auftreten kann, wo es Volksaktien ausgibt und an den Glauben appelliert, Gläubiger sucht. Sie entspricht der Beweglichkeit des Kapitals, in dessen Diensten sie meist indirekt steht als dienstleistende Arbeitskraft, als "Volksaktionär" oder als Verbraucher -nicht nur als Konsument eines Marktes der Lebensmittel, sondern auch eines Marktes, der sich jenseits des Marktes organischer Gebrauchswerte in einer Dienstleistungsgesellschaft entwickelt: Der Kulturmarkt. Hier entsteht nicht Kultur, hier wird gegeben und genommen, was eine bestimmte Kultiur nötig hat, die nicht durch ihren Lebens- und Arbeitsprozess sich entwickelnn und ausbilden kann: Kultur die durch Kulturkonsum aufgezehrt wird. Für solchen Konsum muss es nichts geben, was auch nützlich ist, kein Entstehen und Vergehen als Sache hat, sondern vor allem Ereignisse, welche zur Unterhaltung, zur Bewegung, Erregung und Besänftigung geboten werden. Es ist ein Markt der Kulturevents, der seine Konsumenten mit präsentierter Kultur, mit Eventkultur abfüttert und darin bestärkt, was er als Vorstellung von sich hat und dass die Welt zu nehmen ist wie sie ist, indem man sie schön und gut sein lässt. Flexibel nämlich ist eine Persönlichkeit nur solange, solange sie sich mangels Selbstidentifikation nicht wirklich verhalten kann, weil sich nicht wirklich auf sich, andere und die Welt bezieht, solange sie ihre Eigenheiten mit ihrer Geschichte zu Grabe trägt. Durch ein eigenes Verhältnis zu ihren Lebensgrundlagen würde sie nämlich notwendig disfunktional, gestört und störend, weil Kapital selbst tot ist, tote Arbeit enthält und totes Leben verwirklicht. Man sieht daran: Es ist eine gesellschaftlich erzeugte Persönlichkeit, die Unpersönlichkeit eines gesellschaftlichen Leidens.

Das Leiden heißt Geldbesitz. Aber es ist ein Leiden an seiner Macht, an der die Menschen in einer solchen Gesellschaft teilhaben, allgemein reich sind dadurch, dass sie darin leben. Und deshalb müssen sie auch die Unwirklichkeit des kapitalisierten Geldes ertragen, sich darin verallgemeinern, sich generieren, und sich unentwegt wiederfinden, weil sie sich in solcher Allgemeinheit nur verlieren können. Unter solcher Bedingung sind alle Verhältnisse der Menschen, auch ihre Generationsverhältnisse, reine Regenerationsverhältnisse als zwischenmenschliche Verhältnisse, die sich durch selbständige Geldverhältnisse sowohl begründen, als auch regeln. Geld verhält sich darin zu sich als Erscheinung von Reichtum in einer Hand, die dessen Herkunft nicht berührt und begreift, weder verpflichtet, noch beschuldigt, solange sie es hat. Es ist ohne Geschichte und ohne Wirklichkeit, aber voller Wirkung. Die einen macht es arm, weil sie es nur haben, wenn sie es durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft verdienen, die anderen reich, weil sie es haben und damit umgehen können. Flexibel sind vor allem die.

 

Lebensspender des Überlebens

In deren Leben geht es daher auch weniger um den Mangel und die Not, die Geld mit sich bringt, sondern um dessen Glanz, um Design und Mode, und, wo es unter solchen Menschen ist, geht es durch sie hindurch und bringt ihren Willen zur ästhetischen Form, zu einem ästhetischen Willen, der ihre Beziehungen aus der Dichte ihrer körperlichen Anwesenheit bestimmt. Da geht es dann um Körperkult (s.a. Körperfetischismus), um Selbstwahrnehmung, die sich aus dem Verhältnis des körperliches Wesen Mensch als Sinn der Wahrnehmung, als beständig nach Erneuerung trachtendes Selbstgefühl ergibt, das sich an der Art und Weise körperlichen Daseins als Sinn für sich wahr fühlt.

