Wolfram Pfreundschuh (12.04.2013)

Die neue Rechte kommt von links

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Teil II: Die Emanzipation des "wahren Lebens" gegen das Falsche

Wo Not herrscht ist Abhilfe nötig. Doch wohin sie gewendet wird und ob sie tatsächlich aufgehoben wird, hängt davon ab, worin ihr Grund erkannt wird. Wer davon ausgeht, dass es Persönlichkeiten sind, die Geschichte machen, der wird auch auf Persönlichkeiten setzen, die etwas Gutes zu tun beanspruchen. Und unmittelbar treten sie ja auch als Menschen auf, die Politik machen und für alle gut sein wollen. Aber es sind diesselben, die Kriege führen oder Menschen plündern oder Gewalt über sie ausüben. Die Geschichtsbücher sind voller Beschreibungen geschichtlicher Persönlichkeiten, die durch ihre persönlichen Entscheidungen ganze Epochen geprägt haben sollen. Geschichte erscheint dadurch von Menschen gemacht. Was aber ist das Menschliche an dieser Geschichte? Ist es das persönliche Streben der Mächtigen, sind es ihre guten oder schlechten Taten und Fähigkeit oder sind es nicht einfach nur die Bedingungen ihrer Macht, die im wesentlichen immer von ganz realen politischen Verflechtungen, von ihrer Wirtschaft, vom Stand ihrer Produktivkräfte und vom Reichtum ihrer Gesellschaft abhängig sind? Wie persönlich ist sie denn, was macht den politischen Willen wirklich aus, was das richtige und was das falsche Handeln? Kann man das im Vorhinein, also vor aller Geschichte schon wissen? Und was wäre dann deren Wahrheit, die richtige politische Entscheidung, der wahre politische Wille (1)? Heute ist das für uns erst mal eine absurde Konstruktion. Aber sie ist damit längst nicht überwunden, solange Politik mit solchen Konstruktionen hantiert.

Im Nachhinein zumindest ist erkennbar, dass Geschichte, wo sie die Menschheit wirklich weiterbrachte, eine Emanzipation aus bornierter Existenz war, eine Befreiung aus den Zwängen von Notwendigkeiten, die durch materiellen Fortschritt überflüssig und überwindbar geworden waren. Der geistige Fortschritt folgte umgehend oder entstand gleichzeitig. Wirkliche Freiheit war immer in der Aufhebung einer überkommenen Notwendigkeit entstanden. "Die bisherige Geschichte war immer eine Geschichte von Klassenkämpfen" hatte Marx gesagt und damit auch das Ende der Klassenverhältnisse angekündigt und eingefordert. Dass dies noch nicht erreicht ist, zeigen die Krisen, die sich auch heute noch so ereignen, wie von Marx schon 1848 beschrieben:

„Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet. In den Krisen bricht eine gesellschaftliche Epidemie aus, welche allen früheren Epochen als ein Widersinn erschienen wäre - die Epidemie der Überproduktion. ... Die Produktivkräfte, die ihr zur Verfügung stehen, dienen nicht mehr zur Beförderung der bürgerlichen Eigentumsverhältnisse; im Gegenteil, sie sind zu gewaltig für diese Verhältnisse geworden, sie werden von ihnen gehemmt; und sobald sie dies Hemmnis überwinden, bringen sie die ganze bürgerliche Gesellschaft in Unordnung, gefährden sie die Existenz des bürgerlichen Eigentums. Die bürgerlichen Verhältnisse sind zu eng geworden, um den von ihnen erzeugten Reichtum zu fassen.“ (Quelle: Karl Marx/Friedrich Engels in MEW 4, S. 467f)

Es ist ein altes Lied. Neu ist nur, dass in der kapitalistischen Krise der Massenkonsum der Mehrprodukte zu einem Massenproblem der bürgerlichen Kultur geworden ist, zum Tittytainment einer Gesellschaft, in welcher schon die Bedürfnisse der Menschen an den chronisch gewordenen Problemen der Überproduktion ausgerichtet werden. Während ihre Zukunft schon durch unauflösbare Verschuldungen verkauft ist, sollen sie sich in ihrer Gegenwart noch massenweise durch den Verzehr dieser Produkte vergnügen. Während sich die Vermögenden ihr gesellschaftliches Unbehagen durch kulturelle Events und Reizüberflutung vom Hals schaffen, erfahren die Besitzlosen den Niedergang ihrer Lebensperspektiven. Gesellschaftlich treibt da alles auseinander, nichts kommt mehr richtig zusammen. Und doch ergänzt sich im Zerfall alles auf fatale Weise: Das Wertwachstum funktioniert gerade dann besonders gut, wo aus Vernichtung Wachstum notwendig wird. Und eine Eventkultur bietet eine Alternative zu einer desolaten Politik und gesellschaftlichen Zukunft. Die repräsentative Demokratie verheddert sich in den Widersprüchen der Meinungsvielfalt politischer Interpretationen zur Geldwertsicherung. Und die soziale Vorsorge und Fürsorge, sogar der Erhalt der Infrastrukturen scheitert am verfügbaren Haushaltsvolumen. So ufert der Kampf um die Existenz, sowohl der privaten wie auch der gesellschaftichen, in eine Konkurrenz aus, die allgemein als vernichtend erlebt wird. Der Druck auf die Bevölkerung wächst mit der Unlösbarkeit der Krise. Die Politik kann zur Krisenbewältigung nur durch Wiederherstellung einer produktiven Verwertung hinarbeiten, indem der Staat selbst die Wertaneignung aus der Bevölkerung übernimmt, durch Nutzung ihrer Sozialvorsorge, ihrer Renten, ihrer Steuern und ihrer Rechte zum Zweck der Wertdeckung und Schuldenfinanzierung. Dass dies alles nicht richtig sein kann, weiß man. Die Rechten beschreien den Untergang des Abendlandes, die Linken sehen den Grund des gesellschaftlichen Debakels im Überfluss des Geldbesitzes der Reichen. Tatsächlich erscheint das Ganze sowohl kulturell als auch wirtschaftlich in einer Abwärtsspirale der gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch was macht den wirklichen Zusammenhang des Ganzen aus? Warum werden die Reichen immer reicher, warum die Armen immer hoffnungsloser? Ist es nur die Willkür ihrer Geschichte?

Die Zusammenhänge entschwinden in der Zerstückelung und Isolation der sozialen Beziehungen. Sie werden immer desolater, je mehr sie im Einzelnen sich voneinander ausschließen und abtrennen, je weniger im Allgemeinen ihr wirtschaftlicher Sinn und Zweck erkennbar ist. Und je weniger die Verhältnisse realwirtschaftlich zu durchschauen sind, desto unheimlicher erscheinen sie in ihrer Kultur (2). Der Schutz ihrer großen Ideale droht die Bürger zu verlassen. Wo die wachsende Kluft ihrer Existenzen und ihres Vermögens sie auseinandertreibt, kann von sozialer Gerechigkeit keine Rede mehr sein und niemand wird da noch was idealisieren wollen, wo jede Freiheit schwindet und der totalisierte Konkurrenzdruck ihre Gleichheit und Solidarität infrage stellt und sich ihre wahre Ungleichheit wie ein neues Lebenschicksal als Bedrohung durch Armut entpuppt (3).

Die Zeiten haben sich geändert. Es ist offenkundig, dass die Ideologien der Idealisten bestenfalls eine Tagträumerei sind, der Traum von einer Freiheit, die jeder Notwendigkeit entflohen ist. Aber dennoch sind sie schön und nützlich, um von den wahren Gründen der Zerstörung abzulenken, um zu zeigen, dass in all den irdischen Versagungen der Gegenwart doch auch ein guter Kern steckt. Man mussnur etwas höher greifen: Subjektiv verstanden dient ein Ideal dem Schönen und Guten in seiner Reinheit. Es ist die Vorstellung einer menschlichen Identität als menschliches Wesen, als wahrhaftigstes, innerstes Wesen des Menschen, der an sein "wahres Leben" gemahnt wird und daran auch glauben soll (4).

In der Abwärtsspirale des gesellschaftlichen Niedergangs werden die Phänomene der Entfremdung immer totaler. Und so muss der Appell an die höheren Wahrheiten auch als eine höhere Weisheit erscheinen, als Medium einer Bereinigung, der Aufhebung einer Entfremdung dienen. Das Übel soll im Ganzen behoben werden, dem wahren menschlichen Leben weichen, das menschliche Wesen aus seiner Weltvergessenheit wieder ans Licht bringen.So hatte es schon der deutsche Philosoph Martin Heidegger formuliert und so haben das auch linke Sozialphilosophen wie z.B. Foucault nachgesprochen. Mit der Wesensbehauptung eines an und für sich wahren Lebens können allerdings nicht mehr die wirklichen Lebensverhältnisse gemeint sein. Es ist der Appell an die Persönlichkeiten, eine Wahrheit herzustellen, die verschwunden sei, das Ursprüngliche des Lebens wieder zur Sache der Politik zu machen. Es lässt sich diese Vorstellung allerdings nur in der Bekämpfung der Träger von diesem Übel verwirklichen. Und das sind die Menschen, die sich in den idealisierten Vorstellungen vom Menschsein nicht einordnen lassen, weil sie sich leicht als Lebensfremde identifizieren lassen. Und damit gilt dies Fremde nicht mehr als Phänomene dieser Kultur sondern als eine Fehlleitung, die aus ihr entfernt werden muss, weil sie eine Gefahr für das Leben im Ganzen darstellt.

So baut sich das Ideal als Ressentiment gegen die Individuen auf, die das "wahre Leben" stören, die als die Verursacher seiner Entfremdung gelten und von daher das eigentlich wahre, schöne und gute, des gesunden Wesens der menschlichen Lebensverhältnisse wieder rein ist, wenn sie als Persönlichkeiten der Fremde an den Pranger gestellt sind. Durch ihre Entfernung, durch die Bestrafung und Ächtung der zur bloßen Bosheit herabgesetzten Entfremdung wird dem Guten auf seinen kulturellen Altar verholfen. Das ist simpel und in einer komplizierten Welt dann wenigstens naheliegend. Nur weil es ein Leben gibt, das hier nicht so wohltuend rein passt, eben weil es ein "falsches Leben" sein muss, sind die Lebensverhältnisse dann auch leicht zu bereinigen. Es ist die Weisheit der Phänomenologie und die hat ziemlich brutale Konsequenzen.

Wir kennen sie schon aus der alten Geschichte. Das "Deutsche Wesen", an dem die Welt genesen sollte, bestand nicht nur aus Anstand, Sauberkeit und Ordnung, sondern in der Reinheit einer Rasse, der Rasse der Arier, die dieses Wesen zum Übermenschen machen soll, damit die Welt daran gesunden könne. Und solch ein wahres Wesen setzt seine wahre Natur voraus, Reinheit in Geist und Körper. Dem radikalen Idealisten gilt sie schließlich als die Natur der Wahrheit des menschlichen Lebens überhaupt, als seine fundamentalontologische Grundlage, wie es Heidegger genannt hatte.

Vom Edelmut des "wahren Lebens"

Das Unangenehme am Faschismus ist seine autöritäre Macht und Gewalt. Das Ungeheuerliche ist sein Ziel, eine vollständig funktionalisierte Gesellschaft durch eine Staatskultur der Vollendung in einem vollendeten Kulturstaat zu errichten. Wenn Faschisten von der Ausrottung der niederen Rassen, des falschen oder lebensunwerten Lebens sprechen, so beschreiben sie ihr Heilsprinzip etwa so, wie ein Operateur über körperliche Fehlgestaltungen, über Tumure und Geschwülste spricht. In dieser Funktionalität sind sie die Profis einer ungeheuerlichen Vision. Die ist kein bloßer Einfall einer fehlgeleitete Psyche. Faschismus hat ganz objektive Voraussetzungen und deshalb können auch Faschisten wie alle Menschen einen guten oder schlechten Charakter haben, gute Familienväter oder wilde Egomanen, Sadisten und machtgeile Monster sein. Das alles macht sie nicht wesentlich aus. Es sind nicht kranke Gemüter, wie man es im Nachhinein gerne interpretiert, um die Gesundheit der normalen Repräsentationsverhältnisse der Politik hervorzukehren. Nicht ihre Persönlichkeit ist außergewöhnlich; im Gegenteil: Der ganz normale Lebensalltag des Spießers vollzieht sich schon sowieso in den Gewohnheiten einer höheren Bestimmtheit, in der das höchste Gut die guten Sitten sind, die Ehre und Güte der platten Gegebenheiten abgeschirmter Lebensburgen. Zu Geboten einer höheren Welt werden diese als Gesinnung von höherer Wahrheit, mittels derer das gegenwärtige Elend dieser Welt aufgehoben werden soll, indem die subjektiven Eigenschaften, die Sittlichkeit einer besseren, einer wahreren Gesellschaft des Gemeinwohls als Charaktereigenschaften altruistischer Motivationen anerzogen werden.