Eine flexibkel Persönlichkeit besteht aus unendlich viel Gefühl für sich selbst, das dort entsteht, wo sie sich unter anderen Menschen als Mensch fühlt (siehe zwischenmenschliche Beziehung). Solche Selbstgefühle sind die in der Entleibung der Gefühle gewonnene Gefühlsgewohnheiten, die sich unendlich ausbreiten lassen in Ton und Bild, Musik und Bühne, so beweglich, wie die Bedingungen, die sie in sich überwunden und aufgehoben haben. Es sind die Gefühle der Flexibilität, welche somit zu einem Charaktermerkmal der Eliten einer Dienstleistungsgesellschaft geworden ist, zum Elixier kultischer Gefühligkeit, dem alles bestimmte Leben unterworfen ist.

Dieses wird dadurch selbst zum Kulturmittel, zu einer belebenden Substanz kultischer Bezogenheiten, die sich über die Nähe und Ferne der Menschen in ihren Lebensräumen ausbreiten und ihre Zeit vergessen sein lassen. Das konkrete Leben erscheint darin selbst nur noch zeitlos, ohne wirkliche Geschichte, weil dafür keine Zeit ist, weil die Zeit selbst schon im Ereigniswechsel bestimmt ist, in der Endlichkeit der Gefühle, die darin auftreten. Freundschaften, Liebe, jede Zwischenmenschlichkeit hat darin keinen wirklichen Verlauf, keine bestimmte Entwicklung und Geschichte, sondern besteht aus aus der Wechselhaftigkeit der Lebensintensitäten. Sie sind von ihrem Überlebensprinzip nicht nur bestimmt, sondern ausdrücklich verneint, zur Nichtigkeit bestimmt. Daran muss man sich gewöhnen, um es ohne Lebensangst zu ertragen: Jede Auseinandersetzung scheitert an der Ausschließlichkeit der Überlebensinteressen und Leben gelingt darin nur in einer ziemlich toten Form, nämlich wenn man sich damit abfindet und sich daran gewöhnt, es selbst als Lebensumstand nimmt.

Aber die zur Gewohnheit gewordenen Lebensumstände zeigen auch dann ihre vertraxte Dialektik, wenn sie ihre Ausschließlichkeit behaupten: Im Dasein des Ungewöhnlichen, des ganz und gar Unstetigen der gesellschaftlichen Lebensbedingungen, verschleißt sich menschliches Leben bis zur Unkenntlichkeit und evoziert Verrückungen und Verrücktheiten, die von einer heftiger Lebenssehnsucht getrieben sind. Ihre Wahrheit aber kann nicht von dieser Welt sein; sie findet sich in esoterischen Übungen, Selbstheilungen, Familienaufstellungen usw., in denen die Ordnung der Ursprünglichkeit, die Geister der Vergangenheit zu leben beginnen (siehe hierzu "Hellinger, ein Heiland der herrschenden Ordnung").

Weil Leben beständig überlebt werden muss, weil es ohne dies keinen Sinn hat, wird es zu einer Aufgabe und Pflicht. Die Ordnungen des Jenseits machen daher Sinn, der in der Sinnlosigkeit des Diesseits wie eine übersinnliche Wesenstiefe empfunden werden kann, wenn man da etwas nachhilft und davon überzeugt ist. Je extremer die Ereigniswechsel im Alltagsleben sind, desto hilfreicher ist das Geraune der Selbstfindung aus den Ursprünglichkeiten des Innersten. Das "Cool-Bleiben" im Arbeits- und Lebensalltag, das sich damit beständige Abfinden und das drein Einfinden, um sich an die abrupte Wechselhaftigkeit des Seins zu gewöhnen, wird ausgeglichen durch eine flapsig verbrämte und doch hoch bewertete Innerlichkeit, die jedem zugestanden ist, wenn er sich rechtzeitig auch wieder daraus zurücknimmt, durch Lebenswerte, die eine Lebensweise der Selbstbezogenheit abdecken und abdeckeln. So reflektieren die Nettigkeiten und Gewohnheiten in der öffentlichen Lebens- und Arbeitswelt der Menschen eine Abgrenzung durch Zuneigung, die durch irrwitzige Selbstbestätigung und Pervertierungen von Selbstgenuss, im Erlebnis seiner selbst als Medium seiner Selbstgefühle, des allgemeinen Selbstgefühls auf den Bühnen des öffentlichen Lebens - in den Medien, den Kulturveranstaltungen und den Arenen der Leidenschaften.