Die Sitten waren aber immer Reflexionen aus kultureller Erfahrung, aus der Vergangenheit. Jetzt sollen sie ein Konstrukt für eine Zukunft werden, für eine Kultur, die es noch garnicht gibt. Da ist dann alles unsittlich, was nicht für eine solche Gesellschaft funktional ist. Fortschritt wird neu definiert. Was nur konservativ war, wird aus ihren Verhältnissen isoliert und zur Maßgabe eines Fortschritts ihrer Ideale. Die Konserve soll lebendig werden, weil darin die Not der Vereinzelung aufgehoben, die falsche Gegenwart überwunden scheint. Als Glaube an das Kollektiv soll sie den Individualismus mit ihrer idealisierten Sittlichkeit überwinden, weil dessen Egozentrik das Unheil einer falschen Gesellschaft darstellt.

Aber Altruismus ist die höchste Form der Selbstsucht, der in die Unendlichkeit verlegte Egoismus. Und da wird der Idealist, der "Gute Mensch" auch mal böse, wenn seine Gesellschaft nicht funktioniert, wenn eben nicht alle so gut sind, so selbstlos, so gemeinnützig wie er. Wenn seine Ideale eine Erlösung von dieser Welt versprechen, einen Endzweck, eine Endlösung, so erscheint die Gegenwart nur profan und flüchtig. Hannah Ahrend nannte es "Die Banalität des Bösen", mit der Menschen in der Lage sind, völlig gleichgültig und selbstlos ein Vernichtungssystem zu betreiben, das ihnen als Mittel zu einem guten Zweck notwendig erscheint, einen Idealismus zu vollstrecken, der seine Leblosigkeit auch in der Vernichtung von Leben umsetzen kann, nur weil er es nicht mehr begreifen kann. Dem vorausgesetzt sind die Verhältnisse, in denen Menschen entmenscht werden, in denen ihre Sinne aufgebraucht werden, weil sie vollständig in deren Dienst gestellt sind, in die Bestimmung funktionaler Sinne einer abstrakten Sinnlichkeit. In der hoffnungslosen Lage einer perspektivlos gewordenen Welt lässt dies den Normalbürger auf die Erlösung durch eine Größe und Masse hoffen, die seinen innersten Wahrnehmungen entspricht, seine entzogen Subjektivität in die Welt bringt, die von einer anderen Natur ist, als die Welt, in der er sich permanent von ungewissen Mächten bedroht fühlt und in der ihm seine Existenzangst und Not unauflösbar erscheint. Wenn er keine Chancen für sein Auskommen hat, keinen Sinn für sein Leben finden kann, bereitet er sich gerne für die Dienstleistung an einem großen Ganzen auf, in welchem seine Welt unverwundbar erscheinen kann, wenn sich darin nur die große Masse der Menschen einig werden. Wo ihm seine Gesellschaftlichkeit längst entgangen ist hofft er auf die Erlösung durch die Aufmassung seines Vertrauens in höhere Lebenswahrheiten, die Ideale des Lebens als Macht gegen das Böse (4a). Ideale sind aber nur hervorgehobene Bereinigungen des Wirklichen im Ziel ihrer Verstetigung.

Auf der Empore der politischen Repräsentation müssen sie aber zur Masse der Guten werden, welche ermächtigt werden sollen das Falsche zu bekämpfen. Die Rassentheorie ist die dem entsprechende Ideologie, die aus der reinen Rasse, aus der Ursprünglichkeit eines in seiner Tradition und Geschichte bereinigten "Volkes" den Herrenmenschen bestimmt. Nietzsches "Übermensch" und Schopenhauers "Willenskraft" und Heideggers "Eigentlichkeit" waren die begrifflichen Substanzen, mit denen sich der Nationalsozialismus zu einer höheren Gesellschaftstheorie veredelte (5). Er wurde hierdurch von bloßen Vorstellungen zu einer allgemein notwendigen Meinung befördert, prominent gemacht und wählbar. Und weil sie die Realitäten der Marktwirtschaft für sich zu nutzen verstand, waren die politischen und wirtschaftlichen "Erfolge" der Rassisten und Nationalisten bei ihrer Anwendung sprichwörtlich umwerfend. Die Staatsverschuldung stellte alles in den Schatten, was bis dahin als vernünftig galt. Und sie war auf Kriege disponiert, die Schuldenerstattung unnötig machen sollten.

Repräsentative Demokratie muss jeder Meinung im Anteil ihrer Menge Recht geben. Ob das Dafürhalten einer Wählermeinung aus einem Ideal, einer Vorstellung, einer Zuneigung oder einer Gesinnung entstanden ist, ist ihr nicht anzumerken und es wäre zu spät, dies im Nachhinein noch auseinanderzusetzen. Die Wahl kann auch durch eine bloße Abweisung, aus Abneigungen oder Entstellungen entschieden worden sein. Was zählt ist alleine die Anzahl der Wähler, die bei der Wahl ihrer Repräsentanten ihre Stimme abgeben, gleich wie diese entstanden ist. Die Meinung wird jedenfalls erst zu einem politischen Willen durch die Persönlichkeiten, die hierbei aus der Menge der Vielen durch Konzentration auf die Menge der wenigen Personen gewählt wurden, die hierfür aufgetreten. Populismus wird durch Anschaulichkeit immer mächtiger, wo er allgemeine Vorstellungen in ihrer Einzelheit abhandeln kann.

Nach einer langen Krisenzeit, in der alles Eigene vergangen war, in der Hochzeit der Seinsvergessenheit, bekommt das eigentlichen Leben Hochkonjuktur. Die Gewöhnung an Entgeignung erfand das Leben, das es so nicht gibt, das aber für eine jenseitige Identität gut war und erschuf ein Prinzip der Erlösung, das Heil, nach dem diese Welt erzogen werden, bereinigt werden müsse. Es war die hohe Rede des oberdeutschen Philosophen Martin Heidegger den Martin Buber einmal den "Hitler des Denkens" genannt hatte: Weil die Menschen einer Seinsvergessenheit aufgesessen wären und nichts Eigentliches mehr kennen würden, sollten sie das wahre Leben, das es nur im Verborgenen gebe, entbergen, seine wahre Natur alsNatur der Wahrheit offenbahren. Er kam damit nahe an das Problem des deutschen Spießers heran, der sein Leben nur ante Portas begreifen konnte, bewaffnet mit einem Spieß, mit dem er seinen Besitz, seine Familie, sein Haus und seinen Hof zu verteidigen meinte. Und also wurde der Oberspießer Heidegger auch umgehend zum Rektor der Freiburger Universität und hielt jene "Blut und Boden"-Rede, die bis in die Bücherverbrennung durch die nationalsozialistische Studentenvereinigung nachklang.

Die Gewohnheit der Entfremdung, die Existenz in einer allgemein gewordenen Selbstentfremdung macht Angst vor Fremdem. Weil dieses nur noch etwas Unwahres sein konnte, wurde der Bürger zum Subjekt der Wahrheit und das nicht vorhandene eigene Leben zur rabiaten Grundlage einer Barbarei, die das "eigentliche Leben" nur noch gewaltsam durchzusetzen sucht. Der Rassenwahn zehrt geradezu von der Eigentumslosigkeit der Menschen, dem Neid und der Verzweiflung der Enteigneten, die selbst schon zerstört sind und im eigentlichen Leben nur noch überleben wollen und also über das wirkliche Leben hinwegtrampeln, es zu beherrschen suchen und darin nichts anderes betreiben können, als ihre Zerstörtheit ihm zu übertragen, es zum Brennen zu bringen, zu einem politischen Flächbrand zu entfachen.

Der politische Wille zum "wahren Leben"

An der Kulturgeschichte des 1000jährigen Reiches kannn man es studieren. Es waren nicht die Arbeitsleute, nicht die Arbeiterbewegung, die damit begannen. Es war das Feuer der nazistischen Intelligenzia, welche die Revolution der Rechten in Gang setzten. Aber auch Arbeiter ließen sich davon anstecken, um mit einer Arbeit für das Wohl des Ganzen, des Deutschen Reichs zum Volkshelden zu werden. Doch der deutsche Geist wurde zu allererst aus der deutschen Literatur beschworen, aus der Wesenssuche Nietzsches und Heideggers, aus dem Arbeiter- und Kriegerheldentum mit dem radikalen Subjektivismus des Ernst Jünger und Arthur Schopenhauers ausgeschmückt (6). Gegen die Selbstzweifel und die Selbstreflexionen der klassischen Geisteswissenschaften wandte sich der praktische Verstand des "eigentlichen Lebens", der in der Unwahrhaftigkeit, in der Verstellung die Gründe für die Seinsvergessenheit der Menschen, für ihre Gleichgültigkeit gegen das wahre Leben, das wahre Volk und den wahren Staat entdeckt haben wollte. Martin Heideggers wandte sich direkt gegen den Niedergang des wesenhaften Geistes, dem wieder zum Licht verholfen werden müsse. Der Zynismus des Friedrich Nietzsche behauptete sich als die unverstellte Selbsterkenntnis in einer zweifelhaften Welt. Und die Sprachgewalt von Ernst Jünger und die Ästhetik der Leni Riefental machte die glatte Sinnlichkeit einer unmittelbaren Körperkultur zum Faszinosum des nationalsozialistischen Glorienscheins, dem Glanz und Glitter einer allgemein wirksamen Konzentration der Reize durch die Prägnanz der Einzelheit. Dagegen meinte der Glaube an das reine Gewissen der deutschen Geschichte jetzt endlich den Juden des Verstandes entdeckt haben, der sich in der Literatur und Wissenschaft sich durch Analyse und Empathie zum Beispiel in der Psychoanalyse entwickelt hatte. Er war natürlich eine Bedrohung des Populismus mit der Unmittelbarkeit eines "wahren Lebens" im Heil einer übermenschlichen Kraft, dem Leben im Kosmos seiner wahren Natur, der höchsten Gemeinschaft des Lebens, die man sich vorstellen kann. Jeder analytische Verstand kritisiert ja schon implizit eine solche Esoterik. Diese aber ist immer die Grundlage eines identitären Denkens.

Dieses Denken ist der vielen Auseiandersetzung, der Streits und der Kritik überdrüssig. In der politischen Übersetzung musste es daher auch selbst schon als Ausdruck eines mit sich identischen Lebens gelten, als wahre Unmittelbarkeit einer politischen Positiion. Es musste die Verhältnisse in der Selbstbezüglichkeit einer übergeordneten "Wahrheit" bestimmt werden, in welchem der Einzelne eins mit seiner Gesellschaft ist und mit ihr auch einig zu sein müsse, damit sie heil bleibe. Gesellschaft wurde also zu einer gedachten Persönlichkeit, die sich nicht mehr sachlich, dafür aber als politischer Wille einer Ganzheit begreifen lässt. Ihre Einheit konnte nur in der Ganzheit einer Nation als völkische Identität aufgehen, eine Staatskultur, die wie das Subjekt als kulturelle Identität gelten muss. Indem Maß wie diese bestimmend wird, wird Politik unkritisierbar, politische Auseinandersetzung zum Verrat an der höheren Wahrheit, Bezichtigung des kritischen Geistes zur Gewohnheit iner Selbstgerechtigkeit, die darin Hochverrat wittert. Bedroht ist dann das wahre Wesen der Deutschen, das völkische Germanentum, das um seine ehrliche Arbeit kämpfende Proletariat und die Rationalität des industriellen Fortschritts (7). Kritische Texte in Wissenschaft und Literatur sollten undeutsch sein, die Erkenntnisse der Psychoanalyse und des Marxismus ein gefährliches Judenwerk. Sie seien die Geistermacht der Entfremdung vom Ursprung, dem wahren Wesen, welche die Fundamente des "deutschen Geistes", seine nationale Ursprünglichkeit einreißen wollten. Deutscher Nationalismus sollte auch deutsch begründet sein - und Juden waren international. Der wahre Deutsche wollte die Persönlichkeit der deutschen Kultur als Herrenmensch, die Herrenrasse der Kulturalisierung der Welt sein.

Das "deutsche Wesen" war fast schlagartig und unter der Hand zu einer zentralen Angelegenheit der Deutschen Studentenschaft geworden, die im dritten Monat nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Mai 1933 an 21 deutschen Universitäten zehntausende Werke verfemter Autoren in einer "Aktion gegen den undeutschen Geist" verbrannten, von vielen tausenden Menschen beklatscht und bejubelt. Es war nicht der Staat, der es dazu gebracht und organisiert hatte. Ereifert hatten sich vor allem Studenten und Bildungsbürger aus der Mittelschicht. Schon während der Weimarer Republik herrschte an den deutschen Universitäten ein deutlich reaktionärer, chauvinistischer und nationalistischer Geist. Erst hierdurch wurde das öffentliche Bewusstsein so richtig agil.

Der Populismus der nationalsozialistischen Propaganda verführte sie nicht einfach. Sie sprach ihre Ohnmacht an und traf ihre Sehnsüchte. Ihre lange schon von der Weimarer Politik bestimmte Isolation konnte in ein öffentliches Leben aufbrechen. Sie wurden aufgerufen zum Teil eines sinnvoll scheinenden Ganzen zu werden. Die Deutschen stürmten geradezu in die NSDAP. Über anderthalb Millionen Neuzugänge hatte die Partei in den ersten drei Monaten seit Hitlers Machtergreifung zu verzeichnen. Der Elan der Deutschen Studentenschaft, die 1931 ganz demokratisch gewählt worden war, hatte das Feuer der konservativen Revolution entfacht. Sie organisierte in Windeseile die Säuberung aller privaten und öffentlichen Büchersammlungen von den inkriminierten Werken jüdischer, marxistischer, psychoanalytischer und kulturkritischer Autoren und richtete sogar einen Artikeldienst für "volksbewusstes Denken und Fühlen im Deutschen Schrifttum" ein. Ihre Bücherverbrennung wurde zwar auch von Göbbels befeuert, war aber dennoch ursprüngliches Werk aus den Universitäten des Landes, die den politischen Willen der Intelligenz als Wille des reinen Geistes bekunden und entwickeln wollten. Die Politik verband sich mit der Bildungsmacht der völkischen Gesinnung, dem Ausfluss des identitären Denkens. Die Professuren der Universitäten wurden danach ausgerichtet, die Wissenschaften nicht einfach nur durch den Staat, vielmehr aus dem Bedürfnis ihrer eigenen Selbsveredelung zum Rassismus gezwungen. Der "Wille zur Macht" war schnell zur politischen Macht des Willens geworden - einfach deshalb, weil er sich als das edlere Wollen im Edelmut des "wahren Lebens" der Eliten kleiden konnte.

Das jenseitige Denken und der Traum der Erkenntnis

Für den Christenmenschen ist das Naschen vom "Baum der Erkenntnis" nicht ohne Grund eine Erbsünde: Es macht die Einfalt einer höheren Wahrheit kenntlich. Das Gebotene muss zugleich verboten sein, um ihm einen höheren Sinn zu verleihen. Während dies allerdings vor allem die Katholiken verinnerlicht haben, hat Martin Luther das Gebot der Wahrheit, die Vernunft des "Pfaffen an das Herz des Laien verkettet" (Marx). Solche Wahrheit verlangt vorauseilenden Gehorsam. Das Erkentnisinteresse mag dabei verschieden sein; es mündet aber beides in einer Identität, die nicht von dieser Welt ist. So verhält es sich auch in den Erkenntnistheorien zwischen idealistischen und rationalistischen Wahrheitsbehauptungen oder Vorstellungen. Wissenschaft sucht das unmittelbar Unbegreifbare zu begreifen, indem sie darin Zusammenhänge ermittelt. Die Begründungen der Wissenschaft haben eine mehrere tausendjährige Tradition. Es ist wie ein Kreisen um den Gehalt einer sinnlichen Gewissheit, die so nicht sein kann, wie sie erscheint.

Es gibt im Ringen um Erkenntnis tatsächlich eine Wahrheitssuche, die sich in den Universitäten leicht zu einer frei schwebenden Erkenntnistheorie verselbständigt. Es ist die Beziehung von Wesen und Erscheinung, die offenbar in Widerspruch steht und in einem akademisch bestimmten Erkenntnisinteresse entschieden sein soll als empirische oder ideale, als diesseitige oder jenseitige Wahrheit. Wo bürgerliche Wissenschaft sich noch nicht gänzlich nur noch auf das Machbare reduziert hat und also als Wissenschaft aufgegeben hat, herrscht bis heute noch ein Erkenntnisinteresse vor, wie es Karl Marx schon in seinen Thesen gegen Ludwig Feuerbach 1845 vorgehalten hatte und als ein jenseitiges Denken bezeichnete und als Problem der Praxis, als praktische Erkenntnis aufzulösen suchte. Hier war es noch Hegel und Feuerbach, die sich darin verhielten. Marx schrieb:

"Feuerbach löst das religiöse Wesen in das menschliche Wesen auf. Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum inwohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse. ...

Feuerbach sieht daher nicht, daß das "religiöse Gemüt" selbst ein gesellschaftliches Produkt ist und daß das abstrakte Individuum, das er analysiert, in Wirklichkeit einer bestimmten Gesellschaftsform angehört." (Marx-Engels-Werke Bd.3, S. 5)

Solange Wissenschaft sich nicht selbst als Produkt einer Abstraktion begreift und um ihrer selbst willen abstraktes Denken aufheben will, wird sich in ihrem Erkenntnisinteresse nur weiter verselbständigen können. Sie bleibt ein "jenseitiges Denken", im Kern theologisch, wenn sie sich nicht in der Kritik des Jenseits, der Kritik des Mystizismus des sich selbst fremden Denkens begreift und die konkreten Verhältnisse dieser Abstraktion in der Substanz ihrer Widersprüchlichkeit ent-deckt. Die wirklichen Widersprüche kritisieren sich im Grunde selbst, indem sie ihre eigenen Inhalte aneinander auflösen und nur ihre Abstraktion entfalten können. Kritische Theorie muss dies aufklären, um die Notwendigkeit ihrer wirklichen Aufhebung auch darzustellen. Marx hat dies auch entsprechend deutlich formuliert:

"Es wird sich ... zeigen, daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich zeigen, daß es sich nicht um einen großen Gedankenstrich zwischen Vergangenheit und Zukunft handelt, sondern um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit. Es wird sich endlich zeigen, daß die Menschheit keine neue Arbeit beginnt, sondern mit Bewußtsein ihre alte Arbeit zustande bringt." (MEW 1, S. 346)

Marx formulierte nach seiner Auseinandersetzung mit Hegel und Feuerbach die Einsicht, dass die Selbstverständigung, welche Philosophie betreibt, sich notwendig zu einem Bewusstsein der praktische Lebenswelt der Menschen entwickeln muss und daher reelle Wissenschaft als Kritik der Hirngespinste und bloßen Vorstellungen, Kritik der ihrer abstrakten Selbstbegründung und Selbstbestätigung werden müsse (siehe "Einführung in das Kompendium zum Kapital"). Wissenschaft als kritische Theorie muss sich in der Analyse ihrer Gegenstände praktisch aufheben. Eine Ideologiekritik, die sich als Ideologiekritik unmittelbar politisch ins Verhältnis zu setzen sucht, bleibt auch als Antiideologie ideologisch, weil sie die gegenständliche Analyse durch eine Wahrheitsbehauptung ersetzt. Ideologie ist erst wirklich aufgehoben wenn sie aus sie aus der Widersprüchlichkeit der herrschenden Vehältnisse erkannt ist, wenn ihre Gedankenabstraktionen als Ausdruck realer Abstraktionen erkannt sind. Ohne die Kritik ihrer wirklichen Gründe wird sie zu einer kritischen Gesinnung, die ihren wahren Grund durch ihre bloße Wahrheitsbehauptung verloren und nur die Falschheit der Welt, ihre Unwahrheit zu beklagen hat.

Ideologiekritik als Kritik der falschen Ideale

Man mag eine verkehrte Welt als falsch bezeichnen, aber unwahr ist sie deshalb nicht. Man muss die Verkehrung ja nur beschreiben, um sie auch in ihrer Wahrheit erklären zu können. Es gibt keine Wahrheit als Wirklichkeit, wohl aber wahre Erkenntnisse der Wirklichkeit, wenn Täuschungen enttäuscht und als Verkehrungen aufgeklärt werden. Täuschend wahr sind viele Ideologien, wenn sie ein Moment der Wirklichkeit als ein Ganzes behaupten, das darin wahr sein soll. Natürlich gibt es sowohl die Momente als auch das Ganze, in denen sie wirken. Doch in der Identifizierung des Einzelnen mit dem Ganzen werden sie zur Lüge.

Aufklärung kann Verborgenes ent-decken. Als Ideologie der Vernunft des Ganzen kann sie es auch wieder verstecken. Einigkeit und Recht und Freiheit sei die Vernunft der Marktwirtschaft, wird da behauptet. Ihr innerstes Prinzip, ihre selbsttätige Logik allein könne dafür wie eine unsichtbare Hand sorgen, durch die es sich der Warentausch zum Wohle aller wie von selbst abregelt, heißt die Ideologie, die Liberalismus und Neoliberalimus unisono absondern. Und tatsächlich gibt es eine Gleichheit der Menschen, wo sie ihre Waren vergleichen und ihren Wert bemessen, und sie sind frei für alles Mögliche, solange sie ein allgemeines Tauschmittel besitzen, und sie sind sich einig, stehen in einem gemeinschaftlichen Interesse, wenn sie austauschen, was der eine braucht und der andere nicht. Doch sie tauschen nur, weil ihre Existenz völlig verschieden ist, weil die einen das allgemeine Vergleichsmittel Geld haben, die anderen aber nur eine Ware, die sich um den Vergleich bewerben muss, um an das Geld zu gelangen, durch das alleine sie existieren können. Das Allgemeine ist die aufgehobene Not des Einzelnen, seine wirkliche Notwendung und daher immer mächtiger als dieses. Auch die Freiheit, etwas zu erwerben kehrt sich immer wieder um in die Notwendigkeit, selbst etwas zu verkaufen, und sei es die eigene Arbeitskraft. Doch nicht diese Wechselseitigkeit macht Ideologie aus, sondern die Abtrennung des positiven Moments und dessen Idealisierung zu einer Ganzheit, die ihre Relativität verdeckt und ihre Negation leugnet. Damit vertauscht sie vor allem eine Abstraktion mit einem konkreten Verhältnis, dem sie entnommen ist und macht eine Besonderheit darin allgemein. Dies abstrakt Allgemeine mag noch eine bloße Gedankenabstraktion sein. Real ist sie, wo es sie auch wirklich gibt, wo also das Geld auch in Wirklichkeit alle Realisierungspotenziale des Wünschens hat und die Dinge austauschbar, also wirklich gleich sind. Von daher lässt sich in der Ideologie auch verkehrte Wirklichkeit erkennen, wenn ihr Wirklichkeit als Realabstraktion erkennbar gemacht wird. Das macht eine dahin gehende Analyse möglich, die im Identischen Eigenes und Fremdes unterscheidet und die Abstraktion als Substanz einer Entfremdung bloßstellt.

Die Kraft gegen die Ideologie steckt in der Analyse, wenn sie die richtigen Momente eines Ganzen in ihrem Zusammenhang erkennt. Sie beruht darin, dass sie im Begreifen der Unterschiede eine Selbstentfremdung nicht nur theoretisch auflöst, sondern auch praktisch und leidenschaftlich aufhebbar macht. Es ist nicht die Wahrheit eines Lebens, die damit erreichbar wird, sondern die Aufhebung einer falschen Identifikation, die dem Leben gerade dort ein Fortkommen eröffnet, wo es durch die ewigen Kreisläufe idealisierter Widersprüche versperrt ist.

Es ist gleich, ob eine Politik sich um eine Wahrheit bemüht oder ob sie eine Falschheit bekämpft: Als Politik einer bloßen Repräsentanz bleibt dies abstrakt und damit bloßer Wille, der auf einer höheren Gesinnung sich begründen muss, weil er sich in der Abstraktion zu verhalten hat und nur in seiner Ideologie unterschiedlich und zwischen Regierung und Opposition aufgeteilt ist (7a). Dessen Hoheit setzt eine Allgemeinheit voraus, die einer realen Notwendigkeit ganz allgemein entspricht und die zugleich von ihren wirklichen Widersprüchen abstrahiert. Politik versteht sich von selbst als ein ideales Verhalten gegen die Mängel dieser Welt. Es ist ihre abstrakte Allgemeinheit die auch gedanklich legitimiert und also abgeleitet ist und vorstellbar gemacht wurde, entweder aus einer Religion, einer Esoterik oder einer Philososophie. Es sind die Vorstellungen von einer guten und schönen Welt, die umso dringlicher wird, je mehr das Elend auf dieser Welt wächst.