 

Die Gottverlassenheit der Scheinwelt

In der Absehung von konkreten Lebenszusammenhängen entstehen Absichten, die im Fühlen und Empfinden selbst abstrakte Lebenswelten entstehen lassen, Scheinwelten, die so schnell abwechseln, wie sie von ihrer Wirklichkeit her nötig sind, Verliebtheiten, die der Selbstverliebtheit folgen, die hier und dort die Identität stiftet, die gerade lebensnotwendig erscheint. Das kann nicht gut gehen, wenn alle darin befangen sind. In solcher Welt eruptiver Weltenwechsel gibt es nichts mehr, worauf man sich verlassen und also auch nichts, worein man sich wirklich einlassen kann. Die Verlassenheit erweckt immer das Bedürfnis nach Rückbindung, das Gefühl der Gottverlassenheit und damit allerlei Religiosität und Sinnfragen. So paradox es ist: Die flexible Persönlichkeit ist ein gottverlassener Mensch, der zugleich höchst religiös ist, ob er das nun praktiziert oder nicht. Das Verlangen nach Sinn entsteht ja gerade dort, wo er zerstört wird. Und so wundert es nicht, dass hinter allem Unsinn der Verhältnisse, die sich darin forttreiben, das Bedürfnis nach Erlösung sich herausstellt, das Gefühl eines gigantischen Elends, das nicht mehr mit den Mitteln dieser Welt zu beherrschen ist, sondern nur durch ein höheres Wesen aufgehoben werden kann. Unendliche Beziehungswelten machen die Weite unendlicher Beziehungslosogkeit aus, und die setzt sich das höhere Wesen als etwas Geistiges, das die Welt verlassen hat und das als Kultstätte des Geistes, der sich vom Gewöhnlichen abhebt, der untergehenden Hoffnung auf menschliche Beziehung abstrakte Nahrung gibt. So lassen sich die Gewohnheiten der Welt wenigstens als Gefühl für sie fortleben, wenn sie in einem übermenschlichen Wesen fixiert sind - sei dies nun Gott oder irgendeine andere Vergötterung. Darin muss es einen übermenschlichen Sinn geben, eine Ordnung, der alles entspringt, was ohne dies keinen Sinn mehr hat (siehe Phänomenologie).

Hieraus entsteht ein weiteres Paradox: Die an ihre Welt gewöhnte, die gewöhnliche Persönlichkeit ist so flexibel, wie sie sich zugleich an dem einregelt, was ihr widerfährt. Sie nimmt die Welt als Medium ihrer Selbstbeziehung wahr und sich als Medium ihrer Ordnung, sich automedial (siehe Multimedia). Sie ist sozusagen Meister in der Selbstbeherrschung der herrschenden Ordnung, ein Mensch, der genau dem entspricht, was zum Leben notwendig ist, ohne darin wirklich leben zu können. Für ihn ist nichts mehr identifizierbar als fremd oder eigen, weil er darin ununterschieden ist, seine Äußerung zugleich Entäußerung von allem ist, was ihm zu eigen sein könnte. Kein bestimmter Inhalt ist hierin lebensbestimmend, keine Gewissheit möglich. Das fremd bestimmte ist ebenso Lebensform, wie Eigenes darin geäußert sein kann, ohne ihm fremd zu erscheinen. Ihm ist daher Aufbegehren ebenso fremd wie Autoritarismus und Hierarchie. Die neueren gesellschaftlichen Entwicklungen haben ihm seine Eigenheiten bis ins Mark ausgetrieben.