Der politische Wille resultiert aus dem allgemeinen Anspruch dieser Vorstellung. Er artikuliert sich als ein allgemeines Gebot das einen Imperativ formuliert, der die Aufhebung der Fehler dieser Welt behauptet, wenn sie von jedem einzelnen Handeln unmittelbar befolgt wird. Es ist von daher eine politische Moral unterstellt, die durch persönlichen Einsatz eine allgemeine Veränderung verspricht, wenn sie wie ein kategorischer Imperativ begriffen wird. Doch dessen Kategorien sind bloß vorgestellte Verallgemeinerungen, die lediglich für das Selbstbewusstsein des politis chen Willens nötig sind. Indem sie in ihrer Moral eine wirklich allgemeine Not aufgehoben vorstellen verkörpern sie doch nur eine sehr selbstbezogene Moral der Politik, indem sie deren Löcher füllt und den Anschein eines besseren Bewusstseins verleiht. Hegel hatte das trefflich formuliert als er sagte: "Ein geflickter Strumpf mag besser sein als einer mit Loch. Nicht so das Selbstbewusstsein". Politik will dadurch vernünftig erscheinen, dass sie das Nötige ihrem Gebot unterstellt. Und das Nötige wird sich ihm fügen, weil es sich immer fügen, in die Gegebenheiten einfinden muss. Und der mündige Bürger sieht sich darin bestärkt, dass er das gewählt zu haben vermeint, was die Not behoben hat. Wenn nicht, dann wird er anders wählen, denn in seiner Wählermeinung soll schließlich auch seine Mündigkeit als Stimme eines allgemeinen Willen selbstbewusst dargestellt gelten. So geht das ja schon seit der Zeit der Aufklärung. Was nötig ist das fügt sich aber immer. Erscheint es jedoch als Verwirklichung eines politschen Willens, so wird es in dieser Konsequenz zur Basis eines politischen Totalitarismus, der die Not der Menschen nutzt, um seine Politik als allgemeine Notwendigkeit zu verfestigen.

"Es gibt kein richtiges Leben im falschen"

Adorno wollte die Illusionen eines "eigentlichen Lebens" mit seinem unglücklichen Satz "Es gibt kein richtiges Leben im falschen" kritisieren und wurde sich dabei nicht gewahr, dass er damit eben genau dessen Totalitätsanspruch befolgte. Es gibt verkehrte Lebensverhältnisse. Aber ein falsches Leben gibt es nicht, weil es auch kein richtiges Leben geben kann, weil Leben immer schon wahr ist, auch wenn es Fehler hat (8). Obwohl er sich gegen den Totalitarismus aufgestellt hatte, schrieb er den totalitärsten Satz, den man überhaupt schreiben kann, weil er eben kulturkritischer Philosoph bleiben wollte. Richtig und falsch sind Urteile der Reflexion, nicht in sich selbst begründbar. In sich selbst begründet aber ist die Verkehrung der gesellschaftlichen Verhältnisse, wie sie von Marx in der Wertform dargelegt worden war. Darin entfremdet sich die Sache der Menschen, die ihr Produkt und Gegenstand ihrer Bedürfnisse ist, durch die Allgemeinheit ihrer einzelnen Relationen im reinen Wertquantum, das ihnen nur abstrakt gegenüber tritt und als real wirksame Abstraktion ihre Verhältnisse bestimmt, sich ihnen im gesellschaftlichen Verhalten der Sachen entzieht und über sie als eine ihnen fremde Objektivität mächtig wird. Weil die Waren damit den Glanz einer übersinnlichen Macht bekommen, nannte dies Marx einen Warenfetischismus. Adorno, der sich gerade darin auf Marx beziehen wollte, ihn aber nur subjektiv verstand, sah darin die Verdinglichung der Menschen und verabsolutierte auf groteske Art und Weise damit gerade die Verkehrung, die Marx als Wirklichkeit kritisierte. Adorno behauptete damit nämlich, dass sich Menschen sich selbst zur Sache machen ließen, sich selbst darin vergaßen, die doch ihnen eigentlich nur negativ als bloßer Schein, als reine Unwahrheit entgegenstünde. Damit aber war die gegenständliche Wirksamkeit eines abtrakt Allgemeinen, also die allgemeine Wirklichkeit einer Abstraktion im Verhältnis der Waren, unter der Hand zu einem subjektiven Versagen aufgelöst, de facto zum Fehler von Menschen entwirklicht, die sich von ihrem "wahren Leben" entfernen und einer an und für sich objektiv vorausgesetzten Sachwelt jenseits aller Subjektivität überantworten, weil sie ihrer Verführung durch den "Massengeschmack" einer Kulturindustrie ("Minima Moralia", Aphorismus 131) unterlagen, weil sie nur ihren Fetisch, ein Symbol ihres Lebens sich als "falsches Leben" zum Lebensinhalt machten. So hatte er den Warenfetischismus, wie ihn Marx analysiert hatte, leider völlig missverstanden. Was für ihn falsche Leben in einem verdinglichten Bewusstsein war, war bei Marx eine Kritik verkehrter Lebensverhältnisse.

Es war mit dieser Symbolisierung die marxistische Kritik der Philosophie zur Wolke eines Vorwurfs gegen die Menschen regrediert, der den mündigen Menschen einklagt. Adorno fällt damit auf die Aufklärung, auf den Appell an den vernünftigen Menschen zurück, der sich Rechenschaft über sein Unvernunft zu geben hat, wie sie ja letztlich mit dem politischen Wille definiert ist. Nicht die Logik einer entfremdeten Sache, sondern die Unvernunft der Menschen, ihre Ergebenheit in die Verschleierung unmenschlicher Verhältnisse ist der Gegenstand seines Erkenntnisinteresses. Nicht das Bewusstsein verkehrter Verhältnisse sollte diese aufheben, sondern ein wahres Bewusstsein sollte als Wissen um die Wahrheit die Verhältnisse des Lebens bestimmen. Und dessen Wahrheit, die laut Adorno" nicht von dieser Welt" sein kann, musste das Wissen um seine Negation im Diesseits sein. Die negative Dialektik Adornos blieb an der Aufklärung kleben, die sie kritisieren wollte, wenn auch in einer weit sublimeren, weil völlig abgehobenen Rationalität. Sie unterstellt ja gerade das, was sie kritisiert, als Notwendigkeit: menschliche Identität, als Wahrheit, die in dieser falschen Welt nicht sein kann. Dass diese Wirklichkeit zugleich unwirklich ist, dass sie also in der Tat einen Widerspruch vollzieht, wird bei Adorno zum Gegensatz einer Negation zur Wirklichkeit, wie sie nur gedacht sein kann. Von daher impliziert das die Forderung nach einem Wesen, das nicht ist, unterstellt also ähnlich wie Heidegger, dem er mit Recht einen "Jargon einer Eigentlichkeit" vorwirft, ein unwesentliches Dasein, das durch wesentliches Sein erst aufgehoben werden könne. Und er leugnet damit die widersprüchliche Wirklichkeit, welche nach Marx überhaupt erst die Bedingungen der Produktivität enthält, durch welche die Menschen die Entfremdung ihres Lebens, die Enteignung ihrer Lebenkraft und Lebensszeit auch wirklich aufheben können. Adorno verbleibt in der Grundlage einer klassischen Theologie, in der Lebensphilosophie eines unerfüllten Lebens, und behauptet damit dessen Auflösung in der Verwirklichung des Gedankens eines wahren Lebens, also durch die Wahrhaftigkeit des Denkens.

Die philosophische Verdopplung der Kritik der politischen Ökonomie zu einer Philosophie der Verdinglichung, mit der sich Adorno auf Marx beziehen wollte und die als psychophilosophische Aufklärung gegen ein fetischisiertes Bewusstsein des gewöhnlichen Bürgers angewandt wurde, trieb eigenartige Blüten in einem eitlen Denken, das überall nur falsches Denken zu vereiteln hatte. Es sprach ja nicht den im Kapitalismus eingebürgerten Menschen an, sondern sprach vor allem für sich selbst, indem es sich gegen das falsche Leben der Anderen wandte. Dafür konnte es nun als eine besondere Sensibilität auftreten und sich gegen den rohen Verstand der Gewalttätigen wie in einem Dom der reinen Erkenntnis behaupten, ohne sich als neue Theologie der höheren Wahrheit erkennen zu müssen. Man musste den Marxismus zumindest textuell nicht aufgeben, auch wenn man ihn nur noch als "dornenreicher Weg der Selbstverwirklichung" (Hegel) abfeierte.

Die Populisten einer neuen Marxlektüre, die Wertkritiker und Antideutsche, hatten aber gerade mal wieder diese Art von Kulturkritik neu entdeckt und wollten Marx darin einbetten. Nach dem das Desaster des Arbeiter- und Bauernstaates öffentlich erkennbar vorlag, bemühte man sich auch von marxistischer Seite zu analysieren, warum diese Form des Staatskapitalismus am Ende einer einfältigen Marxismusinterpretation stand. Aber man wollte diese Einfalt nicht innerhalb der Arbeiterbewegung als ein Fehler begreifen, wie ihn Marx schon zur Gründung der SPD in seiner Kritik des Gothaer Programms formuliert hatte, sondern bei Marx selbst. Er sollte damit überwunden werden, dass man ihn "postmarxistisch" uminterpretierte und seine Kritik der Marktwirtschaft mit einem esoterischen Marxismus vertauschte. Die Wertkritik kokettierte mit dem Einfall, dass Wert selbst schon Ideologie sei, weil die Wirklichkeit von diesem nur ideell bestimmt, eine Halluzination des fetichisierten Bewustseins sei. Das brachte die Kämpfer für die höhere Wahrheit, die nun radikales Denken genannt wurde, dazu, Wertkritik selbst nur noch als Ideologiekritik zu betreiben und damit die analytischen Fundamente des wissenschaftlichen Sozialismus, insbesondere die Arbeitswerttheorie zu untergraben. Damit wurde die Wahrheitsfrage einer verselbständigten Intelligenz nun zum Etikett einer bloß gedachten Wertabstraktion, in die bloße Psychologie eines neu interpretierten Warenfetischismus aufgelöst, zur Kritik eines Bewusstseins, das nicht nur dem notwendigen Schein einer verkehrten Wirklichkeit folgt und ihr unterworfen ist, sondern selbst einem falschen Leben huldigt, und dies im Inbegriff einer Barbarei, die es selbst zu verantworten hätte. Durch solchen "Postmarxismus" wurde Adorno zum Träger einer neuen linken Identität (9) und daraus wurde schließlich, was draus werden musste: Eine Religion der Linken, die einen begrifflichen Totalitarismus betrieb, der bis heute immer noch existiert und immer noch in verschiedenen Gruppierungen - besonders in Berlin und Wien - als Wertkritik und antideutsche Bewegung fortbesteht.

Die Kulturalisierung des politischen Willens

Die sogenannte Antideutsche Bewegung, in der sich viele Hochschul- und Antifagruppen eingefunden hatten, existiert heute eher nur noch in Seminaren und elitären Treffen, in denen sie sich als intellektuelle Avantgarde abfeiern. Aber begründet hatten sie sich mit der Kritik des deutschen Chauvinismus (10) seit dem Mauerfall und eben auch gegen die Allmachtsfantasien des gehobenen Bürgertums und seiner Versöhnlichkeit mit dem politischen Willen der bürgerlichen Kultur und deren impliziten Totalitarismus. Aber die emanzipatorische Bewegung war mit Adorno, der sie begründen sollte, zugleich gegenstandslos und zu einem Streben nach einer wahren Identität geworden, die nur jenseits dieser Kultur der Falschheit (11) möglich sei. Das Nachdenken über deutsche Geschichte und Politik war abgeschafft, weil sie an sich durch Ausschwitz schlichtweg undenkbar sei, so hatte es Adorno ja geschrieben. Den Deutschen wurde damit im Grunde die Fähigkeit zu einer geschichtlichen Emanzipation schlicht abgesprochen. Und so war das Ende einer emanzipatorischen Bewegung mit dem Undenkbaren dieser Gesellschaft eingeläutet, die letztlich bloße Erscheinung einer Unwahrheit sei (12). Die Deutsche Eitelkeit war nun in ihrer Negativform wiedererstanden als deutsche Negation der Deutschen, als letztliche Wirklichkeitsform der adornitischen negativen Dialektik. Und das wurde zum Verhängnis einer Bewegung der 90ger Jahre, die nach dem Zusammenbruch des sogenannten Realsozialismus ihr Verhältnis zum Marxismus überdenken wollte. Mit der Einführung eines negativen Seinsverständnisses war jeder Wirklichkeitsbezug aufgelöst und unnötig, weil die Negation als bloß Gedachtes dann nur total sein kann, ein Gedanke, der keiner ist. Totalitarismus ist immer eine doppelte Negation, die für sich geschlossen sein will, ein Ganzes, das es noch nicht gibt.