Trotzdem nun die herrschende Ordnung selbst wie eine übermenschliche Ordnung anerkannt ist, bleibt in der Unterschiedslosigkeit der Flexibilität die Wahrnehmung selbst vor allem von der Dichte der Ereignisse bestimmt, vom Quantum ihrer Anwesenheit, der Abfolge der kontinuierlichen Wechsel, worin sich die Selbstwahrnehmung in Bewegung erhält. Alle Mittel der Wahrnehmung, die unendlich vielen Kulturereignisse, Computerspiele, Medienauftritte, Musikträger usw. dienen weiterhin vor allem dem, dass innere Bewegungungen und Erregungen die Welt unbetrefflich und eintönig erscheinen lassen, lediglich geeignet als Mittel des Gelderwerbs. Allerdings ist jetzt der Übermensch in den Selbstgefühlen verfestigt und bereitet sich darin auf wie eh und jeh als Gefühl für Größe, Macht und Masse. Der Kulturkonsum wird hierdurch nicht geringer sondern breitet sich nun auch in die vertikale Dimensionen der Scheinwelten aus, die das Leben nicht mehr leiden mögen. Sie schließen jedes wirkliche Leiden aus, bestehen gerade in dem Zweck, kein Leiden, keine wirkliche Empfindung aufkommen zu lassen. Das bringt solche Persönlichkeiten zu eigentümlichen Verarbeitungsprozessen ihrer Seelenschmerzen, die sich besonders durch reaktionäre Lebenswerte füllen, um sich darin in ihrer Empfindungslosigkeit zu bestärken.

 

Das Jammertal der flexiblen Persönlichkeit

Die letztendliche Kehrseite der "flexiblen Persönlichkeit" ist ihre vollständige Abhängigkeit von den Verhältnissen, in denen sie sich bewegt, ihre Unfähigkeit, sich darin wirklich zu verhalten, ihre absolute Verhältnislosigkeit. Sie ist zutiefst verunsichert, weil ihr Handeln immer nur Reaktion sein kann auf Bedingungen, die sich ereignen und gestalten, wie sie es wollen und müssen. Solche Persönlichkeiten haben für sich ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Selbstbestätigung und Lebenssicherheit, die sie nur noch im Gelderwerb, durch einen guten Job mit gutem Lohn finden können. Darin allein scheint Sicherheit zugleich als Selbstbestätigung möglich: Durch die Einflussnahme auf die Lebensbedingung anderer Menschen und durch Verfügung über ein allgemeines, ein gesellschaftliches Faustpfand, durch die sie sein können, was sie wollen. Aber gerade weil dies ihr Problem ist, schließt sich der Kreis: Das Leben solcher Menschen besteht aus der Umklammerung der Gegebenheiten, die alleine Sicherheit versprechen, auch wenn sie die in keinster Weise wirklich erbringen. Die Sicherheit ist lediglich ihre jeweilige Anwesenheit, die Anwesenheit von Menschen, Ereignissen und Sachen, gleich welchen Sinn sie auch haben und welchem Geist sie entspringen und unter welchem Bedingungswechsel sie wieder verschwinden. In ihrem Dasein als solchem, in ihrer bloßen Gegenwart steckt ihr Sinn und Zweck als Potenzial der Überwindung der Gefangenschaft, der Bedingtheit. Und gerade dies erzeugt das letztendliche Paradox: Es macht die Bedingtheit zum Potenzial ihrer Überwindung, macht sie absolut nötig, ihren Besitz lebensnotwendig und die Gewohnheit hieran ausschließlich. Es ist der Kern eines reaktionären Bewusstseins, das sein Sein vergessen machen will.

 

Quellen:

zu Geldbesitz:
Kulturkritisches Lexikon (geldbesitz)

zu "Flexibilität":
Kulturkritisches Lexikon (flexibilitaet)

zu Persönlichkeit:
Kulturkritisches Lexikon (persoenlichkeit)

zu flexible Persönlichkeit (selber Text wie oben, aber mit Verweisen):
Kulturkritisches Lexikon (flexiblepersoenlichkeit)

zu Dienstleistungsgesellschaft:
Kulturkritisches Lexikon (dienstleistungsgesellschaft)

zu reaktionärem Bewusstsein:
Kulturkritisches Lexikon (reaktionaeresbewusstsein)

zu Lebenswerten:
Kulturkritisches Lexikon (lebenswerte)

zu Scheinwelt:
Kulturkritisches Lexikon (scheinwelt)

zu "Flexible Persönlichkeit":
Arbeitskreis Psychologie

zu Flexibilisierung der Arbeitswelt:
http://www.freitag.de/2001/33/01331101.php

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