Wahrheit als kritische Kategorie des Widerstands macht ihn immer zu einer Religion, zu einer Verbundenheit allerhöchster Werte, die für sich unfassbar und undenkbar sind (13). Und gerade dadurch, dass Adorno in Ausschwitz das "Undenkbare" erkannt haben wollte, versetzte er den Anspruch auf ein "richtiges Leben", die Empörung des Bildungsbürgers gegen die Niederungen der Menschheit, an die Stelle einer Analyse der "Banalität des Bösen", wie Hannah Ahrend die Stumpfheit des nazistischen Funktionalismus bezeichnete, diese Ausregelung der allgemeinen Gleichgültigkeit einer selbstlos gewordenen Masse, welche die Grundlage einer völkischen Massenpsyche war. Diese allerdings ist durchaus denkbar, wenn man ihre Implikationen erkennt.

Eine Gesellschaft, die in den Teufelskreis einer bodenlos gewordenen Krise geraten ist, die keinen wirtschaftlich substanzierten Wert mehr entwickelt, scheitert auch in ihren kultirellen Werten und ihren politischen Formationen. Und gerade in diesem allgemeinen Selbstaufhebungsprozess, in welchem auch der Staat in seiner Funktionalität von seinen politischen Repräsentanten enttäuscht werden muss, in dieser politischen und ökonomischen Sinnentleerung, identifiziert sich eine unwissende Bevölkerung um so mehr mit ihrer Nationalität, je mehr der Staat disfunktional wird. Und mit den Krücken eines ideelen, eines bloß gedachten Staatsganzen entsteht eine allgemeine und abstrakte Identität als Staatskultur, der jede andere Kultur unterworfen werden muss (14). Gerade in dieser Sitiation ist Bewusstseinsbildung unabdingbar, um zu verhindern, dass aus Unwissen Bewusttlosigkeit entsteht, das verabsolutierte Gefühl einer Ohnmacht, die ja schon auch die wirklich Existenz ausmacht.

Jeder Begrifflichkeit, die sich rassistisch, nationalistisch und antisemitisch verfasst, ist der an sein Elend gewohnte und von der gesellschaftlichen Entwicklung wirklich isolierte und ihr unterworfene Mensch vorausgesetzt. Ihn gibt es längst vor dem gesellschaftlichen Zusammenbruch. Man hätte in die faschistoide Begriffsbildung auch längst eingreifen können, gerade wenn die eigene Intelligenz so tragend und rühmlich wirksam sein soll. Die Kulturkritik des Faschismus kann sich nicht auf Ideologiekritik der Werte und Sprache der Faschisten reduzieren. Sie verlangt ein wirkliches Verhalten, ein Eingreifen in die Zerstückelungen und Vereinzelungen und Herabsetzung von Menschen in Verhältnisssen, durch die sie existenziell, personell und kulturell enteignet werden. Und das kann nur ein konkretes Verhalten in den sozialen Zusammenhängen sein, die sie noch haben und die durch fremde Aneignungsmacht bedroht sind.

Durch die eitle Abkehr von der Lebenspraxis der Menschen geriet für die ideologiekritische Linke Israel zum Garanten einer Wahrheit, "die nicht von dieser Welt ist" (15) und die es auch nicht sein muss. Israel war ja längst schon ein Brennpunkt der Nachkriegspolitik, die sich auf Ausschwitz bezog. Und so fand eine gegenstandslose Ideologiekritik ein politische Subjekt, das für alles stehen konnte, was sich jenseits der hießigen Kultur befindet, was als reine Negation des deutschen Nationalismus formalisiert werden kann. Das ist tatsächlich der höchste denkbare Nationalismus, den man eigentlich nur aus dem Faschismus heraus, eben als absolut selbstlose Prinzipienhaftigkeit kennt. Der darauf gründendende Antiislamismusund Belizismus ließ sich daher auch leicht mit einem wieder belebten Rassismus vermengen und wurde zur peinlichen Wiederholung eines deutsch formatierten Rassismus, der in seiner Negation nun höchte, nein allerhöchste Güte bekommen sollte. Das schafft ganz eigenartige Identifikationen, die von der neuen Rechten auch begierig aufgegriffen werden.

Inzwischen wird die "Dialektik der Aufklärung" auch schon von einer Website der Rechten zitiert, die bedauert, dass dieses "kritische Potenzial der Linken" nicht konsequent von Rechts her weiter entwickelt wu rde (16). Und ein einstiger Wortgewaltiger der Antideutschen, Henrik M. Broder, immerhin ein anerkannter Publizist und Zyniker, der dies längst begriffen hat, hat sich schon zum Sprachrohr einer rechten Intelligenzia gemausert, die sich auf vielen entsprechenden Webseiten auf ihn bezieht, wie es auch schon der norwegische Massenmörder Andersch Breivick getan hatte. In der ganzen Breite der rechten Szenerie ist man sich immerhin schon zumindest in einem krassen Antiislamismus einig und einer Abscheu vor den "Kulturmarxisten" und "Gutmenschen", die als Protagonisten einer "Polical Correctness" aufgeführt werden, die man der 68ger-Bewegung zurechnet und heute an der Regierungsmacht wähnt.

Die "Identitäre Bewegung"

Die neue Eigentlichkeit tritt nicht mehr als soziale Doktrin auf, sondern als Identität einer neuen Generation, die sich dem sozialen Prinzip ihrer Eltern entgegenstellt. Nicht als Autorität wird deren Generation angesehen, sondern als Versager, als "Gutmenschen", die sich nur noch politisch korrekt vefrhalten wollen und sich in den politischen Gremien hinter den Ansprüchen ihrer politischen Vergangenheit verstecken. Sie würden sich nicht mehr um das wirkliche Leben kümmern, hätten dazu nichts mehr zu sagen, weil sie sich nur noch um Randprobleme und Rangruppen bemühen. Die allgemeinen Verwerfungen der Kultur sei ihnen dabei entgangen, vor allem die Infiltration und Vermischung durch Multi-Kulturalismus.

Kein Sozialwesen, keine Gemeinschaft verbindet diese Geretation, sondern eine neue kulturelle Identität. Der Kampf der Kulturen, wie er in der Theorie stattfand, hat sich dadurch erübrigt, dass man sich seine eigene Kultur zusammenbaut und für sie kämpft. Die Sehnsucht nach einer eigenen Wirklichkeit, die einer neu erstellten Identität der Ausgegrenzten entspricht, treibt eine Europäische Bewegung um, die sich folgerichtig "Identitäre Bewegung" nennt (17). Auch diese Haltung tritt kulturkritisch auf und wendet sich in Stil und Text direkt an die europäische Jugend (18), die zu einem beträchtlichen Teil arbeitslos ist. Ein Aufstand der Jugend will sie sein (19), gegen Gewalt, gegen Fremde, gegen Nazis und gegen die sogenannten "Kulturmarxisten" der 68ger Bewegung. Und viele der über 100 Gruppierungen aus der rechte Szene beziehen sich auf sie, zumindest per Verlinkung auf ihren Webseiten. Sie könnte zumindest für die Jugend zum Sammelbecken einer rechten Subkultur werden. Das liegt nicht nur an ihren Aktivitäten in den Städten und auch nicht nur an ihrem Szenendesign. Ihre Botschaften treffen die Gefühle einer globalisierten Kultur, die Entfremdung einer Gesellschaft der Geldverwertung von ihrer Geschichte und den kommenden Generationen, die Vernichtung und Beherrschung ihrer Zukunft, die im Konsumismus des Tittytainments geraubte Identität oder kurzum: Die Sinnlosigkeit und Niederträchtigkeit einer nur noch geldwertig agierenden Gesellschaft. Deren Bedrohungslage wird als Fremdkultur einer selbstsüchtigen Luxusgesellschaft begriffen, die mit dem Liberalismus einer Multi-Kulti-Generation den Zusammenhalt der Menschen zerstört habe. Ihr Auftritt ist modern und bestimmt, auch wo sie völlig unbestimmt beliebt. Aber ihre Botschaft ist klar:

"Wir sind Kinder dieser Zeit und Künder einer neuen Zeit. Wir sind das Signal zu eurem Abtritt."

audio: http://identitaere-bewegung.de/?p=1268

"Wir sind die identitäre Generation! Die fetten Jahre sind vorbei und wir ernten was ihr uns gesäht habt. Ihr habt uns in ein Land hineingeboren, das auf eine Katastrophe zusteuert. Wohin wir auch blicken - Krisen. Wohin wir uns auch wenden - Leere.

Wir glauben eure Utopien nicht mehr. Wir vertrauen euch nicht mehr. Wir wollen keine internationalistischen Weltordnungen, keine Masseneinwanderungen, keine haltlose Globalisierung, keine Multikultiprojekte mehr. Wir wollen Heimat, Freiheit und Tradition!

Wir sind Kinder dieser Zeit und Künder einer neuen Zeit. Wir sind das Signal zu eurem Abtritt."

Der Vorwurf ist derselbe: Man muss den Schuldigen ausgrenzen, denn er hat die Unwahrhaftigkeit des Lebens, das nur noch aufgezwungen begriffen wird, zu verantworten. Um das eigentliche Leben zu finden muss man ihn absondern. Es soll aber das fremde nur auf sich selbst verwiesen werden, den unterschiedlichen Interessen und Kulturen in eigene Lebensräume verwiesenen werden. Ethnoplurailismus nennt man das (20). Was auf diese Weise fast liberal formuliert ist, kaschiert einen Antiislamismus, der alle Muslime ausgrenzt, weil sie ja keine eindeutige Ethnie, de facto also kulturunfähig seien.

Es ist das alte Lied des Kulturalismus: Das Problem sind die anderen, die Fremden und Abartigen. Nicht die Verbilligung der Arbeitskraft und das auf dem Weltmarkt produzierte Elend der armen Länder soll es sein, nicht die Zerteilung der Menschen in isolierte Existenzen, die darin nur ohnmächtig bleiben können, solange ihre Selbstverständigung nicht möglich ist. Es müssen sinnfällige Feinde ausgemacht werden, damit zumindest die Selbstgefühle aus ihrer Ohnmacht herauskommen und sich am Anderssein veredeln können. Es werden aus den Unterschieden der Kulturen Monster gebildet, populistisch im Ressentiment umgesetzt und die Eigendefinition einer richtigen Kultur gegen die fremde gesetzt, indem die wirklich vorhandenen Konflikte einen Kulturstatus bekommen. Es muss der Feind lediglich in dieser Form identifiziert werden, heute nicht mehr in der jüdischen, sondern in der muslimischen Kultur und man entdeckt dort, was man schon aus eigener Geschichte zur Genüge kennt und was man jetzt nur noch dort entdecken und bekämpfen will: Terror, militante Gewalt, Autoritarismus, Schwulen- und Frauenfeindlichkeit und anderes mehr.

Das Ziel dieser Ressentiments ist ein Staat, der einer politischen Gefühlswelt, einer gefühlten Identität folge leistet und den Durchsatz solcher Selbstgefühle als Gesinnungsgefühl für eine Staatskultur befestigt. Auch das kennt man schon lange. Allerdings sind die Mittel hierfür inzwischen selbst schon totaler geworden. Die Kommunikationstechniken können dies befördern, indem sie dazu dienen, die Menschen durch die Kulturalisierung ihrer Probleme vollständig zu beherrschen und in den Menschenpark der Staatskultur eines Kulturstaats zu sperren. Sie können aber auch ganz im Gegenteil dazu verhelfen, eine wirkliche Auseinandersetzung der Menschen um ihre Lebensbedingungen zu befördern.

Ob der politische Wille von linken oder rechten Kulturvorstellungen bestimmt wird, bleibt sich irgendwann gleich, wenn er totalitär wird (21). Und das wird er durch die Kulturalisierung selbst schon. Die Abgrenzung durch Gefühle und vermeintliche Identitäten blenden die Geschichte aus, in die sie nur wirklich eingreifen können, wenn sie in die Auseiandersetzungen vor Ort treten, die politische Macht der Eigentumstitel, der Haus- und Grundbesitzer, der Ressourcenbeschaffung und Geldverwertung, - nicht in den abgeschotteten Räumen der Repräsentation sondern im öffentlichen Raum. Kulturell werden solche Auseinandersetzungen durch Ressentiments nur verfälscht. Der Kampf der Kulturen, wo es ihn überhaupt gibt, ist ein Kampf der Ressentiments. Es ist daher nötig, die Kulturen des politischen Willens mit einer Kritik der politischen Kultur zu beantworten und eine Kultur der Menschen dadurch zu erreichen, dass man sie entpolitisiert und sie als geschichtlich notwendige Form der gesellschaftlichen Auseinandersetzung dort verwirklicht und umsetzt, wo sie stattfindet.

 

(1) Was wir der politischen Entscheidung an Wirksamkeit beigeben, hängt davon ab, wie wir Geschichte verstehen. Besteht sie nur aus der Folge von einzelnen Momenten, die ihre Wirkung erst im Nachhinein zeigen, oder aus dem Schicksal des in die Welt geworfenen Menschen, der seine Mündigkeit beständig beweisen muss, oder aus einer Seinsbestimmung, aus ewigen Wahrheiten in der die Menschen determiniert sind und nur hiernach handeln können oder vielleicht auch doch nur aus einem Streben nach Vollendung, nach einer "höheren Wahrheit"? Was macht ihr "Erfolg" aus? Stehen Gott und Vaterland auf der rechten, Emanzipation und Fortschritt auf der linken Seite und wir alle dazwischen?

(2) Während die Menschen in ihr Heim flüchten und im Vertrauten ihre heile Welt finden, reduzieren die Wissenschaften ihre Erkenntnisse auf die bloßen Phänomene, folgen ihrer Einzelheit blind in ihrer Faktizität und leiten hieraus bestenfalls Reparaturvorschläge für ihre Funktionalität ab. Kunst reduziert sich auf ihre Ästhetik und beschwört einen Wesensmythos des Augenscheins und der Intellekt verhilft sich im Nihilismus des abstrakten Begriffs. Jeder Event eröffnet schrankenlose Phantasien und Erlebnisse, welche die Last der Ungewissheit ersetzen sollen; jeder Reiz wird zum Anreiz einer Scheinwelt, in der sich die Schwere bodenloser Abgründe verliert und Ursprungssehnsucht sich gestalten lässt wie ein Himmelreich auf Erden. Je endloser die Probleme erscheinen, desto inniger entsteht im kulturellen Rauschen ein Raunen des Unendlichen, einer ewigen Geschichte der Runen und Gottheiten, vor allem die Mythologie einer Heilserwartung.

Adolf Hitler faszinierte einen großen Teil der Deutschen nicht nur, weil er Erlösung aus verrotteten Verhältnissen und den Endsieg über das Böse versprach, sondern weil er ihnen das wahre Leben als Wohlfahrt einer in sich geschlossenen Nation, als Macht einer in der Nation unterstelten Ganzheit definierte, in der sich ihre Ohnmacht aufheben würde, wenn sie sich darin nur vergemeinschaften würden, sich in ihrer Güte zusammenfänden wie in einem Verein der Guten. Die Ordnungsmacht der nationalen Eintracht sei die Notwendigkeit und Bedingung ihrer Befreiung, wenn sie sich ihr nur unterwerfen würden.

Wo sie überhaupt um ihr Überleben unter Bedingungen zu kämpfen hatten, wo nur noch der Augenblick entscheidet, ob sie gerade mal Arbeit finden oder einen guten Deal machen konnten, erschien ein solcher Verein auch tatsächlich nötig, um den gesellschaftlichen Verwertungsbruch zu flicken, durch einen Kraftakt der Bewältigung die auseinanderstrebenden Individualitäten wieder produktiv zu vereinen, sie zum Volkgenossen durch Gleichschaltung ihrer Notwendigkeiten in einem Staatsinteresse zu unterwerfen. Und so zwingend dies erschien, so gewaltsam musste dies dann auch ergehen, in einer politischen und rechtlichen Herrschaft des Progroms und der Beschuldigung aufgehen. Es ist ein Rückfall in feudale Verhältnisse, aber die haben eben auch ein wirkliches Schuldverhältnis zur Grundlage, die absolute Staatsverschuldung und Bankenkrise.

(3) Wie war das doch noch, als Friedrich Schiller geschrieben hatte:

Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei,
Und würd' er in Ketten geboren,

Aber die Abtrennung der Freiheit aus ihren wirklichen Verhältnissen hatte dies damals schon zu einer idealistischen Phrase gemacht, die sich notwendig selbst widerspicht. Derselbe Schiller hatte den Freiheitskampf auch zu einen Kampf um das Recht eigener Notwendigkeit beschworen. Der "Kämpfer für die Freiheit" ist idealerweise eben immer auch schon der Mächtige von morgen. Idealismus bewegt und ernährt ihn so, wie Friedrich von Schiller folgerichtig auch zum Dichter der Kriegerehre geworden war, als er 1797 schrieb:

Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd,
Ins Feld in die Freiheit gezogen!
Im Felde da ist der Mann noch was wert,
Da wird ihm das Herz noch gewogen;
Da tritt kein anderer für ihn ein,
Auf sich selber steht er da ganz allein.
Aus der Welt die Freiheit verschwunden ist,
Man sieht nur Herren und Knechte;
Die Falschheit herrschet, die Hinterlist,
Bei dem feigen Menschengeschlechte:
Der dem Tod ins Angesicht schauen kann,
Der Soldat allein ist der freie Mann!
Friedrich von Schiller, 1797

(4) Dass wir eine Verständigung über das suchen, was menschliches Leben ist, weist daraufhin, dass wir es nicht für selbstverständlich halten, dass Leben und Nichtleben, Leben und Tod so eindeutig unterscheidbar sind. Die Philsosophie hat dies zu einer Frage der Wahrheit gemacht, zu einer Theorie des Ursprungs und Grundes des wahren Lebens oder, wie Adorno das nannte, zu einer "Lehre des richtigen Lebens". Nach ihm und der Philosophie des Denkens überhaupt blieb dieses nach wie vor Maßstab der Wahrheit und erhaben über die Falschheit.

Die Nöte und Widersprüche der Welt werden so zu ihrem "Fehler“. Um sie zu ändern, bedarf es innerhalb der Philosophie des intellektuellen Entschlusses als Wille, das "richtige Leben“ gegen "das Falsche“ zu schaffen. Und weil solche intellektuelle Politik nur aus dem Willen zur Veränderung der Welt besteht, ist sie selbst als deren Alternative auch an die Vorausgesetztheit der Welt überhaupt gebunden.

(4a) Ein Staat, der Menschen ausgrenzt bis zur Ausrottung und Vernichtung wäre nicht wählbar, wenn er nicht als Notwendigkeit vermittelt wird, wenn nicht eine Theorie der Not die Ausgrenzung notwendig erscheinen lässt. Sie entsteht in einer Not, welche die ganze Gesellschaft betrifft und der Idealist wird gewählt, gerade weil er nicht auf diese Welt reflektiert, sondern einem höheren Gebot dient, das nicht von dieser Welt ist. Aber der Bezug auf diese Not ist doppelbödig und hinterhältig. Einerseits gibt er sich als jenseitige Wahrheit der Bereinigung aus dem Diesseits; andererseits will er damit jeden Menschen zwingen, diese Gesellschaft als Notgemeinschaft zu retten. "Alle Deutsche sind in einem Boot" hatte Adolf Hitler proklamiert und er hat alles getan, um dieses Boot zu einer Trutzburg mit einer 1000jährigen Existenzgarantie, als gesellschaftliche Befestigungsanlage der deutschen Bürger auszustatten, sie alle zu Burgherren, zum wahren Bürger ihrer Welt machen. Er musste diese Gemeinschaft lediglich zum nationales Eigentum machen, sie zum Allgemeingut der Deutschen kultivieren, zur Hochkultur eines Deutschen Reiches, zur Staatskultur eines Kulturstaats, einer Kultur des "wahren Lebens", des eigentlichen Lebens.

(5) Es unterstellt ein wahres Menschsein aus der körperlichen Integrität der Personen. Der "wahre Mensch" sei der Unverfälschte, die unverstellte Persönlichkeit, die reinen Geist und reines Blut hätte: Der wahre Blut und Boden des Menschseins. Friedrich Nietzsche hatte die Begrifflichkeit der Aufklärung dahin kritisiert, dass sie nur ein Gebälk der Begriffe, eine hölzerne Rationalität zu bieten hätte, die das wahre Leben nur verstellen würde. "Erkenne dich selbst!" war seine Entgegenhaltung: "Sei lebendig!". Und damit hat er die Selbsterkenntnis als politische Emanzipation gegen die Verstellungen der bürgerlichen Kultur als Grundlage seiner Kulturkritik aufgebracht und der Welt der Denker und Künstler eine hohe Aufgabe darin zugewiesen. Menschliche Subjektivität sei die menschliche Identität, das "wahre Leben" schlechthin, der sich die Rationalität der Aufklärung durch ihre abgehobene Objektivität entziehen würde. In diesem Gegensatz zur Vernunft des aufgeklärten Menschen hatte zuvor schon Arthur Schopenhauer die Kraft des Willens als Kraft einer allgemein menschlichen und zugleich persönlichen Identität entdeckt. Gegen die Herrschaft der aufgeklärten Vernunft sei die ungezügelte Anarchie der Vorstellungskraft in der Bildung eines Willens die Kraft der Freiheit gegen die Beschränktheiten bürgerlicher Existenz. Der Wille sei als weltenübergreifende Lebensäußerung dieser Kraft der letztliche Grund menschlicher Geschichte überhaupt. Damit war der politische Wille selbst zum geschichtsbildenenden Prinzip erhoben, die persönliche Entscheidung der Politiker zu einem geschichtsbildenden Urteil und die Lebensverhältnisse der Menschen als deren ureigenstes Produkt behauptet und anerkannt. Die Geschichte wurde zu einem Gebilde der Vorstellungskraft und der Durchsetzungsfähigkeit ihrer politischen Protagonisten, zur Geschichte der mächtigen Persönlichkeiten.

Aus Schopenhauers "Welt als Wille und Vorstellung" wurde bei Adolf Hitler der Wille zur Macht und die Macht des Willens zum Heilsprinzip, das er in seiner Dramaturgie als faschistischen Ethos und Populismus verstand. Es wurde auf diese Weise ein gigantisches Versprechen zum Prinzip einer Staatskultur, die eine Endlösung der Verwerfungen der bürgerlichen Gesellschaft durch radikale Disziplinierung der Vorstellungskraft zur völkischen Gesinnung abverlangte. Es wurde der deutsche Weg der Befreiung, der Nationalsozialismus.

(6) Das Dreigestirn Friedrich Nietzsche, Ernst Jünger und Martin Heidegger als Grundlage nationalsozialistischer Ideologie

"Wie Heidegger im 1945 (!) geschriebenen und 1983 postum veröffentlichten Nachtrag zur ›Rektoratsrede‹ ausdrücklich bekundet, hatte er gleich nach Erscheinen zusammen mit seinem Assistenten Brock und wiederholt mit Kollegen im Wintersemester 1939/40, als er die Nietzsche-Vorlesung »Der europäische Nihilismus« hält, Jüngers 1932 – im Vorjahr der ›Machtergreifung‹ – erschienenes Buch »Der Arbeiter« und dessen Aufsatz »Die totale Mobilmachung« von 1930 gelesen.

Just in der Zeit der wiederholten Lektüre Jüngers verändert sich Heideg- gers Wahrheitsbegriff durch die Zentralisierung des ›Willen zur Macht‹- Gedankens und der Thematisierung des Nihilismus als das in der Folge inter- pretierte seinsgeschichtliche Geschick des nachsokratischen Abendlandes. – Dies wird auch durch die jüngste Nachlaß-Publikation Heideggers gezeigt, in der das Nihilismus-Thema in den Mittelpunkt gerückt ist. – Eindeutig belegt wird die Verbindung (Heidegger selbst zufolge) durch den während der Jahre 1936–1946 geschriebenen Text »Überwindung der Metaphysik«, wo Heidegger im zweiten der achtundzwanzig Abschnitte auf Jüngers Schrift hinweist: »[D]ie Arbeit«, so ist dort in bezug auf die besagte Publikation zu lesen, »gelangt jetzt in den metaphysischen Rang der unbedingten Ver- gegenständlichung alles Anwesenden, das im Willen zum Willen west.«

Jünger hatte 1932 eine heraufkommende Zeitenwende angekündigt, die er dann 1956 im Buch »An der Zeitmauer« – unter Beibehaltung des Topos und wiederum in bezug auf Nietzsche – in die astrologisch-esoterische Dimension entrückte. Neben präzisen Analysen, beispielsweise die der – an Benjamin erinnernden – reprotechnischen Massenkultur, welche heute noch ihre Geltung bewahrt haben, wird in »Der Arbeiter« ein neuer universaler Stand prophezeit, der die drei alten Stände ablösen werde. Dies sei eben der des ›Arbeiters‹, von dem man im eigentlichen Sinne nicht mehr als ›Stand‹ sprechen könne, da er universal sei: Grenzen, Gesinnungen und selbst Tätigkeiten übergreifend. Es bestehe »vor allem ein Unterschied des Ranges«. Dadurch stehe er – der ›Arbeiter‹ – dem ›Bürger‹, von dem die platonische Definition der drei Stände ausgeht, im ganzen anders geartet gegenüber.

Neben dem Zeitphänomen der schon in der Mehrzahl befindlichen Fabrikarbeiter, deren Empirizität seine These belegen soll und wodurch Jünger die Stärke des marxistischen Ansatzes für die – heute sogenannte – ›konservative Revolution‹ zu nutzen weiß, glaubt er eine Vorform des ›Arbeiters‹ in Nietzsches Idee vom ›Übermenschen‹ zu erkennen:

Vertreter des Arbeiters [...] sind ebensowohl die höchsten Steigerungen des Einzelnen, wie sie bereits früh im Übermenschen [und zwar durch das Medium des bürgerlichen Individuums hindurch] geahnt worden sind [...].

Dies sei die Führerfigur, die daran erkannt werde, »daß er [sc. der Führer] der erste Diener, der erste Soldat, der erste Arbeiter ist«, also die Vereinigung der Attribute der alten Stände in einem neuen ›Typus‹. Auch dieser erkenne – gleich zu Heideggers Darstellung – die höchste Form der »Freiheit« in der »Notwendigkeit« bzw. kennt der »Typus [...] keine Diktatur, weil Freiheit und Gehorsam für ihn identisch sind«." (aus http://sammelpunkt.philo.at:8080/1211/1/GuenzelLinien.pdf)

(7) zu Nietzsche:

"Nietzsche verkörperte die Verbindung literarisch: In der schon angesprochenen Rahmenhandlung für seine ›Bildungs‹-Vorträge, bestehend aus Ver- satzstücken von Erinnerungen an seine Studentenzeit, treffen sich zwei Studenten – von denen einer Nietzsche ist –, um einen Ehrentag gemeinsam und in Abgeschiedenheit zu zelebrieren. Dort werden sie allerdings von einem alten Philosophen und seinem Gehilfen in ihrer Zweisamkeit gestört. Die Studenten wollten den Nachmittag mit Zielschießen verbringen und werden nun durch das Dozieren des Philosophen über das klassische Bildungsideal – exakt im Sinne der Aussagen in der Einleitung Nietzsches zur Druckfassung – davon abgehalten.

Nietzsche doppelt sich durch diese Erzählung geschickt in einen – von ihm in der Erzählung selbst gespielten –, welcher der Führung bedarf, und einen – durch den ›reifen‹ Philosophen vertreten, in dem Ross Wagner zu erkennen glaubt –, der zu führen fähig ist. Am Ende ist die gesuchte ›prästabilierte Harmonie‹ zwischen beiden in Figuren dramatisierter Begriffe erreicht, die sich in dem Anspruch des siebenundzwanzigjährigen Basler Professors zuvor bereits schon vereinigt finden.

Zurück zu Jünger: Beide »Gleichnisse der Gestalt des Arbeiters«, arbeiten- der Führer wie geführter Arbeiter, »sind«, so Jünger, »an der Vernichtung der alten Wertungen beteiligt«. »Der Wille zur totalen Diktatur [erkennt] sich im Spiegel einer neuen Ordnung als der Wille zur Totalen Mobilmachung [...].« Wie eine »Landkarte« sei diese Ordnung über die »Landschaft« gelegt, aus der sie »Bedeutung gewinnt«: »So ist auch die Gestalt des Arbeiters tiefer und ruhender in das Sein gebettet als alle Gleichnisse und Ordnungen [...].«

Heidegger nun nimmt Jüngers Bahnung direkt auf:

Was Ernst Jünger in den Gedanken von Herrschaft und Gestalt des Arbei ters denkt und im Lichte dieses Gedankens sieht, ist die universale Herr- schaft des Willens zur Macht innerhalb der planetarisch gesehenen Ge- schichte. In dieser Wirklichkeit steht heute Alles, mag es Kommunismus heißen oder Faschismus oder Weltdemokratie.

Der Einebnung von linker und rechter Diktatur und wiederum Gleichsetzung beider mit der sich nach 1945 erneut konstituierenden Idee einer – in Heideggers Augen von ›Amerika‹ ausgehenden – universalen und egalitären Ver- pflichtung zum Weltbürgertum entspricht direkt Jüngers Deutung des ›Willen zur Macht‹ als einer Doppelform von Wissen als Wissen-Wollen bzw. als ›Willen zur Wahrheit‹ und der »Wahrheit selbst als einen Ausdruck des Willens zur Macht«. Sie entspricht aber auch Nietzsches Meinung von Demokratie, wenn sie diese nicht gar unterbietet. So unterschreibt Jünger beispielsweise im November 1933 die von ›Dichtern und Künstlern‹ initiierte Unterstützung des Austritts aus dem Völkerbund durch die Reichsregierung.

Das neue »Menschentum«, teilt Heidegger seinen Studenten nach Kriegs- ausbruch in seiner Nietzsche-Vorlesung 1940 im Geiste Jüngers mit,88 soll nicht mehr nur »Panzerwagen, Flugzeuge und Nachrichtengeräte besitzen«, sondern vom Wesen der Technik sich ganz beherrschen [lassen], um so gerade selbst die einzelnen technischen Vorgänge und Möglichkeiten zu lenken und zu nützen. Der unbedingten ›machinalen Ökonomie‹ ist im Sinne der Metaphysik Nietzsches nur der Übermensch gemäß [...].

Genau vierundzwanzig Stunden vor der ›Rektoratsrede‹, die Heideggers gut einjährige Amtszeit einläutete, hatte er den zehnjährigen Todestag des Prototyps des Arbeiters vor den Freiburger Studenten zelebriert, des Helden des Ersten Weltkriegs aus der Provinz: Albert Leo Schlageter. Und fast ein halbes Jahr nach der ›Rektoratsrede‹ erfolgt am 25. November die Immatrikulationsrede »Der deutsche Student als Arbeiter«, worin Heidegger die Studenten zum ›Arbeitsdienst‹ aufruft." (aus http://sammelpunkt.philo.at:8080/1211/1/GuenzelLinien.pdf)

(7a) Repräsentation ist schon selbst eine falsche Identifikation, weil die Repräntanten sich selbstverständlich von dem abheben müssen, was sie repräsentieren. Repräsentative Demokratie ist daher auch nur die Demokratie der Repräsentation. Nur deren Politikerinnen und Politiker können glauben, dass sie um die Wahrheit kämpfen, wenn sie politische Ziele verfolgen, weil sie in Wahrheit um die Ziele ihrer Klasse kämpfen.

(8)Solche Lebensbewertungen sind immer Anmaßungen, die auch heute wieder gängig sind, wenn von einem gelungenen und von einem misslungenen Leben die Rede ist. Fehler bestehen nicht daraus, dass man falsch lebt, sondern dass man etwas falsch macht, das man auch richtig machen könnte. Fehler bleiben immer einzeln und gegenständlich.

(9) Der philosophische Intellekt stellt sich zwischen die Alternativen, beurteilt Wahrheit und Täuschung und setzt hieraus den nötigen Willen gegen die Affirmation des Falschen. Die Alternative dazu liegt im politischen Willen. Aber dieser ist dadurch auch schon Teil der Affirmation. Denn er muss leugnen, dass er sich überhaupt nur gegen das begründet, was außer ihm existiert und was daher auch seine Existenz ausmacht. Marx hatte dies am deutlichsten formuliert:

"Indem die Philosophie als Wille sich gegen die erscheinende Welt herauskehrt, ist das System zu einer abstrakten Totalität herabgesetzt, d.h. es ist zu einer Seite der Welt geworden, der eine andere gegenübersteht. Sein Verhältnis zur Welt ist ein Reflexionsverhältnis. Begeistet mit dem Trieb, sich zu verwirklichen, tritt es in Spannung gegen anderes ... So ergibt sich die Konsequenz, daß das Philosophisch-Werden der Welt zugleich ein Weltlich-Werden der Philosophie, daß ihre Verwirklichung zugleich ihr Verlust, daß, was sie nach außen bekämpft, ihr eigener innerer Mangel ist, daß gerade im Kampfe sie selbst in die Schäden verfällt, die sie am Gegenteil als Schäden bekämpft, und daß sie diese Schäden erst aufhebt, indem sie in dieselben verfällt. Was ihr entgegentritt und was sie bekämpft, ist immer dasselbe, was sie ist, nur mit.umgekehrten Faktoren." (MEW 40, S. 328)

(10) Die Antideutschen und der Antiislamismus

"Ihren Ursprung hatte diese ideologische Strömung in der "Radikalen Linken" (RL), die sich in den Jahren 1989 bis 1991 in Westdeutschland unter der Losung "Kraft der Negation" den Kampf gegen den wieder erstarkenden deutschen Nationalismus auf die Fahnen schrieb. Die RL schaffte es, mittels populärer Parolen kurzzeitig die Mehrzahl der linken Politprominenz der Bundesrepublik um sich zu scharen - von gestandenen Parteikommunisten, über Noch- oder Nichtmehr-Grünen bis hin zu autonomen Strassenkämpfern. Nachdem die "Niewieder-Deutschland-Kampagne" im besoffenen Wiedervereinigungstaumel des Jahres 1990 jedoch wirkungslos verpufft war, setzte ein rapider Zerfall der RL ein, der Anfang 1992 zu ihrer Auflösung führte. Ein Teil der verbliebenen Zusammenhänge - hauptsächlich Autoren des Monatsmagazins konkret sowie die vom "Kommunistischen Bund" abgespaltene "gruppe K" - nahm während des ersten Weltordnungskrieges gegen den Irak im Jahr 1991 Partei für die Angreifer. Die damaligen Argumente für den Frontwechsel ehemals radikaler Systemgegner überraschten sowohl durch ihre erstaunliche Dürftigkeit als auch dadurch, dass die frischgebackenen Bellizisten es tatsächlich schafften, eine absurde Debatte in die Reihen der Linken hineinzutragen: Deutschland gleich böse, also Israel gleich gut; Irak gegen Israel, also Saddam gleich Hitler; USA gegen Saddam, also Krieg gleich antifaschistischer Kampf." (Junge Welt vom 18.10.2003, Wochenendbeilage )

(11) Das schon zitierte Papier "Das Konzept Materialismus" beklagt die Undenkbarkeit des Kapitalverhältnisses, die daran läge, dass diese Gesellschaftsform unvernünftig und unlogisch sei:

"Die Kapitalisierung der Gesellschaft wurde machbar, weil sie undenkbar war. Sie wurde Praxis, weil sie im Jenseits von Theorie und Philosophie lag. Sie wurde zum Alltag, weil sie dies Jenseits brachte, gerade weil ihr die Transsubstantiation der nützlichen Dinge in Ware & Geld & Kapital so mühelos gelang wie noch nie einer Religion die Verwandlung des Weins in das Blut Christi: Eine Gesellschaft, die sinnliche, nützliche Dinge in Geld und damit abstrakten Reichtum so verwandeln kann wie nur Jesus das Wasser in den Wein, eine Gesellschaft, die zwar verkehrt ist und so falsch wie alle ihre Vorläufer, deren synthetisches Prinzip sich jedoch durch diese Verkehrung hindurch auf sich selbst bezieht, eine Gesellschaft, die zwar so unwahr und falsch war wie die Geschichte, aus der sie entband, deren Falschheit jedoch als die dogmatisch geltende Wahrheit ihrer selbst autoritär sich bezeugt – eine Gesellschaft mithin, die es irgendwie fertig bringt, ihre logische Unmöglichkeit als historisch praktische Wirklichkeit zu setzen.

(12) In einem Grundlagenpapier der Antideutschen Bewegung "Das Konzept Materialismus" von der antideutschen "Initiative Sozialistisches Forum" heißt es:

"Das Denken ist Erscheinung eines als das Unwesen zu dechiffrierenden Wesens, das ohne diese seine Erscheinung nicht sein könnte: Es ist die Bestimmung dieses Wesens, zu erscheinen, um zu sein. Das Denken ist keine “Ableitung” minderer Güte und Qualität – es ist Erscheinung des Wesens in seiner sich an sich selbst verhüllenden Qualität. Es produziert “notwendig falsches Bewußtsein”, weil keine andere Form des Bewußtseins einer in sich verkehrten Gesellschaft zu haben ist, weil anders denn notwendig falsch der Wert als negative Synthesis nicht in Gedanken zu bringen ist, weil anders der Wert als Inbegriff der Identität von Identität und Nichtidentität nicht in einen Kopf passen mag."

(13) Ähnlich verhält es sich mit den Antideutschen, die aus dem Imperativ Adornos, "Denken und Handeln so einzurichten, daß Ausschwitz nicht sich wiederhole", die bedingungslose Forderung ableitete, den Staat Israel in allem zu bestärken, was dieser betreibt, ganz gleich, wie dies auch begründet ist und mit welchen Mitteln er dies durchsetzt.

(14) Was in Deutschland wirklich Angst machen kann, ist die Prinzipienhaftigkeit, mit der auf die Probleme von Menschen und Institutionen reagiert wird. Sie ist die Grundlage einer vollständig verwalteten Gesellschaft, die nicht mehr in der Lage ist, ihre Prinzipien an ihrer Wirklichkeit zu relativieren. Das zeigte sich auch wieder mal ganz öffentlich an der Beschränktheit des Münchner Landgerichts, das nicht in der Lage war, eine absurde Regelung für den Zugang zum Gericht aufzugeben und den von ihm Betroffenen auch eine entsprechende Teilhabe zu sichern. Das Gericht muss sich schützen gegen die Anmutung, dass ihm die Beziehung zu einem lapidaren Sachverhalt abhanden gekommen ist, dass es "Inkompetenz" offenbaren würde, wenn es seine Regeln ausbessert und dass es dadurch inkorrekt, also disfunktional würde. Die eigene Begrifflichkeit zeigt sich dann eben auch in ihrer Abgelöstheit von der Sache. Die Verknüpfung einer Regel mit der Selbstgerechtigkeit eines Verhaltens gegen die Notwendigkeiten einer Beziehung offenbart die Versagensangst eines verselbständigten Verhältnisses.

(15) Adorno:

"Wahr ist nur, was nicht von dieser Welt ist." (Adorno, "Ästhetische Theorie", Suhrkamp, S. 335)

(16) In einem rechten Blog auf der http://www.sezession.de/36242/links-das-prinzip-illusionismus.html schrieb Heino Bosselmann:

"Man sollte sich von rechts Gedanken über die Linke machen. Vielleicht sogar Sorgen. Denn vom kritischen Potential her ist die intellektuelle Linke hervorragend ausgestattet. ... Tragisch, daß die politisch präsente Linke an dieses Potential kaum anknüpft, sondern weitestgehend in der Konsensgesellschaft aufgeht und deren propagandistischen Erregungsfrequenzen, etwa dem mystifizierten Kampf gegen Rechts, auf eine Weise folgt, die nicht mehr politisch, sondern eher folkloristisch anmutet.

Weshalb scheint die intellektuelle Linke so am Ende, weshalb beschränkt sie sich auf Gesten und Theaterdonner? Ihre verhängnisvolle Illusion besteht darin, pauschal und kritiklos einem im Sinne des Als-ob hochgehaltenen Vermächtnis der Aufklärung zu folgen, ohne je willens zu sein, auch nur deren eignen selbstkritischen Prozeß – mindestens über Max Weber, die Frankfurter Schule, Georges Bateilles u. a. – zur Kenntnis zu nehmen." (http://www.sezession.de/36242/links-das-prinzip-illusionismus.html)

(17) "Das Ziel der identitären Bewegung ist die totale Umwälzung und Auslüftung dieser stickigen, giftigen Atmosphäre. Wir wollen eine kulturell-geistige Revolution, die Werte wie Tradition, Heimat, Familie, Kultur, Volk, Staat, Ordnung, Schönheit u.v.m. wieder zu positiven, erstrebenswerten Begriffen statt zum Gegenstand für‘s Kabarett und die PC-Inquisitoren macht. Im Gegenzug dafür wollen und werden wir die Dogmen der herrschenden Zivilreligion und ihre tragikomischen Jünger gnadenlos verarschen und in der Luft zerreißen. Sie sind lächerlich, erbärmlich, abgelebt, ideenlos und nicht in der Lage, die kommenden Probleme zu lösen. Auf allen Ebenen glauben sie, dass Probleme, wenn man sie nur ignoriert oder schönredet, sowie jene, die eben diese Probleme ansprechen, einfach von selbst verschwinden. Sie palavern über ihre lächerlichen, jenseitigen Gender- und Schulddebatten wie die Weisen von Konstantinopel über das Geschlecht von Engeln, während die Osmanen bereits die Stadtmauern stürmten. Sie haben uns nichts mehr zu sagen, sie haben nichts mehr zu schaffen, ihre hohe Zeit ist vorbei. Sie können nur noch samt ihrer hochtrabenden, fehlgeschlagenen Utopien abtreten und uns Junge, die identitäre Generation, ans Ruder lassen! Unser Ziel ist also eine geistig-kulturelle Revolution der Jugend, im Namen unserer ethnokulturellen Identität, gegen die verknöcherten, alten Hohepriester der Multikulti-Utopie, die den Karren an die Wand gefahren haben!" http://identitaere-bewegung.de/?page_id=38

Statt Adorno hilft hier Kierkegaard, der hier ebenso tiefgründig zitiert wird. Der meint es ganz konkret, wenn er schreibt:

“Ich bin wieder ich selbst. Dieses ‘Selbst’, das ein anderer nicht auf der Landstraße auflesen würde, besitze ich wiederum. Die Spaltung, die in meinem Wesen war, ist aufgehoben.... Meine Befreiung ist sicher, ich bin zu mir selbst geboren.” (Kierkegaard)

Der Dichter und Philosoph adelt das Bedürfnis nach Innerlichkeit, das nicht minder religiös ist wie das nach einem "wahren Leben". Es geht aber hier um eine ganz praktische Selbstbeziehung, die das Glück der Rechten verspricht: Die innere Vereinigung mit sich, die in einer gespaltenen Welt allgemein ebenso nötig erscheinen kann, wie eine abstrakte Wahrheit. Wo die Trennung von den wirklichen gesellschaftliche Lebensverhältnissen vollzogen ist, da stiftet jede Beziehung eine Wahrheit von eigener Art. Hier geht es jetzt um handfeste Sinnlichkeit, mit der Identität im Selbstgefühl erreichbar scheint, die Identifikation mit einer Kultur der Eigenheiten, der abendländischen Sitten und Religionen, dem Boden der Heimat, der inzwischen ganz Europa umfasst.

(18) Die Identitären

"Wir sind der Wandel der Zeit, wir sind der Wind der Bewegung, die nächste Generation. Wir sind die Antwort auf euch, denn wir sind eure Kinder.

Entwurzelt und orientierungslos habt ihr uns in diese Welt geworfen, ohne uns zu sagen wohin wir gehen sollen, wo unser Weg liegt. Und alles was uns Orientierung hätte geben können, habt ihr zerstört. Die Religion habt ihr zertrümmert und so finden nur wenige von uns in den Trümmern dieser Gesellschaft noch Zuflucht.

Den Staat habt ihr entwertet, und so will niemand von uns mehr dem Ganzen dienen.
Die Familien habt ihr entzweit, und so sind Scheidung, Streit und Gewalt unsere “heimische Idylle” geworden. Die Liebe habt ihr reduziert, und so bleibt uns statt tiefer Verbundenheit nur der animalische Trieb. Die Wirtschaft habt ihr ruiniert, und so erben wir euren Berg von Schulden.

Ihr habt alles und jeden hinterfragt und kritisiert, und somit glauben wir an nichts und niemanden mehr. Ihr habt uns keine Werte gelassen, und doch werft ihr uns heute vor amoralisch zu sein?

Aber das sind wir nicht.

Ihr habt euch selbst eine Utopie versprochen, eine friedliche, multikulturelle Gesellschaft des Wohlstands und der Toleranz. Wir sind die Erben dieser Utopie, und unsere Realität sieht anders aus. Euren Frieden erkauft ihr euch mit immer neuen Schulden. Euren Wohlstand sehen wir heute in ganz Europa verschwinden. Eure multikulturelle Gesellschaft bedeutet für uns nur Hass und Gewalt.
Und im Namen eurer Toleranz jagt ihr alle, die euch kritisieren und nennt dabei die Gejagten intolerant. Wir haben es so satt!"

http://identitaere-bewegung.de/?page_id=35

(19) Die Identitären artikulieren den Anspruch einer neuen Generation, die ihre Kultur Identität stiftend nutzt. Und das kommt an. Von Frankreich als "Generation identitaire" ausgehend breitet sie sich inzwischen auch in Deutschland, Österreich, Italien, Portugal und Spanien in einem rasanten Tempo aus. Seit dem ersten Treffen in Deutschland am 1.12.2012 hat sie schon in 46 Städten Gruppen gegründet, die zumindest im Internet auftreten. Obwohl sie sich von den Neonazis abgrenzt haben sich viele Anhänger der NPD darin eingefunden (siehe http://www.youtube.com/watch?v=tchOxrSDgZY). In kürzester Zeit hat sie z.B. in Bremen 290 Fans bekommen. Und sie beherrscht zumindest die zeitgemäßen Kulturtechniken weit besser als jede andere politische Gruppierung. Mit Pop und Pep funktioniert ihre Botschaft, die sehr grundlegende Positionen transportiert. Mit Pop, Blogs, Plakaten, Aufklebern, Flashmobs und direkten Aktionen wirbt die Identitäre Bewegung um eine junge Zielgruppe. Gewählt werden Aktionsformen der Spaßguerilla. Überhaupt betten die Identitären ihre Botschaften gerne in (populär-) kulturelle Bezüge ein. So sind Motive aus dem Blockbuster “Avatar” beliebter Bestandteil von Fotomontagen der Identitären. Auch hier wird eine scheinbare Parallele zwischen Filmhandlung und Position der Identitären aufgebaut: Das reine Naturvolk, das sich gegen die feindliche Invasion wehrt. Die Benutzung dieser bekannten und populären Figuren soll die Anschlussfähigkeit der Identitären vergrößern.

(20) Es geht der identitären Bewegung um die Wiederherstellung einer nationalen und europäischen kulturellen Identität, in der sich die unterschiedlichen Kulturen entmischen und separat sein sollen. Ethnopluralismus nennt man das und es ist ganz allgemein eine Ideologie der Neuen Rechten, deren Vertreter eine kulturelle Homogenität von Staaten und Gesellschaften nach „Ethnien“ anstreben. Dabei definieren sie Ethnien nicht wie im Biologismus nach ihrer Abstammung, sondern nach ihrer Zugehörigkeit zu einer „Kultur“, um sie so von „Fremden“ zu unterscheiden. Einflüsse der als „fremd“ betrachteten Gesellschaften werden als Gefährdung der „eigenen Identität“ verstanden; Fremdenangst gilt als natürliche Reaktion darauf. Anstelle von historisch durch den nationalsozialistischen Völkermord belasteten Begriffen wie „Lebensraum“ sprechen Ethnopluralisten von „angestammten Territorien der Völker“. Die Parole “100 % Identität – 0% Rassismus” klingt erst einmal unverfänglich. Dass die Parole nur als Deckmantel für antimuslimischen Rassismus dient, wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Er versteckt sich hinter dem Alarmismus, dass"Europa auf dem Spiel" stünde, weil "rassistische Gewalt" gegen "Heimat, Freiheit und Tradition" verübt würde. Es nur die neue Fassung der Besorgnis um den Untergang des Abendlandes und dass sich Deutschland abschaffen würde, wie Thilo Sarrazin es nannte.

(21)Rechte und linke politische Strömungen waren sich auch früher schon in einer antikapitalistische Ideologie darin einig, dass das Kapital die Menschen unterdrücken würde, dass es seine ungezügelte Gier sei, die den Menschen das nehmen würde, was sie eigentlich verdient hätten. Natürlich wird das Kapital von Personden durchgesetzt, die auf Profit gieren, aber es ist dadurch noch lange keine Persönlichkeit der Gier. Weil es seinem Verwertungstrieb folgen muss, der einem immanenten Sachzwang der konkurrierenden Einzelkapitale entspringt, gründet es auf den sachlichen Gebotenheiten des Warentauschs, die schon existieren, bevor es auf dem Waren- und Arbeitsmarkt in Erscheinung tritt. Es handelt vor allem einer Sachlogik folgend, die nicht einfach zufällig und willkürlich aus persönlichem Interese betrieben wird. Dass die Ausbeutung der Menschen in der Verfügung über ihre Lebens- und Arbeitszeit verläuft, ist mit Gier nicht erklärt. Sie resultiert aus der Konkurrenz und dem Risiko der Märkte und treibt die Menschen ganz allgemein an die Grenze ihrer Existenzfähigkeit.